Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 499/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 37/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Die Beklagte trägt 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren. Im übrigen haben die Beteiligten einander Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob bei der Altersrente der Klägerin eine weitere Beitragszeit für Tätigkeit anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Kaunas anzuerkennen ist, unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die am 00.00.1912 in L (L, L, heute in M) geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit 1957 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.
Ein erster Rentenantrag von 1994 wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 16.09.1996 abgelehnt, weil die Klägerin schon nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört habe. Deswegen seien keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten begründet worden, auch nicht nach § 17 a des Fremdrentengesetzes (FRG).
Die Klägerin beantragte am 07.08.2002 erneut die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Die Klägerin gab dabei an, zwar nicht dem dSK angehört zu haben; sie habe aber während ihres Aufenthaltes im Ghetto von Kaunas gearbeitet. Sie habe zunächst von September 1941 bis Mai 1942 außerhalb des Ghettos Bauarbeiten am Flugplatz von Kaunas verrichtet, und dann von Juni 1942 bis Juli 1944 im Ghetto in einer Schneiderei und später in einer Kürschnerei gearbeitet. Für die Tätigkeit am Flugplatz habe sie nur Beköstigung erhalten, für die Tätigkeit in einer Schneiderwerkstatt und der Kürschnerei Coupons (Bl. 90 Rentenakte).
Die Beklagte zog die BEG-Vorgänge der Bezirksregierung Düsseldorf und die Vorgänge der Claims Conference bei. Darin war auch von Zwangsarbeit die Rede. Man habe im Ghetto an Hunger, Kälte und Nässe gelitten, sei oft misshandelt worden und von den SS-Leuten geschlagen worden. Die Zwangsarbeiten hätten am frühen Morgen begonnen und am Abend geendet (Bl. 94 der Rentenakte).
Die Beklagte erteilte dann den angefochtenen Rentenbescheid vom 04.02.2004. Mit diesem gewährt sie eine Regelaltersrente ab dem 01.07.1997, aufgrund von Beitragszeiten anlässlich des Aufenthalts im Ghetto im Zeitraum vom 01.06.1942 bis 25.07.1944 für Tätigkeiten als Schneiderin und Kürschnerin. Die Anerkennung weitergehender Beitragszeiten für die Tätigkeit auf dem Flugplatz von Kaunas lehnte die Beklagte ab. Zur Begründung führte sie aus, nach den Gesamtumständen sei davon auszugehen, dass es sich bei den Arbeitseinsätzen auf dem Flugplatz von Kaunas während des Aufenthaltes im Ghetto dort um Zwangsarbeit gehandelt habe. Nach den Erkenntnissen der Beklagten aus zahlreichen Verfahren habe es sich bei der Beschäftigung auf dem Flugplatz "B" von Kaunas um Zwangsarbeit gehandelt, die unter Bewachung ausgeübt worden sei und nicht vergütet worden sei. Der Arbeitseinsatz sei auf der Grundlage einer Verordnung über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung von 1941 erfolgt. Aus dem Ghetto in Kaunas seien je nach Witterung bis zu 6.000 Juden in drei Schichten auf dem Flugplatz zu Erdarbeiten und dergleichen eingesetzt worden. Insofern liege eine entgeltliche aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung im Sinne von § 1 ZRBG nicht vor.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 20.02.2004 Widerspruch ein. Sie begründete ihn zunächst damit, dass die Beklage bisher zu Unrecht keine Ersatzzeit für Juli 1941 anerkannt habe. Außerdem seien zu Unrecht keine Beitragszeiten für die Tätigkeit am Flugplatz von Kaunas anerkannt worden. Auch insoweit habe sie aus freiem Willen dieses Beschäftigungsverhältnis aufgenommen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die Bewachung auf dem Weg von und zur Arbeit allein begründe noch keine Zwangsarbeit und sei vielmehr kriegsbedingt gewesen, weil der Flughafen ein strategisch wichtiger Ort gewesen sei. Sie habe auch entgeltlich gearbeitet. Zwar könne sie sich an die Höhe des Lohns nicht erinnern, doch sei Entgelt durch Quellen belegt.
Die Beklagte erteilte daraufhin einen neuen abändernden Rentenbescheid vom 21.04.2005, mit dem sie nun auch eine Ersatzzeit für Juli 1941 rentensteigernd anerkannte, im übrigen aber bei ihrer Ablehnung einer Beitragszeit für die Flughafen-Arbeit blieb.
Zur Tätigkeit der Juden auf dem Flughafen von Kaunas sandte die Beklagte ein ausführliches Schreiben vom 22.03.2005 an den Bevollmächtigten der Klägerin.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, soweit noch die Anerkennung von Beitragszeiten für die Tätigkeit auf dem Flugplatz von Kaunas begehrt werde. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung ausführlicher wieder und nahm Bezug auf ihr Schreiben vom 22.03.2005. Die Kosten für das Widerspruchsverfahren trage sie zu 1/4.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 30.11.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend: Auf dem Flugplatz B sei sie freiwillig und gegen Entgelt beschäftigt gewesen. Dieses Entgelt sei auch als versicherungspflichtig anzusehen. Die Beklagte übersehe, dass es auf die Höhe des tatsächlich ausgezahlten Entgeltes nicht ankommen könne, vielmehr sei auf den Entgeltanspruch abzustellen. Auf dieses Rechtsanspruch allein komme es an; habe es einen Rechtsanspruch auf Entgelt gegeben, so führe § 14 WGSVG zur Fiktion einer Beitragszahlung, gleich ob und in welcher Höhe tatsächlich Entgelte gezahlt worden seien.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.02.2004 in der Gestalt des weiteren Rentenbescheides vom 21.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2005 zu verurteilen, bei der Feststellung und Berechnung ihrer Altersrente weitere Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Kaunas auf dem Flugplatz B von September 1941 bis Mai 1942 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung - nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen rentensteigernd zu berücksichtigen und die Rente dementsprechend neu festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Lohn für die Tätigkeit auf dem Flugplatz erhalten habe. Im Fragebogen habe sie selbst angegeben, für diese Arbeit nur eine Beköstigung erhalten zu haben. Auch vor dem Hintergrund der Verordnung über die Einführung von Arbeitszwang für die jüdische Bevölkerung sei ein Beschäftigungsverhältnis entgeltlicher Art auf freiwilliger Art nicht überwiegend wahrscheinlich. Wenn die streitige Zeit anerkannt würde - was sie anders sehe -, käme es allerdings tatsächlich zu einer Rentensteigerung entsprechend der Probeberechnung Bl. 15 ff der Gerichtsakte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte in Abwesenheit der Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil diese in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden sind, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.
Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die der Klägerin mit dem Rentenbescheid vom 04.02.2004 in der Gestalt des weiteren Rentenbescheides vom 21.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2005 zuerkannte Altersrente ist nicht um weitere Versicherungszeiten nach dem ZRBG zu steigern. Insofern beschweren die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG; der mit dem Klageantrag begehrten weitergehenden Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen.
Der geltend gemachte Anspruch auf rentensteigernde Anerkennung weiterer Beitragszeiten für Tätigkeiten auf dem Flugplatz B scheitert hier daran, dass eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss auf dem Flugplatz B beim Ghetto von Kaunas nicht ausreichend glaubhaft ist.
Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in dem Bescheid vom 04.02.2004 und in dem Widerspruchsbescheid vom 22.11.2005 und in dem Schreiben vom 22.03.2005, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Es fehlt schon für die Anerkennung einer glaubhaften Beschäftigung auf dem Flugplatz im Sinne von § 1 Abs. 1 ZRBG an der Darlegung eines dem Grunde nach rentenversicherungspflichtigen Entgeltes dafür. Die Klägerin selbst hat im Rentenfragebogen angegeben, dass sie für ihre vorangegangene Tätigkeit auf dem Flugplatz - anders als für die später ausgeführten Arbeiten - nur Beköstigung erhalten habe, nicht mal wie später für andere Tätigkeiten Coupons. An die Lohnhöhe kann sie sich nicht einmal erinnern, so dass ein dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Entgelt im Sinne von § 1227 RVO - das über bloße Unterhaltssicherung hinausging - auch nicht dargelegt ist. Insoweit hat die Klage auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin möglicherweise einen Anspruch auf Lohn gehabt hätte. Denn für die Zuerkennung von Beitragszeiten nach § 1 ZRBG kommt es darauf an, ob tatsächlich Entgelt gezahlt worden war, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist ein lex specialis gegenüber anderen insbesondere älteren Vorschriften und auch gegenüber dem WGSVG; außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur Beitragsentrichtung, nicht aber die Entgeltzahlung selbst. Im übrigen spricht die Nicht-Zahlung eines eventuell zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich geschuldeten angemessenen Arbeitsentgeltes gerade dafür, dass es sich um Zwangsarbeit zur Ausnutzung der Arbeitskraft handelte. Auch nach aktueller Rechtsprechung des LSG NRW, der sich die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf anschließt, greift die Anspruchstheorie nicht ein (LSG NRW Urteile vom 27.01.2006 - L 13 R 123/05 und vom 13.02.2006 - L 3 R 43/05 und 178/05).
Im übrigen stellen sich die von der Klägerin geltend gemachten Tätigkeiten auf dem Flugplatz B nach allgemein-historischen Erkenntnissen, auf die sich die Beklagte auch bereits berufen hatte in den angefochtenen Bescheiden, als Zwangsarbeit unter schlimmsten Bedingungen heraus. Nach den Erkenntnissen des Karl-Ernst-Osthaus-Museums in Hagen (keom.de) wurden Juden für die Tätigkeit auf dem Flugplatz B eingesetzt, nachdem schon die zuvor dort arbeitenden sowjetischen Kriegsgefangenen massenweise an Überarbeitung und Hunger gestorben waren. So hat auch bereits das LSG NRW (Urteil vom 12.12.2005 - L 3 R 96/05) entschieden, dass die Tätigkeit der Juden auf dem Flughafen B nicht von Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit geprägt war, sondern von Zwangsarbeit in typischer Form unter erschwerten Bedingungen (so ähnlich auch Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.06.2005 - S 12 RJ 89/04). Im übrigen ist der Kammer auch aus anderen Verfahren bekannt, dass die Verhältnisse in Kaunas bzw. insbesondere auf dem Flughafen schlimmster Art waren und dass dafür nur ganz geringe Lebensmittelzuwendungen erbracht wurden (vgl. auch Alex Faitelson, Im Jüdischen Widerstand, Elster Verlag 1998 - ISBN 3-891517-269-4, insbesondere Seiten 99-101 zu den Lebensverhältnissen der Juden in Kaunas). Daraus folgt, dass an den Nachweis bzw. die Glaubhaftmachung des Erhalts eines potentiell versicherungspflichtigen Entgeltes für eine Arbeit aus freiem Willensentschluss in Kaunas nicht nur geringe Anforderungen zu stellen sind, die hier aber nicht ausreichend dargelegt wurden. Soweit sich die Klägerin bzw. ihre Bevollmächtigten darauf berufen haben, es hätten sich nach historischen Quellen auch kleine Gruppen von Arbeitern eingefunden, um sich für Arbeit auf dem Flugplatz zu melden, ist damit noch nicht dargelegt, dass auch die Klägerin dabei war; und selbst wenn sie sich dahin gemeldet haben sollte, dann kann dies nur unter dem Eindruck größter Not und schlimmsten Hungers geschehen sein, weil - wie oben bereits dargelegt - die Arbeitsbedingungen schlimmster Art waren und oft auch mit Misshandlungen einhergingen.
Bei dieser Sachlage konnte dahinstehen, ob für die Anerkennung von (weiteren) Beitragszeiten nach dem ZRBG es auch der Zugehörigkeit zum dSK bedürfte, wie das LSG NRW bereits in mehreren Urteilen vertreten hat (z. B. Urteil vom 13.01.2006 - L 4 RJ 113/04). Hier wäre wohl diese Zugehörigkeit auch nicht gegeben, nach dem früheren bestandskräftigen Bescheid vom 16.09.1996 und dem Ergebnis der Sprachprüfung Bl. 38 der Rentenakte.
Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der bisher vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung weiterer Beitragszeiten in der Altersrente zu entsprechen. Das ZRBG gibt solches für die Klägerin nicht her.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs.1, 4 SGG. Danach hat die Kammer die von der Beklagten bereits im Widerspruchsbescheid getroffene Kostenentscheidung bezüglich der im Widerspruchsverfahren anerkannten weiteren Ersatzzeit letztlich nur bestätigt, jedoch keine weitere Kostenerstattung zugesprochen, da die Klägerin mit dem Klageziel - Anerkennung weiterer ZRBG-Zeiten - nicht obsiegt hat.
Tatbestand:
Streitig ist, ob bei der Altersrente der Klägerin eine weitere Beitragszeit für Tätigkeit anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Kaunas anzuerkennen ist, unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Die am 00.00.1912 in L (L, L, heute in M) geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit 1957 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.
Ein erster Rentenantrag von 1994 wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 16.09.1996 abgelehnt, weil die Klägerin schon nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis (dSK) angehört habe. Deswegen seien keine auf die Wartezeit anrechenbaren Beitragszeiten begründet worden, auch nicht nach § 17 a des Fremdrentengesetzes (FRG).
Die Klägerin beantragte am 07.08.2002 erneut die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Die Klägerin gab dabei an, zwar nicht dem dSK angehört zu haben; sie habe aber während ihres Aufenthaltes im Ghetto von Kaunas gearbeitet. Sie habe zunächst von September 1941 bis Mai 1942 außerhalb des Ghettos Bauarbeiten am Flugplatz von Kaunas verrichtet, und dann von Juni 1942 bis Juli 1944 im Ghetto in einer Schneiderei und später in einer Kürschnerei gearbeitet. Für die Tätigkeit am Flugplatz habe sie nur Beköstigung erhalten, für die Tätigkeit in einer Schneiderwerkstatt und der Kürschnerei Coupons (Bl. 90 Rentenakte).
Die Beklagte zog die BEG-Vorgänge der Bezirksregierung Düsseldorf und die Vorgänge der Claims Conference bei. Darin war auch von Zwangsarbeit die Rede. Man habe im Ghetto an Hunger, Kälte und Nässe gelitten, sei oft misshandelt worden und von den SS-Leuten geschlagen worden. Die Zwangsarbeiten hätten am frühen Morgen begonnen und am Abend geendet (Bl. 94 der Rentenakte).
Die Beklagte erteilte dann den angefochtenen Rentenbescheid vom 04.02.2004. Mit diesem gewährt sie eine Regelaltersrente ab dem 01.07.1997, aufgrund von Beitragszeiten anlässlich des Aufenthalts im Ghetto im Zeitraum vom 01.06.1942 bis 25.07.1944 für Tätigkeiten als Schneiderin und Kürschnerin. Die Anerkennung weitergehender Beitragszeiten für die Tätigkeit auf dem Flugplatz von Kaunas lehnte die Beklagte ab. Zur Begründung führte sie aus, nach den Gesamtumständen sei davon auszugehen, dass es sich bei den Arbeitseinsätzen auf dem Flugplatz von Kaunas während des Aufenthaltes im Ghetto dort um Zwangsarbeit gehandelt habe. Nach den Erkenntnissen der Beklagten aus zahlreichen Verfahren habe es sich bei der Beschäftigung auf dem Flugplatz "B" von Kaunas um Zwangsarbeit gehandelt, die unter Bewachung ausgeübt worden sei und nicht vergütet worden sei. Der Arbeitseinsatz sei auf der Grundlage einer Verordnung über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung von 1941 erfolgt. Aus dem Ghetto in Kaunas seien je nach Witterung bis zu 6.000 Juden in drei Schichten auf dem Flugplatz zu Erdarbeiten und dergleichen eingesetzt worden. Insofern liege eine entgeltliche aus eigenem Willensentschluss zustande gekommene Beschäftigung im Sinne von § 1 ZRBG nicht vor.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 20.02.2004 Widerspruch ein. Sie begründete ihn zunächst damit, dass die Beklage bisher zu Unrecht keine Ersatzzeit für Juli 1941 anerkannt habe. Außerdem seien zu Unrecht keine Beitragszeiten für die Tätigkeit am Flugplatz von Kaunas anerkannt worden. Auch insoweit habe sie aus freiem Willen dieses Beschäftigungsverhältnis aufgenommen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Die Bewachung auf dem Weg von und zur Arbeit allein begründe noch keine Zwangsarbeit und sei vielmehr kriegsbedingt gewesen, weil der Flughafen ein strategisch wichtiger Ort gewesen sei. Sie habe auch entgeltlich gearbeitet. Zwar könne sie sich an die Höhe des Lohns nicht erinnern, doch sei Entgelt durch Quellen belegt.
Die Beklagte erteilte daraufhin einen neuen abändernden Rentenbescheid vom 21.04.2005, mit dem sie nun auch eine Ersatzzeit für Juli 1941 rentensteigernd anerkannte, im übrigen aber bei ihrer Ablehnung einer Beitragszeit für die Flughafen-Arbeit blieb.
Zur Tätigkeit der Juden auf dem Flughafen von Kaunas sandte die Beklagte ein ausführliches Schreiben vom 22.03.2005 an den Bevollmächtigten der Klägerin.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, soweit noch die Anerkennung von Beitragszeiten für die Tätigkeit auf dem Flugplatz von Kaunas begehrt werde. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung ausführlicher wieder und nahm Bezug auf ihr Schreiben vom 22.03.2005. Die Kosten für das Widerspruchsverfahren trage sie zu 1/4.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 30.11.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend: Auf dem Flugplatz B sei sie freiwillig und gegen Entgelt beschäftigt gewesen. Dieses Entgelt sei auch als versicherungspflichtig anzusehen. Die Beklagte übersehe, dass es auf die Höhe des tatsächlich ausgezahlten Entgeltes nicht ankommen könne, vielmehr sei auf den Entgeltanspruch abzustellen. Auf dieses Rechtsanspruch allein komme es an; habe es einen Rechtsanspruch auf Entgelt gegeben, so führe § 14 WGSVG zur Fiktion einer Beitragszahlung, gleich ob und in welcher Höhe tatsächlich Entgelte gezahlt worden seien.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.02.2004 in der Gestalt des weiteren Rentenbescheides vom 21.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2005 zu verurteilen, bei der Feststellung und Berechnung ihrer Altersrente weitere Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Kaunas auf dem Flugplatz B von September 1941 bis Mai 1942 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung - nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen rentensteigernd zu berücksichtigen und die Rente dementsprechend neu festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Lohn für die Tätigkeit auf dem Flugplatz erhalten habe. Im Fragebogen habe sie selbst angegeben, für diese Arbeit nur eine Beköstigung erhalten zu haben. Auch vor dem Hintergrund der Verordnung über die Einführung von Arbeitszwang für die jüdische Bevölkerung sei ein Beschäftigungsverhältnis entgeltlicher Art auf freiwilliger Art nicht überwiegend wahrscheinlich. Wenn die streitige Zeit anerkannt würde - was sie anders sehe -, käme es allerdings tatsächlich zu einer Rentensteigerung entsprechend der Probeberechnung Bl. 15 ff der Gerichtsakte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte in Abwesenheit der Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil diese in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden sind, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.
Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die der Klägerin mit dem Rentenbescheid vom 04.02.2004 in der Gestalt des weiteren Rentenbescheides vom 21.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2005 zuerkannte Altersrente ist nicht um weitere Versicherungszeiten nach dem ZRBG zu steigern. Insofern beschweren die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG; der mit dem Klageantrag begehrten weitergehenden Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen.
Der geltend gemachte Anspruch auf rentensteigernde Anerkennung weiterer Beitragszeiten für Tätigkeiten auf dem Flugplatz B scheitert hier daran, dass eine entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss auf dem Flugplatz B beim Ghetto von Kaunas nicht ausreichend glaubhaft ist.
Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in dem Bescheid vom 04.02.2004 und in dem Widerspruchsbescheid vom 22.11.2005 und in dem Schreiben vom 22.03.2005, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Es fehlt schon für die Anerkennung einer glaubhaften Beschäftigung auf dem Flugplatz im Sinne von § 1 Abs. 1 ZRBG an der Darlegung eines dem Grunde nach rentenversicherungspflichtigen Entgeltes dafür. Die Klägerin selbst hat im Rentenfragebogen angegeben, dass sie für ihre vorangegangene Tätigkeit auf dem Flugplatz - anders als für die später ausgeführten Arbeiten - nur Beköstigung erhalten habe, nicht mal wie später für andere Tätigkeiten Coupons. An die Lohnhöhe kann sie sich nicht einmal erinnern, so dass ein dem Grunde nach rentenversicherungspflichtiges Entgelt im Sinne von § 1227 RVO - das über bloße Unterhaltssicherung hinausging - auch nicht dargelegt ist. Insoweit hat die Klage auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin möglicherweise einen Anspruch auf Lohn gehabt hätte. Denn für die Zuerkennung von Beitragszeiten nach § 1 ZRBG kommt es darauf an, ob tatsächlich Entgelt gezahlt worden war, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist ein lex specialis gegenüber anderen insbesondere älteren Vorschriften und auch gegenüber dem WGSVG; außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur Beitragsentrichtung, nicht aber die Entgeltzahlung selbst. Im übrigen spricht die Nicht-Zahlung eines eventuell zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich geschuldeten angemessenen Arbeitsentgeltes gerade dafür, dass es sich um Zwangsarbeit zur Ausnutzung der Arbeitskraft handelte. Auch nach aktueller Rechtsprechung des LSG NRW, der sich die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf anschließt, greift die Anspruchstheorie nicht ein (LSG NRW Urteile vom 27.01.2006 - L 13 R 123/05 und vom 13.02.2006 - L 3 R 43/05 und 178/05).
Im übrigen stellen sich die von der Klägerin geltend gemachten Tätigkeiten auf dem Flugplatz B nach allgemein-historischen Erkenntnissen, auf die sich die Beklagte auch bereits berufen hatte in den angefochtenen Bescheiden, als Zwangsarbeit unter schlimmsten Bedingungen heraus. Nach den Erkenntnissen des Karl-Ernst-Osthaus-Museums in Hagen (keom.de) wurden Juden für die Tätigkeit auf dem Flugplatz B eingesetzt, nachdem schon die zuvor dort arbeitenden sowjetischen Kriegsgefangenen massenweise an Überarbeitung und Hunger gestorben waren. So hat auch bereits das LSG NRW (Urteil vom 12.12.2005 - L 3 R 96/05) entschieden, dass die Tätigkeit der Juden auf dem Flughafen B nicht von Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit geprägt war, sondern von Zwangsarbeit in typischer Form unter erschwerten Bedingungen (so ähnlich auch Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.06.2005 - S 12 RJ 89/04). Im übrigen ist der Kammer auch aus anderen Verfahren bekannt, dass die Verhältnisse in Kaunas bzw. insbesondere auf dem Flughafen schlimmster Art waren und dass dafür nur ganz geringe Lebensmittelzuwendungen erbracht wurden (vgl. auch Alex Faitelson, Im Jüdischen Widerstand, Elster Verlag 1998 - ISBN 3-891517-269-4, insbesondere Seiten 99-101 zu den Lebensverhältnissen der Juden in Kaunas). Daraus folgt, dass an den Nachweis bzw. die Glaubhaftmachung des Erhalts eines potentiell versicherungspflichtigen Entgeltes für eine Arbeit aus freiem Willensentschluss in Kaunas nicht nur geringe Anforderungen zu stellen sind, die hier aber nicht ausreichend dargelegt wurden. Soweit sich die Klägerin bzw. ihre Bevollmächtigten darauf berufen haben, es hätten sich nach historischen Quellen auch kleine Gruppen von Arbeitern eingefunden, um sich für Arbeit auf dem Flugplatz zu melden, ist damit noch nicht dargelegt, dass auch die Klägerin dabei war; und selbst wenn sie sich dahin gemeldet haben sollte, dann kann dies nur unter dem Eindruck größter Not und schlimmsten Hungers geschehen sein, weil - wie oben bereits dargelegt - die Arbeitsbedingungen schlimmster Art waren und oft auch mit Misshandlungen einhergingen.
Bei dieser Sachlage konnte dahinstehen, ob für die Anerkennung von (weiteren) Beitragszeiten nach dem ZRBG es auch der Zugehörigkeit zum dSK bedürfte, wie das LSG NRW bereits in mehreren Urteilen vertreten hat (z. B. Urteil vom 13.01.2006 - L 4 RJ 113/04). Hier wäre wohl diese Zugehörigkeit auch nicht gegeben, nach dem früheren bestandskräftigen Bescheid vom 16.09.1996 und dem Ergebnis der Sprachprüfung Bl. 38 der Rentenakte.
Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der bisher vom Bundessozialgericht und dem Landessozialgericht NRW aufgestellten Voraussetzungen keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung weiterer Beitragszeiten in der Altersrente zu entsprechen. Das ZRBG gibt solches für die Klägerin nicht her.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs.1, 4 SGG. Danach hat die Kammer die von der Beklagten bereits im Widerspruchsbescheid getroffene Kostenentscheidung bezüglich der im Widerspruchsverfahren anerkannten weiteren Ersatzzeit letztlich nur bestätigt, jedoch keine weitere Kostenerstattung zugesprochen, da die Klägerin mit dem Klageziel - Anerkennung weiterer ZRBG-Zeiten - nicht obsiegt hat.
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