Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 R 2423/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundele-gung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Mit Bescheid vom 05. Februar 2007 bewilligte die Beklagte der am 01. März 1948 geborenen Klägerin eine bis zum 31. Dezember 2008 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung mit Beginn am 01. April 2006 (Zahlbetrag 200,36 Euro). In der Rentenberechnung verminderte die Beklagte den Zugangsfaktor von 1,0 für 36 Kalendermonate um insgesamt 0,108 auf einen Wert von 0,892.
Den hiergegen am 08. Februar 2007 (Eingang bei der Beklagten) gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08. März 2007 zurück. Dem Urteil des Bundesso-zialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2006 (Az. B 4 RA 22/05 R) werde nicht gefolgt.
Mit der am 16. März 2007 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die von der Beklagten ausgeübte Praxis, bei einem vor Vollendung des 60. Lebensjahrs entstandenen Rechts auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Renten-höhe auch für Bezugszeiten vor dem Beginn des 61. Lebensjahrs zu senken, indem sie einen Teil der vom Versicherten erbrachten Vorleistungen schlechthin unbeachtet lasse, widerspre-che dem Gesetz und finde in ihm keine Grundlage. So habe auch das BSG entschieden.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 05. Februar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. März 2007 zu verpflichten, ihr unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn eine höhere Rente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass abweichend von der Interpretation des BSG § 77 Abs. 2 S. 2 Sechstes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) als Berechnungsregel zu verstehen sei. Diese Auslegung sei im Kontext mit § 77 Abs. 3 SGB VI sowie aus den Gesetzesmateria-lien, insbesondere aus den Ausführungen über die Abmilderung der Abschläge durch die ver-längerte Zurechnungszeit ersichtlich. Im Übrigen spreche gegen die Rechtsauslegung des BSG auch das – nur schwer nachvollziehbare – Ergebnis, dass eine vor Vollendung des 60. Lebens-jahrs abschlagsfrei in Anspruch genommene Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für Zeiten des Bezugs ab Vollendung des 60. Lebensjahrs zu mindern wäre. Eine derartige Rege-lung stehe im deutlichen Widerspruch zu § 88 Abs. 1 SGB VI, der einen umfassenden Besitz-schutz für Folgerenten biete. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der ge-richtlichen Verfahrensakte mit den Schriftsätzen nebst Anlagen sowie den Inhalt der vom Ge-richt beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die vorgenannten Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 05. Februar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. März 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung un-ter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminder-ter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermo-nats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebens-jahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maß-gebend, § 77 Abs. 2 S. 2 SGB VI. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten gilt gemäß § 77 Abs. 2 S. 3 SGB VI nicht als Zeit einer vorzei-tigen Inanspruchnahme.
Nach Maßgabe dieser gesetzlichen Bestimmungen hat die Beklagte die Rente der Klägerin unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 0,892 berechnet. Die Beklagte hat zutreffend den Zugangsfaktor um 36 Kalendermonate vermindert, wobei sie zu Recht für jeden Kalen-dermonat eine Verminderung um 0,003 angenommen hat.
Die Berechnung der Rente steht zwar im Widerspruch zu dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 16. Mai 2006, Az. B 4 RA 22/05 R. Die Kammer folgt dieser Entscheidung jedoch nicht, weil sie nach ihrer Auffassung nicht dem Gesetz entspricht.
Nach dem Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen enthält § 77 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB VI eine Berechnungsregel für die Verminderung des Zugangsfaktors, worauf die Beklagte zutref-fend hingewiesen hat. Um ein Absinken der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Null zu vermeiden, ist in § 77 Abs. 2 S. 2 SGB VI eine "Untergrenze" formuliert. Danach ist eine Verminderung des Zugangsfaktors vor Vollendung des 63. Lebensjahrs für maximal 36 Kalendermonate, also um 36 x 0,003 = 0,108 zulässig. Diese maximale Verminderung des Zu-gangsfaktors gilt entgegen der vorgenannten Entscheidung des 4. Senats des BSG auch für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die vor Vollendung des 60. Lebensjahrs bezogen werden, was sich aus § 77 Abs. 2 S. 3 SGB VI ergibt (so z. B. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Dezember 2006, L 2 R 466/06 ER; SG Aachen, Urteil vom 09. Februar 2007, Az. S 8 R 96/06; SG Köln, Urteil vom 12. April 2007, Az. S 29 (25) R 337/06; SG Augsburg, Urteil vom 23. April 2007, Az. S 3 R 26/07; SG Nürnberg, Urteil vom 30. Mai 2007, Az. S 14 R 4013/07; SG für das Saarland, Urteil vom 08. Mai 2007, Az. S 14 R 82/07; SG Altenburg, Urteil vom 22. März 2007, Az. S 14 KN 64/07; Polster in Kasseler Kommentar, 53. Ergänzungslieferung 2007, § 77 Rn. 21; Kreikebohm, SGB VI, 2. Auflage 2003, § 77 Rn. 12).
Dies entspricht auch der gesetzgeberischen Intention. Nach der Gesetzesbegründung bezweckte der Gesetzgeber, die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in An-spruch genommenen Altersrenten in der Weise anzugleichen, dass diese Renten mit einem Ab-schlag von höchstens 10,8 % versehen werden (BT-Drs. 14/4230, S. 24). Zwar beginnen Al-tersrenten nicht vor dem 60. Lebensjahr. Gleichwohl wird in der Gesetzesbegründung nicht zwischen Versicherten, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, und solchen, die das 60. Le-bensjahr nicht vollendet haben, differenziert. Vielmehr wird deutlich, dass auch die Versicher-ten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahrs eine Rente wegen Erwerbsminderung beziehen, von der Verminderung des Zugangsfaktors erfasst werden. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. a. a. O.) heißt es: "Die Auswirkungen einer solchen Regelung werden dadurch abgemil-dert, dass die Zeit zwischen dem vollendeten 55. und 60. Lebensjahr (statt wie im geltenden Recht zu einem Drittel) künftig voll als Zurechnungszeit angerechnet wird. ( ...) Bei Inan-spruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung ergibt sich jedoch bei einem Eckrentner eine gegenüber dem geltenden Recht nur um 3,3 % (Rentenfall bis zum Lebensalter 56 Jahre und 8 Monate) bzw. um max. 10,8 % (Rentenfall bei Lebensalter 60 Jahre) niedrigere Rente." Die Anhebung der in § 59 SGB VI geregelten Zurechnungszeit, durch die die Verminderung des Zugangsfaktors gemildert werden soll (BT-Drs. 14/4230, S. 16), ist jedoch nur dann sinn-voll, wenn auch die Rentenbezieher vor Vollendung des 60. Lebensjahrs von der Verminde-rung des Zugangsfaktors erfasst werden, da sich die veränderte Zurechnungszeit für Rentenbe-zieher nach Vollendung des 60. Lebensjahrs nicht auswirkt. Anhaltspunkte für die Interpretati-on des 4. Senats des BSG, wonach von der Anhebung der Zurechnungszeit nur die Rentner profitieren sollen, die bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahrs eine Erwerbsminderungsren-te beziehen (BSG a. a. O. Rn. 37), sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als in diesem Fall Rentenbezieher, deren Erwerbsminderungsrenten vor Vollendung des 60. Lebensjahrs enden, in den Genuss einer längeren Zurechnungszeit gelangen würden, ohne dass hiermit für sie der Nachteil des verminderten Zugangsfaktors korrespondieren würde. (vgl. hierzu Rüdiger Mey, Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten unter 60?, in: RVaktuell, März 2007, S. 44 ff., 47f.; Hermann Plagemann, in: Juris Praxis-Re¬port-SozR 20/2006, Anm. 4, Lit. C.). Eine derart merkwürdige Regelung ist weder der Gesetzesbegründung noch dem Gesetz zu entnehmen. Schließlich würde der Gesetzgeber mit einer solchen Regelung sein Ansinnen, das Ausweichen von Altersrenten in Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu unterbinden, konterkarie-ren. Denn nach der Interpretation des 4. Senats des BSG hätte der Gesetzgeber damit gerade einen Anreiz geschaffen, vor Vollendung des 60. Lebensjahrs eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu erhalten.
Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich gegen die Absenkung des Zugangsfaktors nicht (so auch SG Aachen a. a. O. mit weiteren Nachweisen; a. A. SG Lübeck, Urteil vom 26. April 2007, Az. S 14 R 235/07). Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vor. Das Rentenversicherungsverhältnis ist kein unabänderliches, das im Unterschied zum Pri-vatversicherungsverhältnis von Anfang an nicht auf dem reinen Versicherungsprinzip, sondern wesentlich auch auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verengt sich jedoch in dem Maße, in dem Rentenanwart-schaften durch den personalen Anteil eigener Leistungen der Versicherten geprägt sind, was vor allem in einkommensbezogenen Beitragszahlungen Ausdruck findet (so zuletzt BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007, Az. 1 BvL 10/00 mit weiteren Nachweisen). Der durch Ver-minderung des Zugangsfaktors bewirkte Eingriff dient dem legitimen Zweck der Verhinderung von Ausweichreaktionen von Altersrenten in Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Unter Berücksichtigung der Anhebung der Zurechnungszeit in § 59 SGB VI ist die Regelung verhältnismäßig. Der Abschlag, den die betroffenen Versicherten hinnehmen müssen, wird durch die Anhebung der Zurechnungszeit sowie Übergangsregelungen kompensiert. Die Ab-schlagsregelung und die erweiterte Anrechnung der Zurechnungszeit stehen als "Paketlösung" in einem engen Zusammenhang. Beide Regelungen wurden nicht unmittelbar, sondern gemäß §§ 253a, 264c SGB VI schrittweise eingeführt (Kreikebohm a. a. O., Rn. 13), so dass den An-forderungen an deren Verhältnismäßigkeit Genüge getan ist.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Sprungrevision war gemäß §§ 161 Abs. 1 und 2, 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen, weil das Urteil von der Entscheidung des BSG vom 16. Mai 2006, B 4 RA 22/05 R, abweicht und auf dieser Abweichung beruht.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundele-gung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Mit Bescheid vom 05. Februar 2007 bewilligte die Beklagte der am 01. März 1948 geborenen Klägerin eine bis zum 31. Dezember 2008 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung mit Beginn am 01. April 2006 (Zahlbetrag 200,36 Euro). In der Rentenberechnung verminderte die Beklagte den Zugangsfaktor von 1,0 für 36 Kalendermonate um insgesamt 0,108 auf einen Wert von 0,892.
Den hiergegen am 08. Februar 2007 (Eingang bei der Beklagten) gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08. März 2007 zurück. Dem Urteil des Bundesso-zialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2006 (Az. B 4 RA 22/05 R) werde nicht gefolgt.
Mit der am 16. März 2007 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Die von der Beklagten ausgeübte Praxis, bei einem vor Vollendung des 60. Lebensjahrs entstandenen Rechts auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Renten-höhe auch für Bezugszeiten vor dem Beginn des 61. Lebensjahrs zu senken, indem sie einen Teil der vom Versicherten erbrachten Vorleistungen schlechthin unbeachtet lasse, widerspre-che dem Gesetz und finde in ihm keine Grundlage. So habe auch das BSG entschieden.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 05. Februar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. März 2007 zu verpflichten, ihr unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 ab Rentenbeginn eine höhere Rente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass abweichend von der Interpretation des BSG § 77 Abs. 2 S. 2 Sechstes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) als Berechnungsregel zu verstehen sei. Diese Auslegung sei im Kontext mit § 77 Abs. 3 SGB VI sowie aus den Gesetzesmateria-lien, insbesondere aus den Ausführungen über die Abmilderung der Abschläge durch die ver-längerte Zurechnungszeit ersichtlich. Im Übrigen spreche gegen die Rechtsauslegung des BSG auch das – nur schwer nachvollziehbare – Ergebnis, dass eine vor Vollendung des 60. Lebens-jahrs abschlagsfrei in Anspruch genommene Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für Zeiten des Bezugs ab Vollendung des 60. Lebensjahrs zu mindern wäre. Eine derartige Rege-lung stehe im deutlichen Widerspruch zu § 88 Abs. 1 SGB VI, der einen umfassenden Besitz-schutz für Folgerenten biete. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der ge-richtlichen Verfahrensakte mit den Schriftsätzen nebst Anlagen sowie den Inhalt der vom Ge-richt beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die vorgenannten Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 05. Februar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. März 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung un-ter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.
Gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminder-ter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermo-nats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebens-jahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maß-gebend, § 77 Abs. 2 S. 2 SGB VI. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten gilt gemäß § 77 Abs. 2 S. 3 SGB VI nicht als Zeit einer vorzei-tigen Inanspruchnahme.
Nach Maßgabe dieser gesetzlichen Bestimmungen hat die Beklagte die Rente der Klägerin unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 0,892 berechnet. Die Beklagte hat zutreffend den Zugangsfaktor um 36 Kalendermonate vermindert, wobei sie zu Recht für jeden Kalen-dermonat eine Verminderung um 0,003 angenommen hat.
Die Berechnung der Rente steht zwar im Widerspruch zu dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 16. Mai 2006, Az. B 4 RA 22/05 R. Die Kammer folgt dieser Entscheidung jedoch nicht, weil sie nach ihrer Auffassung nicht dem Gesetz entspricht.
Nach dem Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen enthält § 77 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB VI eine Berechnungsregel für die Verminderung des Zugangsfaktors, worauf die Beklagte zutref-fend hingewiesen hat. Um ein Absinken der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Null zu vermeiden, ist in § 77 Abs. 2 S. 2 SGB VI eine "Untergrenze" formuliert. Danach ist eine Verminderung des Zugangsfaktors vor Vollendung des 63. Lebensjahrs für maximal 36 Kalendermonate, also um 36 x 0,003 = 0,108 zulässig. Diese maximale Verminderung des Zu-gangsfaktors gilt entgegen der vorgenannten Entscheidung des 4. Senats des BSG auch für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die vor Vollendung des 60. Lebensjahrs bezogen werden, was sich aus § 77 Abs. 2 S. 3 SGB VI ergibt (so z. B. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Dezember 2006, L 2 R 466/06 ER; SG Aachen, Urteil vom 09. Februar 2007, Az. S 8 R 96/06; SG Köln, Urteil vom 12. April 2007, Az. S 29 (25) R 337/06; SG Augsburg, Urteil vom 23. April 2007, Az. S 3 R 26/07; SG Nürnberg, Urteil vom 30. Mai 2007, Az. S 14 R 4013/07; SG für das Saarland, Urteil vom 08. Mai 2007, Az. S 14 R 82/07; SG Altenburg, Urteil vom 22. März 2007, Az. S 14 KN 64/07; Polster in Kasseler Kommentar, 53. Ergänzungslieferung 2007, § 77 Rn. 21; Kreikebohm, SGB VI, 2. Auflage 2003, § 77 Rn. 12).
Dies entspricht auch der gesetzgeberischen Intention. Nach der Gesetzesbegründung bezweckte der Gesetzgeber, die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in An-spruch genommenen Altersrenten in der Weise anzugleichen, dass diese Renten mit einem Ab-schlag von höchstens 10,8 % versehen werden (BT-Drs. 14/4230, S. 24). Zwar beginnen Al-tersrenten nicht vor dem 60. Lebensjahr. Gleichwohl wird in der Gesetzesbegründung nicht zwischen Versicherten, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, und solchen, die das 60. Le-bensjahr nicht vollendet haben, differenziert. Vielmehr wird deutlich, dass auch die Versicher-ten, die vor Vollendung des 60. Lebensjahrs eine Rente wegen Erwerbsminderung beziehen, von der Verminderung des Zugangsfaktors erfasst werden. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. a. a. O.) heißt es: "Die Auswirkungen einer solchen Regelung werden dadurch abgemil-dert, dass die Zeit zwischen dem vollendeten 55. und 60. Lebensjahr (statt wie im geltenden Recht zu einem Drittel) künftig voll als Zurechnungszeit angerechnet wird. ( ...) Bei Inan-spruchnahme einer Rente wegen Erwerbsminderung ergibt sich jedoch bei einem Eckrentner eine gegenüber dem geltenden Recht nur um 3,3 % (Rentenfall bis zum Lebensalter 56 Jahre und 8 Monate) bzw. um max. 10,8 % (Rentenfall bei Lebensalter 60 Jahre) niedrigere Rente." Die Anhebung der in § 59 SGB VI geregelten Zurechnungszeit, durch die die Verminderung des Zugangsfaktors gemildert werden soll (BT-Drs. 14/4230, S. 16), ist jedoch nur dann sinn-voll, wenn auch die Rentenbezieher vor Vollendung des 60. Lebensjahrs von der Verminde-rung des Zugangsfaktors erfasst werden, da sich die veränderte Zurechnungszeit für Rentenbe-zieher nach Vollendung des 60. Lebensjahrs nicht auswirkt. Anhaltspunkte für die Interpretati-on des 4. Senats des BSG, wonach von der Anhebung der Zurechnungszeit nur die Rentner profitieren sollen, die bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahrs eine Erwerbsminderungsren-te beziehen (BSG a. a. O. Rn. 37), sind nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als in diesem Fall Rentenbezieher, deren Erwerbsminderungsrenten vor Vollendung des 60. Lebensjahrs enden, in den Genuss einer längeren Zurechnungszeit gelangen würden, ohne dass hiermit für sie der Nachteil des verminderten Zugangsfaktors korrespondieren würde. (vgl. hierzu Rüdiger Mey, Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten unter 60?, in: RVaktuell, März 2007, S. 44 ff., 47f.; Hermann Plagemann, in: Juris Praxis-Re¬port-SozR 20/2006, Anm. 4, Lit. C.). Eine derart merkwürdige Regelung ist weder der Gesetzesbegründung noch dem Gesetz zu entnehmen. Schließlich würde der Gesetzgeber mit einer solchen Regelung sein Ansinnen, das Ausweichen von Altersrenten in Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu unterbinden, konterkarie-ren. Denn nach der Interpretation des 4. Senats des BSG hätte der Gesetzgeber damit gerade einen Anreiz geschaffen, vor Vollendung des 60. Lebensjahrs eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu erhalten.
Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich gegen die Absenkung des Zugangsfaktors nicht (so auch SG Aachen a. a. O. mit weiteren Nachweisen; a. A. SG Lübeck, Urteil vom 26. April 2007, Az. S 14 R 235/07). Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vor. Das Rentenversicherungsverhältnis ist kein unabänderliches, das im Unterschied zum Pri-vatversicherungsverhältnis von Anfang an nicht auf dem reinen Versicherungsprinzip, sondern wesentlich auch auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verengt sich jedoch in dem Maße, in dem Rentenanwart-schaften durch den personalen Anteil eigener Leistungen der Versicherten geprägt sind, was vor allem in einkommensbezogenen Beitragszahlungen Ausdruck findet (so zuletzt BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007, Az. 1 BvL 10/00 mit weiteren Nachweisen). Der durch Ver-minderung des Zugangsfaktors bewirkte Eingriff dient dem legitimen Zweck der Verhinderung von Ausweichreaktionen von Altersrenten in Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Unter Berücksichtigung der Anhebung der Zurechnungszeit in § 59 SGB VI ist die Regelung verhältnismäßig. Der Abschlag, den die betroffenen Versicherten hinnehmen müssen, wird durch die Anhebung der Zurechnungszeit sowie Übergangsregelungen kompensiert. Die Ab-schlagsregelung und die erweiterte Anrechnung der Zurechnungszeit stehen als "Paketlösung" in einem engen Zusammenhang. Beide Regelungen wurden nicht unmittelbar, sondern gemäß §§ 253a, 264c SGB VI schrittweise eingeführt (Kreikebohm a. a. O., Rn. 13), so dass den An-forderungen an deren Verhältnismäßigkeit Genüge getan ist.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Sprungrevision war gemäß §§ 161 Abs. 1 und 2, 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen, weil das Urteil von der Entscheidung des BSG vom 16. Mai 2006, B 4 RA 22/05 R, abweicht und auf dieser Abweichung beruht.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved