Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 186/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 328/06
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Der am 00.00.1922 in D in Polen geborene Kläger ist Jude und Verfolgter des Nazi-Regimes und lebt seit 1943 in Palästina bzw. Israel mit der israelischen Staatsangehörigkeit.
Ein erster Antrag auf Rente aus der deutschen Rentenversicherung von 1996 war mit Bescheid vom 18.07.1997 von der Beklagten abgelehnt worden, weil der Kläger schon nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört habe und damit nicht die Voraussetzungen des § 17a des Fremdrentengesetzes (FRG) zur Anerkennung von Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung erfülle. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten und bestandskräftig.
Der Kläger beantragte am 04.11.2002 erneut die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Er gab dabei an, er habe von Anfang 1940 bis Anfang 1941 während seines Aufenthaltes im Ghetto von Chelm außerhalb des Ghettos Tätigkeiten als gelernter Schlosser in einer Werkstatt beim deutschen Militär verrichtet. Er habe Schlosser- und Reparaturarbeiten ausgeübt. Er habe dabei 8-10 Stunden täglich gearbeitet. Er sei weder bei der Arbeit noch auf dem Weg bewacht worden, da er einen Passierschein besässen habe. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden und freiwillig zustandegekommen. Bekommen habe er dafür Lebensmittel nach Hause. Barlohn habe er nicht erhalten. Zeugen könne er nicht mehr benennen (Bl. 61 ff., 69 der Verwaltungsakte der Beklagten). Im Mai 1941 sei er aus dem Ghetto nach Osten bzw. nach Russland geflohen, habe dort bis 1943 gelebt und sei dann nach Palästina bzw. Israel ausgewandert (Bl. 84 f der Verwaltungsakte). Seit 1943 lebte er dort.
Die Beklagte zog die vom Kläger im Antrag angegebenen Vorgänge der Claims Conference bei. Gegenüber dieser hatte der Kläger im Oktober 1993 angegeben: "Verfolgt und gearbeitet unter haftähnlichen Bedingungen ...bei Kriegsausbruch fand ich mich in Chelm ...darauf haben im September 1939 die deutschen Truppen Teile der Stadt Chelm besetzt. Bald sind die Verfolgungen eingetroffen ... im Oktober 1939 wurde ich mit anderen Juden von die Ortsbehörde zur Zwangsarbeit in eine Arbeitertruppe verpflichtet. Immer unter Wache haben wir gearbeitet beim Straßenbauen, Erdarbeit, an der Bahnstation und dann auch an die Werkstätte und Kaserne. Von Sonnenaufgang bis zum Untergang, im Winter und Sommer. Oftmals mit Peitsche dabei geschlagen. Das war eine schwere, weit über Kräfte anstrengende Arbeit. Unter Nahrung, primitive Wohnverhältnisse, Mangel an Bekleidung, führte zu Krankheit. Im Mai 1941 flüchtete ich in Richtung Osten ...". Die Beklagte zog noch Unterlagen über den Ort Chelm bei (Bl. 92 ff der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 02.03.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustandegekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sein nicht glaubhaft. Vielmehr seien nach den eigenen Schilderungen des Klägers gegenüber der Claims Conference von seinen Arbeitseinsätzen – im Widerspruch zu seinen Angaben im Rentenantrag – diese vielmehr als Zwangsarbeiten anzusehen gewesen, die nach dem ZRGB nicht anerkannt werden könnten. Außerdem habe es in Chelm auch kein geschlossenes Ghetto im Sinne des Gesetzes gegeben, vielmehr hätten dort nur spezielle Viertel nur für Juden bestanden.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 09.03.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er im wesentlichen vor, allein die frühere Bezeichnung von Arbeit als Zwangsarbeit sei unschädlich für ein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis. Er fügte noch eine schriftliche Erklärung bei. Danach habe er während seines Aufenthaltes im Ghetto freiwillige Arbeit erfüllt, in der Schlosserei gegen zusätzliche Lebensmittel. Aber ein- bis zweimal in der Woche habe man ihn zur Zwangsarbeit genommen. Beim Antrag der Claims Conference habe er nur über seine Zwangsarbeit gesprochen, weil er gedacht habe es werde besser sein, wenn er über Zwangsarbeit aussage. Außerdem habe ihn keiner über freiwillige Arbeit gefragt. In Wirklichkeit habe er größtenteils freiwillig in der Schlosserei gearbeitet (Bl. 110 der Verwaltungsakte). Jedenfalls habe er Essen und zusätzliche Lebensmittel erhalten. Weil solches wertvoller als Barlohn gewesen sei, hätten früher diverse Senate des Landessozialgerichts NRW von Sachbezügen als ausreichende Entlohnung angesehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung wieder und führte noch ergänzend aus, es fehle zur Anerkennung von Beitragszeiten nach wie vor auch an der Ghetto-Eigenschaft von Chelm.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 04.03.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt der Kläger sinngemäß Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und vertieft dieses mit Schriftsatz vom 12.09.2005. Ergänzend macht er geltend, für seine Tätigkeit habe er Lohn in Form von Sachbezügen zur beliebigen Verfügung bekommen, also täglich Essen und wöchentlich zusätzliche Lebensmittel für zu Hause. Dies hätte die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Außer Leistungen nach dem Stiftungsgesetz habe er keine anderen Ansprüche geltend gemacht. Er rege die Einholung eines historischen Gutachtens zum Ghetto Chelm an.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005 zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG – für die von ihm anlässlich des Aufenthalts im Ghetto Chelm von Januar 1940 bis Januar 1941 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung – und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, der Kläger gehe schon auf die Widersprüche zu seinen früheren Angaben gegenüber der Claims Conference nicht ein bzw. nicht ausreichend ein und entkräfte deshalb schon nicht die Annahme von Zwangsarbeit.
Das Gericht hat die Unterlagen der Claims Conference beigezogen, die auch schon in der Verwaltungsakte der Beklagten enthalten sind. Ergänzend hat die Claims Conference mitgeteilt, der Kläger habe eine Entschädigung des Schweizer Banken-Fonds wegen geleisteter Zwangsarbeit von Oktober 1939 bis Mai 1941 im Ghetto Chelm erhalten. Derzeit sei aber noch keine Zahlung aus den Stiftungsmitteln nach dem EVZ erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte in Abwesenheit des Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil dieser in der Terminsmitteilung, die durch Zustellung ordnungsgemäß bewirkt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des SGG ergibt.
Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtene Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 02.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005, sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG hier nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend glaubhaft gemacht sind, und weil allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen, einen Rentenanspruch zu begründen.
Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem Bescheid vom 02.03.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen wesentlichen Voraussetzungen widergegeben und weshalb hier nicht von freiwilliger und auch entgeltlicher Beschäftigung im Sinne des ZRBG ausreichend glaubhaft ausgegangen werden kann.
Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus:
Voraussetzung für die Gewährung einer Regelaltersrente ist nach § 35 des Sozialgesetzbuches (SGB) VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff SGB VI hat der Kläger aber nicht; die Anwendbarkeit des ZRBG zu seinen Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten der deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland scheitert hier schon daran, dass er keine Beschäftigung in einem Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht hat, die auch eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen geeignet gewsen wäre.
I. Es fehlt schon an einem schlüssigen Vortrag für die Annahme einer regelmäßigen – auch regelmäßig entgeltlichen – Tätigkeit, für die sogar ein Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müßte, um rentenrechtlich relevant zu sein (§ 1227 der 1940 bis 1941 geltenden Rechtsversicherungsordnung). Angesichts der früheren Angaben des Klägers gegenüber der Claims Conference von 1993, die der Kläger damals wesentlich zeitnäher machte als die heutigen Angaben im Rentenantrag, erscheint an der heutigen Darstellung einer freiwilligen entgeltlichen Beschäftigung nicht wahrscheinlicher als die früher im Entschädigungsverfahren der Claims Conference gemachten Angaben. Damals hat der Kläger den Sachverhalt noch wesentlich anders dargestellt. Er sei zur Arbeit verpflichtet worden, und bei der Arbeit oftmals mit Peitsche geschlagen worden. Er habe immer unter Bewachung gestanden, auch bei der Werkstätte, und von früh morgens bis abends gearbeitet, bei jeder Witterung. Er sei dabei auch unterernährt gewesen und habe auch Mangel an Bekleidung gelitten. Er schilderte damit früher einen Überlebenskampf, wobei er unter Ausbeutung seiner Arbeitskraft für nur unzureichende Ernährung und Bekleidung arbeiten mußte. Diese zeitnäheren Angaben im Entschädigungsverfahren sind aber ein wesentliches und maßgebliches Kriterium für die Beweiswürdigung, ob ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis oder Zwangsarbeit vorgelegen hat; gerade in früheren Angaben außerhalb des Rentenverfahrens kommt besondere Bedeutung zu (so jetzt auch Sozialgericht Hamburg Urteil vom 25.08.2006 – S 19 RJ 162/04). Es kann angesichts dessen nicht mit der hier erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die heutigen Angaben im Rentenverfahren bzw. im Klageverfahren zutreffender sind als die früheren Angaben, die noch ein ganz anderes Verfolgungsschicksal dargestellt haben. Die Widersprüche zum früheren Entschädigungsverfahren hat der Kläger auch im Klageverfahren nicht ausreichend entkräftet, auf sie wird nicht hinreichend eingegangen. Dass der Kläger neben der geschilderten Beschäftigung als gelernter Schlosser daneben auch noch ein- bis zweimal die Woche zu Zwangsarbeiten genommen worden sein soll, wie im Widerspruchsverfahren dargestellt, ist angesichts der früher doch sehr plastischen ausführlichen Schilderung des Verfolgungsschicksals nicht glaubhaft (also dass er anders als früher behauptet hauptsächlich freiwillig gearbeitet habe). Zeugen für die heutigen anderweitigen Behauptungen hat der Kläger nicht benennen können und es kann hier im Zweifel auch nach Beweislastgrundsätzen nicht von einer wirklich freiwilligen und auch entgeltlichen Beschäftigung im Ghetto ausgegangen werden.
II. Der angeregten Einholung eines historischen Gutachtens zum Ghetto Chelm war nicht zu entsprechen. Denn das Vorliegen einer auch entgeltlichen Beschäftigung des Klägers aus freiem Willensentschluss ist schon nach seinen eigenen Angaben nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Daran kann auch ein allgemein-historisches Gutachten nichts ändern, da es immer auf die individuellen Umstände eines Verfolgten ankommt.
III. Die Klage hat auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass der Kläger eventuell einen Anspruch auf Lohn gehabt hätte für seine Tätigkeit in Chelm. Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente nach § 1 ZRBG kommt es darauf an, ob tatsächlich Entgelt gezahlt wurde, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder ob Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist lex spezialis gegenüber älteren Vorschriften, auch gegenüber dem WGSVG; außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur eine Beitragsentrichtung, nicht aber eine Entgeltzahlung. Im übrigen spricht die Nicht-Zahlung eines eventuell zivilrechtlich geschuldeten angemessenen Arheitsentgeltes gerade dafür, dass es sich um Zwangsarbeit zur Ausnutzung und Ausbeutung der Arbeitskraft handelte.
IV. Im übrigen steht der Anwendbarkeit des ZRBG bzw. der Begründung von Beitragszeiten auch nach §§ 15, 16, 17a FRG auch entgegen, dass der Kläger nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat, wie bereits im Rahmen eines früheren Rentenverfahrens 1996/1997 auch mit einer Sprachprüfung festgestellt wurde. Nach dem Urteil des LSG NRW vom 13.01.2006 – L 4 RJ 113/04 – kommt nämlich die Anwendbarkeit des ZRBG bzw. des FRG nur dem Personenkreis zugute, der auch dem dSK angehörte, denn das ZRBG hat keine Anspruchserweiterung herbeigeführt. Da die in Rede stehenden Tätigkeiten im Ghetto Chelm in einem Gebiet verrichtet wurden, in dem nicht die deutschen Reichsversicherungsgesetze galten, wäre das ZRBG bzw. das FRG nur auf den Kläger anwendbar, wenn er dem dSK auch angehört hätte, was aber nach dem früheren Rentenverfahren und der Sprachprüfung zu verneinen ist.
V. Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal des Kläger, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit dem geltend gemachten Anspruch des Klägers zu entsprechen. Das ZRBG gibt solches für ihn nicht her.
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGB.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Der am 00.00.1922 in D in Polen geborene Kläger ist Jude und Verfolgter des Nazi-Regimes und lebt seit 1943 in Palästina bzw. Israel mit der israelischen Staatsangehörigkeit.
Ein erster Antrag auf Rente aus der deutschen Rentenversicherung von 1996 war mit Bescheid vom 18.07.1997 von der Beklagten abgelehnt worden, weil der Kläger schon nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört habe und damit nicht die Voraussetzungen des § 17a des Fremdrentengesetzes (FRG) zur Anerkennung von Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung erfülle. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten und bestandskräftig.
Der Kläger beantragte am 04.11.2002 erneut die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Er gab dabei an, er habe von Anfang 1940 bis Anfang 1941 während seines Aufenthaltes im Ghetto von Chelm außerhalb des Ghettos Tätigkeiten als gelernter Schlosser in einer Werkstatt beim deutschen Militär verrichtet. Er habe Schlosser- und Reparaturarbeiten ausgeübt. Er habe dabei 8-10 Stunden täglich gearbeitet. Er sei weder bei der Arbeit noch auf dem Weg bewacht worden, da er einen Passierschein besässen habe. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden und freiwillig zustandegekommen. Bekommen habe er dafür Lebensmittel nach Hause. Barlohn habe er nicht erhalten. Zeugen könne er nicht mehr benennen (Bl. 61 ff., 69 der Verwaltungsakte der Beklagten). Im Mai 1941 sei er aus dem Ghetto nach Osten bzw. nach Russland geflohen, habe dort bis 1943 gelebt und sei dann nach Palästina bzw. Israel ausgewandert (Bl. 84 f der Verwaltungsakte). Seit 1943 lebte er dort.
Die Beklagte zog die vom Kläger im Antrag angegebenen Vorgänge der Claims Conference bei. Gegenüber dieser hatte der Kläger im Oktober 1993 angegeben: "Verfolgt und gearbeitet unter haftähnlichen Bedingungen ...bei Kriegsausbruch fand ich mich in Chelm ...darauf haben im September 1939 die deutschen Truppen Teile der Stadt Chelm besetzt. Bald sind die Verfolgungen eingetroffen ... im Oktober 1939 wurde ich mit anderen Juden von die Ortsbehörde zur Zwangsarbeit in eine Arbeitertruppe verpflichtet. Immer unter Wache haben wir gearbeitet beim Straßenbauen, Erdarbeit, an der Bahnstation und dann auch an die Werkstätte und Kaserne. Von Sonnenaufgang bis zum Untergang, im Winter und Sommer. Oftmals mit Peitsche dabei geschlagen. Das war eine schwere, weit über Kräfte anstrengende Arbeit. Unter Nahrung, primitive Wohnverhältnisse, Mangel an Bekleidung, führte zu Krankheit. Im Mai 1941 flüchtete ich in Richtung Osten ...". Die Beklagte zog noch Unterlagen über den Ort Chelm bei (Bl. 92 ff der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 02.03.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustandegekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sein nicht glaubhaft. Vielmehr seien nach den eigenen Schilderungen des Klägers gegenüber der Claims Conference von seinen Arbeitseinsätzen – im Widerspruch zu seinen Angaben im Rentenantrag – diese vielmehr als Zwangsarbeiten anzusehen gewesen, die nach dem ZRGB nicht anerkannt werden könnten. Außerdem habe es in Chelm auch kein geschlossenes Ghetto im Sinne des Gesetzes gegeben, vielmehr hätten dort nur spezielle Viertel nur für Juden bestanden.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 09.03.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er im wesentlichen vor, allein die frühere Bezeichnung von Arbeit als Zwangsarbeit sei unschädlich für ein freiwilliges Beschäftigungsverhältnis. Er fügte noch eine schriftliche Erklärung bei. Danach habe er während seines Aufenthaltes im Ghetto freiwillige Arbeit erfüllt, in der Schlosserei gegen zusätzliche Lebensmittel. Aber ein- bis zweimal in der Woche habe man ihn zur Zwangsarbeit genommen. Beim Antrag der Claims Conference habe er nur über seine Zwangsarbeit gesprochen, weil er gedacht habe es werde besser sein, wenn er über Zwangsarbeit aussage. Außerdem habe ihn keiner über freiwillige Arbeit gefragt. In Wirklichkeit habe er größtenteils freiwillig in der Schlosserei gearbeitet (Bl. 110 der Verwaltungsakte). Jedenfalls habe er Essen und zusätzliche Lebensmittel erhalten. Weil solches wertvoller als Barlohn gewesen sei, hätten früher diverse Senate des Landessozialgerichts NRW von Sachbezügen als ausreichende Entlohnung angesehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung wieder und führte noch ergänzend aus, es fehle zur Anerkennung von Beitragszeiten nach wie vor auch an der Ghetto-Eigenschaft von Chelm.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 04.03.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt der Kläger sinngemäß Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und vertieft dieses mit Schriftsatz vom 12.09.2005. Ergänzend macht er geltend, für seine Tätigkeit habe er Lohn in Form von Sachbezügen zur beliebigen Verfügung bekommen, also täglich Essen und wöchentlich zusätzliche Lebensmittel für zu Hause. Dies hätte die Geringfügigkeitsgrenze überschritten. Außer Leistungen nach dem Stiftungsgesetz habe er keine anderen Ansprüche geltend gemacht. Er rege die Einholung eines historischen Gutachtens zum Ghetto Chelm an.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005 zu verurteilen, ihm unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG – für die von ihm anlässlich des Aufenthalts im Ghetto Chelm von Januar 1940 bis Januar 1941 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung – und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, der Kläger gehe schon auf die Widersprüche zu seinen früheren Angaben gegenüber der Claims Conference nicht ein bzw. nicht ausreichend ein und entkräfte deshalb schon nicht die Annahme von Zwangsarbeit.
Das Gericht hat die Unterlagen der Claims Conference beigezogen, die auch schon in der Verwaltungsakte der Beklagten enthalten sind. Ergänzend hat die Claims Conference mitgeteilt, der Kläger habe eine Entschädigung des Schweizer Banken-Fonds wegen geleisteter Zwangsarbeit von Oktober 1939 bis Mai 1941 im Ghetto Chelm erhalten. Derzeit sei aber noch keine Zahlung aus den Stiftungsmitteln nach dem EVZ erfolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte in Abwesenheit des Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil dieser in der Terminsmitteilung, die durch Zustellung ordnungsgemäß bewirkt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des SGG ergibt.
Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtene Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 02.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2005, sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG hier nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend glaubhaft gemacht sind, und weil allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen, einen Rentenanspruch zu begründen.
Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem Bescheid vom 02.03.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen wesentlichen Voraussetzungen widergegeben und weshalb hier nicht von freiwilliger und auch entgeltlicher Beschäftigung im Sinne des ZRBG ausreichend glaubhaft ausgegangen werden kann.
Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus:
Voraussetzung für die Gewährung einer Regelaltersrente ist nach § 35 des Sozialgesetzbuches (SGB) VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff SGB VI hat der Kläger aber nicht; die Anwendbarkeit des ZRBG zu seinen Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten der deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland scheitert hier schon daran, dass er keine Beschäftigung in einem Ghetto im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht hat, die auch eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen geeignet gewsen wäre.
I. Es fehlt schon an einem schlüssigen Vortrag für die Annahme einer regelmäßigen – auch regelmäßig entgeltlichen – Tätigkeit, für die sogar ein Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müßte, um rentenrechtlich relevant zu sein (§ 1227 der 1940 bis 1941 geltenden Rechtsversicherungsordnung). Angesichts der früheren Angaben des Klägers gegenüber der Claims Conference von 1993, die der Kläger damals wesentlich zeitnäher machte als die heutigen Angaben im Rentenantrag, erscheint an der heutigen Darstellung einer freiwilligen entgeltlichen Beschäftigung nicht wahrscheinlicher als die früher im Entschädigungsverfahren der Claims Conference gemachten Angaben. Damals hat der Kläger den Sachverhalt noch wesentlich anders dargestellt. Er sei zur Arbeit verpflichtet worden, und bei der Arbeit oftmals mit Peitsche geschlagen worden. Er habe immer unter Bewachung gestanden, auch bei der Werkstätte, und von früh morgens bis abends gearbeitet, bei jeder Witterung. Er sei dabei auch unterernährt gewesen und habe auch Mangel an Bekleidung gelitten. Er schilderte damit früher einen Überlebenskampf, wobei er unter Ausbeutung seiner Arbeitskraft für nur unzureichende Ernährung und Bekleidung arbeiten mußte. Diese zeitnäheren Angaben im Entschädigungsverfahren sind aber ein wesentliches und maßgebliches Kriterium für die Beweiswürdigung, ob ein rentenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis oder Zwangsarbeit vorgelegen hat; gerade in früheren Angaben außerhalb des Rentenverfahrens kommt besondere Bedeutung zu (so jetzt auch Sozialgericht Hamburg Urteil vom 25.08.2006 – S 19 RJ 162/04). Es kann angesichts dessen nicht mit der hier erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die heutigen Angaben im Rentenverfahren bzw. im Klageverfahren zutreffender sind als die früheren Angaben, die noch ein ganz anderes Verfolgungsschicksal dargestellt haben. Die Widersprüche zum früheren Entschädigungsverfahren hat der Kläger auch im Klageverfahren nicht ausreichend entkräftet, auf sie wird nicht hinreichend eingegangen. Dass der Kläger neben der geschilderten Beschäftigung als gelernter Schlosser daneben auch noch ein- bis zweimal die Woche zu Zwangsarbeiten genommen worden sein soll, wie im Widerspruchsverfahren dargestellt, ist angesichts der früher doch sehr plastischen ausführlichen Schilderung des Verfolgungsschicksals nicht glaubhaft (also dass er anders als früher behauptet hauptsächlich freiwillig gearbeitet habe). Zeugen für die heutigen anderweitigen Behauptungen hat der Kläger nicht benennen können und es kann hier im Zweifel auch nach Beweislastgrundsätzen nicht von einer wirklich freiwilligen und auch entgeltlichen Beschäftigung im Ghetto ausgegangen werden.
II. Der angeregten Einholung eines historischen Gutachtens zum Ghetto Chelm war nicht zu entsprechen. Denn das Vorliegen einer auch entgeltlichen Beschäftigung des Klägers aus freiem Willensentschluss ist schon nach seinen eigenen Angaben nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Daran kann auch ein allgemein-historisches Gutachten nichts ändern, da es immer auf die individuellen Umstände eines Verfolgten ankommt.
III. Die Klage hat auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass der Kläger eventuell einen Anspruch auf Lohn gehabt hätte für seine Tätigkeit in Chelm. Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente nach § 1 ZRBG kommt es darauf an, ob tatsächlich Entgelt gezahlt wurde, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder ob Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist lex spezialis gegenüber älteren Vorschriften, auch gegenüber dem WGSVG; außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur eine Beitragsentrichtung, nicht aber eine Entgeltzahlung. Im übrigen spricht die Nicht-Zahlung eines eventuell zivilrechtlich geschuldeten angemessenen Arheitsentgeltes gerade dafür, dass es sich um Zwangsarbeit zur Ausnutzung und Ausbeutung der Arbeitskraft handelte.
IV. Im übrigen steht der Anwendbarkeit des ZRBG bzw. der Begründung von Beitragszeiten auch nach §§ 15, 16, 17a FRG auch entgegen, dass der Kläger nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat, wie bereits im Rahmen eines früheren Rentenverfahrens 1996/1997 auch mit einer Sprachprüfung festgestellt wurde. Nach dem Urteil des LSG NRW vom 13.01.2006 – L 4 RJ 113/04 – kommt nämlich die Anwendbarkeit des ZRBG bzw. des FRG nur dem Personenkreis zugute, der auch dem dSK angehörte, denn das ZRBG hat keine Anspruchserweiterung herbeigeführt. Da die in Rede stehenden Tätigkeiten im Ghetto Chelm in einem Gebiet verrichtet wurden, in dem nicht die deutschen Reichsversicherungsgesetze galten, wäre das ZRBG bzw. das FRG nur auf den Kläger anwendbar, wenn er dem dSK auch angehört hätte, was aber nach dem früheren Rentenverfahren und der Sprachprüfung zu verneinen ist.
V. Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal des Kläger, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit dem geltend gemachten Anspruch des Klägers zu entsprechen. Das ZRBG gibt solches für ihn nicht her.
VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGB.
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