Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
79
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 498/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 23. September 2008 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 250.000.- Euro festgesetzt.
Gründe:
I. Die Antragstellerin ist ein Softwareunternehmen, das Arztsoftware entwickelt und vertreibt. Sie ist eine Tochter der ... AG. Das Programm xxxxx wurde von der Antragstellerin entwickelt und vertrieben, dieses Programm wird von den Ärzten unter anderem für die Verordnung von Arzneimitteln eingesetzt. Es wird in Verbindung mit den Rohdaten der ...-Arzneimitteldatenbank verwendet, welche die Angaben zu den einzelnen Arzneimitteln enthält. Am 26. Juni 2008 wurde durch die Antragsgegnerin eine Sichtprüfung des xxxxx durchgeführt und ein Beanstandungsschreiben durch die Antragstellerin übersandt. Der überwiegende Anteil der Beanstandungen wurde von der Antragstellerin behoben. Nicht erfüllt wurde die Anforderung P3-210 (Anzeige von Werbung) und P3-410 (keine automatische Vorbelegung von Substitutionsvorschlägen/ Verordnungsvorschlägen). Daraufhin wurde mit Bescheid vom 19. August 2008 die Zertifizierung abgelehnt. Die Antragstellerin hat wegen der Verweigerung der Zertifizierung Antrag auf einstweilige Anordnung am 23. September 2008 bei dem Sozialgericht Berlin eingereicht. Außerdem hat die Antragstellerin gegen den Bescheid vom 19. August 2008 Widerspruch bei der Antragsgegnerin eingelegt.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass der Antrag nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig sei und auch ein Anordnungsanspruch bestehe. Sie ist der Auffassung, dass die Ablehnung der Zertifizierung rechtswidrig sei, sie vielmehr einen Anspruch auf die Zertifizierung hätte, da die maßgeblichen Anforderungen von der Antragstellerin eingehalten worden seien und der Anforderungskatalog der Antragsgegnerin keine ausreichende Grundlage für diese Anforderungen darstelle. Selbst wenn allerdings der Anforderungskatalog rechtliche Relevanz habe, dann sei hier das Berufen auf die Anforderungspunkte P3 210 und P3-410 rechtwidrig. Insofern sei der Anforderungskatalog nicht im Einklang mit der gesetzlichen Regelung. Das von ihr betriebene Programm erfülle alle Anforderungen. In den Verträgen könnten nur nähere Bestimmungen gefasst werden, keine zusätzlichen. Nach Auffassung der Antragstellerin handle es sich aber bei den im Anforderungskatalog geforderten Voraussetzungen um zusätzliche Bestimmungen, die nicht vom Gesetzt gedeckt seien. Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass ihr Programm eine manipulationsfreie Verordnung ermögliche. Das Gesetz wolle einen Mindeststandard sichern. Eine Sanktion darüber hinausgehender Hinweise und eine Einschränkung nicht irreführender Werbung sei jedoch rechtswidrig. Das Programm selbst enthalte keine irreführenden Angaben, auch nicht durch die Zusatzfunktion der Taste F ... Der Benutzer könne jederzeit die Werbung abbrechen, sie enthalte nur zusätzliche Informationen. Durch die inhaltlichen Anforderungen an die elektronischen Programme werde die Antragstellerin als Entwickler und Betreiber solcher Programme in ihrer Berufsfreiheit nach Artikel 12 Grundgesetz beeinträchtigt, da in Deutschland 119.800 Vertragsärzte niedergelassen seien und nur 7.300 Privatärzte, so dass das Gros der Kunden aus dem Bereich der Vertragsärzte rekrutiert werde. Die hier vorgelegten Anforderungen würden über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen und seien somit nicht durch den Gesetzesvorbehalt gedeckt. Außerdem sei auch die Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit unangemessen. Hinzu komme, dass kein Verstoß gegen P3-210 durch die Funktion der Taste F ... vorliege. Es bestehe kein kausaler Zusammenhang zwischen der hinterlegten Funktion und der Verordnung, es seien vielmehr weitere Schritte vom Arzt autonom vorzunehmen, eine direkte Verordnung erfolge nicht. Es bestehe auch kein Verstoß gegen die Pflichtfunktion P3-410, auch nicht dann, wenn wie bei der Eingabe des ICD I10.90 essenzielle Hypertonie die Anzeige des Medikaments ... erscheine und dann Informationen über dieses Medikament folgen würden. Es handle sich dabei nur um eine Werbeeinblendung, jedoch keinen Vorschlag für eine Verordnung. Der Arzt komme zu der Verordnung nur durch eigenständige Zwischenschritte. Demzufolge sei hier ein Anordnungsanspruch gegeben, auch die weitere Voraussetzung des Anordnungsgrundes würde vorliegen, da die Antragstellerin ... Kunden habe, die dieses Programm nutzen würden. Bei Beibehalten der Nichtzertifizierung würde diese Basis wegbrechen. Unter Umständen drohten Vertragsstrafen in Höhe von ... Euro.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides der Antragsgegnerin vom 19. August 2008 (Az.: ...) das Softwareprogramm xxxxx der Antragstellerin in der mit Schreiben der Antragstellerin vom 29. Juli 2008 beschriebenen und beantragten Funktionalität für die Verordnung von Arzneimitteln durch Vertragsärzte bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig nach § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V zu zertifizieren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Sie entgegnet der Antragstellerin dahingehend, dass der Antrag nicht begründet sei. Der Anforderungskatalog sei Bestandteil der Bundesmanteltarifverträge und als solcher mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen beschlossen ... Die von den Bundesmantelvertragspartnern vereinbarten Regelungen würden von der Aufgabenzuweisung des Gesetzgebers erfasst, das Nähere sei durch Verordnung zu regeln. Die Aufgabe der Vertragspartner sei es, Regelungen für einen manipulationsfreien Preisvergleich von Arzneimitteln zu beschreiben und alle erforderlichen Informationen festzulegen. Die Antragsgegnerin führt dazu aus, dass pharma-gesponserte Werbung in der Arzneimittelsoftware ein Verordnungsverhalten der Vertragsärzte nicht wirtschaftlicher werden lasse. Es sei bekannt, dass zwei große Generika-Hersteller Sponsoren von Arzneimittelsoftware seien, es aber andere Generika gebe, die durchaus günstiger seien. Es solle verhindert werden, dass der Arzt bei dem Vergleich der Medikamente durch Werbung unzulässig beeinflusst werde. Der Gesetzgeber habe eine Vermischung mit der Werbung nicht zulassen wollen. Die Funktionen, die die Antragsstellerin in ihrem Programm habe, stelle eine solche verbotene Vermischung dar, so vor allem die Doppelfunktion der Taste F ... Es erfolge dadurch eine manipulative Beeinflussung des Arztes. Es sei leichter, zu der Verordnung zu kommen, als einen Abbruch der Verordnung durchzuführen und eine andere Verordnung vorzunehmen. Außerdem dürften Diagnoseerstellungen nicht zu Verordnungsvorschlägen führen. Dies sei hier jedoch der Fall: Die Diagnose "essenzielle Hypertonie" lasse einen Verordnungsvorschlag automatisch erscheinen. Dies könne nicht verhindert werden. Die Antragsgegnerin führt ergänzend aus, dass wirtschaftliche Nachteile aus der Nicht-Zertifizierung durch die Antragsstellerin selbst verursacht seien. Es sei auch zweifelhaft, dass eine Umstellung des Programms bzw. eine Umstellung auf andere Produkte des Herstellers einen wie von der Antragstellerin beschriebenen Aufwand erfordern würden. Die ebenfalls aufgeführten Verluste der Mutter-Holding ließen sich nicht auf die Nicht-Zertifizierung zurückführen, sondern seien durch andere Änderungen im Gesundheitsbereich verursacht.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, die Gerichtsakten und das Beiheft zu S 79 KA 498/08 ER waren Gegenstand der Entscheidung.
II. Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Das Begehren der Antragstellerin ist zwar grundsätzlich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch eine Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG regelbar. Die Ablehnung der Zertifizierung ihres Programms xxxxx trifft die Antragstellerin unmittelbar in ihrer Berufsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz, denn wenn sie weiterhin ihre Software vertreiben will, muss sie das bisher von ihr betriebene Konzept der werbungsfinanzierten Software gravierend verändern (siehe auch LSG-Beschluss vom 27. Oktober 2008, L 7 KA 148/08 ER). Nach § 86 b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzungen sind jedoch ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund (§ 86 b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht worden, so dass der Antrag keinen Erfolg haben konnte.
Die Nichterteilung der Zertifizierung folgt aus § 73 Abs. 8 Satz 7 und 8 SGB V in Verbindung mit § 29 Abs. 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 15 Abs. 3 Bundesmantelvertrag Ärzte/Ersatzkassen (BMV-Ä/EKV) in Verbindung mit dem Anforderungskatalog AVWG.
Der Anforderungskatalog ist als Bestandteil der Bundesmantelverträge anzusehen. Die Bundesmantelverträge regeln in Verbindung mit diesem Anforderungskatalog abschließend und vollständig die Bedingungen der Zertifizierung (siehe auch LSG am angegebenen Ort). Es bestehen keine Bedenken, dass die Gesamtregelung wirksam ist, vor allem da diese auf die gesetzliche Ermächtigung des § 73 Abs. 8 Satz 8 SGB V zurückgeht (siehe auch LSG am angegebenen Ort). Bei dem Anforderungskatalog handelt es sich um ein gemeinsames Dokument der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Antragsgegnerin, das von diesen im Deutschen Ärzteblatt gemeinsam veröffentlicht wurde.
Der Anforderungskatalog geht nicht über den ihm von Gesetz vorgegebenen Rahmen hinaus. Die Regelungen des Anforderungskatalogs werden vielmehr von der Aufgabenzuweisung des Gesetzgebers erfasst. § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V beschreibt die Mindestanforderung an die elektronischen Programme. Sie müssen die Informationen nach § 73 Abs. 8 Satz 2 und 3 SGB V und die Informationen über das Vorliegen von Rabattverträgen nach § 130 a Abs. 8 SGB V enthalten. Außerdem sollen die Vertragspartner weitere Anforderungen an eine manipulationsfreie Praxissoftware festlegen.
Das hier zu beurteilende Programm xxxxx vermischt in unzulässiger Weise Werbung und Funktion. Dieses Programm kann nur über die Tastatur bedient werden. Die Taste F ... ist mit regulären Programmfunktionen belegt, löst aber im streitigen Programm-Fenster die Öffnung der Werbung aus. Dieser werbebehaftete Weg bringt dann den Nutzer besonders einfach zu der Verordnung des beworbenen Medikaments. Das Gericht sieht hier eine Manipulation auch des kundigen Nutzers. Dieser wird verleitet, über die Doppelfunktion der Tasten, aber vor allem über den einfachen und kurzen Weg der Verordnung, das beworbene Medikament auszuwählen. Hierbei ist vor allem die Zeitersparnis auf dem Weg zu der Verordnung zur Manipulation geeignet. Dieses wird besonders deutlich, wenn bei Eingabe des Codes für die Erkrankung, hier z. B. für Werbung für die essenzielle Hypertonie, ein Verordnungsvorschlag des beworbenen Medikaments erscheint, alle anderen Medikamentenvorschläge jedoch nur über einen viel aufwendigeren Weg für den Nutzer zu erreichen wären. Dies stellt eine Verletzung der Pflichtfunktionen P3-410 und P3-210 dar. Die Pflichtfunktion P3-410 besagt, dass im Zusammenhang mit Diagnosestellungen keine Verordnungsvorschläge gemacht werden dürfen. Die Pflichtfunktion P3-210 besagt, dass Werbung nur in Form von Werbefenstern zulässig ist. Diese müssen als Werbefenster/Anzeigenfenster deklariert sein und dürfen nicht irreführend als Informationsfenster dargestellt werden. Sie müssen für den Anwender direkt als Werbung erkennbar sein. Hinter einer Werbung darf keine Funktion hinterlegt sein, die zu einer Verordnung führt. Beide Pflichtfunktionen werden durch das Programm nicht erfüllt, so dass hier zu Recht ein manipulativer Eingriff zu beanstanden ist. Auch die Belegung anderer Tasten mit den Funktionen würde, sofern der weitere Ablauf der Verordnung identisch bleibt, eine Manipulation darstellen. Auch die vom Arzt jeweils noch einzugebenden Bestätigungen ändern daran nichts, denn entscheidend ist, dass der Arzt als Nutzer über die Werbung auf den Weg der Verordnung des beworbenen Medikaments gebracht wird ist und dabei keine aktive Gestaltung mehr vornehmen muss. Er muss sozusagen nur noch die von der Antragstellerin vorgegebenen Programmpunkte "abhaken", um zu der Verordnung zu gelangen. Der Gesetzgeber will den Arzt jedoch gerade vor dieser Art der Einflussnahme schützen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52, 53 GKG. Der Streitwert ist mit 250.000,- Euro unter Berücksichtigung der Vorläufigkeit der Entscheidung festzusetzen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 250.000.- Euro festgesetzt.
Gründe:
I. Die Antragstellerin ist ein Softwareunternehmen, das Arztsoftware entwickelt und vertreibt. Sie ist eine Tochter der ... AG. Das Programm xxxxx wurde von der Antragstellerin entwickelt und vertrieben, dieses Programm wird von den Ärzten unter anderem für die Verordnung von Arzneimitteln eingesetzt. Es wird in Verbindung mit den Rohdaten der ...-Arzneimitteldatenbank verwendet, welche die Angaben zu den einzelnen Arzneimitteln enthält. Am 26. Juni 2008 wurde durch die Antragsgegnerin eine Sichtprüfung des xxxxx durchgeführt und ein Beanstandungsschreiben durch die Antragstellerin übersandt. Der überwiegende Anteil der Beanstandungen wurde von der Antragstellerin behoben. Nicht erfüllt wurde die Anforderung P3-210 (Anzeige von Werbung) und P3-410 (keine automatische Vorbelegung von Substitutionsvorschlägen/ Verordnungsvorschlägen). Daraufhin wurde mit Bescheid vom 19. August 2008 die Zertifizierung abgelehnt. Die Antragstellerin hat wegen der Verweigerung der Zertifizierung Antrag auf einstweilige Anordnung am 23. September 2008 bei dem Sozialgericht Berlin eingereicht. Außerdem hat die Antragstellerin gegen den Bescheid vom 19. August 2008 Widerspruch bei der Antragsgegnerin eingelegt.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass der Antrag nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig sei und auch ein Anordnungsanspruch bestehe. Sie ist der Auffassung, dass die Ablehnung der Zertifizierung rechtswidrig sei, sie vielmehr einen Anspruch auf die Zertifizierung hätte, da die maßgeblichen Anforderungen von der Antragstellerin eingehalten worden seien und der Anforderungskatalog der Antragsgegnerin keine ausreichende Grundlage für diese Anforderungen darstelle. Selbst wenn allerdings der Anforderungskatalog rechtliche Relevanz habe, dann sei hier das Berufen auf die Anforderungspunkte P3 210 und P3-410 rechtwidrig. Insofern sei der Anforderungskatalog nicht im Einklang mit der gesetzlichen Regelung. Das von ihr betriebene Programm erfülle alle Anforderungen. In den Verträgen könnten nur nähere Bestimmungen gefasst werden, keine zusätzlichen. Nach Auffassung der Antragstellerin handle es sich aber bei den im Anforderungskatalog geforderten Voraussetzungen um zusätzliche Bestimmungen, die nicht vom Gesetzt gedeckt seien. Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass ihr Programm eine manipulationsfreie Verordnung ermögliche. Das Gesetz wolle einen Mindeststandard sichern. Eine Sanktion darüber hinausgehender Hinweise und eine Einschränkung nicht irreführender Werbung sei jedoch rechtswidrig. Das Programm selbst enthalte keine irreführenden Angaben, auch nicht durch die Zusatzfunktion der Taste F ... Der Benutzer könne jederzeit die Werbung abbrechen, sie enthalte nur zusätzliche Informationen. Durch die inhaltlichen Anforderungen an die elektronischen Programme werde die Antragstellerin als Entwickler und Betreiber solcher Programme in ihrer Berufsfreiheit nach Artikel 12 Grundgesetz beeinträchtigt, da in Deutschland 119.800 Vertragsärzte niedergelassen seien und nur 7.300 Privatärzte, so dass das Gros der Kunden aus dem Bereich der Vertragsärzte rekrutiert werde. Die hier vorgelegten Anforderungen würden über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen und seien somit nicht durch den Gesetzesvorbehalt gedeckt. Außerdem sei auch die Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit unangemessen. Hinzu komme, dass kein Verstoß gegen P3-210 durch die Funktion der Taste F ... vorliege. Es bestehe kein kausaler Zusammenhang zwischen der hinterlegten Funktion und der Verordnung, es seien vielmehr weitere Schritte vom Arzt autonom vorzunehmen, eine direkte Verordnung erfolge nicht. Es bestehe auch kein Verstoß gegen die Pflichtfunktion P3-410, auch nicht dann, wenn wie bei der Eingabe des ICD I10.90 essenzielle Hypertonie die Anzeige des Medikaments ... erscheine und dann Informationen über dieses Medikament folgen würden. Es handle sich dabei nur um eine Werbeeinblendung, jedoch keinen Vorschlag für eine Verordnung. Der Arzt komme zu der Verordnung nur durch eigenständige Zwischenschritte. Demzufolge sei hier ein Anordnungsanspruch gegeben, auch die weitere Voraussetzung des Anordnungsgrundes würde vorliegen, da die Antragstellerin ... Kunden habe, die dieses Programm nutzen würden. Bei Beibehalten der Nichtzertifizierung würde diese Basis wegbrechen. Unter Umständen drohten Vertragsstrafen in Höhe von ... Euro.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides der Antragsgegnerin vom 19. August 2008 (Az.: ...) das Softwareprogramm xxxxx der Antragstellerin in der mit Schreiben der Antragstellerin vom 29. Juli 2008 beschriebenen und beantragten Funktionalität für die Verordnung von Arzneimitteln durch Vertragsärzte bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache vorläufig nach § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V zu zertifizieren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Sie entgegnet der Antragstellerin dahingehend, dass der Antrag nicht begründet sei. Der Anforderungskatalog sei Bestandteil der Bundesmanteltarifverträge und als solcher mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen beschlossen ... Die von den Bundesmantelvertragspartnern vereinbarten Regelungen würden von der Aufgabenzuweisung des Gesetzgebers erfasst, das Nähere sei durch Verordnung zu regeln. Die Aufgabe der Vertragspartner sei es, Regelungen für einen manipulationsfreien Preisvergleich von Arzneimitteln zu beschreiben und alle erforderlichen Informationen festzulegen. Die Antragsgegnerin führt dazu aus, dass pharma-gesponserte Werbung in der Arzneimittelsoftware ein Verordnungsverhalten der Vertragsärzte nicht wirtschaftlicher werden lasse. Es sei bekannt, dass zwei große Generika-Hersteller Sponsoren von Arzneimittelsoftware seien, es aber andere Generika gebe, die durchaus günstiger seien. Es solle verhindert werden, dass der Arzt bei dem Vergleich der Medikamente durch Werbung unzulässig beeinflusst werde. Der Gesetzgeber habe eine Vermischung mit der Werbung nicht zulassen wollen. Die Funktionen, die die Antragsstellerin in ihrem Programm habe, stelle eine solche verbotene Vermischung dar, so vor allem die Doppelfunktion der Taste F ... Es erfolge dadurch eine manipulative Beeinflussung des Arztes. Es sei leichter, zu der Verordnung zu kommen, als einen Abbruch der Verordnung durchzuführen und eine andere Verordnung vorzunehmen. Außerdem dürften Diagnoseerstellungen nicht zu Verordnungsvorschlägen führen. Dies sei hier jedoch der Fall: Die Diagnose "essenzielle Hypertonie" lasse einen Verordnungsvorschlag automatisch erscheinen. Dies könne nicht verhindert werden. Die Antragsgegnerin führt ergänzend aus, dass wirtschaftliche Nachteile aus der Nicht-Zertifizierung durch die Antragsstellerin selbst verursacht seien. Es sei auch zweifelhaft, dass eine Umstellung des Programms bzw. eine Umstellung auf andere Produkte des Herstellers einen wie von der Antragstellerin beschriebenen Aufwand erfordern würden. Die ebenfalls aufgeführten Verluste der Mutter-Holding ließen sich nicht auf die Nicht-Zertifizierung zurückführen, sondern seien durch andere Änderungen im Gesundheitsbereich verursacht.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, die Gerichtsakten und das Beiheft zu S 79 KA 498/08 ER waren Gegenstand der Entscheidung.
II. Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Das Begehren der Antragstellerin ist zwar grundsätzlich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch eine Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG regelbar. Die Ablehnung der Zertifizierung ihres Programms xxxxx trifft die Antragstellerin unmittelbar in ihrer Berufsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz, denn wenn sie weiterhin ihre Software vertreiben will, muss sie das bisher von ihr betriebene Konzept der werbungsfinanzierten Software gravierend verändern (siehe auch LSG-Beschluss vom 27. Oktober 2008, L 7 KA 148/08 ER). Nach § 86 b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzungen sind jedoch ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund (§ 86 b Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht worden, so dass der Antrag keinen Erfolg haben konnte.
Die Nichterteilung der Zertifizierung folgt aus § 73 Abs. 8 Satz 7 und 8 SGB V in Verbindung mit § 29 Abs. 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) bzw. § 15 Abs. 3 Bundesmantelvertrag Ärzte/Ersatzkassen (BMV-Ä/EKV) in Verbindung mit dem Anforderungskatalog AVWG.
Der Anforderungskatalog ist als Bestandteil der Bundesmantelverträge anzusehen. Die Bundesmantelverträge regeln in Verbindung mit diesem Anforderungskatalog abschließend und vollständig die Bedingungen der Zertifizierung (siehe auch LSG am angegebenen Ort). Es bestehen keine Bedenken, dass die Gesamtregelung wirksam ist, vor allem da diese auf die gesetzliche Ermächtigung des § 73 Abs. 8 Satz 8 SGB V zurückgeht (siehe auch LSG am angegebenen Ort). Bei dem Anforderungskatalog handelt es sich um ein gemeinsames Dokument der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Antragsgegnerin, das von diesen im Deutschen Ärzteblatt gemeinsam veröffentlicht wurde.
Der Anforderungskatalog geht nicht über den ihm von Gesetz vorgegebenen Rahmen hinaus. Die Regelungen des Anforderungskatalogs werden vielmehr von der Aufgabenzuweisung des Gesetzgebers erfasst. § 73 Abs. 8 Satz 7 SGB V beschreibt die Mindestanforderung an die elektronischen Programme. Sie müssen die Informationen nach § 73 Abs. 8 Satz 2 und 3 SGB V und die Informationen über das Vorliegen von Rabattverträgen nach § 130 a Abs. 8 SGB V enthalten. Außerdem sollen die Vertragspartner weitere Anforderungen an eine manipulationsfreie Praxissoftware festlegen.
Das hier zu beurteilende Programm xxxxx vermischt in unzulässiger Weise Werbung und Funktion. Dieses Programm kann nur über die Tastatur bedient werden. Die Taste F ... ist mit regulären Programmfunktionen belegt, löst aber im streitigen Programm-Fenster die Öffnung der Werbung aus. Dieser werbebehaftete Weg bringt dann den Nutzer besonders einfach zu der Verordnung des beworbenen Medikaments. Das Gericht sieht hier eine Manipulation auch des kundigen Nutzers. Dieser wird verleitet, über die Doppelfunktion der Tasten, aber vor allem über den einfachen und kurzen Weg der Verordnung, das beworbene Medikament auszuwählen. Hierbei ist vor allem die Zeitersparnis auf dem Weg zu der Verordnung zur Manipulation geeignet. Dieses wird besonders deutlich, wenn bei Eingabe des Codes für die Erkrankung, hier z. B. für Werbung für die essenzielle Hypertonie, ein Verordnungsvorschlag des beworbenen Medikaments erscheint, alle anderen Medikamentenvorschläge jedoch nur über einen viel aufwendigeren Weg für den Nutzer zu erreichen wären. Dies stellt eine Verletzung der Pflichtfunktionen P3-410 und P3-210 dar. Die Pflichtfunktion P3-410 besagt, dass im Zusammenhang mit Diagnosestellungen keine Verordnungsvorschläge gemacht werden dürfen. Die Pflichtfunktion P3-210 besagt, dass Werbung nur in Form von Werbefenstern zulässig ist. Diese müssen als Werbefenster/Anzeigenfenster deklariert sein und dürfen nicht irreführend als Informationsfenster dargestellt werden. Sie müssen für den Anwender direkt als Werbung erkennbar sein. Hinter einer Werbung darf keine Funktion hinterlegt sein, die zu einer Verordnung führt. Beide Pflichtfunktionen werden durch das Programm nicht erfüllt, so dass hier zu Recht ein manipulativer Eingriff zu beanstanden ist. Auch die Belegung anderer Tasten mit den Funktionen würde, sofern der weitere Ablauf der Verordnung identisch bleibt, eine Manipulation darstellen. Auch die vom Arzt jeweils noch einzugebenden Bestätigungen ändern daran nichts, denn entscheidend ist, dass der Arzt als Nutzer über die Werbung auf den Weg der Verordnung des beworbenen Medikaments gebracht wird ist und dabei keine aktive Gestaltung mehr vornehmen muss. Er muss sozusagen nur noch die von der Antragstellerin vorgegebenen Programmpunkte "abhaken", um zu der Verordnung zu gelangen. Der Gesetzgeber will den Arzt jedoch gerade vor dieser Art der Einflussnahme schützen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52, 53 GKG. Der Streitwert ist mit 250.000,- Euro unter Berücksichtigung der Vorläufigkeit der Entscheidung festzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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