Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
166
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 166 KR 671/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Beantragung einer Behandlungs-maßnahme In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer gemäß Nr. 10.3 Richtlinien über künstliche Befruchtung stellt gegenüber einer intrazyto-plasmatischen Spermieninjektion gemäß Nr. 10.5 Richtlinien über künstliche Befruchtung eine andere Leistung dar, vor deren Kostenerstattung grundsätzlich ein weiterer Antrag erforderlich ist.
Erfolglos durchgeführte Versuche, die außerhalb des Systems der GKV auf eigene Kosten durchgeführt wurden, sind bei der Berechnung der Anzahl der Versuche nach § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V mitzuzählen.
Erfolglos durchgeführte Versuche, die außerhalb des Systems der GKV auf eigene Kosten durchgeführt wurden, sind bei der Berechnung der Anzahl der Versuche nach § 27a Abs. 1 Nr. 2 SGB V mitzuzählen.
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach § 27a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Die im März 1973 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie ist seit De-zember 2010 mit Herrn W. verheiratet. Herr W. ist ebenfalls bei der Beklagten krankenversichert. Sie sind ungewollt kinderlos. Eine eindeutige Diagnose ob bei der Klägerin Sterilität oder bei Herrn W. eine männliche Fertilitätsstörung vorliegt, besteht nicht.
Die Klägerin unternahm im November 2008 einen ersten Versuch künstlicher Befruchtung. Eine Befruchtung trat ein, jedoch keine Schwangerschaft. Die Klägerin unternahm im März 2009 einen zweiten Versuch künstlicher Befruchtung. Eine Befruchtung trat ein, jedoch keine Schwangerschaft.
Im September 2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung ab, weil die Klägerin und Herr W. (zum damaligen Zeitpunkt) nicht verheiratet waren.
Die Klägerin führte im September 2009 einen dritten Versuch künstlicher Befruchtung durch. Eine Befruchtung trat ein, jedoch keine Schwangerschaft.
Alle drei Versuche erfolgten durch intrazytoplasmatische Spermieninjektion (gemäß Nr. 10.5 der Richtlinien des Bundessauschuss der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (im Folgenden: Richtlinien über künstliche Befruchtung)).
Die Beklagte trug für keine dieser Versuche die Kosten in Höhe von 50%, weil die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme bereits deswegen nicht vorlagen, weil die Klägerin und Herr W. zum damaligen Zeitpunkt nicht miteinander verheiratet waren.
Am 28. Oktober 2011 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines auf denselben Tag datierten Behandlungsplans für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung der behandelnden Ärzte R./T.-T. als geplante Behandlungsmaßnahme die "In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer" gemäß Nr. 10.3 Richtlinien über künstliche Befruchtung. Als Gesamtsumme pro Zyklusfall wurden Kosten in Höhe von ca. 2.930 EUR angesetzt.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 16. November 2011 ab. Nach drei erfolglosen Versuchen könne eine weitere Behandlung durch die Krankenkasse nicht bezuschusst werden.
Mit Schreiben vom 25. November 2011 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 16. November 2011 Widerspruch ein. Sie und ihr Ehemann müssten zur Erfüllung des Kinderwunsches ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das System der gesetzlichen Krankenversi-cherung sei bisher nicht in Anspruch genommen worden. Die bisher erfolgten drei Behandlungen seien durch sie selbst finanziert. Die selbstfinanzierten Versuche seien daher nicht auf die in der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses enthaltene Höchstzahl drei fehlgeschlagener Versuche anzurechnen. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Die Klägerin hat am 18. April 2012 Klage erhoben, zunächst mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 16. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. März 2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin gemäß den Vorgaben des § 27a SGB V und der Richtlinien über künstliche Befruchtung für die IVF/ICSI-Behandlung zu gewähren.
Ab dem 23. März 2012 (Datum der ersten Rechnung) führte die Klägerin bei den der behandelnden Ärzten R./T.-T. einen weiteren Versuch künstlicher Befruchtung im Wege intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (gemäß Nr. 10.5 Richtlinien über künstliche Befruchtung) durch. Der Versuch blieb, nach klinisch nachgewiesener Schwangerschaft, letztlich ohne Erfolg.
Für den Versuch entstanden insgesamt Kosten in Höhe von insgesamt 5.089,70 EUR (Rechnungen vom 23. März 2012, 30. März 2012, 13. April 2012, 4. Mai 2012, 16. Mai 2012, 2. Juni 2012, 5. Juni 2012 (drei Rechnungen), 22. Juni 2012, 6. Juli 2012, 13. August 2012, 17. August 2012, 17. September 2012 und 5. Oktober 2012), wobei hierbei Kosten für Kryokonservierung in Höhe von 1.098,34 EUR (Rechnung vom 5. Juni 2012) angefallen sind.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass es für eine Versuchsbegrenzung in der Realität keinen tatsächlichen medizinischen Hintergrund unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Erfolgsaussicht gebe. Aus dem Fehlschlagen von Behandlungsversuchen lasse sich nichts schließen. Die tatsächlichen Beweggründe der Leistungsbeschränkung seien rein finanzieller Natur. Entspre-chend habe das Sozialgericht Kiel festgestellt, dass Behandlungszyklen, die außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt worden seien, nicht mitzuzählen seien, wenn es darum geht, wie viele Versuche zulasten des gesetzlichen Krankenversiche-rungssystems durchzuführen sind.
Die Klägerin beantragt zuletzt, den Bescheid vom 16. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. März 2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.465,00 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Der gesetzlich vorgesehene Beschaffungsweg wurde bereits nicht eingehalten.
Die Krankenkasse darf an Stelle der grundsätzlich vorgesehenen Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch vorsieht (§ 13 Abs. 1 SGB V). Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung bereits entstandener Kosten – wie vorliegend – kommt allein § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Hiernach gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (1. Alternative) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (2. Alternative) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der ent-standenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (zu den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V im Einzelnen: BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V (Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse zu Unrecht) voraus, dass der Versicherte die Krankenkasse einschaltet und deren Entscheidung abwartet, bevor er sich die Leistung besorgt (vgl. bspw. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, B 1 KR 31/07 R, Rdnr. 16). Nur dann kommt überhaupt eine Kostenerstattung nach dieser Alternative in Betracht. Erforderlich ist eine Kausalität zwischen Ablehnung der Leistung und Selbstversorgung ("dadurch"). Der für einen Anspruch auf Kostenerstattung erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten ist vorliegend nicht gegeben.
Die Beklagte lehnte auf dem Antrag der Klägerin vom 28. Oktober 2011 auf Durchführung der geplanten Behandlungsmaßnahme "In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer" gemäß Nr. 10.3 Richtlinien über künstliche Befruchtung diese Leistung ab. Die Beklagte entschied mithin, dass ein Anspruch auf die begehrte Durchführung der In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer nicht bestünde.
Demgegenüber begehrt nunmehr die Klägerin die Kostenerstattung für eine andere tatsächlich durchgeführte Leistung, nämlich für eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion gemäß Nr. 10.5 Richtlinien über künstliche Befruchtung. Nach Ablehnung mit Bescheid vom 16. November 2011 erfolgte offenkundig aufgrund weitergehender diagnostischer Überlegungen seitens der behandelnden Ärzte die Entscheidung, statt der ursprünglich in Aussicht genommenen In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer (was grundsätzlich eine idiopathische Sterilität der Frau als medizinische Indikation voraussetzt (Nr. 11.3 Richtlinien über künstliche Befruchtung)) eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (wofür die medizinische Indikation der männlichen Fertilitätsstörung vorliegen muss (Nr. 11.5 Richtlinien über künstliche Befruchtung)) durchzuführen. Es handelt sich um eine grundsätzlich unterschiedliche Maßnahme. Gemäß Nr. 8 Richtlinien über künstliche Befruchtung dürfen die In-vitro-Fertilisation und intrazytoplasmatische Spermieninjektion aufgrund der differenzierten Indikationsstellung nur alter-nativ angewandt werden.
Dass die Beklagte (höchstwahrscheinlich) auch auf Vorlage eines neuen Behandlungsplans mit in Aussicht genommener Maßnahme der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion nach 10.5 Richtlinien über künstliche Befruchtung dies unter Berufung auf bereits dreimal erfolglos durchgeführte Versuche abgelehnt hätte, ändert nichts. Die Notwendigkeit zeigt sich auch bereits – wie vorliegend – an dem grundsätzlich unterschiedlichen Kostenumfang der in Aussicht genommen Maßnahmen. Gemäß § 27a Abs. 3 S. 3 SGB V besteht Anspruch auf Übernahme von 50 v.H. der im Behandlungsplan ausgewiesenen Kosten. Für den vorliegenden Fall der Durchführung einer In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer wären dies 1.465 EUR (bei 2.930 EUR laut Behandlungsplan). Tatsächlich wurde eine Maßnahme über (bei Abzug der nach den Vorschriften der GKV nicht zu erstattenden Kryokonservierung) 3.991,36 EUR durchgeführt. Es besteht, weil der Beschaffungsweg nicht eingehalten wurde, auch kein Anspruch auf Über-nahme auch nur der Kosten – wie beantragt – in Höhe von 1.465 EUR.
Unabhängig davon bestünde aber auch deswegen kein Anspruch auf Kostenerstattung, weil der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht weiter reicht als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 1 KR 24/06 R – juris, Rn. 11). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich diese Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbstbeschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG, SozR 4-2500 § 36 Nr. 2).
Gemäß § 27a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizi-nische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn 1. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, 2. nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist, 3. die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind, 4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und 5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a SGB V erteilt worden ist. Gemäß Abs. 3 Satz 3 der Vorschrift übernimmt die Krankenkasse 50 vom Hundert der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden.
Unabhängig von dem Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 27a SGB V bestand vorliegend bereits deswegen kein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf Maßnahmen künst-licher Befruchtung, weil bereits drei Mal – vor der hier in Frage stehenden Maßnahme im Jahr 2012 – Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ohne Erfolg durchgeführt worden waren (2008 und 2009).
Zu den Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zählen nach Auffassung des Gesetzgebers die intrazervikale, intrauterine oder intratubare Insemination ohne und mit vorausgehender Stimulation zur Polyovulation, die In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer und der intratubare Gamententransfer; die intrazytoplasmatische Spermieninjektion fällt als Form der IVF ebenfalls hierunter.
Vorliegend waren 2008 und 2009 drei Mal medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (intrazytoplasmatische Spermieninjektion) ohne Erfolg durchgeführt worden. "Ohne Erfolg" bezieht sich hierbei auf das Ausbleiben des Eintritts einer klinisch nachgewiesenen Schwangerschaft (Nr. 8 Richtlinien über künstliche Befruchtung). Bei den ersten drei Versuchen 2008 und 2009 kam es nicht zu einer klinisch nachgewiesenen Schwangerschaft.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind bei der Frage, ob bereits drei Versuche erfolglos durchgeführt wurden, auch diese Versuche zu berücksichtigen, die außerhalb des Systems der GKV auf eigene Kosten durchgeführt wurden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung BSG, Urteil vom 25. Juni 2009 – B 3 KR 9/08 R –, SozR 4-2500 § 27a Nr 9, SozR 4-1100 Art 3 Nr 53. Die Frage wurde ausdrücklich offen gelassen.
Die Auffassung des SG Kiel, S 3 KR 81/09, wird nicht geteilt. Der Wortlaut des § 27a SGB V ist eindeutig. Dass der Gesetzgeber bei der Änderung des 27a SGB V wirtschaftliche Ziele im Auge hatte, bedeutet nicht, dass damit Versuche außerhalb der GKV unberücksichtigt zu bleiben hätten. Auch diese geben Auskunft für die Wahrscheinlichkeit eines Befruchtungserfolges. Es ist im Kern Aufgabe des Gesetzgebers, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung festzulegen. Das entspricht dem Gesetzesvorbehalt nach § 31 Erstes Buch Gesetzbuch. Dem Gesetzgeber steht nicht nur die Prärogative, sondern auch ein Gestaltungsspielraum zu. Dass der vierte Versuch zu einer Schwangerschaft führte, ist nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht von Relevanz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Die Berufung ist zulässig, § 143 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nach § 27a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Die im März 1973 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie ist seit De-zember 2010 mit Herrn W. verheiratet. Herr W. ist ebenfalls bei der Beklagten krankenversichert. Sie sind ungewollt kinderlos. Eine eindeutige Diagnose ob bei der Klägerin Sterilität oder bei Herrn W. eine männliche Fertilitätsstörung vorliegt, besteht nicht.
Die Klägerin unternahm im November 2008 einen ersten Versuch künstlicher Befruchtung. Eine Befruchtung trat ein, jedoch keine Schwangerschaft. Die Klägerin unternahm im März 2009 einen zweiten Versuch künstlicher Befruchtung. Eine Befruchtung trat ein, jedoch keine Schwangerschaft.
Im September 2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Übernahme der Kosten für eine künstliche Befruchtung ab, weil die Klägerin und Herr W. (zum damaligen Zeitpunkt) nicht verheiratet waren.
Die Klägerin führte im September 2009 einen dritten Versuch künstlicher Befruchtung durch. Eine Befruchtung trat ein, jedoch keine Schwangerschaft.
Alle drei Versuche erfolgten durch intrazytoplasmatische Spermieninjektion (gemäß Nr. 10.5 der Richtlinien des Bundessauschuss der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (im Folgenden: Richtlinien über künstliche Befruchtung)).
Die Beklagte trug für keine dieser Versuche die Kosten in Höhe von 50%, weil die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme bereits deswegen nicht vorlagen, weil die Klägerin und Herr W. zum damaligen Zeitpunkt nicht miteinander verheiratet waren.
Am 28. Oktober 2011 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines auf denselben Tag datierten Behandlungsplans für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung der behandelnden Ärzte R./T.-T. als geplante Behandlungsmaßnahme die "In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer" gemäß Nr. 10.3 Richtlinien über künstliche Befruchtung. Als Gesamtsumme pro Zyklusfall wurden Kosten in Höhe von ca. 2.930 EUR angesetzt.
Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 16. November 2011 ab. Nach drei erfolglosen Versuchen könne eine weitere Behandlung durch die Krankenkasse nicht bezuschusst werden.
Mit Schreiben vom 25. November 2011 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 16. November 2011 Widerspruch ein. Sie und ihr Ehemann müssten zur Erfüllung des Kinderwunsches ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Das System der gesetzlichen Krankenversi-cherung sei bisher nicht in Anspruch genommen worden. Die bisher erfolgten drei Behandlungen seien durch sie selbst finanziert. Die selbstfinanzierten Versuche seien daher nicht auf die in der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses enthaltene Höchstzahl drei fehlgeschlagener Versuche anzurechnen. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Die Klägerin hat am 18. April 2012 Klage erhoben, zunächst mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 16. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. März 2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin gemäß den Vorgaben des § 27a SGB V und der Richtlinien über künstliche Befruchtung für die IVF/ICSI-Behandlung zu gewähren.
Ab dem 23. März 2012 (Datum der ersten Rechnung) führte die Klägerin bei den der behandelnden Ärzten R./T.-T. einen weiteren Versuch künstlicher Befruchtung im Wege intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (gemäß Nr. 10.5 Richtlinien über künstliche Befruchtung) durch. Der Versuch blieb, nach klinisch nachgewiesener Schwangerschaft, letztlich ohne Erfolg.
Für den Versuch entstanden insgesamt Kosten in Höhe von insgesamt 5.089,70 EUR (Rechnungen vom 23. März 2012, 30. März 2012, 13. April 2012, 4. Mai 2012, 16. Mai 2012, 2. Juni 2012, 5. Juni 2012 (drei Rechnungen), 22. Juni 2012, 6. Juli 2012, 13. August 2012, 17. August 2012, 17. September 2012 und 5. Oktober 2012), wobei hierbei Kosten für Kryokonservierung in Höhe von 1.098,34 EUR (Rechnung vom 5. Juni 2012) angefallen sind.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass es für eine Versuchsbegrenzung in der Realität keinen tatsächlichen medizinischen Hintergrund unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Erfolgsaussicht gebe. Aus dem Fehlschlagen von Behandlungsversuchen lasse sich nichts schließen. Die tatsächlichen Beweggründe der Leistungsbeschränkung seien rein finanzieller Natur. Entspre-chend habe das Sozialgericht Kiel festgestellt, dass Behandlungszyklen, die außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt worden seien, nicht mitzuzählen seien, wenn es darum geht, wie viele Versuche zulasten des gesetzlichen Krankenversiche-rungssystems durchzuführen sind.
Die Klägerin beantragt zuletzt, den Bescheid vom 16. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. März 2012 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.465,00 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Der gesetzlich vorgesehene Beschaffungsweg wurde bereits nicht eingehalten.
Die Krankenkasse darf an Stelle der grundsätzlich vorgesehenen Sach- oder Dienstleistung Kosten nur erstatten, soweit es das SGB V oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch vorsieht (§ 13 Abs. 1 SGB V). Als Anspruchsgrundlage für die Erstattung bereits entstandener Kosten – wie vorliegend – kommt allein § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Hiernach gilt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (1. Alternative) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (2. Alternative) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der ent-standenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (zu den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V im Einzelnen: BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 2/08 R).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. SGB V (Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse zu Unrecht) voraus, dass der Versicherte die Krankenkasse einschaltet und deren Entscheidung abwartet, bevor er sich die Leistung besorgt (vgl. bspw. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, B 1 KR 31/07 R, Rdnr. 16). Nur dann kommt überhaupt eine Kostenerstattung nach dieser Alternative in Betracht. Erforderlich ist eine Kausalität zwischen Ablehnung der Leistung und Selbstversorgung ("dadurch"). Der für einen Anspruch auf Kostenerstattung erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten ist vorliegend nicht gegeben.
Die Beklagte lehnte auf dem Antrag der Klägerin vom 28. Oktober 2011 auf Durchführung der geplanten Behandlungsmaßnahme "In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer" gemäß Nr. 10.3 Richtlinien über künstliche Befruchtung diese Leistung ab. Die Beklagte entschied mithin, dass ein Anspruch auf die begehrte Durchführung der In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer nicht bestünde.
Demgegenüber begehrt nunmehr die Klägerin die Kostenerstattung für eine andere tatsächlich durchgeführte Leistung, nämlich für eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion gemäß Nr. 10.5 Richtlinien über künstliche Befruchtung. Nach Ablehnung mit Bescheid vom 16. November 2011 erfolgte offenkundig aufgrund weitergehender diagnostischer Überlegungen seitens der behandelnden Ärzte die Entscheidung, statt der ursprünglich in Aussicht genommenen In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer (was grundsätzlich eine idiopathische Sterilität der Frau als medizinische Indikation voraussetzt (Nr. 11.3 Richtlinien über künstliche Befruchtung)) eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (wofür die medizinische Indikation der männlichen Fertilitätsstörung vorliegen muss (Nr. 11.5 Richtlinien über künstliche Befruchtung)) durchzuführen. Es handelt sich um eine grundsätzlich unterschiedliche Maßnahme. Gemäß Nr. 8 Richtlinien über künstliche Befruchtung dürfen die In-vitro-Fertilisation und intrazytoplasmatische Spermieninjektion aufgrund der differenzierten Indikationsstellung nur alter-nativ angewandt werden.
Dass die Beklagte (höchstwahrscheinlich) auch auf Vorlage eines neuen Behandlungsplans mit in Aussicht genommener Maßnahme der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion nach 10.5 Richtlinien über künstliche Befruchtung dies unter Berufung auf bereits dreimal erfolglos durchgeführte Versuche abgelehnt hätte, ändert nichts. Die Notwendigkeit zeigt sich auch bereits – wie vorliegend – an dem grundsätzlich unterschiedlichen Kostenumfang der in Aussicht genommen Maßnahmen. Gemäß § 27a Abs. 3 S. 3 SGB V besteht Anspruch auf Übernahme von 50 v.H. der im Behandlungsplan ausgewiesenen Kosten. Für den vorliegenden Fall der Durchführung einer In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer wären dies 1.465 EUR (bei 2.930 EUR laut Behandlungsplan). Tatsächlich wurde eine Maßnahme über (bei Abzug der nach den Vorschriften der GKV nicht zu erstattenden Kryokonservierung) 3.991,36 EUR durchgeführt. Es besteht, weil der Beschaffungsweg nicht eingehalten wurde, auch kein Anspruch auf Über-nahme auch nur der Kosten – wie beantragt – in Höhe von 1.465 EUR.
Unabhängig davon bestünde aber auch deswegen kein Anspruch auf Kostenerstattung, weil der in Betracht kommende Kostenerstattungsanspruch nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht weiter reicht als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 1 KR 24/06 R – juris, Rn. 11). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich diese Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbstbeschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSG, SozR 4-2500 § 36 Nr. 2).
Gemäß § 27a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizi-nische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn 1. diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind, 2. nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht nicht mehr, wenn die Maßnahme drei Mal ohne Erfolg durchgeführt worden ist, 3. die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind, 4. ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und 5. sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121a SGB V erteilt worden ist. Gemäß Abs. 3 Satz 3 der Vorschrift übernimmt die Krankenkasse 50 vom Hundert der mit dem Behandlungsplan genehmigten Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden.
Unabhängig von dem Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 27a SGB V bestand vorliegend bereits deswegen kein Sachleistungsanspruch der Klägerin auf Maßnahmen künst-licher Befruchtung, weil bereits drei Mal – vor der hier in Frage stehenden Maßnahme im Jahr 2012 – Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ohne Erfolg durchgeführt worden waren (2008 und 2009).
Zu den Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zählen nach Auffassung des Gesetzgebers die intrazervikale, intrauterine oder intratubare Insemination ohne und mit vorausgehender Stimulation zur Polyovulation, die In-vitro-Fertilisation mit Embryotransfer und der intratubare Gamententransfer; die intrazytoplasmatische Spermieninjektion fällt als Form der IVF ebenfalls hierunter.
Vorliegend waren 2008 und 2009 drei Mal medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (intrazytoplasmatische Spermieninjektion) ohne Erfolg durchgeführt worden. "Ohne Erfolg" bezieht sich hierbei auf das Ausbleiben des Eintritts einer klinisch nachgewiesenen Schwangerschaft (Nr. 8 Richtlinien über künstliche Befruchtung). Bei den ersten drei Versuchen 2008 und 2009 kam es nicht zu einer klinisch nachgewiesenen Schwangerschaft.
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind bei der Frage, ob bereits drei Versuche erfolglos durchgeführt wurden, auch diese Versuche zu berücksichtigen, die außerhalb des Systems der GKV auf eigene Kosten durchgeführt wurden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung BSG, Urteil vom 25. Juni 2009 – B 3 KR 9/08 R –, SozR 4-2500 § 27a Nr 9, SozR 4-1100 Art 3 Nr 53. Die Frage wurde ausdrücklich offen gelassen.
Die Auffassung des SG Kiel, S 3 KR 81/09, wird nicht geteilt. Der Wortlaut des § 27a SGB V ist eindeutig. Dass der Gesetzgeber bei der Änderung des 27a SGB V wirtschaftliche Ziele im Auge hatte, bedeutet nicht, dass damit Versuche außerhalb der GKV unberücksichtigt zu bleiben hätten. Auch diese geben Auskunft für die Wahrscheinlichkeit eines Befruchtungserfolges. Es ist im Kern Aufgabe des Gesetzgebers, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung festzulegen. Das entspricht dem Gesetzesvorbehalt nach § 31 Erstes Buch Gesetzbuch. Dem Gesetzgeber steht nicht nur die Prärogative, sondern auch ein Gestaltungsspielraum zu. Dass der vierte Versuch zu einer Schwangerschaft führte, ist nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht von Relevanz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
Die Berufung ist zulässig, § 143 SGG.
Rechtskraft
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