S 29 (35) SO 154/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
29
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 (35) SO 154/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 B 35/05 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Energiekostenrückständen der Antragstellerin.

Bis zum 30.11.2004 erhielt die alleinstehende Antragstellerin – mit Unterbrechungen wegen zeitweise Arbeitsaufnahme – von der Antragsgegnerin jeweils bis zur Bewilligung von Wohngeld bzw. Arbeitslosenhilfe überbrückende Hilfe zum Lebensunterhalt. Es wurde jeweils die pauschalierte Heizbeihilfe sowie die volle maßgebliche Regelsatzleistung inklusive Energiekostenanteil gewährt. Seit dem 01.01.2005 erhält sie Arbeitslosengeld II, die gewährte Heizkostenbeihilfe beträgt 43,00 EUR monatlich.

Bis November 2002 bewohnte die heute 41-jährige Antragstellerin mit ihrer heute 22-jährigen Tochter und ihrer heute 5-jährigen Enkelin eine Wohnung in der V Straße in X. Im Zeitraum von Dezember 2002 bis Juli 2003 lebten die genannten in der I Straße. In dieser Zeit erbrachten sie keinerlei Vorauszahlungen für Strom und Gas an die X Stadtwerke (WSW), woraufhin diese Gas- und Stromzähler entfernten. Die Antragstellerin zog sodann zunächst in die Cstraße und zum März 2004 in ihre derzeitige Wohnung im G, die sie alleine bewohnt. Eine Zahlung auf die rückständigen Energiekosten erfolgte durch die Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt.

Sowohl in der Cstraße als auch im G erbrachte die Antragstellerin die fälligen Vorauszahlungen an die WSW. Mit Schreiben vom 09.02.2005 forderten die WSW die Antragstellerin zur Begleichung der Energiekostenrückstände aus der I Straße auf. Am 15. Februar 2005 stellten sie dann die Stromzufuhr ein. Die Antragstellerin wandte sich am 18.02.2005 an die ARGE X, die eine Übernahme der Kosten ablehnte. Seit April 2005 leistete die Antragstellerin keine Zahlungen mehr an die WSW. Im selben Monat zahlten die WSW irrtumlich mittels Verrechnungsscheck 162,29 EUR an die Antragstellerin aus. Im Mai 2005 stellten sie dann auch die Gaszufuhr ein und entfernten die Zähler.

Nach telefonischer Auskunft der WSW an die Antragsgegnerin besteht derzeit aufgrund von Altschulden aus den Wohnungen I und V Straße ein Rückstand der Antragstellerin in Höhe von 776,72 EUR zuzüglich 43,00 EUR Wiederaufnahmekosten. Hinzu kommen Kosten für den Zählereinbau, der von einer Elektrofachfirma vorzunehmen ist. Eine Wiederaufnahme der Energiezufuhr gegen Ratenzahlung lehnen die WSW ab.

Anfang Juni 2005 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Übernahme der Nachforderung. Diese lehnte eine Übernahme jedoch mündlich mit Hinweis auf die ARGE X als Ansprechpartnerin ab.

Am 20.06.2005 hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Antragsgegnerin gestellt.

Sie trägt vor, die Nachzahlung beziehe sich auf den Zeitraum Mitte 2001 bis Ende 2002. Da die WSW eine Ratenzahlung abgelehnt hätten, habe sie niemals etwas auf die Rechnung gezahlt. Am 05.03.2003 habe sie von den WSW eine Rechnung über 1.842,17 EUR erhalten. Im Jahre 2004 habe ihre Tochter dann eine Rechnung über 888 EUR erhalten, die die Antragsgegnerin 2005 darlehensweise übernommen habe. Erst 2005 habe dann die Antragstellerin von der noch offenen Forderung ihr gegenüber etwas erfahren. Sie habe nicht gewusst, dass die Regelsatzleistungen auch einen Anteil für Haushaltsstrom enthielten. Seit der Sperrung der Energiezufuhr habe sie die Heizbeihilfe für Kerzen und Batterien ausgegeben, mit deren Hilfe sie etwas Licht erlange und Radio hören könne. Zudem habe sie Mehrkosten dadurch, dass mangels funktionierenden Kühlschrankes die Lebensmittel schlecht würden.

Die Antragstellerin trägt weiter vor, eine Selbsthilfe könne sie nicht erbringen. Nach Abschalten der Energiezufuhr habe sie keine Zahlungen mehr an die WSW leisten müssen. Hinsichtlich des an sie ausgezahlten Erstattungsbetrages von 162,29 EUR habe sie den WSW eine Verrechnung mit den Altschulden vorgeschlagen. Da diese darauf nicht eingegangen seien, habe sie den Betrag zum Teil selbst verbraucht, überwiegend aber ihrer in einer Notlage befindlichen Tochter zugewandt. Auch wegen des ihrer Tochter durch die Antragsgegnerin in Abzug gebrachten Darlehensbetrages, habe sie diese unterstützen müssen.

Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihre Energiekostenrückstände darlehensweise zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß),

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Ansicht, es fehle der Antragstellerin am ernsthaften Willen zur Selbsthilfe. Sie habe durch Nichtleistung der Vorauszahlungen an die WSW für die Wohnung I Straße es auf die Entstehung entsprechender Rückstände ankommen lassen.

Im Antragsverfahren hat sich die Antragsgegnerin bereit erklärt, der Antragstellerin 365,43 EUR zuzüglich der Kosten für den Zählereinbau darlehensweise zu gewähren. Sie hat jedoch verlangt, dass die Antragstellerin zuvor an die WSW einen Betrag in Höhe von 454,29 EUR als Selbsthilfe zahle. Diesen Selbsthilfebetrag hat sie errechnet, aus dem von der Antragstellerin seit Einstellung der Energiezufuhr im Zeitraum von April bis Juli 2005 einbehaltenen vierfachen Betrag der Heizbeihilfe von 43,00 EUR und des Regelsatzanteils für Haushaltsstrom von 30,00 EUR, sowie der Auszahlung der WSW in Höhe von 162,29 EUR.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Das ist der Fall, wenn dem Antragsteller gegen den Antragsgegner ein Anspruch (sog. Anordnungsanspruch) zusteht, dessen vorläufige Durchsetzung dringlich ist (sog. Anordnungsgrund). Die vorläufige Befriedigung des Anspruchs anzuordnen kommt dabei aber nur in Betracht, wenn dem Antragsteller sonst unzumutbare Nachteile entstünden (Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.04.2005, Az.: L 9 B 6/05 SO ER). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Zwar ist aufgrund der andauernden Sperrung der Energiezufuhr ein Anordnungsgrund als Ausdruck einer besonderen Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht. Das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache ist unzumutbar.

Die Antragstellerin hat aber schon keinen Anordnungsanspruch. Dieser ist identisch mit dem geltend gemachten materiellen Anspruch. Ein solcher erscheint unbegründet.

Einzige in Betracht kommende Anspruchsgrundlage gegenüber der Antragsgegnerin ist § 34 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Danach können Schulden übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist.

Zwar liegt der Tatbestand der Norm vor:

Zum einen befindet sich die Antragstellerin durch die Einstellung der Energiezufuhr in einer dem drohenden Verlust der Unterkunft vergleichbaren Notlage. Eine solche liegt vor, wenn die Lebensführung des Einzelnen in so empfindlicher Weise beeinträchtigt ist, dass der "Interventionspunkt der Sozialhilfe" erreicht wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Belieferung eines Haushalts mit Energie gesperrt wurde (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 28.04.1999, Az.: 24 A 4785/97). Denn die Energieversorgung gehört angesichts der heutigen Lebensverhältnisse nahezu aller privater Haushalte zum sozialhilferechtlich anerkannten Mindeststandard (OVG NRW, Beschluss vom 09.05.1985, Az.: 8 B 2185/84).

Zum anderen erscheint eine (zumindest teilweise) Übernahme der Schulden durch die Antragsgegnerin auch gerechtfertigt im Sinne des Tatbestandes des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB XII. Zwar ist hierbei zu berücksichtigen, welche Selbsthilfemöglichkeiten der Antragstellerin zur Verfügung stehen und auch wie es zu der Notlage kam. Insbesondere ist eine Übernahme von Schulden regelmäßig nicht gerechtfertigt, wenn Energiekostenvorauszahlungen im Vertrauen darauf nicht gezahlt werden, der Sozialhilfeträger werde sie übernehmen (Grube/Wahrendorf, SGB XII Kommentar, § 34 Rn. 7). Denn die Leistung der Sozialhilfe soll nach § 1 Satz 2 SGB XII die Eigenverantwortung der Leistungsempfänger stärken. Aber es erscheint mit dem Grundgedanken der Sozialhilfe, die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, § 1 Satz 1 SGB XII, nicht vereinbar, der Antragstellerin auch noch nach Jahren, in denen sie regelmäßig ihre Energiekostenvorauszahlungen leistete, jedwedes Darlehen unter Hinweis allein auf ihr Fehlverhalten bis Mitte 2003 zu verweigern.

Voraussetzung eines Anspruchs auf die vollständige darlehensweise Übernahme der Energiekostenrückstände ist aber darüberhinaus, dass das der Antragsgegnerin durch § 34 Abs. 1 SGB XII eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist. Ob die mündliche Ablehnung der Übernahme von Mietschulden im Juni 2005 frei von Ermessensfehlern war oder ob die Antragsgegnerin bei einer Klage zur Neubescheidung zu verpflichten wäre, ist im einstweiligen Anordnungsverfahren unerheblich (Hamburgisches OVG, Beschluss vom 02.04.1990, Az.: Bs IV 88/90). Ein Anordnungsanspruch besteht nur, wenn die Gewährung des Gesamtbetrages der Energiekostenrückstände die einzige fehlerfreie Entscheidung ist. Das ist hier nicht der Fall.

Die Antragsgegnerin hat das ihr eröffnete Ermessen an Inhalt und Aufgabe der Sozialhilfe – Menschenwürde und Eigenverantwortung – auszurichten. Auch wenn, wie dargestellt, wegen des Fehlverhaltens der Antragstellerin in der I Straße, ihr nicht jedwede Hilfe versagt werden darf, kann dieses von der Antragsgegnerin berücksichtigt werden; ebenso, dass die Antragstellerin Im Zeitraum von Juli 2003 bis Februar 2005 keinerlei Verantwortungsbewusstsein bezüglich der von ihr verursachten Energiekostenrückstände zeigte. Selbst wenn die WSW schon damals eine Ratenzahlung ablehnten, hätte es der Antragsgegnerin oblegen, sich unverzüglich bei der Antragsgegnerin zu melden bzw. mit ihren geringen Mitteln wenigstens etwas für die Begleichung der Schulden anzusparen.

Jedenfalls aber erscheint es nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Antragsgegnerin durch ihre Berechnung des von der Antragstellerin zu tragenden Selbsthilfeanteils deutlich macht, dass diese spätestens ab erneuter Kenntnis vom Energiekostenrückstand im Februar 2005, zur Lösung ihrer Probleme hätte beitragen müssen. Es kann dahinstehen, ob sie nach Einstellung der Energiezufuhr zur Weiterzahlung an die WSW verpflichtet war. Die eingesparten Energiekostenvorauszahlungen ab April 2005, mindestens aber die durch den Regelsatz bzw. die gesonderte Beihilfe weiter gewährten Beträge für Haushaltsstrom und Heizkosten hätte sie angesichts ihrer Notlage zumindest zur Seite legen müssen.

Es ist nicht glaubhaft, dass für einen sparsamen Gebrauch von Kerzen und Batterien angesichts sommerlicher Lichtverhältnisse dieser Betrag in Höhe von 73,00 EUR monatlich verausgabt wurde. Bezüglich der Lebensmittel hätte sich die Antragstellerin auf das Wirtschaften ohne Kühlschrank einstellen müssen, Kauf haltbarer Lebensmittel und zügiger Verzehr verderblicher Waren. Zudem enthält der Regelsatz noch Ansparbeträge, die angesichts der bekannten Energiekostenrückstände nicht anderweitig hätten verwendet werden dürfen.

Wenn in der konkreten eigenen Notlage noch Beträge an die von Sozialleistungen lebende Tochter gegeben werden, spricht dies dafür, dass die Antragstellerin weiterhin einzig darauf vertraute, der Sozialleistungsträger werde ihr jede finanzielle Verantwortung abnehmen. Insbesondere den für sie bereits nach Einstellung der Stromzufuhr unverhofft zugeflossenen Betrag von 162,29 EUR zu verbrauchen bzw. zu verschenken, ist ihr anzulasten.

Es obliegt der Antragstellerin, vor Beginn winterlicher Witterung der Antragsgegnerin Anstrengungen nachzuweisen, die Energiekostenrückstände zurückzuführen. Sie hat sich beispielsweise zu bemühen, von ihrer Tochter etwaige dieser überlassene Beträge zurückzuerlangen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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