S 35 (28,6) SB 321/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
35
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 (28,6) SB 321/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird - unter Abänderung des Bescheides vom 06.08.03 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.03 - verurteilt, beim Kläger einen GdB von 100 festzustellen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1/4.

Tatbestand:

Mit Bescheid vom 9. Dezember 1991 hatte die Beklagte beim Kläger einen Grad der Behinderung von 80 wegen:

1.Persönlichkeitsstörung (GdB 70) 2.Schwerhörigkeit (GdB 10) 3.Migräne (GdB 10) 4.Schmerzsyndrom der Wirbelsäule (GdB 10) 5.Sehminderung (GdB 10)

festgestellt.

Im Juni 2003 stellte der Kläger einen Änderungsantrag, mit dem er die Gewährung eines höheren Grades der Behinderung und die Nachteilsausgleiche "erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr" - G -, "außergewöhnlich gehbehindert" - aG - und "Befreiung von der Rundfunk- und Fernsehgebührenpflicht" - RF - begehrte.

Die Beklagte holte daraufhin Befundberichte von den Ärzten des Klägers ein und erteilte unter dem 06.08.2003 einen Bescheid, wonach die Behinderungen

1. Schwere neurotische Fehlentwicklung mit Zwangssymptomatik und Depression (70) 2. Schwerhörigkeit (10) 3. Migräne (10) 4. Schmerzsyndrom der Wirbelsäule, Zustand nach traumatisch bedingtem Deckplatteneinbruch 2. Lendenwirbelkörper (20) 5. Sehminderung bei Augenleiden (10) 6. Schlaf-Apnoe-Syndrom mit Überdruckbeatmung (20) 7. Harnentleerungsstörung bei Prostatavergrößerung (10)

weiterhin einen GdB von 80 bedingen. Die Zuerkennung der begehrten Nachteilsausgleiche wurde mit dem Bescheid abgelehnt.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2003 als sachlich unbegründet zurückwies.

Gegen den Widerspruchsbescheid richtet sich die am 28.10.2003 bei Gericht eingegangene Klage mit der der Kläger u.a. vorträgt, er sei nicht in der Lage, größere Wegstrecken zurückzulegen.

Der Kläger ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben. Er hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 06.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2003 zu verurteilen, einen Grad der Behinderung von 100 und die Nachteilsausgleiche "G", "aG" und "RF" festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass ein höherer Grad der Behinderung nicht festgestellt werden kann und die Voraussetzung für die begehrten Nachteilsausgleiche nicht vorliegen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von medizinischen Sachverständigengutachten von dem Internisten Q, dem Neurologen und Psychiater W1 und dem Orthopäden W2.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der einseitigen mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann vorliegend in Abwesenheit des Klägers entscheiden, denn der Kläger wurde zum Termin ordnungsgemäß geladen und ist mit dieser Ladung darauf hingewiesen worden, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden werden kann.

Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist hinsichtlich der Höhe des Grades der Behinderung begründet, hinsichtlich der Gewährung von Nachteilsausgleichen aber unbegründet.

Soweit der Kläger einen höheren Grad der Behinderung begehrt, ist die Klage begründet. Der Kläger ist insoweit durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig.

Das Gericht verweist hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, nach denen im vorliegenden Fall der GdB zu bilden ist, auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom 08.10.2003.

Nach Maßgabe der dort genannten Vorschriften ist in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers eine wesentliche Änderung eingetreten, die es rechtfertigt, den GdB anzuheben.

Die wesentliche Änderung ist schon daraus zu ersehen, dass gegenüber den Feststellungen aus dem Jahre 1991 nun mehrere weitere Gesundheitsstörungen mit einem GdB von 20 hinzugetreten sind. Nach Auffassung der Kammer rechtfertigt dies eine Neubewertung der Behinderungen.

Unstreitig liegt beim Kläger eine schwere psychische Behinderung vor, die der Sachverständige W1, ebenso wie der beratende Arzt des Beklagten mit einem GdB von 70 bewerten. Darüber hinaus liegen Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule vor, die einen GdB von 20 bedingen. Die Beklagte erkennt auch an, dass das Schlaf-Apnoe-Syndrom vorliegend einen GdB von 20 bedingt. Dies wird auch von dem gerichtlichen Sachverständigen Q so bestätigt. Die Schwerhörigkeit des Klägers bedingt nach der Tabelle unter 26.5 der Anhaltspunkte einen GdB von 10. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Kläger zusätzlich an einem Tinitus leidet. Hier folgt die Kammer den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Q, der nachvollziehbar darlegt, dass der Tinitus beim Kläger zu einer Verstärkung im Bereich des Gehörleidens führt, so dass die Kammer es hier für angemessen hält, einen GdB von 20 festzusetzen. Schließlich leidet der Kläger an einer Herzerkrankung und einem Zustand nach Herzinfarkt. Bedauerlicherweise hat der medizinische Sachverständige Q die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers hier nicht getestet. Vor dem Hintergrund einer Belastungsdyspnoe und pekatinösen Beschwerden bei bestehendem Bluthochdruck hält die Kammer hier allerdings - abweichend von der Auffassung der Beklagten - einen Einzel-GdB von 30 für gerechtfertigt, denn allein aus den offensichtlich vorliegenden Beschwerden, die schon 1989 vom Kläger vorgebracht wurden, kann auf eine deutliche Verminderung der Leistungsfähigkeit geschlossen werden. Soweit der Sachverständige Q hier einen GdB von 50 – unter Berufung auf frühere ärztliche Stellungnahmen und das Gutachten von M in dem Verfahren SG Düsseldorf, Az.: S 00 Vs 00/00 – in Ansatz bringt, ist dem allerdings entgegenzuhalten, dass die damalige Bewertung auf den inzwischen außer Kraft getretenen "Anhaltspunkten 1986" (Heilungsbewährung nach Herzinfarkt) beruhte.

Nach Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen Q bedingen die Behinderungen insgesamt einen GdB von "mindestens" 80. Diese Aussage des Sachverständigen ist für die Entscheidung des Gerichts nicht hilfreich, weil nicht präzise genug. Die Kammer sieht sich aber in der Lage, aus den bestehenden Einzelgraden der Behinderung den Gesamtgrad der Behinderung selbst zu bilden. Ausgehend vom höchsten Einzelgrad der Behinderung von 70 für die psychische Erkrankung wirkt das Herzleiden nach Punkt 19 der Anhaltspunkte GdB erhöhend, denn die Behinderung besteht auf einem völlig anderen medizinischen Sachgebiet und wirkt sich im alltäglichen Leben daher auch in völlig anderen Bereichen aus. Gleiches gilt für das Schlafapnoesyndrom, das sich wiederum verstärkend auf das Herzleiden auswirkt. Die beim Kläger von den Sachverständigen festgestellten Wirbelsäulenveränderungen wirken sich wiederum in einem anderen Bereich aus, nämlich in dem Bereich der Bewegungsfähigkeit und führen daher ebenfalls zu einer Anhebung des GdB. Danach ist - nach Auffassung der Kammer - ein GdB von 100 gerechtfertigt. Es kann dann dahinstehen, ob auch das Gehörleiden noch GdB erhöhend wirkt.

Dagegen liegen die Voraussetzungen für die begehrten Nachteilsausgleiche nicht vor. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung des Nachteilsausgleichs "G". Nach Punkt 30 (3) der insoweit maßgeblichen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit sind die Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs "G" erfüllt, wenn Behinderungen der unteren Gliedmaßen vorliegen, die für sich genommen - unter Berücksichtigung der Vorgaben von Punkt 19 der Anhaltspunkte - einen GdB von 50 bedingen. Dies ist beim Kläger nicht der Fall. Die einzige Behinderung, die sich auf die Gehfähigkeit des Klägers auswirkt ist die Funktionsbeeinträchtigung der Lendenwirbelsäule, die allerdings nur mit einem GdB von 20 zu bewerten ist. Beim Kläger liegt auch keine Herzleistungsschwäche nach Gruppe 3 der Anhaltspunkte unter 26.9 vor, denn das Herzleiden des Klägers bedingt nach dem oben gesagten nur einen GdB von 30.

Da beim Kläger schon nicht die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" vorliegen, hat der Kläger erst Recht keinen Anspruch auf Gewährung des Nachteilsausgleich "aG", denn die Voraussetzungen dieses Nachteilsausgleichs gehen weit über die Voraussetzungen zur Gewährung des Nachteilsausgleichs "G" hinaus.

Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen für die Gewährung des Nachteilsausgleichs "RF", denn der Kläger kann noch an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen. Insoweit folgt die Kammer den medizinischen Sachverständigengutachten, die übereinstimmend festgestellt haben, dass der Kläger nicht gehindert ist, seine Wohnung zu verlassen, um an entsprechenden Veranstaltungen teilzunehmen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kläger zuletzt mit Schreiben vom 15.08.2006 mitgeteilt hat, er werde seine entfernt wohnende kranke Schwester besuchen. Das Gericht geht davon aus, dass, wenn derartige Besuche möglich sind, der Kläger auch an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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