S 29 AS 95/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 95/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um eine Kürzung des dem Antragstellers gewährten Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 01.10. bis 31.12.2005. Mit Bescheid vom 01.06.2005 wurden dem Antragsteller, seiner Ehefrau sowie seinen 8 und 11 Jahre alten Kindern unter Anrechnung des für die Kinder jeweils gewährten Kindergeldes in Höhe von 154,- Euro, Arbeitslosengeld bzw. Sozialgeld in Höhe von insgesamt 1.413,- Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.07. bis 31.12.2005 bewilligt. An Bedarfen waren darin berücksichtigt 685,- Euro an Kosten für Unterkunft und Heizung sowie für den Antragsteller und seine Ehefrau jeweils 311,- Euro Regelbedarf, für die Kinder jeweils 207,- Euro. Am 22.06.2005 wurde zwischen dem Antragsteller und dem Fallmanager der Antragsgegnerin eine Eingliederungsvereinbarung unterzeichnet. Darin wurde vereinbart, dass der Antragsteller am 01.08.2005 die Maßnahme OPTIMA zur Integration in Arbeit bei der Firma S beginnt. Zu einem Antritt der Maßnahme kam es erst am 05.09.2005. Während der ersten drei Tage der Maßnahme fand eine Einführung statt. In dieser Zeit saß der Antragsteller jeweils über fünf Stunden täglich auf einem Normalstuhl und nahm an den Übungen teil. Am Ende der Einführung wurden ca. fünf verschiedene Arbeitsmöglichkeiten angeboten. Der Antragsteller fragte danach, ob er als Fahrer arbeiten könne. Er gab an, dass seine gesundheitlichen Einschränkungen eine andere Beschäftigung ausschlössen. Er habe Rückenschmerzen. Eine Tätigkeit als Fahrer stand nicht zur Verfügung. Dem Antragsteller wurde daraufhin die Arbeit in der Elektrowerkstatt nahegelegt, wo er leichte Tätigkeiten in wechselnden Haltungen hätte durchführen können. Ebenfalls gab es dort die Möglichkeit im Sitzen zu arbeiten. Am ersten Tage dieser Tätigkeit, dem 08.09.2005, brach der Antragsteller die Maßnahme ab.

Mit Bescheid vom 14.09.2005 hat die Antragsgegnerin die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für den Antragsteller für den Zeitraum vom 01.10. bis 31.12.2005 teilweise aufgehoben. Gekürzt wurde die Regelleistung um 30 %, d. h. 93,- Euro monatlich. Die Aufhebungs- und Kürzungsentscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 SGB X und § 31 Abs. 1 und 6 SGB II. Denn er habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung abgebrochen. Gründe, die dieses Verhalten erklären könnten, seien nicht nachgewiesen. Schon den Maßnahmebeginn verzögernde gesundheitliche Gründe, seien nicht ausreichend nachgewiesen worden.

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 30.09.2005 Widerspruch ein.

Am 20.10.2005 stellte er einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Die Kürzung sei ungerechtfertigt, der Antragsteller habe zwei minderjährige Kinder. Er habe stets aussagekräftige Atteste vorgelegt. Seine Bedenken gegen die Tätigkeit in der Elektroabteilung, habe er direkt geäußert. Im dortigen Betrieb herrsche extreme Zugluft. Exakt dies sei bei ihm aber gemäß Gutachten des ärztlichen Dienstes vom 14.07.2003 zu vermeiden. Die Kürzung des Arbeitslosengeldes II sei schnellstmöglich aufzuheben.

Der Antragsteller beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verurteilen, das Arbeitslosengeld II an ihn ungekürzt auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.

Der Antragsteller hat das ärztliche Gutachten vom 14.07.2003 zu den Gerichtsakten gereicht. Darin wird ausgeführt, dass der Antragsteller in Werkhallen in temparierten geschlossenen Räumen leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten stehend, gehend und sitzend ausführen könne. Auszuschließen seien Nässe, Kälte, Zugluft und Temperaturschwankungen. Zu meiden seien Tätigkeiten mit Einwirkung von Atemwegsreizstoffen, Witterungseinflüssen und Zeitdruck. Im Umfange dieses Leistungsbildes, sei der Antragsteller vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar. Fahrertätigkeiten in Verbindung mit Heben und Tragen u. a. schwerer Lasten seien als eher ungünstig anzusehen.

Mit ihren Verwaltungsakten hat die Antragsgegnerin eine Bestätigung des Gesundheitsamtes der Stadt Düsseldorf vorgelegt, nach der das Gutachten vom 14.07.2003 sich, obwohl das Geburtsdatum falsch angegeben sei, auf den Antragsteller beziehe. Mit den Verwaltungsakten hat sie weiter ein ärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis U und E vom 08.06.2004 vorgelegt. Danach sei der Antragsteller für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen, häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen sowie ohne Klettern und häufiges Treppensteigen vollschichtig einsetzbar. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II. Der Antrag war dahingehend auszulegen, dass es sich um einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG, handelt. Denn der Bewilligungsbescheid vom 01.06.2005 umfasst auch den Zeitraum der Kürzungen. Soweit die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 14.09.2005 entfiele, wären dem Antragsteller die begehrten ungekürzten Leistungen zu gewähren. Sofort vollziehbar ist der Bescheid vom 14.09.2005 gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 2 SGG i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat jedoch keinen Erfolg. Er ist unbegründet. Das Gericht kann nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs, der keine aufschiebende Wirkung hat, anordnen. Für diese Entscheidung hat das Gericht zu prüfen, ob das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs überwiegt. Bei der hierzu vorzunehmenden Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht ohne Bedeutung. An der Vollziehung einer offensichtlich rechtswidrigen – und daher im Widerspruchsverfahren oder anschließenden Klageverfahren aufzuhebenden – Maßnahme kann kein öffentliches Interesse bestehen. Ist die vollziehende Maßnahme dagegen offensichtlich rechtmäßig, kann das Interesse am Aufschub der Vollziehung grundsätzlich als gering veranschlagt werden. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache bei der im Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend ermitteln, bedarf es einer Abwägung aller relevaten Umstände, insbesondere der Vollzugsfolgen, um zu ermitteln, wessen Interesse für die Dauer des Hauptsacheverfahrens Vorrang gebührt. Auch hierbei sind erkennbare Erfolgschancen des Betroffenen oder der Behörde, auch wenn sie noch keine sichere Prognose für den Ausgang des Hauptsacheverfahrens zulassen, in die Abwägung mit einzubeziehen. Sie könne das Gewicht der jeweils von den Beteiligten geltend gemachten Interessen erhöhen oder mindern. Dabei ist der Rechtschutzanspruch des von der Vollziehung betroffenen umso stärker, je mehr die Vollziehung des Verwaltungsakts unabänderliches bewirkt (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, § 86b, Rdnr. 12c).

Die Interessenabwägung fällt hier zu Lasten des Antragstellers aus. Bei summarischer Prüfung erscheint der Bescheid vom 14.09.2005 als offensichtlich rechtmäßig. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in dem tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Bescheid vom 01.06.2005 stellt einen Dauerverwaltungsakt dar. Anders als in der Sozialhilfe, wurde hier für die nicht unerhebliche Dauer von 6 Monaten die Leistungsbewilligung ausgesprochen. Die Aufhebung erfolgt auch nur für die Zukunft, am 14.09. für die Zeit ab dem 01.10.2005. Eine wesentliche Änderung der Rechtslage nach Erlass des Verwaltungsaktes stellt es dar, dass nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II die Regelleistung für den Antragsteller um 30 % zu kürzen ist. Dies ist nach dieser Norm ohne Ermessen der Behörde vorgeschrieben, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abbricht und hierfür keinen wichtigen Grund nachweist. Mangels Ermessensspielraums der Behörde kann das Gericht deren Entscheidung vollständig nachprüfen. Auf die von der Antragsgegnerin angeführte Frage, ob der Antragsteller auch schon den Beginn der Maßnahme schuldhaft verzögerte, kommt es nicht an. Die Maßnahme OPTIMA diente zur Eingliederung des Antragstellers in Arbeit. Diese hat er auch abgebrochen. Ihm obläge der Nachweis eines wichtigen Grundes für sein Verhalten. Ein wichtiger Grund kann grundsätzlich in gesundheitlichen Beschwerden liegen. Bei summarischer Prüfung kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass die angegebenen gesundheitlichen Gründe des Antragstellers vorgeschoben sind. Denn schon bevor der Antragsteller bei einer Arbeit in der Elektroabteilung etwas von dortiger Zugluft hätte merken können, noch während der Einweisung, machte er deutlich, primär als Fahrer tätig werden zu wollen. Dies obwohl von 15 angebotenen Tätigkeiten keine einzige eine Fahrertätigkeit war. Hinzu kommt, dass gerade in dem vom Antragsteller angeführten Gutachten des ärztlichen Dienstes vom 14.07.2003 ausgeführt wird, dass Fahrertätigkeiten – mit den hiermit wohl regelmäßig verbundenen Trage- und Hebetätigkeiten beim ausliefern von Gegenständen – für ihn gerade ungünstig seien. Danach erscheint es ausgeschlossen, dass der Antragsteller handelte, um seine Gesundheit zu schonen. Auch das Gutachten vom 08.06.2004 – wohl seiner eigenen Hausärzte – schließt für ihn gerade Heben und Tragen sowie Treppensteigen, was von Fahrern häufig zu bewältigen ist, aus. Insbesondere wird aber auch eine Zwangshaltung als ungünstig angesehen. Eine solche ist aber gerade beim Führen eines Kfz einzuhalten.

Sonstige Gesichtspunkte, die die Interessenabwägung zwischen Vollzugs- und Aussetzungsinteresse hinsichtlich des Bescheides vom 14.09.2005 noch hätten zu Gunsten des Antragstellers beeinflussen können, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann er sich nicht darauf berufen, eine Frau und Kinder zu versorgen zu haben. Denn zutreffend hat die Antragsgegnerin deren Leistungen völlig ungekürzt belassen. Vielmehr spricht das gemeinsame Wirtschaften des Antragstellers mit Leistungsempfängern, die über ungekürzte Leistungen verfügen, für eine zusätzliche Absicherung seiner Lebenssituation. Aus § 31 Abs. 3 S. 3 SGB II ergibt sich zudem, dass bei einer Kürzung der Regelleistung um 30 % nach Auffassung des Gesetzgebers eine unerträgliche Notlage ausgeschlossen ist. Denn erst bei einer weitergehenden Kürzung, wird die ergänzende Gewährung von Sachleistungen zur Sicherung des Existenzminimums vorgesehen. Dies deckt sich auch damit, dass in der Regelleistung nach § 20 SGB II neben dem zum Leben unerlässlichen auch Ansparbeträge vorgesehen sind. Hinzu kommen Beträge für Kontaktpflege und sonstige Teilnahme am Gesellschaftsleben, deren vorübergehende Kürzung hinzunehmen ist. Andernfalls liefe der Sanktionsgedanke des § 31 SGB II leer.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG (analog).
Rechtskraft
Aus
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