S 13 KR 209/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 209/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine operative Entfernung von Fetteinlagerungen (Xanthelasmata) im Lidbereich beider Augen mit Lidstraffung und rechtseitiger Rekonstruktion mittels lokaler Lappenplastik im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung.

Der 0000 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 15.07.2015 beantragte er die Übernahme der Kosten für eine Exzision (=Ausschneidung) von Xanthelasmen im Lidbereich beider Augen mit Lidstraffung unter stationären Bedingungen. Hierzu legte er ein Attest der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie des Luisenhospital Aachen vom 26.06.2015 vor, in dem "auf Grund des ausgeprägten Befundes und der vorliegenden Fettstoffwechselstörung" eine medizinische Indikation für die Behandlung gesehen wurde. Desweiteren legte der Kläger vier Fotos vor, die sein Gesichtsfeld und – vergrößert – den Bereich seiner Augen zeigen.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dr. X. stellte am 11.08.2015 fest, es bestehe keine zwingende medizinische Indikation für eine operative Entfernung der Xanthelasmata im Bereich der Augenlider; eine funktionelle Beeinträchtigung des Sehens durch die Xanthelasmata sei nicht feststellbar.

Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Kostenübernahmeantrag durch Bescheid vom 24.08.2015 ab.

Dagegen erhob der Kläger am 27.08.2015 Widerspruch. Er trug vor, seit dem Auftreten der Xanthelasmen auf beiden Augenlidern habe er keine privaten Kontakte mehr und sich völlig zurückgezogen. Andere Mitmenschen reagierten mit Neugier auf diese Entstellung; zur Zeit arbeite er nur in Teilzeit, weil der Kontakt mit anderen Arbeitskollegen für ihn wegen der Entstellung eine starke Belastung bedeute. Der Kläger legte ein Attest des Psychiaters T. vom 13.02.2016 vor; in diesem wurde mitgeteilt, dass sich beim Kläger als Reaktion auf die Xanthelasmen massive soziale Ängste mit ausgeprägtem Vermeidungsverhalten und eine schwere reaktive Depression gezeigt hätten; zur Vermeidung einer Verschlimmerung der psychischen Erkrankung mit der Folge notwendiger stationärer Aufenthalte oder einer Chronifizierung sei die vorgeschlagene plastisch-chirurgische Behandlung dringend notwendig.

In einem von der Beklagten veranlassten weiteren MDK-Gutachten kam Dr. Felten am 17.03.2016 nach Auswertung der vorgelegten Fotos zum Ergebnis, beim Kläger bestehe keine funktionelle Beeinträchtigung des Sehens, keine Entstellung im Sinne des vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Maßstabs und keine medizinische Indikation zur operativen Entfernung der Xanthelasmen.

Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 08.06.2016 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 06.07.2016 Klage erhoben. Er hat bestätigt, dass sein Gesichtsfeld nicht eingeschränkt ist. Er meint jedoch, dass bei ihm eine "Entstellung" vorliegt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.08.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2016 zu verurteilen, ihm eine Exzision der beidseitigen Xanthelasmen, gegebenenfalls mit Lidstraffung und rechtsseitiger Rekonstruktion mittels lokaler Lappenplastik im Rahmen einer stationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Auffassung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Er hat keinen Anspruch auf eine operative Entfernung von Xanthelasmen, ggf. mit Lidstraffung und Rekonstruktion mittels Lappenplastik zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungspflicht der GKV setzt also eine "Krankheit" voraus. Damit wird in der Rechtsprechung einer regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (st. Rspr., vgl. z.B. BSG, Urteile vom 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 R – und 08.03.2016 – B 1 KR 35/15 R – m.w.N.). Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder das er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (BSG, Urteile vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R – und 08.03.2016 – B 1 KR 35/15 R – m.w.N.). Nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig und unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkasse nicht bewilligen.

Die – vom Kläger als störend empfundenen – Xanthelasmata sind für sich genommen kein Befund von Krankheitswert, der eine operative Behandlung erforderlich macht. Xanthelasmata sind gutartige Hautveränderungen/Fetteinlagerungen in der Haut der Ober- oder Unterlider (vgl. dazu: Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 261. Auflage, S. 2085; Wikipedia – freie Enzyklopädie, Stichwort: "Xanthelasma"). Sie sind einer medikamentösen Behandlung nicht zugänglich. Eine chirurgische Entfernung ist zwar möglich, stellt aber keine kausale Behandlung dar; die Rückfallwahrscheinlichkeit liegt bei 40 bis 60 %. Xanthelasmata sind nicht ansteckend. Sie beeinträchtigen auch nicht das körperliche Befinden des Klägers. Insbesondere führen sie, wie der Kläger bestätigt hat, nicht zu einer Beeinträchtigung des Sehens; sein Gesichtsfeld wird durch die Einlagerungen nicht beeinträchtigt. Aus diesem Grund besteht kein Anspruch auf die beantragte Xanthelasmen-Entfernung mit Lidstraffung (vgl. hierzu auch: LSG NRW, Urteil vom 26.04.2006 – L 11 KR 22/05; SG Aachen, Urteil vom 10.09.2013 – S 13 KR 42/13 "Blepharoplastik" ).

Eine Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass der Kläger wegen einer äußerlichen Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen und die begehrte Xanthelasmen-Exzision durchzuführen wäre. Die Kammer konnte sich aufgrund der vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten Fotokopien seines Gesichtsfeldes und insbesondere durch Inaugenscheinnahme des Klägers in der mündlichen Verhandlung aus nächster Nähe davon überzeugen, dass sein Gesicht und insbesondere der Bereich seiner Augen/Augenlider keine Entstellungen aufweisen. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr - so das BSG (Urteile vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R – und 08.03.2016 – B 1 KR 35/15 R) - "muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktion¬en der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Be¬achtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuzie¬hen und zu verein¬samen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefähr¬det ist ... Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheb¬lichkeitsschwelle überschritten sein: Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder ge¬nerell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechs¬ten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt". Nach diesen Maßstäben liegen beim Kläger keine entstellenden Xanthelasmen vor. Der Kläger trägt eine Brille, obwohl bei ihm keine Sehminderung vorliegt; die Brillengläser sind aus normalen Glas; er trägt die Brille, um die aus seiner Sicht störenden und ihn belastenden Hautveränderungen im Bereich der Augen zu kaschieren. Bereits dadurch, dies hat die in Augenscheinnahme der Kammer in der mündlichen Verhandlung ergeben, fällt aus einer Entfernung von ca. zwei bis drei Metern nicht auf, dass beim Kläger Hautveränderungen bestehen. Hierauf angesprochen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Brille abgenommen und ist an die Richterbank getreten, sodass ihm die Mitglieder der Kammer aus einer Entfernung von maximal einem Meter unmittelbar ins Gesicht schauen und den Augenbereich betrachten konnten. Aufgrund dieser Inaugenscheinnahme stellte das Gericht dem Kläger die Frage, wie der Zustand seiner Augenumgebung vor der Operation gewesen sei; denn es waren auch bei dieser Nahsicht keine auffälligen Hautveränderungen sichtbar. Der Kläger stellte daraufhin klar, dass die begehrte Operation noch nicht stattgefunden habe und der demonstrierte Zustand seines Gesichtes im Bereich der Augen derjenige sei, den er als entstellend empfinde. Angesichts dieses Ergebnisses der Inaugenscheinnahme ist die Kammer zum Ergebnis gelangt, dass das Aussehen des Klägers im Bereich seiner Augen weit von dem entfernt ist, was nach dem Maßstab des BSG als behandlungsbedürftige Entstellung anzusehen ist.

Soweit der Kläger und sein behandelnder Arzt eine psychische Belastung (Persönlichkeitsveränderung, Verunsicherung, soziale Ängste, Vermeidungsverhalten, reaktiv-depressive Entwicklung, Anpassungsstörung) als Folge der Xanthelasmen geltend machen, vermag dies deren operative Entfernung und ggf. eine Lidstraffung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Denn nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteile vom 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 R, vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R – und vom 008.03.2016 – B 1 KR 35/15 R) ist derartigen Belastungen nicht mit chirurgischen Eingriffen in eine an sich gesunde Körpersubstanz, sondern mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu begegnen (ebenso in Bezug auf eine Bauchdecken¬plastik: LSG NRW, Urteil vom 08.05.2008 - L 5 KR 91/07; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.01.2006 - L 5 KR 65/05; Sächsisches LSG, Urteil vom 23.03.2005 - L 1 KR 24/04 und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.07.2004 - L 11 KR 896/04; speziell in Bezug auf eine Bodylift-(Hautstraffungs-)Operation: LSG Sachsen-An¬halt, Urteil vom 16.11.2006 - L 4 KR 60/04; vgl auch die Urteile der Kammer vom 08.09.2009 – S 13 KR 85/09, vom 03.08.2010 – S 13 KR 162/09 und vom 18.12.2012 – S 13 KR 103/12).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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