S 112 KR 464/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
112
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 112 KR 464/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 118/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 119,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 12. September 2009 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Vergütung für eine vorstationäre Krankenhausbehandlung.

Der klagende Verein hat seinen Sitz in B-Z. Er betreibt dort das Krankenhaus W ... Die Vertragsärztin K ... verordnete der bei der Beklagten Versicherten E T (fortan: Versicherte) auf dem dafür vorgesehenen Formular am 29. Februar 2008 Krankenhausbehandlung. Das Feld "Diagnose/Befund" enthält die Angaben: "N39.42 G Urge-Inkontinenz; N39.42 G zur Abklärung/evt. OP". Die Beklagte sagte die Kostenübernahme für die Krankenhausbehandlung (einschließlich der vor- und nachstationären Behandlung) ab dem Aufnahmetag zu. Das Krankenhaus führte bei der Versicherten in der Fachabteilung Frauenheilkunde am 14. März 2008 ambulant eine Urodynamik durch. Der Kläger stellte der Beklagten hierfür unter dem 8. April 2008 119,13 EUR in Rechnung. Die Beklagte bezahlte diese Rechnung zunächst, bat den Kläger jedoch um Erstellung eines Kurzberichts und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) noch im Mai 2008 mit einer Überprüfung. Der MDK führte schließlich am 8. Juli 2009 im Rahmen einer Krankenhausbegehung ein Fallgespräch mit dem verantwortlichen Oberarzt. Ausweislich des hierüber erstellten Berichts "wurde besprochen und erläutert, dass es sich in dem vorliegenden Fall um eine ambulant zu erbringende Leistung handelt. Dies wurde von Seiten des KH bestätigt". Hierauf gestützt bat die Beklagte den Kläger um Übersendung einer korrigierten Rechnung. Da der Kläger dies ablehnte, setzte die Beklagte am 11. September 2009 von einer Rechnung des Klägers in einem anderen Behandlungsfall den Betrag von 119,13 EUR ab.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Versicherte sei mit einer Einweisung eines niedergelassenen Facharztes ohne Unterkunft und Verpflegung behandelt worden, um die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären. Ergebe die Abklärung, dass keine stationäre Behandlungsnotwendigkeit besteht, müsse die Leistung des Krankenhauses als vorstationäre Leistung vergütet werden. Ergänzend wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 18. März 2010, 12. Juli 2010, 26. August 2010, 30. November 2010 und 22. Februar 2011 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn (den Kläger) 119,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12. September 2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor: Ein Urodynamik sei eine in der Regel ambulant durchzuführende Maßnahme der Diagnostik. Medizinische Gründe, welche vorliegend gegen eine ambulante Durchführung gesprochen hätten, würden nicht vorgetragen und seien auch sonst nicht ersichtlich. Bei niedergelassenen Ärzten in und um Berlin hätte es ausreichend Möglichkeiten gegeben, die Diagnostik ambulant durchzuführen, um eine vorstationäre Krankenhausbehandlung zu vermeiden. Der besonderen Mittel eines Krankenhauses hätte die durchgeführte Behandlung nicht bedurft. Ergänzend wird auf die weiteren Ausführungen in den Schriftsätzen der Beklagten vom 1. Juni 2010, 20. Juli 2010, 24. September 2010 und 21. Dezember 2010 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und zur Ergänzung des Sachverhalts wird schließlich Bezug genommen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der den Behandlungsfall T betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Beklagte war nicht berechtigt, gegen spätere Forderungen des Klägers nachträglich mit einem Rückzahlungsanspruch in Höhe von 119,13 EUR aufzurechnen. Der Kläger ist in dieser Höhe nicht zu Unrecht bereichert, denn ihm steht wegen der vorstationären Behandlung der Versicherten der Beklagten ein Anspruch auf Vergütung zu.

Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs für die am 14. März 2008 im Krankenhaus des Klägers erbrachten Leistungen ist § 115a Abs. 3 Satz 3 und 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) i. d. F. des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I, S. 2266) i. V. m. § 1 und Anlage 1 der "Gemeinsamen Empfehlung über die Vergütung für vor- und nachstationäre Behandlung nach § 115a Abs. 3 SGB V" vom 30. Dezember 1996.

Zwischen den Beteiligten besteht zu Recht kein Streit darüber, dass es sich bei der in Rede stehenden Leistung um eine vorstationäre Behandlung gehandelt hat. Diese stellt eine "Leistungserbringung eigener Art" als "Annex" zur vollstationären Versorgung im Krankenhaus dar. Der Sache nach handelt es sich um eine Sonderform der ambulanten Versorgung der Versicherten, die aber nur bei vertragsärztlicher Verordnung von Krankenhausbehandlung erbracht werden darf und somit nur im weiteren Sinne um "stationäre" Behandlung (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 KR 15/08 R – juris, RdNr. 10 m. w. N.).

Der Kläger war zur vorstationären Behandlung der Versicherten der Beklagten befugt. Dies ist nach § 115a Abs. 1 SGB V der Fall, wenn - erstens - eine Verordnung von Krankenhausbehandlung vorliegt und - zweitens - ein medizinisch geeigneter Fall gegeben ist. Beide Voraussetzungen sind erfüllt: Die Vertragsärztin Dr. K hat der Versicherten am 29. Februar 2008 eine Krankenhausbehandlung verordnet. Der unbestimmte Rechtsbegriff "medizinisch geeignete Fälle" wird konkretisiert durch die beiden gesetzlich genannten Varianten der vorstationären und nachstationären Krankenhausbehandlung. Zu beiden Fallkonstellationen liefert die Norm die entsprechende Legaldefinition (Köhler-Hohmann, in: jurisPK-SGB V, § 115a SGB V, RdNr. 12). Vorliegend ist § 115a Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfüllt. Zweck der vorstationären Behandlung der Versicherten war, "die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung zu klären".

Da eine Vereinbarung gemäß § 115a Abs. 3 Satz 1 SGB V zwischen den dort genannten Trägern im Land Berlin bis heute nicht geschlossen worden ist und die Vertragsparteien auch nicht die Schiedsstelle nach § 18a Abs. 1 KHG angerufen haben, was gemäß § 115a Abs. 3 Satz 5 SGB V möglich gewesen wäre, bestimmen sich die Vergütungsansprüche der Krankenhausträger für vor- und nachstationäre Behandlungen nach "Empfehlungen" gemäß § 115a Abs. 3 Satz 3 SGB V. Diese "Empfehlungen" sind zusammengefasst in der "Gemeinsamen Empfehlung über die Vergütung für vor- und nachstationäre Behandlung nach § 115a Abs. 3 SGB V", die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft und den damaligen Spitzenverbänden der Krankenkassen im Benehmen mit der KBV am 30. Dezember 1996 mit Wirkung ab 1. Januar 1997 vereinbart worden ist und als "Bundesempfehlung" (Präambel Abs. 2) bundesweit gilt (im Folgenden: Gemeinsame Empfehlung). Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ist sie für die Zeit bis zum Abschluss der jeweiligen Vereinbarung auf Landesebene nach § 115a Abs. 3 Satz 1 SGB V verbindlich. Sie gilt damit als Vergütungsregelung (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 KR 15/08 R – juris, RdNr. 12 m. w. N.).

Gemäß § 1 Satz 1 Gemeinsame Empfehlung wird als Vergütung für die vorstationäre Behandlung von Patienten vom Krankenhaus pro Fall eine fachabteilungsbezogene Pauschale nach der Anlage 1 berechnet. Falls – wie hier – im Anschluss an eine vorstationäre Behandlung eine vollstationäre Behandlung nicht erforderlich ist, ist für die Berechnung die Pauschale der Fachabteilung maßgeblich, welche die vorstationäre Krankenhausbehandlung durchgeführt hat (Satz 3 a. a. O.). Die danach maßgebliche Vergütungspauschale der Fachabteilung Frauenheilkunde beträgt 119,13 EUR.

Der Einwand der Beklagten, die diagnostische Maßnahme hätte ambulant durchgeführt werden können, führt zu keinem anderen Ergebnis. Bei vorstationärer Behandlung im Sinne von § 115a Abs. 1 Nr. 1 SGB V handelt es sich – wie ausgeführt – um eine Sonderform der ambulanten Versorgung der Versicherten. Als Beispielsfälle vorstationärer Maßnahmen werden Leistungen wie Blutdruckmessung sowie Röntgen- und Thoraxuntersuchungen genannt (vgl. Köhler-Hohmann, in: jurisPK-SGB V, § 115a SGB V, RdNr. 13). Die Beispiele zeigen, dass die Nutzung krankenhausspezifischer Strukturen nicht vorausgesetzt wird. Der Art nach sind vorstationäre Behandlungsmaßnahmen vielmehr regelmäßig auch außerhalb eines Krankenhauses ambulant durchführbar. Entgegen der Auffassung der Beklagten steht die vorstationäre Behandlung nicht in einem Subsidiaritätsverhältnis zu ambulanten Leistungen. Leistungsrechtlich subsidiär ist gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V nur die vollstationäre Behandlung, und zwar gegenüber der "teilstationäre(n), vor- und nachstationäre(n) oder ambulante(n) Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege" (vgl. Köhler-Hohmann, in: jurisPK-SGB V, § 115a SGB V, RdNr. 4). Eine Subsidiarität ergibt sich auch nicht aus teleologischen Gründen. Mit § 115a SGB V strebt der Gesetzgeber das Ziel der Vermeidung bzw. Verkürzung der vollstationären Krankenhausbehandlung an. Die beabsichtigte Reduzierung der Bettennutzung und damit der Verminderung des Bettenbedarfs will er durch das Mittel der Verlagerung von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen in die vor- und nachstationäre Phase erreichen (BT-Drs. 12/3608, S. 102: Zu Art. 1 Nr. 63 (§ 115a)). Dieses Ziel wird auch bei Gleichrangigkeit von vorstationären und ambulanten Maßnahmen erreicht. Ein darüber hinaus gehendes Ziel, vorstationäre Behandlungen durch ambulante Maßnahmen außerhalb des Krankenhauses zu reduzieren, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, die Befugnis zur vorstationären Behandlung setze stets voraus, dass sie im Vorfeld zu einer vollstationären Krankenhausbehandlung stattfindet. Dies stellt zwar den Normalfall dar. Eine anschließende vollstationäre Krankenhausbehandlung ist aber nicht begriffliche Voraussetzung der vorstationären Behandlung. Das folgt aus § 115a Abs. 1 Nr. 1 Regelung 1 SGB V. Denn in dieser Fallkonstellation kann die Prüfung durch den Krankenhausarzt selbstverständlich auch die Nichterforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung ergeben. Bei diesem Ergebnis bleibt die vorstationäre Behandlung singulär.

Der Zinsanspruch folgt aus § 12 Abs. 5 des Vertrages über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung vom 1. November 1994 i. d. F. der Ergänzungsvereinbarung vom 22. Dezember 1997 (Krankenhausbehandlungsvertrag) in Verbindung mit § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Das Gericht hat die Berufung zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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