Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 2551/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 534/15
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Schließt die Einzugsstelle mit dem aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a Abs. 266a StGB haftenden Geschäftsführer eines Arbeitgebers, der Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht entrichtet hat, einen Vergleich, ohne zuvor Einvernehmen mit dem Rentenversicherungsträger hergestellt zu haben, so kann dieser Schadensersatz wegen Verletzung einer Pflicht aus dem bestehenden öffentlich-rechtlichen Treuhandverhältnis entsprechend § 280 Abs. 1 BGB verlangen.
Als Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB ist dabei der Betrag anzusehen, den der Rentenversicherungsträger hätte beanspruchen können, wenn der schadensersatzpflichtige Geschäftsführer den Schadensersatzanspruch vollständig gegenüber Einzugsstelle befriedigt hätte. Diese kann sich nicht darauf berufen, es sei deshalb kein Schaden entstanden, weil der titulierte Schadensersatzanspruch wegen Vermögenslosigkeit des Schadensersatzpflichtigen nicht durchsetzbar gewesen wäre.
Als Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB ist dabei der Betrag anzusehen, den der Rentenversicherungsträger hätte beanspruchen können, wenn der schadensersatzpflichtige Geschäftsführer den Schadensersatzanspruch vollständig gegenüber Einzugsstelle befriedigt hätte. Diese kann sich nicht darauf berufen, es sei deshalb kein Schaden entstanden, weil der titulierte Schadensersatzanspruch wegen Vermögenslosigkeit des Schadensersatzpflichtigen nicht durchsetzbar gewesen wäre.
Die Beklagten wird verurteilt, an die Klägerin 9.126,58 EUR zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Schadensersatzanspruch aufgrund eines ohne Einvernehmen der Klägerin von der Beklagten geschlossenen Vergleichs.
Die M. GmbH schuldete der Beklagten für den Zeitraum vom 1. Februar 1997 bis 31. Juli 1997 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 182.881,76 DM. Über die GmbH wurde im Oktober 1998 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet und am 13. Juni 2008 mangels weiterer kostendeckender Masse durch Beschluss des Amtsgerichts Stendal eingestellt; die GmbH ist im Handelsregister gelöscht; Zahlungen auf die genannten Forderungen erfolgten nicht.
Die beklagte Einzugsstelle nahm den Geschäftsführer der GmbH, Herrn U. M., auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt in Anspruch. Mit Versäumnisurteil vom 23. Januar 2002 verurteilte das Landgericht Stendal Herrn M. zur Zahlung von 88.561,18 DM (= 45.280,62 EUR). Zwischenzeitliche Vergleichsangebote des Schuldners, die auf 2,5 % der Summe gingen, lehnte die Beklagte ab. Verrechnungsersuchen an den klagenden Rentenversicherungsträger blieben erfolglos; der Schuldner gab mehrere eidesstattliche Versicherungen ab. Mit Beschluss des Amtsgerichts Celle vom 15. Dezember 2005 wurde über das Vermögen des Schuldners das (Privat-) Insolvenzverfahren eröffnet, das Ende 2011 bzw. Anfang 2012 mit einer Restschuldbefreiung endete. Die Beklagte hatte im Insolvenzverfahren die Forderung als Forderung aus unerlaubter Handlung angemeldet; hierbei erweiterte sie die Forderung um entstandene Kosten, so dass sich insgesamt 59.551,61 EUR ergaben. Dem widersprach der Schuldner. Auf die Klage der Beklagten stellte das Landgericht Stendal mit Urteil vom 29. Juni 2007 fest, dass der Widerspruch unbegründet gewesen sei.
Nach Aufforderung zur Zahlung teilte der Schuldner im März 2012 mit, dass er nicht in der Lage sei, Zahlungen auf die Forderung zu leisten. Evtl. könnten seine Eltern etwas leisten. Mit Schreiben vom 25. Mai 2012 schlug er einen Vergleich des Inhalts vor, dass er die Forderung in Höhe von 59.551,61 EUR nebst weiteren Kosten anerkenne, die Beklagte aber keine Ansprüche aus den Schuldtiteln herleite, soweit er eine Summe in Höhe von 7.000,- in Raten zahle. Mit der Zahlung der Raten seien alle Ansprüche zwischen den Parteien erledigt.
Die Beklagte bat sowohl die Klägerin (als zuständigen Rentenversicherungsträger) als auch die Agentur für Arbeit um Einvernehmen (Schreiben vom 2. Mai 2012). Ohne dass ein schriftliches Einvernehmen erteilte wurde, stimmte sie dann am 4. Juni 2012 dem Vergleichsvorschlag zu. Mit Schreiben vom 4. Juni 2012 versagte die Klägerin und mit Schreiben vom 4. Juli 2012 die Agentur für Arbeit das Einvernehmen.
Mit der am 4. März 2013 erhobenen Klage begehrt die Klägerin wegen des ohne ihr Einvernehmen geschlossenen Vergleichs Schadensersatz. Aufgrund eines bestehenden Treuhandverhältnisses sei die Beklagte verpflichtet gewesen, nach § 76 Abs. 4 des Vierten Sozialgesetzbuchs (SGB IV) ihr Einvernehmen herzustellen. Diese Pflicht habe sie verletzt. Sofern die Schadensersatzforderung vollständig erfüllt worden wäre, hätten der Deutschen Rentenversicherung hieraus insgesamt 18.238,34 EUR zugestanden; nach dem für 2012 geltenden Verteilungsschlüssel nach § 28k SGB IV entfielen auf sie 54,427 %, das seien 9.926,58 EUR. Die Beklagte könne dem auch nicht eine fehlende Durchsetzbarkeit der Forderung entgegenhalten. Denn der Schuldner sei noch jung gewesen und habe noch Geld verdienen können. Außerdem verfüge er über Rentenansprüche, die ggf. gepfändet werden könnten. Auch seien Ansprüche aus deliktischer Haftung leichter zu pfänden.
Die Klägerin beantragt,
zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 9.926,58 EUR an sie zu verurteilen,
hilfsweise
festzustellen, dass die Beklagte in Anwendung von § 76 Abs. 4 S. 2 SGB IV einen Vergleich über im Rahmen der Geschäftsführerhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a StGB geschuldete Arbeitnehmeranteile, deren Höhe die Bezugsgröße übersteigt, nur im Einvernehmen mit den beteiligten Trägern der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit schließen darf.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das Einvernehmen sei nicht erforderlich gewesen, weil von § 76 Abs. 4 SGB IV nur Ansprüche auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge erfasst werden, es sich hier aber um einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gehandelt habe. Darüber hinaus sei auch der Schaden nicht entstanden, da die Durchsetzbarkeit der Forderung nicht gegeben gewesen sei. Denn der Schuldner habe, nachdem er das Insolvenzverfahren durchlaufen habe, über keine Vermögenswerte verfügt. Sein Nettoeinkommen habe nur 985,- EUR betragen.
Entscheidungsgründe:
Die erhobene echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG (SGG) ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 9.926,58 EUR in entsprechender Anwendung des § 280 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) aufgrund einer sich aus einem treuhandähnlichen Rechtsverhältnis ergebenden Nebenpflicht in entsprechender Anwendung des § 76 Abs. 4 Satz 2 SGB IV. Da die Klage somit mit dem Hauptantrag Erfolg hat, war über den Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden.
Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
1.
Der entsprechenden Anwendung des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB steht zunächst nicht entgegen, dass mit § 28r Abs. 1 S. 1 SGB IV eine abschließende Regelung über einen Schadensersatzanspruch bestehen könnte, deren Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sind.
Nach § 28r Abs. 1 S. 1 SGB IV haftet die Einzugsstelle unter anderem dem Träger der Rentenversicherung für einen diesem zugefügten Schaden, wenn ein Organ oder Bediensteter der Einzugsstelle schuldhaft eine nach dem dritten Abschnitt des SGB IV auferlegte Pflicht verletzt. Da die Vorschrift nach ihrem Wortlaut aber allein Pflichten nach dem dritten Abschnitt des SGB IV, nicht aber solche aus § 76 SGB IV betrifft (vgl. SG Neubrandenburg, Urteil vom 3. Juli 2003, S 4 KR 53/01, zitiert nach juris; Segebrecht in jurisPK-SGB IV, § 76 Rn. 24), wäre eine Haftung wegen Verletzung der Herstellung des Einvernehmens nach § 76 Abs. 4 S. 2 SGB IV bzw. nach dessen Rechtsgedanken nicht gegeben. § 28r SGB IV schließt es jedoch nicht aus, dass die Einzugsstelle wegen Verletzung einer anderen in dem Rechtsverhältnis bestehenden Pflicht, die sich nicht aus dem dritten Abschnitt des SGB IV ergibt, haftet (vgl. Mette in Beck´scher Online-Kommentar, zum Sozialrecht, Stand 1. September 2015, SGB IV § 28r, Rn. 3 m.w.N, der jedoch eine Haftung bei Verletzung anderer Pflichten entgegen dem Wortlaut des § 28r Abs. 1 SGB IV dennoch nach dieser Vorschrift annimmt). Zwar wird in der Rechtsprechung § 28r Abs. 1 SGB IV teilweise als abschließende Anspruchsgrundlage von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung einer der Einzugsstelle obliegenden Pflicht angesehen (Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 20. März 1996, L 15 KR 59/93, zitiert nach juris). Jedoch kann dies nach Auffassung der Kammer nicht überzeugen. Denn § 28r SGB IV knüpft an die zuvor beschriebenen Hauptpflichten nach den §§ 28a ff SGB IV an und will deren Verletzung sanktionieren. Es ist aber nicht ersichtlich, dass damit die Sanktionierung der Verletzung weiterer, sich aus anderen Vorschriften ergebenden Pflichten ausgeschlossen werden soll. Das Treuhandverhältnis, das zwischen der Einzugsstelle und dem Rentenversicherungsträger besteht, geht über den Hauptpflichtenkreis bei der Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags weit hinaus (siehe unter 2). Eine Verletzung einer bestehenden Nebenpflicht muss dann aber nach allgemeinen Regeln zur Schadensersatzpflicht führen.
2.
Zwischen der Klägerin und der Beklagten liegt ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis vor.
Zwischen der Einzugsstelle und dem Rentenversicherungsträger besteht ein Treuhandverhältnis, mit dem die Einzugsstelle Inhaberin der Beitragsforderung gegenüber den Beitragsschuldnerin (Arbeitgebern) ist, die Beitragsforderung jedoch im Innenverhältnis zum Rentenversicherungsträger ein für die Einzugsstelle fremdes Recht bleibt (Bundessozialgericht, Urteil vom 22. September 1993,12 RK 16/91, zitiert nach juris). Insgesamt gesehen ist das Treuhandverhältnis ähnlich einer entgeltlichen Geschäftsbesorgung des Zivilrechts ausgestaltet (§ 675 BGB; vergleiche BSG, a.a.O.). Zwar geht es bei dem hier in Rede stehenden Anspruch nicht darum, dass die Beklagte einen Vergleich über die Beitragsforderung mit dem Arbeitgeber als Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (§ 28d SGB IV) geschlossen hat. Denn Gegenstand des mit dem ehemaligen Geschäftsführer des Arbeitgebers geschlossenen Vergleichs war der gegen ihn entstandene Schadensersatzanspruch aus (bürgerlich-rechtlicher) deliktischer Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266a StGB. Das öffentlich-rechtliche Treuhandverhältnis zum Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags setzt sich jedoch, soweit an die Stelle des Beitragsanspruchs der Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB tritt, fort. Denn soweit der Schaden im Rahmen des von der Beklagten gegen den Geschäftsführer des Arbeitgebers geltend gemachte Schadensersatzanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266a StGB durch die Verkürzung des Rentenversicherungsbeitrags begründet wurde, handelt es sich um eine Drittschadensliquidation (OLG Rostock, Urteil vom 16. Juni 1997,1 W 47/96, zitiert nach juris), d.h., die Beklagte war legitimiert den bei der Klägerin eingetretenen Schaden geltend zu machen. Da jedoch ein Schaden erst dann eintritt, wenn der eigentliche Beitragsanspruch nicht erfüllt wird und somit der Schadensersatzanspruch an die Stelle des Beitragsanspruchs tritt, kann auch das Rechtsverhältnis zwischen der Einzugsstelle und dem Rentenversicherungsträger nicht mit dem Untergang des Beitragsanspruchs enden, sondern setzt sich bei der Liquidation des bei der Klägerin entstandenen Schadens fort. Daher umfasst das öffentlich-rechtliche Treuhandverhältnis auch die Abwicklung des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs.
3.
In diesem Treuhandverhältnis hatte die Beklagte die Pflicht, vor Abschluss eines Vergleichs das Einvernehmen mit dem beteiligten Träger der Rentenversicherung herzustellen. Diese Verpflichtung ergibt sich zwar nicht aus der unmittelbaren Anwendung des § 76 Abs. 4 Satz 2 SGB IV, sondern allein aus dessen Rechtsgedanken.
Die Einzugsstelle kann gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 SGB IV einen Vergleich über rückständige Beitragsansprüche schließen, wenn dies für die Einzugsstelle, die beteiligten Träger der Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit wirtschaftlich und zweckmäßig ist. Nach Satz 2 der Vorschrift darf die Einzugsstelle den Vergleich über rückständige Beitragsansprüche, deren Höhe die Bezugsgröße insgesamt übersteigt, nur im Einvernehmen mit den beteiligten Trägern der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit schließen. Die Vorschrift gilt entsprechend ihrem Wortlaut allein für rückständige Beitragsansprüche, nicht jedoch für andere Ansprüche, die die Einzugsstelle hat. Dies ergibt sich bereits aus der nach § 76 SGB IV vorgenommenen Differenzierung. Während § 76 Abs. 2 SGB IV allgemein von "Ansprüchen" spricht, werden von 76 Abs. 3 SGB IV "Ansprüche auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag" erfasst und von § 76 Abs. 4 SGB IV allein "rückständige Beitragsansprüche". Aufgrund der sehr genau differenzierenden Regelungen des § 76 SGB IV muss insoweit nach dem entsprechenden Wortlaut ein Einvernehmen mit dem Träger der Rentenversicherung grundsätzlich nur bei einem Vergleich über einen rückständigen Beitragsanspruch hergestellt werden, nicht aber, wenn es sich um andere Einnahmen handelt. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, handelt es sich hier nicht um einen Beitragsanspruch, sondern um zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, die an die Stelle des Beitragsanspruches treten.
Dennoch bestand die Pflicht, Einvernehmen mit der Klägerin herzustellen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: In dem Treuhandverhältnis, das einer entgeltlichen Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB ähnlich ist, bestehen weitreichende Treue- und Interessenwahrungspflichten. Aus der Fremdnützigkeit der vom Beauftragten geschuldeten Tätigkeit folgt, dass er dem Auftraggeber zur Loyalität verpflichtet ist; dies bedeutet, dass der Beauftragte die ihm bekannten Interessen des Auftraggebers wahrzunehmen hat und hierbei unter den gegebenen Umständen und bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt den größtmöglichen Nutzen für den Auftraggeber anzustreben hat (vgl. Berger in Ermann, Kommentar zum BGB, 14. Auflage, § 662, Rn. 16). Wenn aber für den primären Beitragsanspruchs § 76 Abs. 4 SGB IV vorsieht, dass ein Vergleich nur im Einvernehmen mit dem Träger der Rentenversicherung zulässig ist, wäre es widersprüchlich, wenn in dem sekundären Rechtsverhältnis, gerichtet auf Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs, eine Beteiligung des Rentenversicherungsträgers nicht mehr erforderlich wäre. Denn der Schadensersatzanspruch wird gerade erst dadurch begründet, dass der Beitragsanspruch nicht verwirklicht werden kann. Da insoweit zwar keine rechtliche, wohl aber eine wirtschaftliche Identität der beiden Ansprüche vorliegt, müssen auch ähnliche bzw. gleiche Pflichten in den jeweiligen Rechtsverhältnissen bestehen. Dies gilt umso mehr, als dass – wie oben ausgeführt – das öffentlich-rechtliche Treuhandverhältnis sich, auch wenn der Beitragsanspruch untergangen ist, bei der Liquidation des Schadensersatzanspruchs fortsetzt.
4.
Die Verpflichtung, vor Abschluss eines Vergleiches ein Einvernehmen mit der Klägerin herzustellen, hat die Beklagte verletzt, weil sie mit dem ehemaligen Geschäftsführer des Arbeitgebers einen Vergleich geschlossen hat, mit dem in einem erheblichen Umfang auf den titulierten Schadensersatzanspruch verzichtet wurde, ohne dass die Klägerin hierzu sich einvernehmend geäußert hat.
5.
Die Beklagte hat daher der Klägerin den durch die Pflichtverletzung entstandenen Schaden zu ersetzen (entsprechend § 249 Abs. 1 BGB). Als solcher ist der Betrag anzusehen, den die Klägerin hätte beanspruchen können, wenn der Schadensersatzpflichtige den Schadensersatzanspruch vollständig gegenüber der Beklagten befriedigt hätte.
Die Klägerin hatte vor Abschluss des Vergleiches gegen die Beklagte aus dem Treuhandverhältnis einen Anspruch entsprechend § 667 BGB auf Abtretung der Schadensersatzforderung bzw. - nach Liquidation des Schadens - auf Herausgabe des Erlangten. In Höhe der Klageforderung ist dieser Anspruch auf Abtretung durch Abschluss des Vergleichs untergegangen bzw. ein Herausgabeanspruch kann nicht mehr entstehen. In der Höhe des Werts der Forderung, die nicht mehr abgetreten oder nicht mehr realisiert werden kann, ist der Klägerin der Schaden entstanden.
In diesem Zusammenhang kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, der Klägerin sei deshalb kein Schaden entstanden, weil der titulierte Schadensersatzanspruch wegen Vermögenslosigkeit des Schadensersatzpflichtigen nicht durchsetzbar gewesen wäre. Dies ist für die nach dem Schutzzweck der Norm zu beantwortende Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, nicht von Bedeutung.
Die Einzugsstelle darf einen Vergleich (über rückständige Beitragsansprüche) gemäß § 76 Abs. 4 S.1 SGB IV nur dann schließen, wenn dies wirtschaftlich und zweckmäßig ist. Bei dieser Beurteilung sind außer den Kosten auch Dauer und Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Auseinandersetzung gegen die Höhe des realisierbaren Anspruchs abzuwägen (Brandt in Kreikebohm, Kommentar zum SGB IV, 2. Auflage Rn. 28). Weiterhin ist auch die Höhe der aufgegebenen Forderung zu berücksichtigten (von Boetticher, jurisPK-SGBIV, 2. Auflage, Rn. 43) und es müssen der Grad der Ungewissheit sowie die erzielte Vergleichsquote in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen (Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung, § 76 SGB IV, Rn. 22). Die Entscheidung über einen Vergleichsschluss setzt daher eine sorgfältige Ermittlung des Sachverhalts voraus und mündet in einem komplexeren Abwägungs- und Beurteilungsvorgang, an dessen Ende immer eine Prognose und eine wertende Entscheidung stehen, die je nach Standpunkt unterschiedlich ausfallen können. Wenn § 76 Abs. 4 S. 2 SGB IV dann bestimmt, dass vor einem Vergleichsschluss ein Einvernehmen mit den anderen betroffenen Sozialversicherungsträgern herzustellen ist, soll dies sicherstellen, dass diese ebenfalls die erforderliche Abwägung vornehmen bzw. nachvollziehen können. Der Vergleichsschluss ist damit nur dann möglich, wenn alle Sozialversicherungsträger die Abwägung mit gleichem Ergebnis vornehmen, also keine unterschiedlichen "Risikoabwägungen" vorgenommen werden.
Wird die Pflicht zur Herstellung des Einvernehmens dagegen verletzt, kann der Betroffene Sozialversicherungsträger keine eigene Abwägung mehr vornehmen. Unter Berücksichtigung dieses Schutzzwecks wäre es deshalb widersprüchlich, wenn bei Ermittlung des Schadens sich die Beklagte auf ihre eigene Abwägung stützen könnte, die ja wegen der Einvernehmenspflicht gerade nicht die anderen Sozialversicherungsträger binden soll. Die Einvernehmenspflicht soll die anderen Sozialversicherungsträger gerade vor für sie ungünstigen Vergleichen schützen, die sie, weil sie das Risiko der Nichtdurchsetzbarkeit der Forderung anders einschätzen, nicht geschlossen hätten. Dann aber muss bei Ermittlung des Schadens unberücksichtigt bleiben, ob die Prognose der Einzugsstelle sich im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit der Forderung als zutreffend darstellt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob dies auch dann gilt, wenn unzweifelhaft feststeht, dass der Schuldner nicht mehr hätte leisten können. Um einen solchen Fall, in dem dieses Ergebnis klar auf der Hand liegt, handelt es sich hier dagegen nicht. Denn die Beklagte hat zum einen den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Sie hat ihre Abwägung allein auf eine Einkommensbescheinigung für einen einzelnen Monat gestützt, ohne eine umfassende Vermögens- und Erwerbseinkunft des gerade mal 50-jährigen Schuldners einzuholen. Da – wie die Klägerin zu Recht ausführt, der Anspruch aus unerlaubter Handlung erst in 30 Jahren verjährt (§ BGB), wäre z.B. auch zu berücksichtigen gewesen, ob bei dem Schuldner eine Erbschaft zu erwarten ist. Denn immerhin hat seine Mutter die Vergleichssumme übernommen, so dass möglichweise auch hier noch Vermögenswerte zufließen können. Darüber hinaus ist in Anbetracht der Dauer und der entstandenen Höhe der Kosten der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs auch die Zweckmäßigkeit zweifelhaft. Es macht kaum Sinn, dass die Beklagte zunächst erhebliche Kosten auf sich nimmt, um dann einen Vergleich zu schließen, der nicht einmal die entstandenen Kosten deckt.
6.
Die Höhe des Schadensersatzanspruchs ergibt sich konkret daraus, dass nach Mitteilung der Beklagten an die Klägerin vom 7. Juni 2013 der auf die Rentenversicherung entfallende Anteil der "Restschuld nach Vergleichsabschluss" 18.238,34 EUR beträgt. Da hiervon nach dem für 2012 geltenden Verteilungsschlüssel 54,427 % auf sie entfielen, ergibt sich die Klageforderung in Höhe von 9.926,58 EUR. Hiergegen hat die Beklagte keine Einwände vorgebracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf Anwendung des §§ 197a SGG, 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung und berücksichtigt, dass die Klage erfolgreich war.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Schadensersatzanspruch aufgrund eines ohne Einvernehmen der Klägerin von der Beklagten geschlossenen Vergleichs.
Die M. GmbH schuldete der Beklagten für den Zeitraum vom 1. Februar 1997 bis 31. Juli 1997 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 182.881,76 DM. Über die GmbH wurde im Oktober 1998 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet und am 13. Juni 2008 mangels weiterer kostendeckender Masse durch Beschluss des Amtsgerichts Stendal eingestellt; die GmbH ist im Handelsregister gelöscht; Zahlungen auf die genannten Forderungen erfolgten nicht.
Die beklagte Einzugsstelle nahm den Geschäftsführer der GmbH, Herrn U. M., auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt in Anspruch. Mit Versäumnisurteil vom 23. Januar 2002 verurteilte das Landgericht Stendal Herrn M. zur Zahlung von 88.561,18 DM (= 45.280,62 EUR). Zwischenzeitliche Vergleichsangebote des Schuldners, die auf 2,5 % der Summe gingen, lehnte die Beklagte ab. Verrechnungsersuchen an den klagenden Rentenversicherungsträger blieben erfolglos; der Schuldner gab mehrere eidesstattliche Versicherungen ab. Mit Beschluss des Amtsgerichts Celle vom 15. Dezember 2005 wurde über das Vermögen des Schuldners das (Privat-) Insolvenzverfahren eröffnet, das Ende 2011 bzw. Anfang 2012 mit einer Restschuldbefreiung endete. Die Beklagte hatte im Insolvenzverfahren die Forderung als Forderung aus unerlaubter Handlung angemeldet; hierbei erweiterte sie die Forderung um entstandene Kosten, so dass sich insgesamt 59.551,61 EUR ergaben. Dem widersprach der Schuldner. Auf die Klage der Beklagten stellte das Landgericht Stendal mit Urteil vom 29. Juni 2007 fest, dass der Widerspruch unbegründet gewesen sei.
Nach Aufforderung zur Zahlung teilte der Schuldner im März 2012 mit, dass er nicht in der Lage sei, Zahlungen auf die Forderung zu leisten. Evtl. könnten seine Eltern etwas leisten. Mit Schreiben vom 25. Mai 2012 schlug er einen Vergleich des Inhalts vor, dass er die Forderung in Höhe von 59.551,61 EUR nebst weiteren Kosten anerkenne, die Beklagte aber keine Ansprüche aus den Schuldtiteln herleite, soweit er eine Summe in Höhe von 7.000,- in Raten zahle. Mit der Zahlung der Raten seien alle Ansprüche zwischen den Parteien erledigt.
Die Beklagte bat sowohl die Klägerin (als zuständigen Rentenversicherungsträger) als auch die Agentur für Arbeit um Einvernehmen (Schreiben vom 2. Mai 2012). Ohne dass ein schriftliches Einvernehmen erteilte wurde, stimmte sie dann am 4. Juni 2012 dem Vergleichsvorschlag zu. Mit Schreiben vom 4. Juni 2012 versagte die Klägerin und mit Schreiben vom 4. Juli 2012 die Agentur für Arbeit das Einvernehmen.
Mit der am 4. März 2013 erhobenen Klage begehrt die Klägerin wegen des ohne ihr Einvernehmen geschlossenen Vergleichs Schadensersatz. Aufgrund eines bestehenden Treuhandverhältnisses sei die Beklagte verpflichtet gewesen, nach § 76 Abs. 4 des Vierten Sozialgesetzbuchs (SGB IV) ihr Einvernehmen herzustellen. Diese Pflicht habe sie verletzt. Sofern die Schadensersatzforderung vollständig erfüllt worden wäre, hätten der Deutschen Rentenversicherung hieraus insgesamt 18.238,34 EUR zugestanden; nach dem für 2012 geltenden Verteilungsschlüssel nach § 28k SGB IV entfielen auf sie 54,427 %, das seien 9.926,58 EUR. Die Beklagte könne dem auch nicht eine fehlende Durchsetzbarkeit der Forderung entgegenhalten. Denn der Schuldner sei noch jung gewesen und habe noch Geld verdienen können. Außerdem verfüge er über Rentenansprüche, die ggf. gepfändet werden könnten. Auch seien Ansprüche aus deliktischer Haftung leichter zu pfänden.
Die Klägerin beantragt,
zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 9.926,58 EUR an sie zu verurteilen,
hilfsweise
festzustellen, dass die Beklagte in Anwendung von § 76 Abs. 4 S. 2 SGB IV einen Vergleich über im Rahmen der Geschäftsführerhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a StGB geschuldete Arbeitnehmeranteile, deren Höhe die Bezugsgröße übersteigt, nur im Einvernehmen mit den beteiligten Trägern der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit schließen darf.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das Einvernehmen sei nicht erforderlich gewesen, weil von § 76 Abs. 4 SGB IV nur Ansprüche auf Gesamtsozialversicherungsbeiträge erfasst werden, es sich hier aber um einen zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gehandelt habe. Darüber hinaus sei auch der Schaden nicht entstanden, da die Durchsetzbarkeit der Forderung nicht gegeben gewesen sei. Denn der Schuldner habe, nachdem er das Insolvenzverfahren durchlaufen habe, über keine Vermögenswerte verfügt. Sein Nettoeinkommen habe nur 985,- EUR betragen.
Entscheidungsgründe:
Die erhobene echte Leistungsklage im Sinne des § 54 Abs. 5 SGG (SGG) ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 9.926,58 EUR in entsprechender Anwendung des § 280 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) aufgrund einer sich aus einem treuhandähnlichen Rechtsverhältnis ergebenden Nebenpflicht in entsprechender Anwendung des § 76 Abs. 4 Satz 2 SGB IV. Da die Klage somit mit dem Hauptantrag Erfolg hat, war über den Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden.
Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
1.
Der entsprechenden Anwendung des § 280 Abs. 1 S. 1 BGB steht zunächst nicht entgegen, dass mit § 28r Abs. 1 S. 1 SGB IV eine abschließende Regelung über einen Schadensersatzanspruch bestehen könnte, deren Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sind.
Nach § 28r Abs. 1 S. 1 SGB IV haftet die Einzugsstelle unter anderem dem Träger der Rentenversicherung für einen diesem zugefügten Schaden, wenn ein Organ oder Bediensteter der Einzugsstelle schuldhaft eine nach dem dritten Abschnitt des SGB IV auferlegte Pflicht verletzt. Da die Vorschrift nach ihrem Wortlaut aber allein Pflichten nach dem dritten Abschnitt des SGB IV, nicht aber solche aus § 76 SGB IV betrifft (vgl. SG Neubrandenburg, Urteil vom 3. Juli 2003, S 4 KR 53/01, zitiert nach juris; Segebrecht in jurisPK-SGB IV, § 76 Rn. 24), wäre eine Haftung wegen Verletzung der Herstellung des Einvernehmens nach § 76 Abs. 4 S. 2 SGB IV bzw. nach dessen Rechtsgedanken nicht gegeben. § 28r SGB IV schließt es jedoch nicht aus, dass die Einzugsstelle wegen Verletzung einer anderen in dem Rechtsverhältnis bestehenden Pflicht, die sich nicht aus dem dritten Abschnitt des SGB IV ergibt, haftet (vgl. Mette in Beck´scher Online-Kommentar, zum Sozialrecht, Stand 1. September 2015, SGB IV § 28r, Rn. 3 m.w.N, der jedoch eine Haftung bei Verletzung anderer Pflichten entgegen dem Wortlaut des § 28r Abs. 1 SGB IV dennoch nach dieser Vorschrift annimmt). Zwar wird in der Rechtsprechung § 28r Abs. 1 SGB IV teilweise als abschließende Anspruchsgrundlage von Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung einer der Einzugsstelle obliegenden Pflicht angesehen (Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 20. März 1996, L 15 KR 59/93, zitiert nach juris). Jedoch kann dies nach Auffassung der Kammer nicht überzeugen. Denn § 28r SGB IV knüpft an die zuvor beschriebenen Hauptpflichten nach den §§ 28a ff SGB IV an und will deren Verletzung sanktionieren. Es ist aber nicht ersichtlich, dass damit die Sanktionierung der Verletzung weiterer, sich aus anderen Vorschriften ergebenden Pflichten ausgeschlossen werden soll. Das Treuhandverhältnis, das zwischen der Einzugsstelle und dem Rentenversicherungsträger besteht, geht über den Hauptpflichtenkreis bei der Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags weit hinaus (siehe unter 2). Eine Verletzung einer bestehenden Nebenpflicht muss dann aber nach allgemeinen Regeln zur Schadensersatzpflicht führen.
2.
Zwischen der Klägerin und der Beklagten liegt ein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis vor.
Zwischen der Einzugsstelle und dem Rentenversicherungsträger besteht ein Treuhandverhältnis, mit dem die Einzugsstelle Inhaberin der Beitragsforderung gegenüber den Beitragsschuldnerin (Arbeitgebern) ist, die Beitragsforderung jedoch im Innenverhältnis zum Rentenversicherungsträger ein für die Einzugsstelle fremdes Recht bleibt (Bundessozialgericht, Urteil vom 22. September 1993,12 RK 16/91, zitiert nach juris). Insgesamt gesehen ist das Treuhandverhältnis ähnlich einer entgeltlichen Geschäftsbesorgung des Zivilrechts ausgestaltet (§ 675 BGB; vergleiche BSG, a.a.O.). Zwar geht es bei dem hier in Rede stehenden Anspruch nicht darum, dass die Beklagte einen Vergleich über die Beitragsforderung mit dem Arbeitgeber als Schuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (§ 28d SGB IV) geschlossen hat. Denn Gegenstand des mit dem ehemaligen Geschäftsführer des Arbeitgebers geschlossenen Vergleichs war der gegen ihn entstandene Schadensersatzanspruch aus (bürgerlich-rechtlicher) deliktischer Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266a StGB. Das öffentlich-rechtliche Treuhandverhältnis zum Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags setzt sich jedoch, soweit an die Stelle des Beitragsanspruchs der Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB tritt, fort. Denn soweit der Schaden im Rahmen des von der Beklagten gegen den Geschäftsführer des Arbeitgebers geltend gemachte Schadensersatzanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266a StGB durch die Verkürzung des Rentenversicherungsbeitrags begründet wurde, handelt es sich um eine Drittschadensliquidation (OLG Rostock, Urteil vom 16. Juni 1997,1 W 47/96, zitiert nach juris), d.h., die Beklagte war legitimiert den bei der Klägerin eingetretenen Schaden geltend zu machen. Da jedoch ein Schaden erst dann eintritt, wenn der eigentliche Beitragsanspruch nicht erfüllt wird und somit der Schadensersatzanspruch an die Stelle des Beitragsanspruchs tritt, kann auch das Rechtsverhältnis zwischen der Einzugsstelle und dem Rentenversicherungsträger nicht mit dem Untergang des Beitragsanspruchs enden, sondern setzt sich bei der Liquidation des bei der Klägerin entstandenen Schadens fort. Daher umfasst das öffentlich-rechtliche Treuhandverhältnis auch die Abwicklung des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs.
3.
In diesem Treuhandverhältnis hatte die Beklagte die Pflicht, vor Abschluss eines Vergleichs das Einvernehmen mit dem beteiligten Träger der Rentenversicherung herzustellen. Diese Verpflichtung ergibt sich zwar nicht aus der unmittelbaren Anwendung des § 76 Abs. 4 Satz 2 SGB IV, sondern allein aus dessen Rechtsgedanken.
Die Einzugsstelle kann gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 SGB IV einen Vergleich über rückständige Beitragsansprüche schließen, wenn dies für die Einzugsstelle, die beteiligten Träger der Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit wirtschaftlich und zweckmäßig ist. Nach Satz 2 der Vorschrift darf die Einzugsstelle den Vergleich über rückständige Beitragsansprüche, deren Höhe die Bezugsgröße insgesamt übersteigt, nur im Einvernehmen mit den beteiligten Trägern der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit schließen. Die Vorschrift gilt entsprechend ihrem Wortlaut allein für rückständige Beitragsansprüche, nicht jedoch für andere Ansprüche, die die Einzugsstelle hat. Dies ergibt sich bereits aus der nach § 76 SGB IV vorgenommenen Differenzierung. Während § 76 Abs. 2 SGB IV allgemein von "Ansprüchen" spricht, werden von 76 Abs. 3 SGB IV "Ansprüche auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag" erfasst und von § 76 Abs. 4 SGB IV allein "rückständige Beitragsansprüche". Aufgrund der sehr genau differenzierenden Regelungen des § 76 SGB IV muss insoweit nach dem entsprechenden Wortlaut ein Einvernehmen mit dem Träger der Rentenversicherung grundsätzlich nur bei einem Vergleich über einen rückständigen Beitragsanspruch hergestellt werden, nicht aber, wenn es sich um andere Einnahmen handelt. Wie die Beklagte zu Recht ausführt, handelt es sich hier nicht um einen Beitragsanspruch, sondern um zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, die an die Stelle des Beitragsanspruches treten.
Dennoch bestand die Pflicht, Einvernehmen mit der Klägerin herzustellen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: In dem Treuhandverhältnis, das einer entgeltlichen Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB ähnlich ist, bestehen weitreichende Treue- und Interessenwahrungspflichten. Aus der Fremdnützigkeit der vom Beauftragten geschuldeten Tätigkeit folgt, dass er dem Auftraggeber zur Loyalität verpflichtet ist; dies bedeutet, dass der Beauftragte die ihm bekannten Interessen des Auftraggebers wahrzunehmen hat und hierbei unter den gegebenen Umständen und bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt den größtmöglichen Nutzen für den Auftraggeber anzustreben hat (vgl. Berger in Ermann, Kommentar zum BGB, 14. Auflage, § 662, Rn. 16). Wenn aber für den primären Beitragsanspruchs § 76 Abs. 4 SGB IV vorsieht, dass ein Vergleich nur im Einvernehmen mit dem Träger der Rentenversicherung zulässig ist, wäre es widersprüchlich, wenn in dem sekundären Rechtsverhältnis, gerichtet auf Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs, eine Beteiligung des Rentenversicherungsträgers nicht mehr erforderlich wäre. Denn der Schadensersatzanspruch wird gerade erst dadurch begründet, dass der Beitragsanspruch nicht verwirklicht werden kann. Da insoweit zwar keine rechtliche, wohl aber eine wirtschaftliche Identität der beiden Ansprüche vorliegt, müssen auch ähnliche bzw. gleiche Pflichten in den jeweiligen Rechtsverhältnissen bestehen. Dies gilt umso mehr, als dass – wie oben ausgeführt – das öffentlich-rechtliche Treuhandverhältnis sich, auch wenn der Beitragsanspruch untergangen ist, bei der Liquidation des Schadensersatzanspruchs fortsetzt.
4.
Die Verpflichtung, vor Abschluss eines Vergleiches ein Einvernehmen mit der Klägerin herzustellen, hat die Beklagte verletzt, weil sie mit dem ehemaligen Geschäftsführer des Arbeitgebers einen Vergleich geschlossen hat, mit dem in einem erheblichen Umfang auf den titulierten Schadensersatzanspruch verzichtet wurde, ohne dass die Klägerin hierzu sich einvernehmend geäußert hat.
5.
Die Beklagte hat daher der Klägerin den durch die Pflichtverletzung entstandenen Schaden zu ersetzen (entsprechend § 249 Abs. 1 BGB). Als solcher ist der Betrag anzusehen, den die Klägerin hätte beanspruchen können, wenn der Schadensersatzpflichtige den Schadensersatzanspruch vollständig gegenüber der Beklagten befriedigt hätte.
Die Klägerin hatte vor Abschluss des Vergleiches gegen die Beklagte aus dem Treuhandverhältnis einen Anspruch entsprechend § 667 BGB auf Abtretung der Schadensersatzforderung bzw. - nach Liquidation des Schadens - auf Herausgabe des Erlangten. In Höhe der Klageforderung ist dieser Anspruch auf Abtretung durch Abschluss des Vergleichs untergegangen bzw. ein Herausgabeanspruch kann nicht mehr entstehen. In der Höhe des Werts der Forderung, die nicht mehr abgetreten oder nicht mehr realisiert werden kann, ist der Klägerin der Schaden entstanden.
In diesem Zusammenhang kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, der Klägerin sei deshalb kein Schaden entstanden, weil der titulierte Schadensersatzanspruch wegen Vermögenslosigkeit des Schadensersatzpflichtigen nicht durchsetzbar gewesen wäre. Dies ist für die nach dem Schutzzweck der Norm zu beantwortende Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, nicht von Bedeutung.
Die Einzugsstelle darf einen Vergleich (über rückständige Beitragsansprüche) gemäß § 76 Abs. 4 S.1 SGB IV nur dann schließen, wenn dies wirtschaftlich und zweckmäßig ist. Bei dieser Beurteilung sind außer den Kosten auch Dauer und Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Auseinandersetzung gegen die Höhe des realisierbaren Anspruchs abzuwägen (Brandt in Kreikebohm, Kommentar zum SGB IV, 2. Auflage Rn. 28). Weiterhin ist auch die Höhe der aufgegebenen Forderung zu berücksichtigten (von Boetticher, jurisPK-SGBIV, 2. Auflage, Rn. 43) und es müssen der Grad der Ungewissheit sowie die erzielte Vergleichsquote in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen (Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung und Pflegeversicherung, § 76 SGB IV, Rn. 22). Die Entscheidung über einen Vergleichsschluss setzt daher eine sorgfältige Ermittlung des Sachverhalts voraus und mündet in einem komplexeren Abwägungs- und Beurteilungsvorgang, an dessen Ende immer eine Prognose und eine wertende Entscheidung stehen, die je nach Standpunkt unterschiedlich ausfallen können. Wenn § 76 Abs. 4 S. 2 SGB IV dann bestimmt, dass vor einem Vergleichsschluss ein Einvernehmen mit den anderen betroffenen Sozialversicherungsträgern herzustellen ist, soll dies sicherstellen, dass diese ebenfalls die erforderliche Abwägung vornehmen bzw. nachvollziehen können. Der Vergleichsschluss ist damit nur dann möglich, wenn alle Sozialversicherungsträger die Abwägung mit gleichem Ergebnis vornehmen, also keine unterschiedlichen "Risikoabwägungen" vorgenommen werden.
Wird die Pflicht zur Herstellung des Einvernehmens dagegen verletzt, kann der Betroffene Sozialversicherungsträger keine eigene Abwägung mehr vornehmen. Unter Berücksichtigung dieses Schutzzwecks wäre es deshalb widersprüchlich, wenn bei Ermittlung des Schadens sich die Beklagte auf ihre eigene Abwägung stützen könnte, die ja wegen der Einvernehmenspflicht gerade nicht die anderen Sozialversicherungsträger binden soll. Die Einvernehmenspflicht soll die anderen Sozialversicherungsträger gerade vor für sie ungünstigen Vergleichen schützen, die sie, weil sie das Risiko der Nichtdurchsetzbarkeit der Forderung anders einschätzen, nicht geschlossen hätten. Dann aber muss bei Ermittlung des Schadens unberücksichtigt bleiben, ob die Prognose der Einzugsstelle sich im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit der Forderung als zutreffend darstellt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob dies auch dann gilt, wenn unzweifelhaft feststeht, dass der Schuldner nicht mehr hätte leisten können. Um einen solchen Fall, in dem dieses Ergebnis klar auf der Hand liegt, handelt es sich hier dagegen nicht. Denn die Beklagte hat zum einen den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Sie hat ihre Abwägung allein auf eine Einkommensbescheinigung für einen einzelnen Monat gestützt, ohne eine umfassende Vermögens- und Erwerbseinkunft des gerade mal 50-jährigen Schuldners einzuholen. Da – wie die Klägerin zu Recht ausführt, der Anspruch aus unerlaubter Handlung erst in 30 Jahren verjährt (§ BGB), wäre z.B. auch zu berücksichtigen gewesen, ob bei dem Schuldner eine Erbschaft zu erwarten ist. Denn immerhin hat seine Mutter die Vergleichssumme übernommen, so dass möglichweise auch hier noch Vermögenswerte zufließen können. Darüber hinaus ist in Anbetracht der Dauer und der entstandenen Höhe der Kosten der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs auch die Zweckmäßigkeit zweifelhaft. Es macht kaum Sinn, dass die Beklagte zunächst erhebliche Kosten auf sich nimmt, um dann einen Vergleich zu schließen, der nicht einmal die entstandenen Kosten deckt.
6.
Die Höhe des Schadensersatzanspruchs ergibt sich konkret daraus, dass nach Mitteilung der Beklagten an die Klägerin vom 7. Juni 2013 der auf die Rentenversicherung entfallende Anteil der "Restschuld nach Vergleichsabschluss" 18.238,34 EUR beträgt. Da hiervon nach dem für 2012 geltenden Verteilungsschlüssel 54,427 % auf sie entfielen, ergibt sich die Klageforderung in Höhe von 9.926,58 EUR. Hiergegen hat die Beklagte keine Einwände vorgebracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf Anwendung des §§ 197a SGG, 155 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung und berücksichtigt, dass die Klage erfolgreich war.
Rechtskraft
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