Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 3812/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.§ 7 Abs. 3a Eingangssatz SGB II ist - contra legem - in einer Auslegung nach dem Sinn wie folgt zu lesen:
"Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Personen ...".
2. Im Hinblick auf § 7 Abs. 3a Nr. 4 SGB II ist in einer systematischen Auslegung für den Begriff des " gemeinsamen
Haushalts" in § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II eine Wirtschaftsgemeinschaft nicht (mehr) erforderlich.
3. Das "Zusammenleben" im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II definiert das Gericht über den Grad der persönlichen Nähe.
4. Eine gemeinsame Nutzung aller Räume einer Wohnung einschließlich des Schlafzimmers geht über ein
bloßes "miteinander leben" hinaus. Der erforderliche Grad der persönlichen Nähe für ein "Zusammenleben"
im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II ist jedenfalls in einem solchen Fall gegeben.
"Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Personen ...".
2. Im Hinblick auf § 7 Abs. 3a Nr. 4 SGB II ist in einer systematischen Auslegung für den Begriff des " gemeinsamen
Haushalts" in § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II eine Wirtschaftsgemeinschaft nicht (mehr) erforderlich.
3. Das "Zusammenleben" im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II definiert das Gericht über den Grad der persönlichen Nähe.
4. Eine gemeinsame Nutzung aller Räume einer Wohnung einschließlich des Schlafzimmers geht über ein
bloßes "miteinander leben" hinaus. Der erforderliche Grad der persönlichen Nähe für ein "Zusammenleben"
im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II ist jedenfalls in einem solchen Fall gegeben.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Kläger und Frau G. M. sowie die daraus resultierende Einrechnung des Einkommens der Frau M. auf einen gemeinsamen Bedarf.
Das Urteil betrifft die Verfahren S 10 AS 3812/13 und S 10 AS 3813/13, die mit Beschluss vom 02.06.2015 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden.
Das führende Verfahren S 10 AS 3812/13 betrifft den Zeitraum 01.09.2012 bis 28.02.2013.
Mit Bescheid vom 11.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013 lehnte es der Beklagte nach einem Überprüfungsantrag des Klägers ab, den bestandskräftigen Bescheid vom 09.08.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2012 in Gestalt der letzten Änderungsbescheide vom 06.11.2012, 08.01.2013 und 11.01.2013 abzuändern.
Das Verfahren S 10 AS 3813/13 betrifft den Zeitraum 01.03.2013 bis 31.08.2013 und den Bescheid vom 18.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013.
In allen drei genannten Widerspruchsbescheiden argumentiert der Beklagte, dass der Kläger und Frau G. M. in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft lebten. Sie lebten bereits seit 01.12.2010 zusammen in einer Wohnung, wobei der Mietvertrag gemeinsam unterschrieben worden sei. Sämtliche Räume der Wohnung wurden gemeinsam genutzt. Dem Umstand getrennter Kassen und fehlender gemeinsamer Konten komme kein entscheidendes Gewicht zu. Gerade das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung ohne Trennung der Wohn- bzw. Schlafbereiche bedinge eine besondere Nähe, die wesentliche Einschränkungen in der eigenen Lebensgestaltung und Intimität mit sich bringe. Wer sich einer solchen Situation für einen längeren Zeitraum aussetze, zeige objektiv nach außen ein starkes Maß an Vertrautheit und gegenseitiger Rücksichtnahme, was ein gegenseitiges Einstehen in Notsituationen nahe lege.
In den zunächst vom Kläger selbst erhobenen Klagen vom 12.08.2013 verweist der Kläger darauf, er sei nach zwei gescheiterten Ehen und den damit verbundenen erheblichen materiellen Einbußen nicht mehr bereit, für eine andere Person materiell einzustehen. Es bestehe lediglich eine reine Wohngemeinschaft.
In den Schriftsätzen vom 12.03.2014 zu beiden Verfahren verweist der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf, eine Wirtschaftsgemeinschaft sei nur gegeben, wenn Haushaltsführung und Bestreiten der Kosten des Haushaltes gemeinschaftlich durch beide Partner erfolgen. Es bestehe hier lediglich eine Wohngemeinschaft. Die beiden Mitglieder der Wohngemeinschaft würden nicht "aus einem Topf" wirtschaften. Gemeinsam eingekauft würden nur die Grundnahrungsmittel. Dinge des persönlichen Bedarfs, z. B ... für Haarwäsche, Hygieneartikel, Duschbad, Rasierwasser usw., kaufe jeder selbst. Die Wäsche werde getrennt gewaschen. Auch Frau M. sei nicht bereit, für den Kläger in irgendeiner Art und Weise einzustehen und mit ihm zusammen zu wirtschaften.
Demgegenüber verweist der Beklagte im Schriftsatz vom 02.05.2014 darauf, dass die gesamte Wohnsituation keinerlei räumliche Trennung aufweise.
Im Erörterungstermin am 04.12.2014 erklärt der Kläger, er sei aufgrund von ehrenamtlichen Tätigkeiten relativ viel unterwegs. Die Tagesabläufe seien verschieden, er stehe z. B ... eher auf als Frau M ... Deswegen werde überwiegend nicht gemeinsam gespeist. Bei der Wohnungsreinigung gebe es eine Einigung über die Verteilung der Aufgaben. Er sei z. B ... zuständig für die Fenster, Frau M. für die Bodenreinigung.
In der mündlichen Verhandlung am 15.09.2016 beantragt der Bevollmächtigte des Klägers:
1. Der Beklagte wird für den Zeitraum 01.09.2012 bis 28.02.2013 unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 11.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013 verurteilt, den Bescheid vom 09.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2012 sowie alle den o. g. Zeitraum betreffenden Änderungsbescheide dahingehend abzuändern, dass Frau M. nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Klägers war.
2. Der Beklagte wird für den Zeitraum 01.03.2013 bis 31.08.2013 unter Abänderung des Bescheides vom 18.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013 verurteilt, die Leistungen an den Kläger mit der Maßgabe zu berechnen, dass Frau M. nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Klägers war.
3. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendig entstandene außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Die Beklagtenvertreterin beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese, die benannten Niederschriften sowie auf die Prozessakten wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen sind form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.
Die Klagen sind jedoch nicht begründet. Die räumliche und damit persönliche Nähe zwischen dem Kläger und Frau M., insbesondere durch das gemeinsame Schlafzimmer, ist so eng, dass die Vermutung des § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II nicht widerlegt ist. Die weiteren Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II liegen ebenfalls vor.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die neben der Erfüllung weiterer Voraussetzungen hilfebedürftig sind.
Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.
Wer zur Bedarfsgemeinschaft gehört, regelt § 7 Abs. 3 SGB II:
"Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2. die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3. als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a) die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b) die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c) eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können."
In welchen Fällen der wechselseitige Wille im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II vermutet wird, regelt § 7 Abs. 3 a SGB II:
"Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
1. länger als ein Jahr zusammenleben,
2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen."
Nach dem Verständnis des Gerichts ist § 7 Abs. 3 SGB II so zu verstehen, dass nach Nr. 3 Eingangssatz "Partner" eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Partner sind gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II auch Personen, die
- in einem gemeinsamen Haushalt
- zusammenleben
- mit dem wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
Wenn also Personen diese Voraussetzungen in Nr. 3 c erfüllen, sind sie Partner im Sinn des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Eingangssatz SGB II (und bilden eine Bedarfsgemeinschaft).
Umgekehrt beinhaltet der Begriff des Partners dementsprechend diese drei Voraussetzungen. Wer eine dieser drei Voraussetzungen nicht erfüllt, ist kein Partner.
Der Eingangssatz in § 7 Abs. 3 a SGB II ist daher nach Ansicht des Gerichts nicht logisch formuliert. Der Eingangssatz verwendet bereits den Begriff "Partner". Jedoch bezieht sich § 7 Abs. 3 a SGB II auf die Frage, ob eine der Voraussetzungen dieses Begriffs, nämlich der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vorliegt. § 7 Abs. 3 a Eingangssatz SGB II setzt also durch die Verwendung des Begriffs "Partner" schon voraus, was durch die Anwendung der Vorschrift erst ermittelt werden soll.
In einer Auslegung nach dem Sinn ist § 7 Abs. 3 a Eingangssatz SGB II daher – contra legem – wie folgt zu lesen:
"Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Personen "
Weiterhin hat der Gesetzgeber nach dem Verständnis des Gerichts mit der Einführung des § 7 Abs. 3 a SGB II auch festgelegt, dass ein "Wirtschaften aus einem Topf" nicht (mehr) Voraussetzung für einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II ist. Kennzeichen des "Wirtschaftens aus einem Topf" ist ja, dass beide Parteien in den Topf einzahlen und der Topf allen gemeinsam zur Verfügung steht. In diesem gemeinsamen Topf ist also auch immer Einkommen bzw. Vermögen des Anderen enthalten. Durch § 7 Abs. 3 a Nr. 4 SGB II wird die Befugnis, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen, in den Bereich des wechselseitigen Willens, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, verortet, und zu einer der Möglichkeiten, diesen Willen zu vermuten. Danach ist also eine Wirtschaftsgemeinschaft für einen gemeinsamen Haushalt nicht erforderlich.
Im vorliegenden Fall hält das Gericht die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II für erfüllt.
Zum einen liegt ein gemeinsamer Haushalt vor. Dem Gericht genügt dafür der Umstand, dass der Mietvertrag von dem Kläger und Frau M. gemeinsam unterschrieben wurde, dass zumindest die Grundnahrungsmittel gemeinsam eingekauft werden und dass die Reinigung der gemeinsamen Wohnung gemäß einer Einigung über die Verteilung der Aufgaben sowohl vom Kläger als auch von Frau M. übernommen wird.
Weiter ist nach Ansicht des Gerichts auch das Merkmal "Zusammenleben" erfüllt. Anders als in einer Wohngemeinschaft, in der man gegebenenfalls noch "miteinander" lebt, existieren im vorliegenden Fall keine jeweils eigenen Bereiche. Sämtliche Räume werden gemeinsam benutzt. Insbesondere wird das Schlafzimmer gemeinsam benutzt. Dadurch entsteht notwendigerweise eine so große räumliche und damit persönliche Nähe, dass der Kläger und Frau M. nicht mehr "miteinander", sondern "zusammen" leben.
Drittens liegt auch der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, nach Ansicht des Gerichts vor. Der Kläger und Frau M. leben bereits länger als ein Jahr zusammen, § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II. Für diesen Fall wird der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, gesetzlich vermutet. Das bloße Bestreiten dieses Willens reicht nicht aus, um diese Vermutung zu widerlegen. Die Beweislast liegt hier beim Kläger.
Die Klage war daher wie tenoriert abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen dem Kläger und Frau G. M. sowie die daraus resultierende Einrechnung des Einkommens der Frau M. auf einen gemeinsamen Bedarf.
Das Urteil betrifft die Verfahren S 10 AS 3812/13 und S 10 AS 3813/13, die mit Beschluss vom 02.06.2015 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden.
Das führende Verfahren S 10 AS 3812/13 betrifft den Zeitraum 01.09.2012 bis 28.02.2013.
Mit Bescheid vom 11.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013 lehnte es der Beklagte nach einem Überprüfungsantrag des Klägers ab, den bestandskräftigen Bescheid vom 09.08.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2012 in Gestalt der letzten Änderungsbescheide vom 06.11.2012, 08.01.2013 und 11.01.2013 abzuändern.
Das Verfahren S 10 AS 3813/13 betrifft den Zeitraum 01.03.2013 bis 31.08.2013 und den Bescheid vom 18.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013.
In allen drei genannten Widerspruchsbescheiden argumentiert der Beklagte, dass der Kläger und Frau G. M. in einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft lebten. Sie lebten bereits seit 01.12.2010 zusammen in einer Wohnung, wobei der Mietvertrag gemeinsam unterschrieben worden sei. Sämtliche Räume der Wohnung wurden gemeinsam genutzt. Dem Umstand getrennter Kassen und fehlender gemeinsamer Konten komme kein entscheidendes Gewicht zu. Gerade das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung ohne Trennung der Wohn- bzw. Schlafbereiche bedinge eine besondere Nähe, die wesentliche Einschränkungen in der eigenen Lebensgestaltung und Intimität mit sich bringe. Wer sich einer solchen Situation für einen längeren Zeitraum aussetze, zeige objektiv nach außen ein starkes Maß an Vertrautheit und gegenseitiger Rücksichtnahme, was ein gegenseitiges Einstehen in Notsituationen nahe lege.
In den zunächst vom Kläger selbst erhobenen Klagen vom 12.08.2013 verweist der Kläger darauf, er sei nach zwei gescheiterten Ehen und den damit verbundenen erheblichen materiellen Einbußen nicht mehr bereit, für eine andere Person materiell einzustehen. Es bestehe lediglich eine reine Wohngemeinschaft.
In den Schriftsätzen vom 12.03.2014 zu beiden Verfahren verweist der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf, eine Wirtschaftsgemeinschaft sei nur gegeben, wenn Haushaltsführung und Bestreiten der Kosten des Haushaltes gemeinschaftlich durch beide Partner erfolgen. Es bestehe hier lediglich eine Wohngemeinschaft. Die beiden Mitglieder der Wohngemeinschaft würden nicht "aus einem Topf" wirtschaften. Gemeinsam eingekauft würden nur die Grundnahrungsmittel. Dinge des persönlichen Bedarfs, z. B ... für Haarwäsche, Hygieneartikel, Duschbad, Rasierwasser usw., kaufe jeder selbst. Die Wäsche werde getrennt gewaschen. Auch Frau M. sei nicht bereit, für den Kläger in irgendeiner Art und Weise einzustehen und mit ihm zusammen zu wirtschaften.
Demgegenüber verweist der Beklagte im Schriftsatz vom 02.05.2014 darauf, dass die gesamte Wohnsituation keinerlei räumliche Trennung aufweise.
Im Erörterungstermin am 04.12.2014 erklärt der Kläger, er sei aufgrund von ehrenamtlichen Tätigkeiten relativ viel unterwegs. Die Tagesabläufe seien verschieden, er stehe z. B ... eher auf als Frau M ... Deswegen werde überwiegend nicht gemeinsam gespeist. Bei der Wohnungsreinigung gebe es eine Einigung über die Verteilung der Aufgaben. Er sei z. B ... zuständig für die Fenster, Frau M. für die Bodenreinigung.
In der mündlichen Verhandlung am 15.09.2016 beantragt der Bevollmächtigte des Klägers:
1. Der Beklagte wird für den Zeitraum 01.09.2012 bis 28.02.2013 unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 11.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013 verurteilt, den Bescheid vom 09.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2012 sowie alle den o. g. Zeitraum betreffenden Änderungsbescheide dahingehend abzuändern, dass Frau M. nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Klägers war.
2. Der Beklagte wird für den Zeitraum 01.03.2013 bis 31.08.2013 unter Abänderung des Bescheides vom 18.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2013 verurteilt, die Leistungen an den Kläger mit der Maßgabe zu berechnen, dass Frau M. nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Klägers war.
3. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendig entstandene außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Die Beklagtenvertreterin beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese, die benannten Niederschriften sowie auf die Prozessakten wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen sind form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.
Die Klagen sind jedoch nicht begründet. Die räumliche und damit persönliche Nähe zwischen dem Kläger und Frau M., insbesondere durch das gemeinsame Schlafzimmer, ist so eng, dass die Vermutung des § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II nicht widerlegt ist. Die weiteren Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II liegen ebenfalls vor.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die neben der Erfüllung weiterer Voraussetzungen hilfebedürftig sind.
Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen.
Wer zur Bedarfsgemeinschaft gehört, regelt § 7 Abs. 3 SGB II:
"Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
1. die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2. die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3. als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a) die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b) die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c) eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4. die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können."
In welchen Fällen der wechselseitige Wille im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II vermutet wird, regelt § 7 Abs. 3 a SGB II:
"Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
1. länger als ein Jahr zusammenleben,
2. mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen."
Nach dem Verständnis des Gerichts ist § 7 Abs. 3 SGB II so zu verstehen, dass nach Nr. 3 Eingangssatz "Partner" eine Bedarfsgemeinschaft bilden. Partner sind gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II auch Personen, die
- in einem gemeinsamen Haushalt
- zusammenleben
- mit dem wechselseitigen Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
Wenn also Personen diese Voraussetzungen in Nr. 3 c erfüllen, sind sie Partner im Sinn des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Eingangssatz SGB II (und bilden eine Bedarfsgemeinschaft).
Umgekehrt beinhaltet der Begriff des Partners dementsprechend diese drei Voraussetzungen. Wer eine dieser drei Voraussetzungen nicht erfüllt, ist kein Partner.
Der Eingangssatz in § 7 Abs. 3 a SGB II ist daher nach Ansicht des Gerichts nicht logisch formuliert. Der Eingangssatz verwendet bereits den Begriff "Partner". Jedoch bezieht sich § 7 Abs. 3 a SGB II auf die Frage, ob eine der Voraussetzungen dieses Begriffs, nämlich der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vorliegt. § 7 Abs. 3 a Eingangssatz SGB II setzt also durch die Verwendung des Begriffs "Partner" schon voraus, was durch die Anwendung der Vorschrift erst ermittelt werden soll.
In einer Auslegung nach dem Sinn ist § 7 Abs. 3 a Eingangssatz SGB II daher – contra legem – wie folgt zu lesen:
"Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Personen "
Weiterhin hat der Gesetzgeber nach dem Verständnis des Gerichts mit der Einführung des § 7 Abs. 3 a SGB II auch festgelegt, dass ein "Wirtschaften aus einem Topf" nicht (mehr) Voraussetzung für einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II ist. Kennzeichen des "Wirtschaftens aus einem Topf" ist ja, dass beide Parteien in den Topf einzahlen und der Topf allen gemeinsam zur Verfügung steht. In diesem gemeinsamen Topf ist also auch immer Einkommen bzw. Vermögen des Anderen enthalten. Durch § 7 Abs. 3 a Nr. 4 SGB II wird die Befugnis, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen, in den Bereich des wechselseitigen Willens, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, verortet, und zu einer der Möglichkeiten, diesen Willen zu vermuten. Danach ist also eine Wirtschaftsgemeinschaft für einen gemeinsamen Haushalt nicht erforderlich.
Im vorliegenden Fall hält das Gericht die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II für erfüllt.
Zum einen liegt ein gemeinsamer Haushalt vor. Dem Gericht genügt dafür der Umstand, dass der Mietvertrag von dem Kläger und Frau M. gemeinsam unterschrieben wurde, dass zumindest die Grundnahrungsmittel gemeinsam eingekauft werden und dass die Reinigung der gemeinsamen Wohnung gemäß einer Einigung über die Verteilung der Aufgaben sowohl vom Kläger als auch von Frau M. übernommen wird.
Weiter ist nach Ansicht des Gerichts auch das Merkmal "Zusammenleben" erfüllt. Anders als in einer Wohngemeinschaft, in der man gegebenenfalls noch "miteinander" lebt, existieren im vorliegenden Fall keine jeweils eigenen Bereiche. Sämtliche Räume werden gemeinsam benutzt. Insbesondere wird das Schlafzimmer gemeinsam benutzt. Dadurch entsteht notwendigerweise eine so große räumliche und damit persönliche Nähe, dass der Kläger und Frau M. nicht mehr "miteinander", sondern "zusammen" leben.
Drittens liegt auch der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, nach Ansicht des Gerichts vor. Der Kläger und Frau M. leben bereits länger als ein Jahr zusammen, § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II. Für diesen Fall wird der wechselseitige Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, gesetzlich vermutet. Das bloße Bestreiten dieses Willens reicht nicht aus, um diese Vermutung zu widerlegen. Die Beweislast liegt hier beim Kläger.
Die Klage war daher wie tenoriert abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
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