S 7 AL 63/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 AL 63/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AL 197/05
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 02.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.02.2005 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung eines täglichen Bemessungsentgelts von 85,33 Euro zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte zu 1/10.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Arbeitslosengeldes.

Der Kläger war bis zum 31.12.2003 als Weber bei der H1 GmbH in H2 beschäftigt.

In der Arbeitsbescheinigung war unter anderem sein Verdienst für die Monate Januar bis Dezember 2003 aufgeführt. Das in diesem Zeitraum erzielte Bruttoeinkommen lag bei 31.145,33 Euro.

Der Kläger meldete sich zum 01.01.2004 arbeitslos und beantragte bei der Beklagten die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 23.1.2004 ab dem 01.01.2004 für 960 Tage Arbeitslosengeld mit einem wöchentlichen Leistungssatz von 259,14 Euro. Bei der Berechnung des Bemessungsentgelts legte die Beklagte als Bemessungsrahmen den Zeitraum vom 01.01.2003 bis 31.12.2003 zugrunde. Das in dieser Zeit erzielte Arbeitsentgelt (31.145,33 Euro) teilte die Beklagte durch 52,2 Wochen. Das so errechnete wöchentliche Bemessungsentgelt von 596,56 Euro wurde auf 595,00 Euro abgerundet.

Mit Änderungsbescheid vom 02.01.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass das Bemessungsentgelt gemäß § 131 Abs. 1 SGB III (Drittes Buch Sozialgesetzbuch) ab dem 01.01.2005 von einem wöchentlichen auf einen täglichen Betrag umgestellt werde. Hierzu sei nicht das bisherige (gerundete) wöchentliche Bemessungsentgelt durch sieben geteilt worden, sondern das ungerundete wöchentliche Bemessungsentgelt. Danach ergebe sich ein tägliches Bemessungsentgelt von 85,24 Euro, welches ein tägliches Leistungsentgelt von 62,22 Euro und ein Leistungssatz von täglich 37,33 Euro bedinge.

Dem widersprach der Kläger am 21.01.2005. Mit der Höhe des Leistungssatzes und der dadurch entstandenen faktischen Kürzung sei er nicht einverstanden.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2005 als unbegründet zurückgewiesen. Ausgehend von dem täglichen Bemessungsentgelt sei das tägliche Leistungsentgelt, welches nach § 133 SGB III ermittelt werde, für die Ermittlung des täglichen Leistungssatzes zugrunde zu legen. Nach § 133 Abs. 1 SGB III sei Leistungsentgelt das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt. Bei dem Kläger sei von dem täglichen Arbeitsentgelt von 85,24 Euro 5,12 Euro Lohnsteuer und die Sozialversicherungspauschale in Höhe von 21 % (17,90 Euro) abzuziehen. Daraus ergebe sich ein Leistungsentgelt von 62,22 Euro und ein Leistungssatz von 37,33 Euro. § 139 SBG III sei durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, in Kraft seit dem 01.01.2005, aufgehoben worden. § 134 SGB III sei neu gefasst worden. Hiernach werde das Arbeitslosengeld für Kalendertage geleistet. Sei es für einen vollen Kalendermonat zu zahlen, sei dieser mit 30 Tagen anzusetzen. Insofern sei unerheblich, ob der Kalendermonat 30, 31, 29 oder 28 Kalendertage habe. Die Gesetzgeber sehe ausnahmslos die Minderung des jährlichen Leistungsanspruchs im Verhältnis zum Vorjahr für 5, bzw. 6 Tage in einem Schaltjahr, vor.

Dagegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Die geänderte Zahlungsweise führe zu einer Kürzung des Arbeitslosengeldanspruchs. Dies sei unverhältnismäßig. Für das Jahr 2005 ergebe sich eine Minderung seines Anspruchs um 110,52 Euro. Dieser verfassungswidrige Eingriff sei nicht gerechtfertigt. Ihm sei ein höherer Arbeitslosengeldanspruch zugesagt worden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 02.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.02.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Leistungskürzung sei durch Einführung von § 134 SGB III offensichtlich vom Gesetzgeber beabsichtigt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist teilweise begründet.

Der Bescheid vom 02.01.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.02.2005 ist teilweise rechtwidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 SGB (Sozialgesetzbuch).

Durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BGBl 2003 I, Seite 2848), welches am 01.01.2005 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber die Regelung über die Bemessung des Arbeitslosengelds grundlegend geändert. Die bisherigen Regelungen wurden stark vereinfacht und in den neuen §§ 130 – 134 SGB III (Drittes Buch Sozialgesetzbuch) zusammengefasst. §§ 135 – 139 SGB III wurden aufgehoben. § 134 Satz 1 SGB III ist die Nachfolgeregelung des bis zum 31.12.2004 geltenden § 139 SGB III a. F. Während bisher zur Ermittlung des Arbeitslosengeldes zunächst ein Wochenbetrag berechnet wurde, aus dem sich dann die Einzelbeträge für die in die Woche fallenden Leistungstage ergaben, wird das Arbeitslosengeld nach § 134 Satz 1 SGB III nunmehr sofort für Kalendertage berechnet und geleistet.

Das Arbeitslosengeld beträgt gemäß § 129 Nr. 2 SGB III für Arbeitslose (ohne Kinder im Sinne des Einkommensteuergesetzes) 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).

Das Bemessungsentgelt ist nach § 131 Abs. 1 Satz 1 SGB II das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Der Bemessungszeitraum umfasst nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III umfasst der Bemessungsrahmen ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs.

Das Leistungsentgelt ist nach § 133 Abs. 1 SGB III das um pauschalierte Abzüge verminderte Bemessungsentgelt.

Nach § 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III ist der Bemessungsrahmen "ein Jahr". Unter dem Begriff "Jahr" versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch das Gemeinjahr nach dem Gregorianischen Kalender mit einer mittleren Jahreslänge von 365 Tagen, 5 Stunden, 49 Minuten und 12 Sekunden. Zur Vereinfachung geht der Gregorianische Kalender von 365 Tagen im Normaljahr und alle 4 Jahre von 366 Tagen im Schaltjahr aus. Abweichend von dieser allgemeinen Definitionen gibt es auch andere Jahresdefinitionen wie z. B. das Kirchenjahr, das tropische Jahr oder das Wirtschaftsjahr. Sie entsprechen jedoch nicht der allgemeinen Definition des Begriffs "Jahr". Hätte der Gesetzgeber also eine andere als die allgemein übliche Definition des Jahres zugrunde legen wollen (wie z. B. das Zinsjahr mit 360 Tagen) hätte dies einer Klarstellung im Wortlaut des Gesetzes (z. B. " ...umfasst der Bemessungsrahmen 360 Tage") bedurft. Dass der Gesetzgeber von der Erforderlichkeit einer solchen Klarstellung ausgeht, zeigt die Existenz des § 134 Satz 2 SGB III. Hier wird der Monat (abweichend vom Gregorianischen Kalender) mit 30 Tagen definiert.

§ 131 Abs. 1 Satz 1 SGB III sieht vor, dass das Bemessungsentgelt das "auf den Tag" entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat, ist. Der Wortlaut und der Zusammenhang zu § 130 Abs. 1 SGB III verdeutlichen, dass es sich um eine kalendertaggenaue Berechnung handelt.

§ 134 SGB III stellt klar, dass das Arbeitslosengeld für den Kalendertag berechnet und geleistet wird. Die Definition des Monats lässt gerade keinen Rückschluss darüber zu, ob das Jahr mit der tatsächlichen Anzahl der Kalendertage oder mit 360 Tagen anzusetzen ist. Gleiches gilt für § 339 Satz 1 SGB III, der den Monat mit 30 Tagen und die Woche mit 7 Tagen definiert. Auch hier wird keine Aussage zur Definition "des Jahres" getroffen.

Ein Blick in die Gesetzesbegründung führt zu keinem anderen Ergebnis. Durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt wollte der Gesetzgeber die Vielfalt und Komplexität der Regelungen zum Bemessungsentgelt entschärfen und das Verwaltungsverfahren deutlich und nachhaltig vereinfachen. Zur Vereinfachung und Angleichung an die übrigen Sozialversicherungszweige sollte die bisherige Wochenbetrachtungsweise auf eine Jahres- bzw. Tagesbetrachtungsweise umgestellt werden (BT-DS 15/1515 Nr. 71, Seite 85). In den Gesetzesmaterialien ist nicht die Rede davon, dass bei der Berechnung des Bemessungsentgelts nunmehr von 360 Tagen ausgegangen werden sollte. Die zusatzlose Formulierung "das Bemessungsentgelt wird zukünftig auf Tagesbasis ermittelt" spricht vielmehr dafür, dass eine kalendertaggenaue Berechnung erfolgen soll. Ziel des Gesetzgebers ist – was in der Gesetzesbegründung mehrfach betont wird – die Vereinfachung der Berechnung des Arbeitslosengeldes und der Verwaltungsvorgänge. Entscheidend ist für den Gesetzgeber die Vereinfachung der monatlichen Auszahlungen des Arbeitslosengelds. In der Begründung zu § 134 SGB III wird ausgeführt "das Arbeitslosengeld wird in monatlich gleichbleibender Höhe gezahlt. Dies vermeidet verwaltungsaufwendige monatliche wiederkehrende Bearbeitungs-vorgänge, z. B. bei der Berücksichtigung von Abzweigungen und Pfändungen" (BT-DS 15/1515, Seite 86). Diese Neuregelung führt in der Praxis tatsächlich zu einer erheblichen Vereinfachung. Bei der Bestimmung des Bemessungsrahmens ist die Berechnung nach Kalendertagen ebenfalls einfacher als die Berechnung mit 360 Tagen. Es ist rechentechnisch einerlei, ob das im Bemessungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt durch 360 oder die tatsächliche Anzahl der Kalendertage geteilt wird.

Die Berechnung der Beklagten hinsichtlich des täglichen Bemessungsentgelts entspricht nicht diesen gesetzlichen Vorgaben.

Der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld war am 01.01.2004 entstanden. Die Beklagte ist daher zunächst zu Recht von einem Bemessungsrahmen vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2003 ausgegangen. In dieser Zeit hat der Kläger beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von 31.145,33 Euro verdient.

Dieser Betrag ist nach der Neuregelung durch 365 Tage (und nicht erst durch die Anzahl der Wochen und dann durch 7 Wochentage) zu teilen.

Infolge der Gesetzesänderung nahm die Beklagte ab dem 01.01.2005 eine Neuberechnung des täglichen Bemessungsentgelts vor. Die Beklagte teilte den bisherigen wöchentlichen Bemessungsentgeltbetrag (596,65 Euro) durch 7 (7-Tagewoche) und errechnete ein tägliches Bemessungsentgelt von 85,24 Euro. Dieses Berechnungsprozedere bei der Berechnungsumstellung zum Jahreswechsel 2004/ 2005 ist mit den Vorgaben von § 134 SGB III nicht zu vereinbaren. § 134 SGB III macht bereits im ersten Satz deutlich, dass zunächst zwischen der Berechnung und der Leistung zu unterscheiden ist, beides allerdings auf der Basis von Kalendertagen zu erfolgen hat. Das im Bemessungszeitraum erzielte Bemessungsentgelt ist daher taggenau zu berechnen. Das Bemessungsentgelt von 31.145,33 Euro ist durch 365 zu teilen. Daraus ergibt sich ein tägliches Bemessungsentgelt von 85,33 Euro. Es ist nicht einzusehen, warum der Arbeitslose die rechnerischen Reibungsverluste der Beklagten aufgrund der Rundungsfriktionen entgegen dem Wortlaut von § 134 SGB III hinnehmen sollte. Auch widerspricht die Berechnungsmethode dem Gedanken der Verwaltungsvereinfachung. Es ist umständlicher das Bemessungsentgelt zunächst durch die Anzahl der Wochen und dann durch die Anzahl der Wochentage zu teilen, als sofort eine Division durch die Anzahl der Tage des Jahres vorzunehmen (Sozialgericht Dresden vom 23.08.2005, S 21 AL 281/05 ).

Im Übrigen ist die Vorgehensweise der Beklagten gesetzeskonform. Der Kläger hat lediglich Anspruch auf monatliches Arbeitslosengeld in einer Höhe, die sich auf das 30-fache des täglichen Zahlbetrags beläuft.

Richtig ist, dass es durch die Verwaltungsvereinfachung im Verhältnis zu der alten Regelung zu einer Verkürzung des Arbeitslosengeldes kommt (Marschner in GK – SGB III/ 89 Februar 2005, § 134 Rn. 6). Bei der Berechnung des Monats mit 30 Tagen entsteht für die 7 Monate des Jahres mit 31 Tagen eine Verkürzung. Dieser steht nur eine Erhöhung für den Monat Februar gegenüber. Eine Übergangsvorschrift existiert nicht. Die entsprechende Bestimmung des § 434 j SGB III enthält keinen Übergangstatbestand zu § 134 SGB III bzw. § 139 SGB III a. F ... Nach Auffassung der Kammer hat der Gesetzgeber den finanziellen Nachteil zugunsten der Vereinfachung in Kauf genommen.

Die faktische Kürzung ist rechtlich nicht zu beanstanden (rechtskräftig entschieden durch Sozialgericht Düsseldorf, S 7 AL 132/05 am 5.8.2005; Sozialgericht Aachen, S 11 AL 21/05 vom 13.04.2005; Sozialgericht Dresden S 21 AL 281/05 vom 23.08.2005 und Sozialgericht Berlin S 60 AL 653/05 vom 09.06.2005; Coseriu/Jakob in Praxiskommentar zum SGB III, 2. Auflage §§ 130 – 139, Rn. 66).

Die neue Regelung verstößt insbesondere nicht gegen das in Artikel 14 GG (Grundgesetz) geschützte Eigentumsrecht. Ein Anspruch auf eine unveränderte weitere Anwendung des alten Rechts besteht nicht. Das Mitglied einer Pflichtversicherung kann nicht erwarten, dass die gesetzlichen Regelungen, die zum Zeitpunkt des Eintritts in die Versicherung bestanden haben, unverändert fortgelten (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 01.07.1981, Soz-R 2200, § 1255 a Nr. 7). Die Rechte und Pflichten, die im Rahmen einer Solidargemeinschaft wie der Arbeitslosenversicherung entstehen, sind einem steten Wandel unterlegen. Durch diesen können sich für den einzelnen Versicherten im Laufe der Zeit auch Nachteile ergeben, die dieser bei einem gerechtfertigten Eingriff wegen des Solidar- und Ausgleichscharakters zu tragen hat. Die Neuregelung dient – wie bereits ausgeführt – der Vereinfachung der Berechnung des Arbeitslosengeldes und damit der Effizienz der Sozialverwaltung. Dies ist ein verfassungsrechtlich nicht zu beanstandendes Ziel, mit dem das SGB III im übrigen z. B. an das System der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 47 Abs. 1 Satz 7 SGB V) angeglichen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Berufungszulassung gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG ist nicht erforderlich, da das Klagebegehren eine laufende Leistung von mehr als einem Jahr betrifft.
Rechtskraft
Aus
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