S 26 R 210/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 210/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt eine höhere Rente und einen früheren Rentenbeginn bereits ab dem 55. Lebensjahr.

Die Klägerin ist am 00.00.1942 geboren und erhält von der Beklagten aufgrund ihres Rentenantrages vom April 2002 mit dem Rentenbescheid vom 03.06.2002 (Bl. 188 ff der Verwaltungsakte) nach Vollendung des 60. Lebensjahres ab dem 01.12.2002 Altersrente für schwerbehinderte Menschen, ohne Abschläge wegen vorzeitiger Inanspruchnahme. Im Versicherungsverlauf der Klägerin sind Pflichtbeiträge wegen Kindererziehung in der Zeit vom 01.11.1982 bis 31.10.1983 im Umfang von 12 Monaten enthalten und Kinderberücksichtigungszeiten im Zeitraum vom 01.10.1982 bis 31.10.1992.

Ein früherer Antrag auf Altersrente von Februar 1998 war von der Beklagten mit Bescheid vom 21.04.1998 abgelehnt worden mit der Begründung, ein Rentenanspruch bestehe nicht vor Vollendung des 60. Lebensjahres.

Das Sozialgericht Düsseldorf hat in zwei Vorprozessen mit Urteil vom 22.07.2003 (S 00 RA 000/00) und mit Gerichtsbescheid vom 08.01.2004 (S 00 RA 000/00) die Begehren der Klägerin nach einer höheren Altersrente und hinsichtlich eines früheren Rentenbeginns ab Vollendung des 55. Lebensjahres abgewiesen mit der Begründung, die Beklagte habe bereits alle von der Klägerin zurückgelegten Versicherungszeiten und die Kindererziehungszeiten und die Kinderberücksichtigungszeiten zutreffend berücksichtigt und auch das für die Klägerin gültige Recht angewandt; die Beklagte habe auch nicht ehemaliges DDR-Recht angewandt oder nur Entgeltpunkte Ost zugrunde gelegt. Soweit die Altersrente niedriger sei als noch 1996 in einer Rentenauskunft mitgeteilt, sei dies auf Rechtsänderungen seit 1996 zurückzuführen und im übrigen sei die Auskunft von 1996 nicht rechtsverbindlich und nicht bindend. Die Ablehnung einer früheren Altersrentenzahlung schon für die Zeit ab 1998 sei mit Bescheid vom 21.04.1998 – die Klägerin auch bindend – abgelehnt worden und im übrigen auch sachlich nicht zu beanstanden, da das Gesetz Altersrente frühestens ab Vollendung des 60. Lebensjahres vorsehe.

Die gegen diese Entscheidungen des Sozialgerichts Düsseldorf eingelegten Berufungen der Klägerin hat das Landessozialgericht mit Urteilen vom 07.02.2006 (L 00 RA 00/00 und L 00 RA 0/00) zurückgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass die Beklagte die Höhe der Rente zutreffend und der Rechtslage entsprechend festgestellt habe, und dass im übrigen der Klägerin auch keine Rente vor Dezember 2002 zustehe. Die bisherigen Bescheide der Beklagten seien damit nicht zu beanstanden. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils und des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Düsseldorf werde Bezug genommen und die Entscheidungen würden vom Landessozialgericht für zutreffend erklärt. Im übrigen habe kein Anlass bestanden, für die Klägerin einen besonderen Vertreter zu bestellen, auch wenn die vom Amtsgericht früher angeordnete Betreuung inzwischen in 2005 zeitlich ausgelaufen sei, da ein psychiatrischer Gutachter des Amtsgerichts – L – die tatsächliche Ausprägung der psychischen Erkrankung der Klägerin ohne von der Klägerin abgelehnte Untersuchung nicht habe feststellen können; damit bestehe kein genügender Anlass, die Prozessfähigkeit der Klägerin im Wege des Freibeweises auszuschließen und für sie nach § 72 SGG einen besonderen Vertreter zu bestellen.

Die von der Klägerin gegen diese Urteile eingelegten Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundessozialgericht mit Beschlüssen vom 12.04.2006 (B 00 R 000/00 B und B 00 R 000/00 B) als unzulässig verworfen.

Mit Schreiben vom 15.05.2006 hat die Klägerin die Beklagte aufgefordert, ihr eine richtige und vollständige Rente zu zahlen. Sie habe 1998 zu Recht schon damals Rente beantragt und die Rente sei auch nicht richtig berechnet worden. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird Bezug genommen auf Blatt 1633 ff der Verwaltungsakte. Die Beklagte hat dieses als Überprüfungsantrag ausgelegt.

Mit Bescheid vom 02.06.2006 (Bl. 1640 der Verwaltungsakte) hat die Beklagte es abgelehnt, die Rente neu festzustellen und Rente rückwirkend bereits ab dem 55. Lebensjahr zu gewähren. Sie begründete dies mit den gesetzlichen Vorschriften und dem Ausgang der Vorprozesse, insbesondere mit den Urteilen des Landessozialgerichts NRW vom 07.02.2006, worin bereits Aussagen zur Rentenberechnung getroffen worden seien. Seitdem hätten sich keine Änderungen ergeben, die einen Anspruch auf Neufeststellung der Rente begründen würden.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 12.06. und 04.07.2006 Widerspruch ein. Wegen ihres Vorbringens wird Bezug genommen auf Blatt 1641 ff der Verwaltungsakte. Zur Verwaltungsakte gelangte dann auch noch der Bescheid vom 29.04.1996 mit Rentenauskunft, die das Sozialgericht Düsseldorf bereits in seinem Urteil vom 22.07.2003 erwähnt hatte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.2006 (Blatt 1664 der Verwaltungsakte) wies die Beklagte den Widerspruch zurück und lehnte weiterhin die Neufeststellung der Rente und die Zahlung einer Altersrente bereits ab dem 55. Lebensjahr ab. Zur Begründung führte sie aus, das Vorbringen der Klägerin sei bei der Erteilung des angefochtenen Bescheides (vom 02.06.2006) bereits bekannt gewesen und sei schon berücksichtigt worden. Gründe zu einer Änderung lägen nicht vor. Sie verweise auch auf das Urteil des Landessozialgerichts vom 07.02.2006.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 16.08.2006 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Sie trägt mit der Klage im wesentlichen vor, nach alten Rentenrechtsgesetzen hätte 1998 Versicherten schon mit Vollendung des 55. Lebensjahres eine Rente für langjährige Versicherte ohne Abschläge zugestanden. Sie habe in X und in O gearbeitet und sei deshalb nach westdeutschen Rentenrechtsgesetzen zu behandeln. Sie habe auch eine Tochter geboren, dies habe die Beklagte entsprechend zu berücksichtigen. Wenn der Zugangsfaktor 1 stimme müsste ihr auch monatlich brutto 950,82 Euro bezahlt werden statt nur netto 479,32 Euro. Sie fühle sich ungerecht behandelt gegenüber anderen. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Klägerin wird Bezug genommen auf deren Schriftsätze vom 12.09.2006 mit Anlagen, vom 28.08.2006 und 05.09.2006 jeweils mit Anlagen.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2006 und Rücknahme bzw. Abänderung der Bescheide vom 21.04.1998 und 03.06.2002 und 23.10.2002 zu verurteilen, ihr – auch unter Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten – eine höhere Rente nach westdeutschen Rentengesetzen zu zahlen, und dies bereits seit Vollendung des 55. Lebensjahres.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und die Begründungen des Sozialgerichts Düsseldorf und des Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in den vorangegangenen Urteilen und hält alle diese Ausführungen für weiterhin zutreffend. Neues habe die Klägerin nicht vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und den Inhalt der Vorprozessakten S 00 RA 000/00 bzw. L 00 RA 0/00 und S 00 RA 000/00 bzw. L 00 RA 00/00 Bezug genommen; alle diese Akten und Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil diese in der Terminsmitteilung, die durch Zustellung ordnungsgemäß am 13.09.2006 bewirkt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.

Die Kammer brauchte zur Entscheidung über das Begehren der Klägerin auch keinen besonderen Vertreter zu bestellen; sie tritt insoweit den Ausführungen des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in den Entscheidungsgründen in den Urteilen vom 07.02.2006 bei, die erst vor ca. 8 Monaten ergangen sind; die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf sieht ebenso wie das Landessozialgericht NRW vor dem Hintergrund der Ermittlungen des Vormundschaftsgerichts und den Eindrücken des Landessozialgerichts auch keinen genügenden Anlass, die Prozessfähigkeit der Klägerin im Wege des Freibeweises auszuschließen und nach Maßgabe des § 72 SGG für sie einen besonderen Vertreter zu bestellen. Am üblichen Vorbringen der Klägerin in objektiv beleidigender und unangemessener Weise wie schon in den Vorprozessen hat sich seitdem nichts geändert, weder zum Besseren noch zum Schlechteren, sodaß weiterhin kein Anlass gesehen wird für die Klägerin einen besonderen Vertreter zu bestellen.

Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Überprüfungsbescheid vom 02.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.07.2006, sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden nach § 44 Abs. 1 SGB X zu Recht ohne erneute vollständige Sachprüfung an der Bindungswirkung ihrer früheren Bescheide festgehalten hat. Nach § 44 ist zwar ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen bzw. abzuändern, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Diese Bestimmung ermöglicht somit eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte (auch Rentenbescheiden), die gemäß § 77 SGG grundsätzlich von allen Beteiligten zu beachten ist, also auch von dem Sozialleistungsträger, der den Verwaltungsakt erlassen hat. Es findet jedoch nicht immer wieder eine erneute vollumfängliche Sachprüfung statt; vielmehr gilt für die Durchbrechung der Rechtskraft früherer bereits bestandskräftig gewordener Bescheide ein dreistufiges Prüfungsverfahren. Dabei müssen zunächst einmal Gründe geltend gemacht worden sein, die ihrer Art nach Gründe für eine Durchbrechung der Bindungswirkung darstellen (Bundessozialgericht in SozR 1300 § 44 Nr. 33; LSG NRW Urteil vom 29.01.1997 – L 4 An 21/95). Erst wenn solche Gründe vorgetragen und zu bejahen sind, ist erst weiter zu fragen, ob der geltend gemachte Grund tatsächlich vorliegt und der bindende Bescheid auf einem Umstand beruht, der im Überprüfungsverfahren nunmehr zweifelhaft geworden ist, und erst bei Bejahung dessen kann dann erst einen erneute Sachprüfung des gesamten früheren und jetzt vorgetragenen Streitstoffes erfolgen. Ergibt sich aber schon im Rahmen eines Antrags auf Überprüfung nichts Neues, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung bzw. der Vorentscheidungen sprechen könnte, dann darf sich die Verwaltung – und damit auch eine neue Gerichtsinstanz – ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen. Hier ist es so, dass die Klägerin im jetzigen Klageverfahren mit ihren Ausführungen letztlich wieder nur die gleichen Einwände erhebt, die sie schon früher gegen ihre Rentenberechnung hatte und die sie schon früher gegen eine Rentenzahlung erst ab Dezember 2002 erhob. Wiederum macht sie nur geltend, ihre Kindererziehungszeiten, ihre Kinderberücksichtigungszeiten und bundesdeutsches Recht seien nicht zutreffend berücksichtigt worden und die Rente hätte ihr schon mit Vollendung des 55. Lebensjahres zustehen müssen. All dies war schon Gegenstand der oben vorprozessualen Entscheidungen des Sozialgerichts Düsseldorf und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, sodaß sich das Sozialgericht jetzt zur Ablehnung des Begehrens der Klägerin und zur Abweisung der Klage auf die ausführlichen Ausführungen in den vorgenannten Entscheidungen stützt, die auch bereits rechtskräftig geworden sind; mit der Folge, dass auch die früheren Bescheide bzw. Rentenbescheide der Beklagten für die Klägerin nach § 77 SGG bindend geworden sind. Soweit die Klägerin jetzt noch moniert, aufgrund des ihr unstreitig zuerkannten Zugangsfaktors 1 müsse dies zu einer höheren Rente führen, verkennt sie offenbar, dass dieser im Rentenbescheid vom 03.06.2002 berücksichtigte Zugangsfaktor lediglich bewirkt, dass der Klägerin keine Rentenabschläge gemacht wurden bzw. werden, er führte lediglich dazu, dass die ermittelten Entgeltpunkte der Klägerin nicht gekürzt wurden bzw. mit einem Faktor kleiner als 1 ihr ungünstig vervielfältigt wurden – und zwar vor dem Hintergrund, dass der Klägerin die ab Dezember 2002 gewährte Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschlag bzw. Verringerung der Entgeltpunkte zustand (§ 77 Abs. 2 SGB VI in Verbindung mit § 236 a Satz 4 Nr. 1 SGB VI).

Soweit die Klägerin in Zukunft weitere Überprüfungsanträge ausdrücklich oder sinngemäß stellen sollte, die wiederum nur die gleichen Einwände beinhalten sollten, so kann dies dazu führen, dass weitere solche Anträge von der Beklagten wegen Verwirkung eines erneuten Antragsrechts nicht mehr beschieden werden müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved