Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 4 U 278/14
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Der Bescheid der Beklagten vom 06.06.2014 in Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom 31.07.2014 wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 06.01.2014 um einen Arbeitsunfall i. S. d. § 8 SGB VII handelt.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitig ist, ob das Ereignis vom 06.01.2014 ein Arbeitsunfall im Sinne von § 8 SGB VII ist.
Die 1999 geborene Klägerin verunfallte am 06.01.2014 im Rahmen des Schulsportes. Im Fragebogen bei Knieverletzungen gab die Mutter der Versicherten am 18.01.2014 an, ihre Tochter sei auf einem Stapelkasten gesessen. Um sich auf den Stapelkasten zu stellen, habe sie sich nach links hinten gedreht. Bei der Drehung nach hinten habe sich die Versicherte das linke Knie verdreht und einen Schmerz verspürt. Dabei sei das Knie gebeugt gewesen. Das Kniegelenk habe unter Schmerzen bewegt werden können. Ein (blutiger) Gelenkerguss sei nicht aufgetreten.
MRT-Aufnahmen des linken Kniegelenkes vom 25.01.2014 ergaben: Zustand nach Patellaluxation mit residualem Ödem des lateralen Femurkondylus; diskrete Überdehnung des medialen Retinaculum, jedoch kein Hinweis auf eine Ruptur.
Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. K. (Dr. F.) am 19.05.2014 ein unfallchirurgisches Fachgutachten nach Untersuchung der Klägerin vom 14.05.2014: Die Versicherte habe berichtet, sich zunächst rücklings auf den Kasten gesetzt zu haben und im Weiteren aus dieser sitzenden Position aufgestanden und sich über die linke Seite während des Aufstehens gedreht zu haben, um dann in Blickrichtung vom Kasten abspringen zu wollen. Beim Aufstehen aus der Sitzposition und Aufsetzen des linken Fußes mit zunehmender Belastung des linken Beines sei es dann zu einem Verdrehtrauma des linken Kniegelenks gekommen. Die Versicherte habe das Ereignis demonstriert als Distorsion mit den Komponenten der Flexion, Außenrotation und des Valgus-Stresses. Unter der Anspannung des Aufstehens habe sie einen plötzlichen heftigen Schmerz im Bereich des linken Kniegelenks verspürt. Sie beschreibe dies als Luxation der Patella, welche sich unter Streckung des Beines spontan reponiert hätte. Im Weiteren habe sie während der Sportstunde Schmerzen im Bereich des linken Kniegelenks gehabt. Nachfolgend sei sie von der Turnhalle zur Schule gelaufen, wo sie den Schultag mit regulärem Unterricht beendete. Derzeit berichte die Versicherte über gelegentliche Knieschmerzen beiderseits; eine ambulante Vorstellung sei jedoch nicht erfolgt. Vor diesem Hintergrund sei von einer Patellaluxation links beim Aufstehen aus der tiefen Hocke mit Rotationskomponente nach links unter Valgus-Außenrotations- und Flexionsstress des linken Kniegelenks auszugehen. Dieser Mechanismus sei nicht geeignet, bei einem gesunden Kniegelenk eine Patellaluxation zu verursachen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die flache Führung der Trochlea und das relativ laxe mediale patello-femorale Ligament, welches im MRT auch bildhaft dokumentiert ist, ursächlich für die Luxation der Kniescheibe mit spontaner Reposition bei Streckung des Beines verantwortlich zu machen sind. Somit handele es sich um eine anlagebedingte Luxation der Kniescheibe. Ein Unfallzusammenhang sei abzulehnen.
Mit Bescheid vom 06.06.2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 06.01.2014 als Arbeitsunfall ab. Denn das Ereignis habe nicht hinreichend wahrscheinlich, rechtlich wesentlich zu einem Gesundheitsschaden geführt. Allein rechtlich wesentlich ursächlich sei die unfallunabhängige Schadensanlage in Form einer Fehlbildung des Gleitlagers der linken Kniescheibe (Abflachung) sowie einer geringgradigen medialen Bandinsuffizienz im Bereich des linken Kniegelenkes nebst geringgradiger vermehrter Innenrotation des linken Fußes.
Der (nicht begründete) Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31.07.2014 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 21.08.2014 – eingegangen bei Gericht am 25.08.2014 – wurde Klage erhoben.
Das Gericht hat im Klageverfahren die Verwaltungsakte der Beklagten sowie Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen.
Am 02.11.2015 erstattete Prof. Dr. C ... gemäß § 106 Abs. 3 Ziff. 5, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein unfallchirurgisch-orthopädisches Fachgutachten nach Untersuchung der Versicherten vom 08.10.2015.
Der Gutachter weist zunächst darauf hin, dass die Versicherte ihm gegenüber bestätigte, dass sich das streitgegenständliche Ereignis bei jener von der Mutter geschilderten Drehbewegung auf dem Kastenstapel ereignete und nicht im Rahmen des Absprung- oder Auftreffvorgangs nach dem Sprung. In Ergänzung habe sie berichtet, das Bein gestreckt zu haben und dann gespürt zu haben, "dass etwas zurücksprang". Anschließend habe sich Schmerz eingestellt.
Prof. Dr. C ... führt weiter Folgendes aus: Die zum Unfallzeitpunkt 14 ½-jährige Klägerin habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Verrenkung der linken Kniescheibe nach außen erlitten. Im linken Bein hätten zwei Bewegungskomponenten überlagernd stattgefunden, nämlich eine Beugung des linken Kniegelenks bei gleichzeitigem Valgus-Stress. Dieser Mechanismus sei dazu geeignet, dieses einmalige Luxationsereignis der Kniescheibe bei der Klägerin herbeizuführen. Es bestehe keine konstitutionelle Veranlagung im Sinne einer valgischen Achsendeformität der Beine. Bei dem im Rahmen der Erstuntersuchung am 06.01.2014 erhobenen Befunde "valgische Knieachse" (= X-Bein) handele es sich um eine eindeutige Fehlbefundung. Auch die Röntgenaufnahmen vom 06.01.2014 würden nicht in diese Richtung weisen, bei eingeschränkter Beurteilbarkeit durch den kleinen Bildausschnitt der Beinachse. Eindeutig sei das klinische Untersuchungsergebnis der Klägerin: Sie habe eine nahezu normale Beinachse, eher minimal angedeutet varisch (= O-Bein). Allerdings liege bei der Klägerin ein anderer Umstand vor, welcher prinzipiell eine Patellaluxation begünstigen kann, nämlich eine Dysplasie des femuropatellaren Gleitlagers im Sinne einer Trochleadysplasie und einer Patelladysplasie.
Am 06.01.2014 sei es zu einer erstmaligen Luxation der Kniescheiben im linken Kniegelenk gekommen. Im Verwaltungsgutachten werde unzutreffenderweise von einer "habituellen Patellaluxation" gesprochen. Diese Diagnose sei im konkreten Fall definitionsmäßig falsch. Die habituelle Patellaluxation sei kennzeichnet durch gewohnheitsmäßige, d. h. in relativ kurzen Abständen sich ohne wesentliche Krafteinwirkung von außen wiederholende Verrenkungen der Kniescheibe (zumeist nach lateral). Eine solche Situation liege im konkret vorliegenden Fall nicht vor. Die Versicherte habe bis zu jenem Ereignis am 06.01.2014 keine einzige Patellaluxation erlitten und auch kein weiteres Ereignis dieser Art im folgenden Verlauf. Andererseits liege auch keine reine traumatische Patellaluxation vor. Denn eine solche erfordere eine von außen direkt auf die Kniescheibe in tangentialer Richtung von innen nach außen einwirkende Gewalt. Dennoch sei vorliegend für das Luxationsereignis der linken Kniescheibe bei der Klägerin die sportliche Betätigung vom 06.01.2014 der entscheidende Auslöser. Patella-Erstluxationen würden bei sportlichen Aktivitäten meist in der Adoleszenz auftreten; als Unfallmechanismus liege meist eine Flexions-Valgus und Außenrotationsbelastung zugrunde. Begünstigt würde die Verrenkung der Kniescheiben im konkret vorliegenden Fall durch eine Dysplasie des Femoropatellargelenkes, also jenes Gelenkanteiles im Kniegelenk, der zwischen der Oberschenkelrolle und der Kniescheibe besteht. Bei der Klägerin sei sowohl die Trochlea des Femurs, als auch die Patellarückfläche selbst dysplastisch ausgeprägt. Damit sei freilich die straffe Führung der Kniescheibe entlang der Oberschenkelrolle beim Beugevorgang nicht in gleichem Maße gesichert, wie dies bei einem normal ausgebildeten Kniegelenk der Fall wäre. Dennoch komme im konkret vorliegenden Fall dem Bewegungsablauf vom 06.01.2014 eine eindeutig von außen einwirkende Ursache auf das Kniegelenk zu, die wesentlich mehr als eine Gelegenheitsursache darstellt. Dazu passe auch der weitere Verlauf nach dem Schädigungsereignis: Die Luxation heilte im weiteren Verlauf unter konservativer Behandlung weitgehend folgenlos aus. Eine akute klinische Symptomatik habe für die Schülerin noch in etwa in der ersten Jahreshälfte des Jahres 2014 bestanden, die Sportfähigkeit für den Schulsport sei nach ca. ¼ Jahr wieder gegeben gewesen. Zusammenfassend liege vorliegend eine Patellaluxation bei Hypoplasie der Patellarückfläche und Hypoplasie der lateralen Femurkondyle vor. Trotz der unfallunabhängigen Umstände sei dem Schädigungsereignis ein überwiegender Anteil an der Entstehung der Verletzung zuzurechnen. Dieses sei vom Ablauf her geeignet gewesen, die Verrenkung der Kniescheibe herbeizuführen. Es sei ganz klar keine Gelegenheitsursache gewesen. Dafür spreche auch, dass es weder vor dem 06.01.2014, noch nachher ein weiteres Luxationsereignis der Patella gab. Durch das Unfallereignis sei die Klägerin ¼ Jahr lang behandlungsbedürftig gewesen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass anerkanntermaßen nur starke, in der Regel indirekte Krafteinwirkungen geeignet seien, eine Verrenkung der Kniescheibe zu verursachen. Im vorliegenden Fall sei es zu einem willentlichen Aufstehen aus der Hocke ohne Störung des Bewegungsablaufes gekommen, mithin zu einem physiologischen Bewegungsablauf bei normaler Muskelanspannung. Die anlagebedingten Erkrankungen der Klägerin seien derart stark ausgeprägt, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung bedürfe. Mit Schriftsatz vom 15.04.2016 reichte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. R., Facharzt für Diagnostische Radiologie, vom 16.03.2016 zur Akte. Die MRT-Aufnahmen vom 06.01.2014 zeigten als luxationsbegünstigende Faktoren eine Patellaform Typ IV nach Wiberg sowie eine geringergradige Trochleadysplasie Typ A nach Dejour. Die übrigen Indizes liegen im Normbereich.
Vor diesem Hintergrund gab Prof. Dr. C ... am 25.09.2016 eine ergänzende Stellungnahme ab: Prof. Dr. C ... weist darauf hin, dass bei der Erstuntersuchung durch den D-Arzt am 06.01.2014 eine klinische und radiologische Fehlbefundung vorgelegen habe. Darauf stütze sich die Entscheidung der Beklagten im Wesentlichen. Bei der Klägerin liege kein X-Bein vor, vielmehr eine angedeutete "O-Bein-Stellung". Bei der klinischen Untersuchung der Klägerin durch Prof. Dr. C ... sei keine Subluxationstendenz beim Verschieben der Kniescheibe festgestellt worden. Es treffe zu, dass neben direkter Gewalteinwirkung auch stark indirekte Gewalteinwirkungen geeignet sind, eine Verrenkung der Kniescheibe zu verursachen. Bei der Klägerin bestehe keine Disposition zur Kniescheibenluxation. Wie im Gutachten ausgeführt, komme aus Sicht von Prof. Dr. C ... dem Schädigungsereignis vom 06.01.2014 der überwiegende Anteil an der Entstehung der Verletzung zu, weil das Ereignis die Wertigkeit einer "Gelegenheitsursache" übertraf, da bei der Klägerin gerade nicht eine habituelle Patellaluxation vorliege und weil es bei ihr weder vor noch nach dem 06.01.2014 zu einer Verrenkung der linken Kniescheibe gekommen ist.
Die Beklagte weist mit Schriftsatz vom 08.11.2016 darauf hin, dass Prof. Dr. C ... letztlich das Vorliegen einer angeborenen Prädisposition für eine Patellaluxation bestätigt habe, auch wenn bei der Klägerin keine X-Bein-Fehlstellung vorliegen sollte. Eine Erstverrenkung, wie sie bei der Klägerin offensichtlich vorgelegen hat, könne sowohl Folge einer äußeren Krafteinwirkung als auch anlagebedingt sein. Eine Abwägung der mitwirkenden Bedingungen durch den Sachverständigen, habe nicht stattgefunden. Eine starke indirekte Krafteinwirkung, welche geeignet wäre, eine Kniescheibenverrenkung zu verursachen, habe nicht festgestellt werden können, auch nicht vom Sachverständigen Prof. Dr. C ... Im Übrigen verweist die Beklagte auf den Beitrag von E. Ludolph, F. Schröter, u. a., Patellaluxation (Kniescheibenverrenkung), Der medizinische Sachverständige 05/2014, S. 212 bis 233.
Die Klägerin beantragt:
1. Den Bescheid der Beklagten vom 06.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2014 aufzuheben und
2. festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 06.01.2014 um einen versicherten Arbeitsunfall gehandelt habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Das Ereignis vom 06.01.2014 ist ein Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 8 b SGB VII. Die Klägerin konnte den ihr obliegenden Beweis dahingehend führen, dass sie am 06.01.2014 im Rahmen des Schulsportes einen Gesundheitsschaden erlitt, nämlich eine Patellaverrenkung links.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die dem begehrten Anspruch zugrunde liegenden Tatsachen, zu denen auch der jeweilige Gesundheitsschaden gehört, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein müssen, während für den Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich ist; hinreichende Wahrscheinlichkeit ist ausreichend. Die Patellaluxation ist durch die MRT-Aufnahmen vom 25.01.2014 im Vollbeweis nachgewiesen. Nach Überzeugung des Gerichts ist es hinreichend wahrscheinlich, dass diese rechtlich wesentlich durch das Ereignis vom 06.01.2014 hervorgerufen wurde. Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass beim vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen müssen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann. Eine Möglichkeit verdichtet sich hierbei dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen die gegenteiligen dabei deutlich überwiegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, § 8 Rdnr. 10.2 m. w. N ...).
Nach Überzeugung des Gerichts sprechen mehr Umstände für einen Kausalzusammenhang - zumindest im Sinne einer rechtlich wesentlichen Teilursache – als dagegen. Dabei stützte sich die Kammer auch auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C ... Dieser führt – insoweit in Übereinstimmung mit dem Gutachter Dr. K./Dr. F. – zunächst aus, dass es bei dem Unfallmechanismus zu einer Beugung des linken Kniegelenks bei gleichzeitigem Valgus-Stress gekommen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass beim Aufstehen aus der Hocke auf dem Stapelkasten bei natürlicher Betrachtungsweise die Beine stark bis maximal angewinkelt waren und es zu einer maximalen Anspannung des Oberschenkelstreckapparates kam. Ein solcher Unfallmechanismus ist anerkanntermaßen geeignet, eine Kniescheibenluxation zu verursachen: Die mechanische Verursachung der Kniescheibenluxation setzt einen kombinierten Valgus-Rotationsstress des Kniegelenkes mit Außenrotation des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel und gleichzeitiger maximaler Anspannung des Oberschenkelstreckapparates voraus (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, 2017, S. 645). Demgegenüber hat – entgegen der Auffassung der Beklagten – ein Ereignis, welches anerkanntermaßen ungeeignet für die Verursachung einer Kniescheibenluxation ist, nicht stattgefunden: Ereignisse, wie das Aufstehen vom Stuhl mit gleichzeitiger Drehbewegung in Gehrichtung, das Hochkommen aus der Hocke, ein spielerisches Anrempeln auf dem Schulhof, ein einfacher Richtungswechsel beim Gehen, können – da dies normalen Alltagsbelastungen entspricht – nicht als rechtlich wesentlich gewertet werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O ..., S. 646). Es hat kein Aufstehen vom Stuhl oder eine hiermit vergleichbare Bewegung stattgefunden; die Klägerin saß auf einem Stapelkasten und drückte sich dabei bei gleichzeitig sehr stark bis maximal angewinkelten Beinen hoch, bei gleichzeitiger Drehbewegung nach links-hinten. Beim Aufstehen vom Stuhl ist das Bein im Kniegelenk maximal 90 Grad angewinkelt, es besteht eine erheblich geringere Krafteinwirkung auf das Kniegelenk. Auch ein "Hochkommen aus der Hocke" im Sinne der zitierten Literatur hat es nicht gegeben. Denn hierbei ist offensichtlich ein Hochkommen aus der Hocke ohne gleichzeitige Drehbewegung gemeint. Darüber hinaus ist die auf das Kniegelenk wirkende Kraft beim Hochkommen aus der Hocke schwächer einzustufen als beim Hochkommen aus dem Sitzen. Vielmehr ist – wie die Gutachter Prof. Dr. C ... und Dr. K. /Dr. F. mitteilten – ein kombinierter Valgus-Rotationsstress des Kniegelenks mit Außenrotation des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel bei gleichzeitiger maximaler Anspannung des Oberschenkelstreckapparates festzustellen.
An diesem Ergebnis ändert auch nichts die Tatsache, dass die Klägerin (unstreitig) eine unfallunabhängige anlagebedingte Dysplasie des femoropatellaren Gleitlagers im Sinne einer Trochleadysplasie und einer Patelladysplasie aufweist. Zwar führt diese Erkrankung anerkanntermaßen dazu, dass die Kniescheibe leichter luxiert als bei Personen mit normgerechtem Gleitlager. Jedoch ist dieser Umstand nur als rechtlich wesentliche Teilursache für die Kniescheibenverrenkung am 06.01.2014 anzusehen; das Aufstehen der Klägerin aus dem Sitzen bleibt als weitere rechtlich wesentliche Teilursache daneben bestehen: Die Wertung als rechtlich wesentliche Ursache erfordert nicht, dass der berufliche Faktor die alleinige oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen gemeinsam zum Gesundheitsschaden beigetragen, sind sie nebeneinander stehende (Mit-)Ursachen im Rechtssinne (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., § 8 Rdnr. 8.1.2. m.w.N.). Der Begriff "wesentlich" ist nicht identisch mit den Beschreibungen "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht "annähernd gleichwertige", sondern verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat. Einer solchen überragenden Bedeutung kommt die genannte Vorerkrankung der Klägerin nicht zu. Denn diese ist nicht derart stark ausgeprägt, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung bedürfe. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Klägerin weder vor noch nach dem streitgegenständlichen Ereignis eine Patellaluxation links erlitten hat.
Aus diesen Gründen war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
II. Es wird festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis vom 06.01.2014 um einen Arbeitsunfall i. S. d. § 8 SGB VII handelt.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Streitig ist, ob das Ereignis vom 06.01.2014 ein Arbeitsunfall im Sinne von § 8 SGB VII ist.
Die 1999 geborene Klägerin verunfallte am 06.01.2014 im Rahmen des Schulsportes. Im Fragebogen bei Knieverletzungen gab die Mutter der Versicherten am 18.01.2014 an, ihre Tochter sei auf einem Stapelkasten gesessen. Um sich auf den Stapelkasten zu stellen, habe sie sich nach links hinten gedreht. Bei der Drehung nach hinten habe sich die Versicherte das linke Knie verdreht und einen Schmerz verspürt. Dabei sei das Knie gebeugt gewesen. Das Kniegelenk habe unter Schmerzen bewegt werden können. Ein (blutiger) Gelenkerguss sei nicht aufgetreten.
MRT-Aufnahmen des linken Kniegelenkes vom 25.01.2014 ergaben: Zustand nach Patellaluxation mit residualem Ödem des lateralen Femurkondylus; diskrete Überdehnung des medialen Retinaculum, jedoch kein Hinweis auf eine Ruptur.
Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. K. (Dr. F.) am 19.05.2014 ein unfallchirurgisches Fachgutachten nach Untersuchung der Klägerin vom 14.05.2014: Die Versicherte habe berichtet, sich zunächst rücklings auf den Kasten gesetzt zu haben und im Weiteren aus dieser sitzenden Position aufgestanden und sich über die linke Seite während des Aufstehens gedreht zu haben, um dann in Blickrichtung vom Kasten abspringen zu wollen. Beim Aufstehen aus der Sitzposition und Aufsetzen des linken Fußes mit zunehmender Belastung des linken Beines sei es dann zu einem Verdrehtrauma des linken Kniegelenks gekommen. Die Versicherte habe das Ereignis demonstriert als Distorsion mit den Komponenten der Flexion, Außenrotation und des Valgus-Stresses. Unter der Anspannung des Aufstehens habe sie einen plötzlichen heftigen Schmerz im Bereich des linken Kniegelenks verspürt. Sie beschreibe dies als Luxation der Patella, welche sich unter Streckung des Beines spontan reponiert hätte. Im Weiteren habe sie während der Sportstunde Schmerzen im Bereich des linken Kniegelenks gehabt. Nachfolgend sei sie von der Turnhalle zur Schule gelaufen, wo sie den Schultag mit regulärem Unterricht beendete. Derzeit berichte die Versicherte über gelegentliche Knieschmerzen beiderseits; eine ambulante Vorstellung sei jedoch nicht erfolgt. Vor diesem Hintergrund sei von einer Patellaluxation links beim Aufstehen aus der tiefen Hocke mit Rotationskomponente nach links unter Valgus-Außenrotations- und Flexionsstress des linken Kniegelenks auszugehen. Dieser Mechanismus sei nicht geeignet, bei einem gesunden Kniegelenk eine Patellaluxation zu verursachen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die flache Führung der Trochlea und das relativ laxe mediale patello-femorale Ligament, welches im MRT auch bildhaft dokumentiert ist, ursächlich für die Luxation der Kniescheibe mit spontaner Reposition bei Streckung des Beines verantwortlich zu machen sind. Somit handele es sich um eine anlagebedingte Luxation der Kniescheibe. Ein Unfallzusammenhang sei abzulehnen.
Mit Bescheid vom 06.06.2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 06.01.2014 als Arbeitsunfall ab. Denn das Ereignis habe nicht hinreichend wahrscheinlich, rechtlich wesentlich zu einem Gesundheitsschaden geführt. Allein rechtlich wesentlich ursächlich sei die unfallunabhängige Schadensanlage in Form einer Fehlbildung des Gleitlagers der linken Kniescheibe (Abflachung) sowie einer geringgradigen medialen Bandinsuffizienz im Bereich des linken Kniegelenkes nebst geringgradiger vermehrter Innenrotation des linken Fußes.
Der (nicht begründete) Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31.07.2014 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 21.08.2014 – eingegangen bei Gericht am 25.08.2014 – wurde Klage erhoben.
Das Gericht hat im Klageverfahren die Verwaltungsakte der Beklagten sowie Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen.
Am 02.11.2015 erstattete Prof. Dr. C ... gemäß § 106 Abs. 3 Ziff. 5, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein unfallchirurgisch-orthopädisches Fachgutachten nach Untersuchung der Versicherten vom 08.10.2015.
Der Gutachter weist zunächst darauf hin, dass die Versicherte ihm gegenüber bestätigte, dass sich das streitgegenständliche Ereignis bei jener von der Mutter geschilderten Drehbewegung auf dem Kastenstapel ereignete und nicht im Rahmen des Absprung- oder Auftreffvorgangs nach dem Sprung. In Ergänzung habe sie berichtet, das Bein gestreckt zu haben und dann gespürt zu haben, "dass etwas zurücksprang". Anschließend habe sich Schmerz eingestellt.
Prof. Dr. C ... führt weiter Folgendes aus: Die zum Unfallzeitpunkt 14 ½-jährige Klägerin habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Verrenkung der linken Kniescheibe nach außen erlitten. Im linken Bein hätten zwei Bewegungskomponenten überlagernd stattgefunden, nämlich eine Beugung des linken Kniegelenks bei gleichzeitigem Valgus-Stress. Dieser Mechanismus sei dazu geeignet, dieses einmalige Luxationsereignis der Kniescheibe bei der Klägerin herbeizuführen. Es bestehe keine konstitutionelle Veranlagung im Sinne einer valgischen Achsendeformität der Beine. Bei dem im Rahmen der Erstuntersuchung am 06.01.2014 erhobenen Befunde "valgische Knieachse" (= X-Bein) handele es sich um eine eindeutige Fehlbefundung. Auch die Röntgenaufnahmen vom 06.01.2014 würden nicht in diese Richtung weisen, bei eingeschränkter Beurteilbarkeit durch den kleinen Bildausschnitt der Beinachse. Eindeutig sei das klinische Untersuchungsergebnis der Klägerin: Sie habe eine nahezu normale Beinachse, eher minimal angedeutet varisch (= O-Bein). Allerdings liege bei der Klägerin ein anderer Umstand vor, welcher prinzipiell eine Patellaluxation begünstigen kann, nämlich eine Dysplasie des femuropatellaren Gleitlagers im Sinne einer Trochleadysplasie und einer Patelladysplasie.
Am 06.01.2014 sei es zu einer erstmaligen Luxation der Kniescheiben im linken Kniegelenk gekommen. Im Verwaltungsgutachten werde unzutreffenderweise von einer "habituellen Patellaluxation" gesprochen. Diese Diagnose sei im konkreten Fall definitionsmäßig falsch. Die habituelle Patellaluxation sei kennzeichnet durch gewohnheitsmäßige, d. h. in relativ kurzen Abständen sich ohne wesentliche Krafteinwirkung von außen wiederholende Verrenkungen der Kniescheibe (zumeist nach lateral). Eine solche Situation liege im konkret vorliegenden Fall nicht vor. Die Versicherte habe bis zu jenem Ereignis am 06.01.2014 keine einzige Patellaluxation erlitten und auch kein weiteres Ereignis dieser Art im folgenden Verlauf. Andererseits liege auch keine reine traumatische Patellaluxation vor. Denn eine solche erfordere eine von außen direkt auf die Kniescheibe in tangentialer Richtung von innen nach außen einwirkende Gewalt. Dennoch sei vorliegend für das Luxationsereignis der linken Kniescheibe bei der Klägerin die sportliche Betätigung vom 06.01.2014 der entscheidende Auslöser. Patella-Erstluxationen würden bei sportlichen Aktivitäten meist in der Adoleszenz auftreten; als Unfallmechanismus liege meist eine Flexions-Valgus und Außenrotationsbelastung zugrunde. Begünstigt würde die Verrenkung der Kniescheiben im konkret vorliegenden Fall durch eine Dysplasie des Femoropatellargelenkes, also jenes Gelenkanteiles im Kniegelenk, der zwischen der Oberschenkelrolle und der Kniescheibe besteht. Bei der Klägerin sei sowohl die Trochlea des Femurs, als auch die Patellarückfläche selbst dysplastisch ausgeprägt. Damit sei freilich die straffe Führung der Kniescheibe entlang der Oberschenkelrolle beim Beugevorgang nicht in gleichem Maße gesichert, wie dies bei einem normal ausgebildeten Kniegelenk der Fall wäre. Dennoch komme im konkret vorliegenden Fall dem Bewegungsablauf vom 06.01.2014 eine eindeutig von außen einwirkende Ursache auf das Kniegelenk zu, die wesentlich mehr als eine Gelegenheitsursache darstellt. Dazu passe auch der weitere Verlauf nach dem Schädigungsereignis: Die Luxation heilte im weiteren Verlauf unter konservativer Behandlung weitgehend folgenlos aus. Eine akute klinische Symptomatik habe für die Schülerin noch in etwa in der ersten Jahreshälfte des Jahres 2014 bestanden, die Sportfähigkeit für den Schulsport sei nach ca. ¼ Jahr wieder gegeben gewesen. Zusammenfassend liege vorliegend eine Patellaluxation bei Hypoplasie der Patellarückfläche und Hypoplasie der lateralen Femurkondyle vor. Trotz der unfallunabhängigen Umstände sei dem Schädigungsereignis ein überwiegender Anteil an der Entstehung der Verletzung zuzurechnen. Dieses sei vom Ablauf her geeignet gewesen, die Verrenkung der Kniescheibe herbeizuführen. Es sei ganz klar keine Gelegenheitsursache gewesen. Dafür spreche auch, dass es weder vor dem 06.01.2014, noch nachher ein weiteres Luxationsereignis der Patella gab. Durch das Unfallereignis sei die Klägerin ¼ Jahr lang behandlungsbedürftig gewesen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass anerkanntermaßen nur starke, in der Regel indirekte Krafteinwirkungen geeignet seien, eine Verrenkung der Kniescheibe zu verursachen. Im vorliegenden Fall sei es zu einem willentlichen Aufstehen aus der Hocke ohne Störung des Bewegungsablaufes gekommen, mithin zu einem physiologischen Bewegungsablauf bei normaler Muskelanspannung. Die anlagebedingten Erkrankungen der Klägerin seien derart stark ausgeprägt, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung bedürfe. Mit Schriftsatz vom 15.04.2016 reichte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. R., Facharzt für Diagnostische Radiologie, vom 16.03.2016 zur Akte. Die MRT-Aufnahmen vom 06.01.2014 zeigten als luxationsbegünstigende Faktoren eine Patellaform Typ IV nach Wiberg sowie eine geringergradige Trochleadysplasie Typ A nach Dejour. Die übrigen Indizes liegen im Normbereich.
Vor diesem Hintergrund gab Prof. Dr. C ... am 25.09.2016 eine ergänzende Stellungnahme ab: Prof. Dr. C ... weist darauf hin, dass bei der Erstuntersuchung durch den D-Arzt am 06.01.2014 eine klinische und radiologische Fehlbefundung vorgelegen habe. Darauf stütze sich die Entscheidung der Beklagten im Wesentlichen. Bei der Klägerin liege kein X-Bein vor, vielmehr eine angedeutete "O-Bein-Stellung". Bei der klinischen Untersuchung der Klägerin durch Prof. Dr. C ... sei keine Subluxationstendenz beim Verschieben der Kniescheibe festgestellt worden. Es treffe zu, dass neben direkter Gewalteinwirkung auch stark indirekte Gewalteinwirkungen geeignet sind, eine Verrenkung der Kniescheibe zu verursachen. Bei der Klägerin bestehe keine Disposition zur Kniescheibenluxation. Wie im Gutachten ausgeführt, komme aus Sicht von Prof. Dr. C ... dem Schädigungsereignis vom 06.01.2014 der überwiegende Anteil an der Entstehung der Verletzung zu, weil das Ereignis die Wertigkeit einer "Gelegenheitsursache" übertraf, da bei der Klägerin gerade nicht eine habituelle Patellaluxation vorliege und weil es bei ihr weder vor noch nach dem 06.01.2014 zu einer Verrenkung der linken Kniescheibe gekommen ist.
Die Beklagte weist mit Schriftsatz vom 08.11.2016 darauf hin, dass Prof. Dr. C ... letztlich das Vorliegen einer angeborenen Prädisposition für eine Patellaluxation bestätigt habe, auch wenn bei der Klägerin keine X-Bein-Fehlstellung vorliegen sollte. Eine Erstverrenkung, wie sie bei der Klägerin offensichtlich vorgelegen hat, könne sowohl Folge einer äußeren Krafteinwirkung als auch anlagebedingt sein. Eine Abwägung der mitwirkenden Bedingungen durch den Sachverständigen, habe nicht stattgefunden. Eine starke indirekte Krafteinwirkung, welche geeignet wäre, eine Kniescheibenverrenkung zu verursachen, habe nicht festgestellt werden können, auch nicht vom Sachverständigen Prof. Dr. C ... Im Übrigen verweist die Beklagte auf den Beitrag von E. Ludolph, F. Schröter, u. a., Patellaluxation (Kniescheibenverrenkung), Der medizinische Sachverständige 05/2014, S. 212 bis 233.
Die Klägerin beantragt:
1. Den Bescheid der Beklagten vom 06.06.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2014 aufzuheben und
2. festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 06.01.2014 um einen versicherten Arbeitsunfall gehandelt habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Das Ereignis vom 06.01.2014 ist ein Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 8 b SGB VII. Die Klägerin konnte den ihr obliegenden Beweis dahingehend führen, dass sie am 06.01.2014 im Rahmen des Schulsportes einen Gesundheitsschaden erlitt, nämlich eine Patellaverrenkung links.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die dem begehrten Anspruch zugrunde liegenden Tatsachen, zu denen auch der jeweilige Gesundheitsschaden gehört, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sein müssen, während für den Kausalzusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich ist; hinreichende Wahrscheinlichkeit ist ausreichend. Die Patellaluxation ist durch die MRT-Aufnahmen vom 25.01.2014 im Vollbeweis nachgewiesen. Nach Überzeugung des Gerichts ist es hinreichend wahrscheinlich, dass diese rechtlich wesentlich durch das Ereignis vom 06.01.2014 hervorgerufen wurde. Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass beim vernünftigen Abwägen aller Umstände die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen müssen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann. Eine Möglichkeit verdichtet sich hierbei dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Die für den Kausalzusammenhang sprechenden Umstände müssen die gegenteiligen dabei deutlich überwiegen (Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Handkommentar, § 8 Rdnr. 10.2 m. w. N ...).
Nach Überzeugung des Gerichts sprechen mehr Umstände für einen Kausalzusammenhang - zumindest im Sinne einer rechtlich wesentlichen Teilursache – als dagegen. Dabei stützte sich die Kammer auch auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C ... Dieser führt – insoweit in Übereinstimmung mit dem Gutachter Dr. K./Dr. F. – zunächst aus, dass es bei dem Unfallmechanismus zu einer Beugung des linken Kniegelenks bei gleichzeitigem Valgus-Stress gekommen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass beim Aufstehen aus der Hocke auf dem Stapelkasten bei natürlicher Betrachtungsweise die Beine stark bis maximal angewinkelt waren und es zu einer maximalen Anspannung des Oberschenkelstreckapparates kam. Ein solcher Unfallmechanismus ist anerkanntermaßen geeignet, eine Kniescheibenluxation zu verursachen: Die mechanische Verursachung der Kniescheibenluxation setzt einen kombinierten Valgus-Rotationsstress des Kniegelenkes mit Außenrotation des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel und gleichzeitiger maximaler Anspannung des Oberschenkelstreckapparates voraus (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, 2017, S. 645). Demgegenüber hat – entgegen der Auffassung der Beklagten – ein Ereignis, welches anerkanntermaßen ungeeignet für die Verursachung einer Kniescheibenluxation ist, nicht stattgefunden: Ereignisse, wie das Aufstehen vom Stuhl mit gleichzeitiger Drehbewegung in Gehrichtung, das Hochkommen aus der Hocke, ein spielerisches Anrempeln auf dem Schulhof, ein einfacher Richtungswechsel beim Gehen, können – da dies normalen Alltagsbelastungen entspricht – nicht als rechtlich wesentlich gewertet werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O ..., S. 646). Es hat kein Aufstehen vom Stuhl oder eine hiermit vergleichbare Bewegung stattgefunden; die Klägerin saß auf einem Stapelkasten und drückte sich dabei bei gleichzeitig sehr stark bis maximal angewinkelten Beinen hoch, bei gleichzeitiger Drehbewegung nach links-hinten. Beim Aufstehen vom Stuhl ist das Bein im Kniegelenk maximal 90 Grad angewinkelt, es besteht eine erheblich geringere Krafteinwirkung auf das Kniegelenk. Auch ein "Hochkommen aus der Hocke" im Sinne der zitierten Literatur hat es nicht gegeben. Denn hierbei ist offensichtlich ein Hochkommen aus der Hocke ohne gleichzeitige Drehbewegung gemeint. Darüber hinaus ist die auf das Kniegelenk wirkende Kraft beim Hochkommen aus der Hocke schwächer einzustufen als beim Hochkommen aus dem Sitzen. Vielmehr ist – wie die Gutachter Prof. Dr. C ... und Dr. K. /Dr. F. mitteilten – ein kombinierter Valgus-Rotationsstress des Kniegelenks mit Außenrotation des Unterschenkels gegenüber dem Oberschenkel bei gleichzeitiger maximaler Anspannung des Oberschenkelstreckapparates festzustellen.
An diesem Ergebnis ändert auch nichts die Tatsache, dass die Klägerin (unstreitig) eine unfallunabhängige anlagebedingte Dysplasie des femoropatellaren Gleitlagers im Sinne einer Trochleadysplasie und einer Patelladysplasie aufweist. Zwar führt diese Erkrankung anerkanntermaßen dazu, dass die Kniescheibe leichter luxiert als bei Personen mit normgerechtem Gleitlager. Jedoch ist dieser Umstand nur als rechtlich wesentliche Teilursache für die Kniescheibenverrenkung am 06.01.2014 anzusehen; das Aufstehen der Klägerin aus dem Sitzen bleibt als weitere rechtlich wesentliche Teilursache daneben bestehen: Die Wertung als rechtlich wesentliche Ursache erfordert nicht, dass der berufliche Faktor die alleinige oder überwiegende Bedingung ist. Haben mehrere Ursachen gemeinsam zum Gesundheitsschaden beigetragen, sind sie nebeneinander stehende (Mit-)Ursachen im Rechtssinne (Bereiter-Hahn/Mehrtens, a.a.O., § 8 Rdnr. 8.1.2. m.w.N.). Der Begriff "wesentlich" ist nicht identisch mit den Beschreibungen "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht "annähernd gleichwertige", sondern verhältnismäßig niedriger zu wertende Bedingung kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat. Einer solchen überragenden Bedeutung kommt die genannte Vorerkrankung der Klägerin nicht zu. Denn diese ist nicht derart stark ausgeprägt, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlichen äußeren Einwirkung bedürfe. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Klägerin weder vor noch nach dem streitgegenständlichen Ereignis eine Patellaluxation links erlitten hat.
Aus diesen Gründen war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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