S 59 AS 9016/05 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
59
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 59 AS 9016/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 1351/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden abgelehnt. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin vom 16. September 2005,

die Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu gewähren,

hat keinen Erfolg. Er war zunächst dahin gehend auszulegen, dass der Antrag gegen die Träger der begehrten SGB-II-Leistungen, mithin hier gegen die Bundesagentur für Arbeit und das Land Berlin (§ 6 Abs. 1 SGB II), vertreten durch das gemäß § 44 b Abs. 1 Satz 1 SGB II lediglich zur einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben der Leistungsträger nach dem SGB II errichtete Job-Center Friedrichshain-Kreuzberg gerichtet ist. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Job-Center selbst nicht beteiligtenfähig ist und mangels Rechtsfähigkeit auch als potentieller Vollstreckungsschuldner nicht in Betracht kommt. Darüber hinaus würde bei Annahme einer Passivlegitimation des Job-Centers die Bundesagentur für Arbeit bei Erfolg des Antrages auch in den Fällen an Verfahrenskosten beteiligt, in denen allein das Land Berlin als Leistungsträger über die Leistungsgewährung entscheidet (etwa bei den Kosten der Unterkunft) und umgekehrt (ebenso die ständige Rechtsprechung der 53. und 65. Kammer des SG Berlin, vgl. etwa Beschlüsse vom 7. Juni 2005 – S 65 AS 3124/05 ER, vom 10. August 2005 – S 65 AS 6318/05 ER – sowie vom 11. Mai 2005 - S 53 AS 2302/05 ER -; ebenso LSG Berlin, vgl. etwa Beschlüsse vom 30. Mai 2005 – L 18 B 45/05 AS ER und vom 16. Juni 2005 – L 18 B 5605/05 AS ER - und Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 4. Juli 2005 – VG 34 A 66.05 -; die vorgenannte Lösung andeutend, jedoch im Ergebnis offen gelassen: LSG Bayern, Beschluss vom 26. April 2005 – L 11 B 57/05 AS ER -).

Der Antrag ist unbegründet. Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht mit der hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, die eine Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würde (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die unter anderem erwerbsfähig und hilfebedürftig sind. Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben jedoch Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Nach Satz 2 der Vorschrift können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden. Nach § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II findet Absatz 5 unter anderem keine Anwendung auf Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst.

Ausgehend hiervon steht der Antragstellerin ein Anspruch auf Gewährung laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch bei der vom Antragsstellerinvertreter angemahnten Berücksichtigung von § 2 Abs. 2 SGB I nicht zu. Die im vorliegenden Fall durchgreifende Ausschlussnorm des § 7 Abs. 5 SGB II ist auch anwendbar. Dem steht entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht § 7 Abs. 6 Nr. 2 SGB II entgegen.

§ 7 Abs. 6 SGB II nimmt von der Ausschlussnorm des § 7 Abs. 5 SGB II nur Auszubildende aus, deren Bedarf sich nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG bemisst. Diese Vorschrift greift zu Gunsten der Antragstellerin nicht, weil sie von dem "Auszubildenden" - statt von der (abstrakten) Ausbildung – dessen Bedarf sich nach den niederen Bedarfssätzen "bemisst" – statt: "bemessen würde" – spricht. § 7 Abs. 6 SGB II will nur diejenigen vom Ausschluss des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt ausnehmen, die zwar Ausbildungsförderung erhalten, deren vom Gesetz festgesetzter Bedarf aber so niedrig ist, dass er zur Bedarfsdeckung ersichtlich nicht ausreicht (OVG Berlin, Beschluss vom 18. September 1996 – OVG 6 S 135.96 – m.w.N.). Wer aber erst gar nicht gefördert werden kann, weil er eine für Ausbildungen allgemein geltende Grenze der Förderung (z.B. zu später Fachrichtungswechsel, Altersgrenze etc.) überschreitet, kann keine Sonderstellung wegen der anerkannt unzureichenden Leistungen der Ausbildungsförderung im Fall des § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG beanspruchen (so die ständige Rechtsprechung der Berliner Verwaltungsgerichte in Sozialhilfesachen, vgl. etwa zuletzt VG Berlin, Beschluss vom 17. Juni 2004 – VG 32 A 368.04 –; vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 1. Juli 2003 – VG 32 A 209.03 -; ebenso bereits OVG Berlin, Beschluss vom 18. September 1996 – OVG 6 S 135.96 – und OVG Hamburg, Beschluss vom 6. April 1995 – BS IV 44/95 -).

Im vorliegenden Fall bemisst sich der Bedarf der Antragstellerin nicht nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 BAföG. Die Antragstellerin ist nämlich bereits gemäß § 7 Abs. 3 BAföG von einer Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus dem Ausbildungsförderung aus den Gründen des § 7 Abs. 3 BAföG ablehnenden Bescheid des Senators für Bildung und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen vom 20. Oktober 2004.

Demnach ist der Anspruch der Antragstellerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen. Sie betreibt eine dem Grunde nach nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz förderungsfähige Ausbildung. Dass sie tatsächlich wegen eines zu späten Fachrichtungswechsels ausweislich des Bescheides des Senators für Bildung und Wissenschaft der Freien Hansestadt Bremen vom 20. Oktober 2004 tatsächlich keine Leistungen der Ausbildungsförderung erhält, ist unbeachtlich. Persönliche, mithin in der Person der Antragstellerin begründete Hindernisse für eine Förderung nach dem BAföG sind nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, aber auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht berücksichtigungsfähig (so die ständige obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 12. Mai 1998 – 4 M 2072/98FEVS 49, 24 m.w.N.; SG Berlin, Beschluss vom 24. März 2005 – S 59 AS 222/05 ER -).

Leistungen nach dem SGB II sind weiterhin auch nicht wegen des Vorliegens eines besonderen Härtefalles gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II zu gewähren.

Eine besondere Härte im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, nur vor, wenn die Folgen des Ausschlusses des Anspruchs auf Gewährung von Hilfe zum (allgemeinen) Lebensunterhalt über das Maß dessen hinausgehen, was regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist (BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1993, BVerwGE 94, 224; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11. August 1999 – 1 M 68/99 -). Dies folgt bereits aus dem Regelungszusammenhang des § 7 Abs. 5 SGB II und dem BAföG: Schließt der Gesetzgeber durch Regelungen im Bundesausbildungsförderungsgesetz die (weitere) Förderung eines dem Grunde nach förderungsfähigen Studiums infolge persönlicher Verhältnisse des Studenten (Überschreitung der Förderungshöchstdauer, Nichtvorlage von Leistungsnachweisen, zu später Fachrichtungswechsel ohne wichtigen Grund etc.) aus, so würde dieser gesetzgeberische Wille umgangen, wenn das Studium dennoch mit Mitteln aus dem Leistungssystem des SGB II finanziert würde. Die Hilfe zum Lebensunterhalt stellt nämlich gerade keine Ausbildungsförderung auf einer "zweiten Ebene" dar (BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1981 – 5 C 51/80 - BVerwGE 61, 352, 358 sowie Urteil vom 17. Januar 1985 – 5 C 29/84BVerwGE 71, 12, 15 und Urteil vom 7. Juni 1989 – 5 C 3/86 - BVerwGE 82, 125, 129). Es ist vielmehr davon auszugehen, dass Ausbildungsförderung durch Sozialleistungen, die die Kosten der Ausbildung und den Lebensunterhalt umfassen, außerhalb des SGB II sondergesetzlich grundsätzlich abschließend geregelt ist (SG Berlin, Beschluss vom 24. März 2005 – S 59 AS 222/05 ER - sowie für die inhaltsgleiche Norm des § 26 BSHG: BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1993, BVerwGE 94, 224 sowie Urteil vom 12. Februar 1981 – 5 C 51/80 – a.a.O., S. 356).

Dieses Anliegen des Gesetzgebers lässt keinen Raum für eine "kausale" Betrachtungsweise, die im Rahmen von § 7 Abs. 5 SGB II darauf abstellt, ob der geltend gemachte Bedarf des allgemeinen Lebensunterhalts allein oder überwiegend durch das Betreiben einer Ausbildung oder (auch) durch andere Umstände verursacht wird und die Ausschlussvorschrift dann für unanwendbar hält, wenn ein mittelloser Hilfesuchender nach Abbruch oder Unterbrechung seiner Ausbildung aus persönlichen Gründen (z.B. Behinderung, Krankheit, Kinderbetreuung oder Schwangerschaft), infolge eines allgemeinen Arbeitsplatzmangels oder aus rechtlichen Gründen (z.B. Beschäftigungsverbot) seine Hilfebedürftigkeit durch Einsatz seiner Arbeitskraft nicht beseitigen könnte. Der Ausschlusstatbestand greift nach seinem Sinn und Zweck, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II von einer Ausbildungsförderung auf "zweiter Ebene" zu befreien, vielmehr auch dann ein, wenn ein Auszubildender oder Student – betriebe er seine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nicht – aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen seine Arbeitskraft nicht zur Erzielung von Einkommen einsetzen könnte. Für den Anspruchsausschluss ist allein entscheidend, dass die Hilfeleistung für den Auszubildenden auch in einem solchen Fall Ausbildungsförderung ist, der Hilfesuchende also eine Ausbildung auf Kosten der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II betreiben würde (BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2003 – 5 C 16/91BVerwGE 94, 224 sowie Beschlüsse vom 24. Juni 1986 – 5 B 8.86 – und 8. August 1989 – 5 B 43.89 -).

Hilfebedürftige, die eine Ausbildung der in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II genannten Art betreiben und nach den dafür vorgesehenen Leistungsgesetzen nicht (mehr) gefördert werden, sind in der Regel gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen, um für die Dauer der Hilfebedürftigkeit den Ausschluss von der Hilfe zum Lebensunterhalt abzuwenden. Dies mag als hart empfunden werden, ist aber als vom Gesetzgeber gewollte Folge eines mehrstufigen Sozialleistungssystems grundsätzlich hinzunehmen (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11. August 1999 – 1 M 68/99 – sowie BayVGH, Beschluss vom 1. Oktober 1996 – 12 CE 96.2990 – FEVS 47, 379 -; VG Berlin, Beschluss vom 15. März 2004 – 8 A 96.04 -; SG Berlin, Beschluss vom 24. März 2005, a.a.O.). Ein "besonderer" Härtefall im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II liegt erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, das Leistungssystem des SGB II von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, das heißt als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 2003 – 5 C 16/91BVerwGE 94, 224; vgl. etwa OVG Berlin, Urteil vom 7. Juni 1984 – 6 B 68.83 – für einen Studenten, der wegen eines akuten Schubes einer Schizophrenie [Paranoia] studier-, prüfungs- und arbeitsunfähig ist).

Ausgehend hiervon liegt im Fall der Antragstellerin ein besonderer Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht vor. Dass die Antragstellerin außer der Weiterleitung von Kindergeld durch ihre Mutter über keine Einkünfte verfügt, stellt bereits deshalb keine besondere Härte dar, da es sich bei dieser Situation nicht um eine in der Person der Antragstellerin liegende besondere Fallgestaltung handelt (vgl. zu diesem Merkmal allgemein etwa OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11. August 1999, a.a.O.; Hess. VGH, Beschluss vom 15. Juni 1992 – 9 TG 218/92 -). Auch der Umstand, dass eine eventuell notwendig werdende Unterbrechung des Studiums zwecks Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu einer Verlängerung der Gesamtstudiendauer führen mag, ist eine vom Gesetzgeber hingenommene Folge. Der Gesetzgeber nimmt sogar das endgültige Scheitern der Ausbildung hin (OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11. August 1999, a.a.O.). Weiterhin ist – wie bereits ausgeführt - in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass die bei Abbruch der (Hochschul-) Ausbildung drohende oder bestehende Arbeitslosigkeit keine besondere Härte bedeutet (BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 1986, ZFSH/SGB 1986, 508 sowie BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1993 – 5 C 16/91 – a.a.O.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11. August 1999, a.a.O.; SG Berlin, Beschluss vom 24. März 2005 – S 59 AS 222/05 ER -).

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 183 SGG).
Rechtskraft
Aus
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