S 39 AS 8988/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
39
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AS 8988/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid des Beklagten vom 8. Juni 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2006 wird insoweit aufgehoben, als der Beklagte für den Monat Mai 2006 150,00 EUR aus einem Geschäft bei E als Einkommen des Klägers anrechnet. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1/7 zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine höhere Leistung nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1983 geborene Kläger bezog bis zum 11. Juli 2005 Arbeitslosengeld. Er wohnt zusammen mit seiner Schwester bei seiner Mutter. Diese verfügte ausweislich des Steuerbescheides für 2004 über Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit in Höhe von 39.624,00 EUR (Bruttoarbeitslohn). Am 11. Juli 2005 beantragte der Kläger Leistungen nach dem SGB II. Ausweislich seiner Erklärung vom 30. Januar 2006 wird ihm seine Unterkunft unentgeltlich zur Verfügung gestellt, ebenso wie seine Verpflegung. Zudem erhalte er weitere Zuwendungen in der Gestalt, dass ihm Telefon und Internet bezahlt würden und er circa alle drei Monate Kleidung erhalte.

Mit Bescheid vom 9. (8.) Februar 2006 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Februar 2006 in monatlicher Höhe von 230,25 EUR. Hierbei ging der Beklagte von einem Gesamtbedarf in Höhe von 345,00 EUR aus und rechnete hierauf 154,00 EUR Kindergeld sowie 150,75 EUR sonstiges Einkommen an. Dieses sonstige Einkommen ermittelte der Beklagte, indem er von dem Regelsatz (345,00 EUR) 35 % (= 120,75 EUR) für unentgeltliche Verpflegung und 30,00 EUR für fehlende Energiekosten der Unterkunft in Abzug brachte. Unter Gewährung eines Zuschlages nach dem Bezug von Arbeitslosengeld in monatlicher Höhe von 160,00 EUR ermittelte der Beklagte so einen Gesamtanspruch in Höhe von 230,25 EUR.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 27. Februar 2006 mit der Begründung Widerspruch, es werde kein Kindergeld ab Oktober 2005 mehr gezahlt. Er habe auch nicht ein "sonstiges Einkommen" in Höhe von 150,75 EUR. Seit Dezember 2005 sei er durchgehend arbeitslos. Schließlich verursache er seiner Mutter anteilig Miet- und Heizkosten, die ebenfalls nach dem SGB II zu zahlen seien.

Mit Änderungsbescheid vom 19. Mai 2006 trug daraufhin der Beklagte dem Umstand Rechnungen, das Kindergeld nicht gezahlt wird und bewilligte für den streitigen Zeitraum monatlich 345,25 EUR.

Nachdem der Beklagte aufgrund der Vorlage eines Kontoauszuges vom 10. Mai 2006 davon Kenntnis erlangte, dass auf dem Girokonto des Klägers aus einem Verkauf über E 150,00 EUR gutgeschrieben wurden, änderte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Juni 2006 für den Monat Mai 2006 seine Entscheidung entsprechend ab und bewilligte nur noch unter Anrechnung von 120,00 EUR aus dem Geschäft bei E 234,25 EUR für den Monat Mai 2006.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2006 wies der Beklagte die Widersprüche gegen obige Bescheide zurück. Zur Begründung führte er aus, dass neben dem Regelsatz (345,00 EUR) anteilige Kosten der Unterkunft nicht zustünden, da diese von dem Kläger nicht bezahlt worden seien. Der Regelsatz schließlich sei entsprechend der dem Kläger durch seine Mutter geleisteten unentgeltlichen Verpflegung und Unterbringung zu mindern. Schließlich sei im Monat Mai ein Einkommen aus einem E-Geschäft anzurechnen.

Mit seiner Klage vom 30. November 2006 verfolgt der Kläger sein Begehren vor dem Sozialgericht Berlin weiter. Er behauptet, er habe das Geschäft bei E lediglich als Vertreter für den Zeugen J getätigt. Dementsprechend habe er auch die 150,00 EUR erhalten, die er anschließend dem Zeugen J übergeben habe. Er selbst habe keinerlei Einkünfte aus diesem Geschäft erzielt. Hinsichtlich der Anrechnung der unentgeltlichen Verpflegung und Unterkunft ist er der Ansicht, diese könne im Rahmen der Regelsätze nicht berücksichtigt werden. Ihm sei der volle Regelsatz zu zahlen, da die Mutter keine Verpflichtungen habe, ihn unentgeltlich zu verpflegen und unterzubringen. Würde jedoch die tatsächlich erfolgte unentgeltliche Unterbringung und Verpflegung im Rahmen des Leistungsbezuges nach dem SGB II angerechnet, so würde der Mutter hierdurch faktisch eine solche Pflicht auferlegt.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 9. Februar 2006 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 19. Mai und 8. Juni 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2006 zu verurteilen, dem Kläger im Zeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Mai 2006 monatlich 345,00 EUR (Regelsatz) zuzüglich 160,00 EUR (Alg-Zuschlag) zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 11. Juli 2007 Beweis erhoben zu der Behauptung des Klägers, er habe kein Einkommen am 10. Mai 2006 aus einem Geschäft bei E erzielt durch Vernehmung des Zeugen K J. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 11. Juli 2007 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nur in aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet. Dem Kläger steht lediglich für den Monat Mai ein höherer Leistungsanspruch ohne Anrechnung von 120,00 EUR aus einem E-Geschäft als Einkommen zu.

Nach § 3 Abs. 3 SGB II dürfen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann; die nach diesem Buch vorgesehenen Leistungen decken den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe ist ausgeschlossen (§ 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II). Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist berechtigt für Leistungen nach dem SGB II insbesondere nur eine Person, die hilfebedürftig ist. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme zumutbarer Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigen Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern andere Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs.1 SGB II). Als Einkommen sind grundsätzlich zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert (§ 11 Abs. 1 SGB II).

Nach diesen Regelungen hat der Beklagte zu Unrecht eine Überweisung vom 10. Mai 2006 aus einem E-Geschäft als Einkommen angerechnet und entsprechend aus dem Monat Mai 2006 den Leistungsanspruch auf 234,25 EUR reduziert. Der insoweit ergangene Änderungsbescheid vom 8. Juni 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger stand im Mai 2006 ein Leistungsanspruch in Höhe von 354,25 EUR zu.

Zu dieser Überzeugung gelangte das Gericht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme vom 11. Juli 2007. Nach dieser Beweisaufnahme steht für das Gericht fest, das der Kläger das E-Geschäft lediglich als Vertreter für den Zeugen geführt hat. Er hat in seinem Auftrag eine Motorradauspuffanlage bei E angeboten und verkauft. Die aus diesem Verkauf auf seinem Konto gutgeschriebenen 150,00 EUR hat er nach Auskunft des Zeugen anschließend diesem in bar und ohne Abzüge übergeben. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen zu zweifeln. Sind dem Kläger am 10. Mai 2006 die 150,00 EUR jedoch nur in seiner Eigenschaft als Vertreter zugeflossen, so sind diese nicht als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II zu bewerten. Denn der Betrag stellt keine Einnahme für den Kläger dar, sondern eine Einnahme des Zeugen, die der Kläger an diesen weiterzuleiten hatte. Entsprechend kann dieser Betrag in Monat Mai 2006 nicht die Hilfebedürftigkeit vermindernd angerechnet werden.

Soweit der Kläger sich demgegenüber gegen die Anrechnung der unentgeltlichen Verpflegung und Unterbringung im Haushalt der Mutter wendet, ist die Klage unbegründet.

Die angegriffenen Bescheide sind insoweit rechtmäßig. Denn eine Hilfebedürftigkeit des Klägers liegt insoweit nicht vor, als er die Hilfe durch seine Mutter erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II).

Nach Ansicht der Kammer können die unentgeltlichen Zuwendungen der Mutter zwar nicht als Einkommen im Sinne von § 11 SGB II berücksichtigt werden. Insoweit kann dahinstehen, ob mit dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 29. Januar 2007 – L 13 AS 14/06 ER) bei kostenloser Verpflegung eines nichterwerbstätigen Leistungsberechtigten in stationärer Krankenhausunterbringung nach dem SGB II diese Verpflegung als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II grundsätzlich zu berücksichtigen ist. Denn anders als die kostenlose Verpflegung während eines stationären Krankenhausaufenthaltes kann nach Ansicht der Kammer die kostenlose Verpflegung und Unterbringung bei der Mutter bereits mangels ermittelbaren Marktwertes kein Einkommen im Sinne des § 11 SGB II darstellen.

Es besteht jedoch mangels weiterer Bedürftigkeit kein höherer Anspruch des Klägers.

Entgegen der Ansicht der 93. Kammer des Sozialgerichts Berlins (Urteil vom 24. April 2007 – S 93 AS 9826/06) und vielleicht auch entgegen der Entscheidung des 7. Senats des Bundessozialgerichts (Urteil vom 7. November 2006 – B 7 b AS 14/06 R) ist nach Ansicht der Kammer im Rahmen der Leistungsberechnung nach dem SGB II auf die konkrete Hilfebedürftigkeit abzustellen, sodass es auch zu einer von den Regelsätzen abweichenden Leistungsgewährung kommen kann.

Sowohl die 93. Kammer des Sozialgerichts als wohl auch der 7. Senat des Bundessozialgerichts gehen bei ihren Entscheidungen letztlich davon aus, dass von den Regelsätzen nicht abgewichen werden kann.

Dieser Ansicht vermochte die Kammer nicht zufolgen.

Das Bundessozialgericht begründet seine Entscheidung im Wesentlichen mit § 3 Abs. 3 SGB II, wonach die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen abdecken und eine davon abweichende Festlegung des Bedarfs ausgeschlossen ist. Dies gelte sogar dann, wenn es zur Absenkung beziehungsweise des Wegfalls von Arbeitslosengeld und das Sozialgeldes käme. Diese Begründung trägt jedoch nach Ansicht der Kammer nicht das Ergebnis, dass eine Abweichung von den Regelsätzen nach § 20 SGB II nicht zulässig ist.

Denn § 3 Abs. 3 SGB II regelt lediglich, dass die Leistungen nach dem zweiten Buch abschließend für die Festlegung der Bedarfe sind. Eine Regelung dazu, welche Bedarfe nach dem SGB II zu gewähren sind, enthält der § 3 Abs. 3 SGB II jedoch nicht.

Dass eine von den Regelsätzen in § 20 SGB II abweichende Leistungserbringung nicht möglich ist, ergibt sich nach Ansicht der Kammer nicht nach der Auslegung dieser Norm.

Bereits aus dem Wortlaut des § 20 SGB II folgt nach Ansicht der Kammer, dass eine abweichende Leistungsgewährung grundsätzlich möglich ist. Denn nach dem Wortlaut werden monatliche "Regel"- Leistungen erbracht. Damit gibt jedoch bereits die Bezeichnung als Regelleistung zu erkennen, dass Ausnahmen hiervon nicht ausgeschlossen sein sollen. Anderenfalls hätte es einer Bezeichnung als Regelleistung nicht bedurft.

Auch der Zweck der Leistungsgewährung nach dem SGB II spricht für ein Verständnis der Normen im Sinne der Ansicht der Kammer.

Nach der Begründung zum Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen (vom 5. September 2003 Bundestagsdrucksache 15/1516) baut der Gesetzesentwurf auf dem Grundgedanken auf, dass jeder Mensch grundsätzlich selbst dafür verantwortlich ist, seinen Bedarf und den Bedarf seiner Angehörigen zu sichern. Nur soweit er dazu nicht in der Lage ist, hat der Staat die entsprechende Verantwortung. In diesem Fall ist dem Betroffenen und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen ein der Würde des Menschen entsprechendes Leben zu ermöglichen und der Lebensunterhalt im Rahmen des soziokulturellen Existenzminimums zu sichern (Seite 44 und 45 des Gesetzesentwurfes). Die Leistungen zur Sicherungen des Lebensunterhaltes entsprechen in der Regel dem Niveau der Sozialhilfe. Arbeitslosengeld II und Sozialgeld werden unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes soweit wie möglich pauschaliert und die einzelnen Leistungsbestandteile so ausgestaltet, dass die Betroffenen ihre Bedarfe selbst und möglichst einfach ermitteln können (Seite 46 der Bundestagsdrucksache 15/1516). Zu § 9 SGB II wird weiter ausgeführt, dass derjenige nicht hilfebedürftig ist, der die erforderliche Hilfe von anderen erhält oder erhalten kann. Insbesondere sind Ansprüche gegenüber Angehörigen und anderen Trägern von Sozialeistungen geltend zu machen (a.a.O. Seite 53). Zu § 20 SGB II wird schließlich ausgeführt, dass die Regelleistungen im Rahmen des Arbeitslosengeldes II sich an die Sozialhilfe anlehnen. Diese bilde das Referenzsystem für alle bedarfsorientierten und bedürftigkeitsabhängigen staatlichen Fürsorgeleistungen. Zu diesem Zwecke umfasse die Regelleistung pauschalierte Leistungen. Die Vorschriften zur Regelleistung enthielten jedoch keine Regelungen zu deren Bemessung, da hierfür die Regelungen im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) einschließlich der Regelsatzverordnung einschlägig seien, die das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit erlassen werde ( a.a.O. Seite 56).

Auch die Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage von Fraktionsmitgliedern der Fraktion DIE LINKE (Bundestagsdrucksache 16/1838 vom 16. Juni 2006) führt zu einem Verständnis der Regelung, wie von der Kammer vorgenommen. Dort wird ausgeführt, dass die Leistungen zur Grundsicherung dem Bedarfsdeckungsprinzip folgen. Bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende handele es sich um eine bedarfsorientierte und bedürftigkeitsabhängige staatliche Fürsorgeleistung. Dementsprechend orientiere sich das Niveau der Leistung an dem konkreten Bedarf des betroffenen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Angehörigen. Die Regelleistungen entsprechen dem Niveau der Sozialhilfe, das als Referenzsystem diene. Damit seien auch die pauschalierten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende bedarfsorientiert (a.a.O. Seite 2, 3).

Nach diesen Ausführungen sowohl zur Gesetzesbegründung als auch zu dessen Umsetzung lässt sich der Zweck der Regelsätze insoweit zusammenfassen, als mit ihnen einem konkreten Bedarf Rechnung getragen werden soll; insbesondere zur Verwaltungsvereinfachung ist hierbei regelmäßig auf die Pauschalen Sätze nach § 20 SGB II zurückzugreifen. Bei einem hiervon konkret abweichenden und nachgewiesenen Bedarf ist diesem jedoch Rechnung zu tragen. Hierzu wurde exemplarisch im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch (Bundesratsdrucksache 559/03 vom 15. August 2003) ausgeführt, dass ein von dem pauschalierten Regelsätzen abweichender Bedarf zu berücksichtigen sei, wenn beispielsweise der Leistungsberechtigte einzelne Leistungen von dritter Seite erhält (zum Beispiel unentgeltliches Essen) oder ein nachweisbar in seiner Höhe erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweichender Bedarf vorliegt (beispielsweise Leistungsberechtigte mit teurer Unter – oder Übergröße).

Auch die Entstehungsgeschichte spricht gegen eine starre Anwendung der Regelsätze.

Sowohl das SGB II als auch das SGB XII sind auf Gesetzesentwürfe aus dem Spätsommer 2003 zurückzuführen (vergleiche Bundestagsdrucksache 15/1516, Bundesratsdrucksache 559/03). Ziel war es, insbesondere zur Erzielung erheblicher Synergieeffekte die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammen zuführen (Bundestagsdrucksache 15/1516, Seite 42). Diese neue Leistung sollte orientiert werden am Niveau der Sozialhilfe, wobei die Bemessung der Leistung am Zwölften Buch Sozialgesetzbuch einschließlich der Regelsatzverordnung angelehnt wurde (vergleiche Bundestagsdrucksache 15/1516, Seite 46, 56). Danach orientiert sich die Leistung nach dem SGB II im Wesentlichen an der Leistung nach dem SGB XII. Insbesondere die Regelsätze sind im Wesentlichen identisch. Sie basieren auf Erfahrungen aus der Sozialhilfe. Hieraus resultiert auch das sogenannte Bedarfsdeckungsprinzip. Das dieses an dem konkreten Bedarf orientiert sein muss, wird im SGB XII durch die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 2 deutlich. Denn dort ist ausdrücklich bestimmt, dass bei abweichenden Bedarf von der Regelleistung abgewichen werden muss. Da der Gesetzgeber in seiner Begründung ausdrücklich auf das SGB XII verweist, ist davon auszugehen, dass dieser Grundsatz auch im SGB II gilt. Dass mit Einführung des SGB II nicht mehr dem konkreten Einzelfall Rechnung getragen werden sollte, ist nicht erkennbar.

Schließlich spricht auch die Gesetzessystematik für ein Verständnis der Regelung in diesem Sinne. Mit § 21 SGB II wurde ausdrücklich eine Regelung geschaffen, die einem Mehrbedarf bei dem Lebensunterhalt Rechnung trägt und hierdurch eine von den Regelleistungen abweichende Leistungserbringung ermöglicht. Das es sich im § 21 SGB II um eine abschließende Aufzählung handelt, ist nicht ersichtlich. Nach der Gesetzesbegründung (BT- Drucks. 15/1516 S.57) sollte mit dem § 21 SGB II lediglich "für bestimmte, typisierte Bedarfe" eine Regelung geschaffen werden. Diese Vorgehensweise dient ebenfalls insbesondere der Verwaltungsvereinfachung. Sie kann nach Ansicht der Kammer jedoch nicht dazu führen, dass bei einem konkret nachgewiesen abweichenden Bedarf dieser mit der Begründung nicht zu berücksichtigen ist, er finde sich nicht im Katalog des § 21 SGB II. Dies stünde im Widerspruch zum maßgeblichen Bedarfsdeckungsprinzip. Wie bereits dargestellt, enthält deshalb § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII eine dies Bedarfsdeckungsprinzip sichernde Regelung. Im SGB II wird diesem Prinzip durch § 9 Abs. 1 zumindest insoweit Rechnung getragen, als die Hilfe anderer Berücksichtigung finden muss.

Schließlich bestünden nach Ansicht der Kammer auch erhebliche Bedenken im Hinblick auf Artikel 3 Grundgesetz (Gleichbehandlungsgrundsatz), wenn bei Leistungsberechtigten nach dem SGB XII auf den konkreten und individuellen Bedarf abgestellt würde, bei Leistungsberechtigten nach dem SGB II jedoch nicht. Je nach Fallkonstellation würde dies zu einer Vor- oder Benachteiligung der einen oder der anderen Gruppe führen. Leistungsberechtigte mit einem erheblichen Mehrbedarf außerhalb des Katalogs des § 21 SGB II wären im Rahmen des SGB II benachteiligt, wenn nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 SGB II ein Mehrbedarf zum Regelsatz anerkannt würde. Hiervon wären beispielsweise auch die in der Gesetzesbegründung sogar ausdrücklich genannten Leistungsbezieher mit extremer Über- oder Untergröße betroffen (vgl. BR-Drucks. 559/03 Seite 190), die im Katalog des § 21 SGB II nicht vorhanden sind. Demgegenüber wären Leistungsberechtigte nach dem SGB XII bei einem geringeren Bedarf als dem Regelsatz benachteiligt. Denn bei Ihnen ist bei einem geringeren Bedarf nach der ausdrücklichen Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII abweichend vom Regelsatz die Festlegung der Bedarfe vorzunehmen. Einen sachlichen Grund für eine solche unterschiedliche Behandlung vermochte die Kammer nicht zu erkennen.

Zu einer anderen Ansicht für auch nicht die Meinung des Klägers, bei Anrechnung der Zuwendungen der Mutter würde letztlich eine Pflicht zum Unterhalt durch diese begründet. Es verhält sich vielmehr genau umgekehrt. Weil Zuwendungen durch die Mutter erfolgen, sind diese nach dem SGB II anzurechnen. Dies gilt selbst dann, wenn eine Verpflichtung (beispielsweise Unterhaltsansprüche des Klägers gegen seine Mutter) für die Zuwendungen nicht besteht. Auch Schenkungen sind im Rahmen der Bedarfsermittlung grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Klage ist schließlich auch unbegründet, soweit der Kläger anteilige Kosten der Unterkunft geltend macht. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit dieser angemessen sind. Tatsächlich wendet der Kläger jedoch für seine Unterkunft nichts auf.

Damit standen dem Kläger in dem Streitigen Zeitraum insoweit unter Anrechnung der freien Unterkunft und Verpflegung allenfalls die von dem Beklagten bewilligten Leistungen zu. Dies gilt auch dann, wenn die von dem Beklagten für Wohnung/Strom (ohne Mietkosten) in Abzug gebrachten 30,00EUR rechnerisch nicht den in den Durchführungsbestimmungen zu § 20 SGB II veranschlagten Prozentanteilen des Regelsatzes (8 %) entspricht. Selbst wenn rechnerisch bei einem Regelsatz von 345,00 EUR an Wohnungs-/Stromkosten nur 27,60 EUR abzuziehen wären, bestand kein höherer Leistungsanspruch. Denn von dem Beklagten sind die nach Erklärung des Klägers durch die Mutter regelmäßig erfolgten Zuwendungen für die Einkleidung und die Übernahme der Telefonkosten nicht berücksichtigt worden. Diese betragen nach den Durchführungsbestimmungen zu § 20 SGB II für die Bekleidung 10% und für Telefon 6% des Regelsatzes und wären ebenfalls zu berücksichtigen. Der Kläger ist damit durch die fehlerhafte Berechnung insgesamt nicht beschwert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgesetz.
Rechtskraft
Aus
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