S 14 KA 17/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 14 KA 17/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 B 3/06 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die monatlichen Abschlagszahlungen an die Antragstellerin ohne Kürzung gemäß Prüfbescheid vom 09.01.2006 auszuzahlen und die für die Monate Januar und ggfs. Februar 2006 bereits einbehaltenen Beträge an die Antragstellerin auszukehren. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I. Streitig ist die Höhe der monatlichen Abschlagszahlungen an die Antragstellerin.

Die Antragstellerin ist Ärztin für Allgemeinmedizin und zur vertragsärztlichen Versorgung in X zugelassen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin in der Vergangenheit eine Abschlagszahlung von monatlich 14.500,00 Euro als Vorauszahlung auf das vertragsärztliche Honorar der Antragstellerin zugestanden.

Der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen Nordrhein führte bei der Antragstellerin für die Quartale I/02, III/02 und IV/02 eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Arzneiverordnungstätigkeit durch. Mit Bescheid vom 09.01.2006 setzte er Regresse für das Quartal III/02 in Höhe von 7.228,52 Euro und für das Quartal IV/02 in Höhe von 6.296,50 Euro fest. Gegen diesen Bescheid, der ihr am 12.01.2006 zuging, legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Der Widerspruch ist noch nicht beschieden.

Die Antragsgegnerin unterrichtete die Antragstellerin mit Schreiben vom 09.01.2006 darüber, dass aufgrund des ausgesprochenen Regresses die Abschlagszahlung reduziert werde. Hierzu berief sie sich auf § 11 Abs. 2 des Honorarverteilungsvertrages (HVV) in der ab 01.01.2006 geltenden Fassung. Für den Monat Januar 2006 wurde die Abschlagszahlung der Antragstellerin um 40%, d.h. 5.800,00 Euro, reduziert, so dass der Antragstellerin ein Betrag von 8.700,00 Euro angewiesen wurde.

Die Antragstellerin hat am 17.01.2006 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Hierzu trägt sie vor, dass die Regelung des § 11 Abs. 2 HVV rechtswidrig sei. Sie stehe der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in § 106 Abs. 5 Satz 4 SGB V entgegen, wonach die Anrufung des Beschwerdeausschusses in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren aufschiebende Wirkung habe. Durch die Kürzung der Abschlagszahlungen werde faktisch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs außer Kraft gesetzt. Mit der reduzierten Abschlagszahlung sei es ihr nicht möglich, den Praxisbetrieb aufrecht zu erhalten. Bereits die monatlichen Praxis- und Lebenshaltungskosten überstiegen einen Betrag von 20.000,00 Euro. Sie verfüge nicht über genügend finanzielle Reserven, um die Kürzung der Abschlagszahlungen finanziell auffangen zu können. Das Konto bei der Stadtsparkasse X, das für die Ausgaben der Praxis vorgehalten werde, weise bereits ein Sollsaldo von 18.434,05 Euro auf.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, die monatlichen Abschlagszahlungen an sie ab dem 01.01.2006 im gleichen Umfang wie bisher, nämlich in Höhe von 14.500,00 Euro monatlich, auszuzahlen und seit dem 01.01.2006 eingehaltene Beträge, die von dieser Summe abweichen, spätestens bis zum 31.01.2006 nachzuerstatten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Weder das Gesetz noch die Bundesmantelverträge sähen einen Anspruch auf Abschlagszahlungen vor. Eine Rechtsgrundlage hierfür finde sich allein im HVV. Dort sei geregelt, dass die Abschlagszahlung in Höhe von bis zu 25% geleistet werden könne, was jedoch nicht gelte, wenn ein Verordnungsregress verhängt worden sei. Es sei bereits mehrfach höchstrichterlich entschieden worden, dass ein Vertragsarzt noch nicht einmal einen Anspruch auf ein Honorar in bestimmter Höhe habe. Auch ein Anordnungsgrund läge nicht vor, da keine wesentlichen Nachteile oder eine wesentliche Erschwernis bzgl. der Verwirklichung eines Rechts substantiiert dargelegt worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II. Der Antrag der Antragstellerin ist in der Form des Erlasses einer einstweiligen Anordnung begründet.

Die Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes sind in § 86b Sozialgerichtsgesetz (SGG) geregelt. § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG enthält eine Subsidiaritätsklausel. Eine einstweilige Anordnung ist nur statthaft, wenn einstweiliger Rechtsschutz nach Abs. 1 nicht in Betracht kommt. Das ist hier der Fall, denn der einstweilige Rechtsschutz nach Maßgabe des § 86b Abs. 1 SGG setzt voraus, dass bereits ein Verwaltungsakt seitens der Behörde ergangen ist (vgl. auch Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 8. Auflage, § 86b Rz. 7). Insoweit hat die Antragsgegnerin zutreffend darauf hingewiesen, dass die Reduzierung der monatlichen Abschlagszahlung auf schlichtem Verwaltungshandeln beruht. Doch selbst wenn man dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 09.01.2006 die Rechtsqualität eines Bescheides zumessen würde, wären die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG nicht gegeben. Gegenstand des Antrages der Antragstellerin ist ein Verpflichtungsbegehren, nämlich das Begehren auf ungekürzte Auszahlung der Abschlagszahlungen. Deshalb kann die Antragstellerin ihr Begehren nur im Wege einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 86 b Abs. 2 SGG durchsetzen.

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind hiernach auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Danach ist zwischen einer Sicherungs- (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG) und einer Regelungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG) zu unterscheiden. Unter eine Regelungsanordnung fallen die praktisch häufigen Fälle eines Verpflichtungs- oder eines Leistungsbegehrens, in denen es um die vorläufige Begründung oder Erweiterung einer Rechtsposition geht (vgl. LSG NRW Beschluss vom 09.07.2004 – L 10 B 6/04 KA ER). Sowohl für die Sicherungs- als auch für die Regelungsanordnung entspricht es einer verfassungsrechtlich unbedenklichen verwaltungsgerichtlichen Praxis, die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes davon abhängig zu machen, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht (LSG NRW a.a.O.).

Ein streitiges Rechtsverhältnis ist unstreitig begründet. Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin stehen als Vertragsärztin und Kassenärztliche Vereinigung in einer Rechtsbeziehung, die sich durch die Gegenseitigkeit von Leistungserbringung und Vergütung vertragsärztlicher Leistungen auszeichnet. Diese Rechtsbeziehung hat eine Konkretisierung erfahren, als die Antragsgegnerin die Abschlagszahlung der Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Regelung des § 11 Abs. 2 HVV um 40% reduzierte. Mit der Reduzierung hat die Antragsgegnerin in die Rechtssphäre der Antragstellerin eingegriffen.

Dies hat sie in rechtswidriger Weise getan, weswegen das Vorliegen eines Anordnungsanspruches zu bejahen ist. Die Regelung des § 11 Abs. 2 HVV trägt das Handeln der Antragsgegnerin nicht. In § 11 Abs. 2 Satz 2 HVV ist geregelt, dass die an der Honorarverteilung Teilnehmenden auf das Vierteljahreshonorar monatliche Abschlagszahlungen erhalten, deren Höhe mindestens 20%, höchstens jedoch 30% des anerkannten Gesamthonorars der letzten durch die KVNo fertiggestellten Quartalsabrechnung betragen soll. Abweichend hiervon wird nach § 11 Abs. 2 Satz 3 HVV nach Erlass eines Bescheides des Prüfungsausschusses über einen Regress von mindestens Euro 1.000,00 pro Quartal die nächste und ggf. jede weitere Abschlagszahlung eines noch nicht abgerechneten Quartals um 10%-Punkte reduziert, bis der, ggf. von der Restzahlung abzuziehende, Regressbetrag erreicht ist. Durch diese Reduzierung kann der Wert von 20% des anerkannten Gesamthonorars unterschritten werden, § 11 Abs. 2 Satz 4 HVV.

Aufgrund der Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 2 HVV haben die Vertragspartner zunächst eine Rechtsgrundlage für die Zahlung von monatlichen Abschlagszahlungen als Vorauszahlungen auf das vertragsärztliche Honorar geschaffen. Dahinter ist das Bestreben zu erkennen, dem Vertragsarzt mit einem monatlichen Grundbetrag den laufenden Betrieb der Praxis zu ermöglichen und nicht in Gänze für einen Abrechnungszeitraum von drei Monaten in Vorleistung treten zu müssen. Wird das Recht auf Abschlagszahlungen durch die Vertragspartner des HVV begründet, so obliegt es grundsätzlich auch ihrer Gestaltungsfreiheit, dieses Recht zu modifizieren. Das gilt jedoch nur insoweit, als sie mit etwaigen Modifizierungen nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen. Im konkreten Fall der Antragstellerin bedeutet die Anwendung des § 11 Abs. 2 Sätze 3 und 4 HVV, dass die Antragsgegnerin sich in Widerspruch zu einer – höherrangigen – gesetzlichen Regelung setzt. Denn § 106 Abs. 5 Satz 4 SGB V bestimmt, dass die Anrufung des Beschwerdeausschusses aufschiebende Wirkung hat. Demgemäss hat der von der Antragstellerin gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 09.01.2006 eingelegte Widerspruch aufschiebende Wirkung. Das hat zur Folge, dass die mit diesem Bescheid festgesetzten Regresse für die Dauer des Widerspruchsverfahrens nicht realisiert werden können. Wenn die Antragsgegnerin jedoch gemäß der Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 3 HVV die festgesetzten Regresse zum Anlass nimmt, die Abschlagszahlungen der Antragstellerin zu kürzen, setzt sie sich über diese Rechtsfolgen hinweg. Das liegt an den Besonderheiten des Arzneikostenregresses. Im Gegensatz zur Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungstätigkeit stellt der Arzneikostenregress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise eine Art Schadensersatzanspruch der Krankenkassen dar (vgl. Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht, Rz. 69). Von dem Vertragsarzt wird demnach bereits festgesetztes Honorar zurückgefordert. Insoweit wird mit der Festsetzung des Regresses in eine bestehende Rechtsposition eingegriffen, weswegen ein Widerspruch gegen den Prüfbescheid in diesen Fällen tatsächlich aufschiebende Wirkung entfalten kann. Im Gegensatz dazu steht die Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungstätigkeit, vor allem dann, wenn der Prüfbescheid zeitgleich zur Honorarfestsetzung ergeht. Dann macht der Vertragsarzt mangels endgültig festgesetzten Honorars einen Leistungsanspruch geltend, weswegen eine aufschiebende Wirkung in diesen Fällen nicht eintreten kann (vgl. SG Düsseldorf, Beschluss vom 12.01.1995, S 2 Ka 174/94). Der Unterschied zum vorliegenden Fall wird darüber hinaus daran deutlich, dass völlig verschiedene Abrechnungszeiträume betroffen sind. Ausgesprochen wurden die Regresse für die Quartale III/02 und IV/02. Reduziert wurden die Abschlagszahlungen für den Abrechnungszeitraum des Quartals I/06.

Stellt die Reduzierung der Abschlagszahlungen im Ergebnis damit letztlich eine Aufrechnung von gegenseitigen Forderungen dar, so ist die Antragsgegnerin an dieser Aufrechnung mit Einlegung des Widerspruchs und der dadurch eintretenden aufschiebenden Wirkung gehindert. Die Reduzierung der Abschlagszahlungen aufgrund der verhängten Regresse war mithin rechtswidrig.

Vor dem Hintergrund der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der erfolgten Reduzierung ist das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach Ansicht des Gerichts vorliegend ausreichend dargelegt. Das Konto der Antragstellerin bei der Stadtsparkasse X weist bereits eine erhebliche Unterdeckung auf. Auch wenn angesichts der Höhe des Gesamtregressbetrages nicht zu erwarten ist, dass die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin gefährdet ist, ist ihr angesichts der oben dargestellten Rechtslage nicht zuzumuten, die Folgen einer weiteren Erhöhung der Unterdeckung zu tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Rechtskraft
Aus
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