S 26 R 74/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 74/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 R 53/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Die am 00.00.1927 in S1 in Polen geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit 1948 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.

Ein erster Rentenantrag war mit dem bestandskräftigen Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 12.10.1995 abgelehnt worden, weil keine auf die Wartezeit anrechenbaren Versicherungszeiten vorliegen würden. Die Klägerin hatte seinerzeit angegeben, ab September 1939 bis April 1945 rassisch Verfolgte gewesen zu sein, ohne werktätig gewesen zu sein (Bl. 48 Rückseite der Verwaltungsakte der Beklagten).

Die Klägerin beantragte am 17.11.2002 bzw. 11.03.2003 erneut die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG. Sie gab im Rentenantragsformular an, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben (Bl. 117 Rückseite der Verwaltungsakte der Beklagten). Sie habe von März 1941 bis Dezember 1942 während ihres Aufenthalts im Ghetto von Radom innerhalb und auch außerhalb Tätigkeiten als Arbeiterin verrichtet. Sie habe Rohstoffe sortiert und Reinigungsarbeiten verrichtet und auch Metalle bei den Bahngleisen verladen. Sie habe 12 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden. Bekommen habe sie dafür Sonderkost, besserer und reichlicherer Art als andere, und Unterkunft. Barlohn habe sie nicht erhalten (Bl. 118, 119, 128 der Verwaltungsakte). Nach den Angaben in einem früheren Entschädigungsverfahren war sie danach in Zwangsarbeitslagern gewesen und im Juni 1944 sei sie dann ins Konzentrationslager Auschwitz und später Bergen-Belsen gekommen. Am 15.04.1945 sei sie befreit worden und nach Ludwigsburg und später Wetzlar in Hessen gekommen, wo sie bei einem Gymnasialprofessor Deutsch- und anderen Unterricht erhalten habe und 1947 geheiratet habe. Ab Herbst 1947 habe die Auswanderung über Hamburg und Emden nach Israel stattgefunden, wo sie am 01.05.1948 eingetroffen sei. Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge nach dem BEG vom Regierungspräsidium Darmstadt bei. Dort hatte die Klägerin unter dem 07.11.1962 angegeben: ... "1941 schickte man meinen Vater nach Auschwitz, und wir erhielten eine Nachricht, dass er dort umgekommen ist. Ich arbeitete damals ungewohnte schwere Zwangsarbeit im Torfkommando des ZAL Radom (1942) und bin viel geschlagen worden, auch mit einer Peitsche ..." (Bl. 103 Rückseite der Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 11.03.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Zur Begründung führte sie aus, vom für eine Rente notwendigen Vorliegen einer entgeltlichen aus eigenem Willensentschluss zustandegekommenen freiwilligen Beschäftigung habe sich die Beklagte nicht überzeugen können. Eine solche Beschäftigung sei nicht glaubhaft gemacht. Zunächst gehe die Beklagte davon aus, dass allenfalls ohnehin der Zeitraum von März 1941 bis August 1942 in Betracht käme, weil nur in diesem Zeitraum das Ghetto Radom bestanden habe. Außerdem sei die Klägerin nach früheren Angaben schon seit Juli 1942 im Zwangsarbeitslager Radom gewesen und später in einem anderen Zwangsarbeitslager. Aber auch nur die Zeiten von März 1941 bis ca. Juli 1942 kämen nicht als glaubhaft gemachte Beschäftigungszeiten in Betracht, weil die von ihr jetzt angegebene Tätigkeit in der Rohstofferfassung sich aus der Entschädigungsakte gar nicht ergebe, vielmehr Angaben zu einem Torfkommando, wobei es diesbezüglich auch wieder unterschiedliche Zeitpunkte und unterschiedliche Angaben gebe wann dort gearbeitet worden sei. Die Arbeitsbedingungen, die während dieser Beschäftigung geherrscht hätten, würden aber eindeutig auf Zwangsarbeit hindeuten, die nicht nach dem ZRBG Beitragszeiten begründen könne. Im übrigen reiche allein die von der Klägerin angegebene bessere Kost nicht aus, um den Entgeltbegriff im Sinne des ZRBG zu erfüllen.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 11.03.2004 Widerspruch ein. Zur Begründung reichte sie eine schriftliche Erklärung des Zeugen S2 vom 16.05.2004 ein, der sie 1940 kennengelernt habe, anlässlich Tätigkeit im Rahmen der Erfassung von Abfallstoffen. Er und die Klägerin hätten alle Arten von Gütern, einschließlich Kleidung, Leinen, Glas und Metall usw. sortiert und die Güter auf Lkw s und auf Züge geladen. Erst gegen Ende 1942 oder Anfang 1943 seien die Arbeiter verschiedenen Arbeitsgruppen und Konzentrationslagern zugewiesen worden. Zum Entgelt bzw. zur Vergütung machte Herr S2 keine Angaben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung gab sie ihre bisherige Begründung ausführlicher wieder und führte noch ergänzend aus, ihrer Auffassung nach habe die Klägerin bei ihren Arbeitsverrichtungen im Ghetto Radom typische Form von Zwangsarbeit unter direkter Kontrolle und Aufsicht der Besatzer bei Unterbringung im Ghetto und nur notdürftiger Versorgung ausgeübt. Auch vor dem Hintergrund der Verordnung über die Einführung von Arbeitszwang im Generalgouvernement für die jüdische Bevölkerung sei ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis auf freiwilliger Basis nicht überwiegend wahrscheinlich.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 08.02.2005 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Zur Begründung nimmt die Klägerin sinngemäß Bezug auf ihr bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Ergänzend macht sie geltend, für ihre Tätigkeit habe sie einen Lohnanspruch gehabt, nach den im Generalgouvernement geltenden Bestimmungen und Rechtsvorschriften und Richtlinien. Dieser Lohnanspruch reiche nach der Rechtsanspruchstheorie aus zur Fiktion eines Entgeltes bzw. von Rentenversicherungsbeiträgen über §§ 12, 14 WGSVG, so dass sie die Voraussetzungen des ZRBG erfülle. Es sei auch von der Aufnahme einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss auszugehen, denn die Arbeit sei für Ghettoinsassen die Reaktion auf die schlimmen Verhältnisse gewesen. Sie habe sich jedenfalls selbst bemüht um die Arbeit in der Rohstofferfassung. Ähnliches sei auch nachzulesen in den Lebenserinnerungen von Marcel Reich-Ranicki, also dass Juden eine Arbeit freiwillig aufgenommen hätten. Im übrigen überinterpretiere die Beklagte das Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 unkritisch. Versicherungspflicht verlange der Gesetzestext nicht. Auch müsse irgendeine Form von Entgelt genügen, nach dem Gesetzeswortlaut. Bestätigt werde das ihrer Auffassung nach durch die Gesetzesmaterialien. In den Redebeiträgen zur Beratung der Gesetzesentwürfe zum ZRBG sei zum Ausdruck gekommen, z. B. durch den Abgeordneten Deligöz, dass man die besondere Zwangssituation im Ghetto gekannt habe und die schrecklichen Zustände unter denen die Menschen dort leben mußten. Frau T sei auch zum Ergebnis gekommen, dass die Personen, welche im Ghetto unendliches Leid zu tragen hatten und die für ihre Arbeit zu keiner Zeit eine angemessene Entlohnung erhielten, durch das ZRBG entschädigt werden sollten.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2005 zu verurteilen, ihr unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Radom von März 1941 bis Dezember 1942 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung - und unter Berücksichtigung von wegen Verfolgung anzuerkennenden Ersatzzeiten nach Entrichtung gegebenenfalls noch erforderlicher freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen seit dem 01.07.1997 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend macht sie geltend, unter Berücksichtigung des Urteils des 13. Senats des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 sei hier weiterhin von schon nicht ausreichend versicherungspflichtigem Entgelt im Sinne des ZRBG auszugehen bzw. sei ein solches Entgelt auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Selbst allein gute Verpflegung reiche dem Bundessozialgericht nicht aus. Allein ein etwaiger Lohnanspruch reiche auch nicht aus für das ZRBG, wie bereits das LSG NRW entschieden habe.

Das Gericht hat eine Auskunft der Claims Conference eingeholt. Diese hat mitgeteilt, die Klägerin habe von ihr (aufgrund eines Antrages von 2001 zur Wahrnehmung der Interessen bei der Stiftung "Erinnerung-Verantwortung-Zukunft", Bl. 55 Gerichtsakte) eine Entschädigung aufgrund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Radom in den Jahren 1940 bis 1944 erhalten (Bl. 48 ff der Gerichtsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit der Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil diese in der Terminsmitteilung, deren Zustellung ordnungsgemäß bewirkt wurde, auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt, zumal die Bevollmächtigte auch telefonisch mitgeteilt hat, dass niemand zum Termin erscheinen werde.

Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist aber unbegründet. Die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 11.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.01.2005, sind nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht die Gewährung einer Altersrente abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war somit nicht zu entsprechen, weil Beitragszeiten nach dem ZRBG hier nicht vorliegen bzw. nicht ausreichend glaubhaft gemacht sind und weil allein Ersatzzeiten wegen Verfolgung nicht ausreichen einen Rentenanspruch zu begründen, und weil im übrigen die von der Claims Conference erbrachte Entschädigung eine Rente aus Ghetto-Zeiten nach § 16 EVZStiftG ohnehin ausschließt und weil es hier ohnehin zur Anerkennung von Zeiten nach dem ZRBG bzw. nach dem SGB VI bzw. nach dem FRG auch an der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis fehlen würde.

Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Insbesondere hat die Beklagte in dem Bescheid vom 11.03.2004 auch bereits die entscheidende Vorschrift des § 1 Abs. 1 ZRBG mit den dortigen wesentlichen Voraussetzungen wiedergegeben und weshalb hier schon nicht von freiwilliger und auch entgeltlicher Beschäftigung im Sinne des ZRBG aus eigenem Willensentschluss ausgegangen werden kann.

Ergänzend führt das Gericht noch folgendes aus: Voraussetzung für die Gewährung einer Altersrente aus der deutschen Rentenversicherung ist nach § 35 SGB VI neben der Vollendung des 65. Lebensjahres die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit. Darauf anrechenbare Zeiten im Sinne von §§ 50 ff SGB VI hat die Klägerin aber nicht. Die Anwendbarkeit des ZRBG zu ihren Gunsten zur Begründung von Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland scheitert hier schon daran, dass sie keine Beschäftigung in einem Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZRBG nachgewiesen bzw. ausreichend glaubhaft gemacht hat, die auch eine "entgeltliche" Beschäftigung aus "eigenem Willensentschluss" darzustellen geeignet wäre.

I. Es fehlt schon an einem schlüssigen Vortrag für die Annahme einer aus eigenem Willensentschluss zustandegekommenen Tätigkeit in Radom, für die zumindest ein Entgelt oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze vorgelegen haben müsste, um überhaupt rentenrechtlich relevant sein zu können, entsprechend § 1227 der Rechtsversicherungsordnung, wonach Zuwendungen allein zur Unterhaltssicherung keine Rentenversicherungspflicht begründet hätten. Gerade angesichts der Angaben der Klägerin nicht nur im früheren Entschädigungsverfahren, sondern auch angesichts ihrer Angabe im ersten Rentenantrag von 1995, die damals wesentlich zeitnäher gemacht wurden als heute, ist nicht als überwiegend wahrscheinlich anzunehmen, dass sie schon im Ghetto Radom regelmäßig eine Tätigkeit ausübte, die die Mindestmerkmale einer Beschäftigung erfüllt hätte. Denn sie gab selbst im Fragebogen von 1995 auf Bl. 48 Rückseite der Verwaltungsakte damals an, ab September 1939 bis April 1945 rassisch Verfolgte gewesen zu sein und nicht werktätig gewesen zu sein. Soweit die Entschädigungsakte nach dem BEG dazu überhaupt etwas hergibt, kann allenfalls von "schwerer Zwangsarbeit" im "Torfkommando" ausgegangen werden, die ihrer Art nach aber nicht die Merkmale einer aus eigenem Willensentschluss zustandegekommenen Beschäftigung erfüllen kann. Der Einsatz in Arbeitskommandos bzw. Torfkommandos - möglicherweise erst im Zwangsarbeitslager angeordnet - stellt regelmäßig eine hoheitlich angeordnete Zwangsmaßnahme zur Ausnutzung der Arbeitskraft dar, und der Vortrag im Klageverfahren - soweit er sich damit überhaupt auseinandersetzt - vermag allenfalls dahingehend zu überzeugen, dass man im Ghetto angeordneter Arbeit nachging, um daraus noch das Beste zu machen, nicht aber ein wirklich freiwillig zustandegekommenes Beschäftigungsverhältnis anzunehmen. Die erstmals im zweiten Rentenverfahren angegebene Sonderkost besserer und reichlicher Art als bei anderen mit Unterkunft stellt kein Entgelt im Sinne der Rechtsprechung des 13. Senats des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) dar, denn selbst im Einzelfall "gute Verpflegung" reicht danach nicht zur Annahme aus; es muß eine gewisse Gegenleistung im Sinne eines Austauschverhältnisses von Arbeit und Lohn vorgelegen haben, anderenfalls könnte man den Entgelt-Begriff auf alles ausdehnen. Die Unterkunft im Ghetto selbst kann auch nicht als Entgeltbestandteil angesehen werden, denn die Unterbringung im Ghetto war bereits Teil der Verfolgung und betraf auch Juden, die nicht arbeiteten bzw. nicht arbeiten konnten. Insoweit hat die Klage auch keinen Erfolg unter dem Gesichtspunkt, dass die Klägerin möglicherweise einen Anspruch auf Lohn nach den Vorschriften im Generalgouvernement gehabt hätte. Denn für die Zuerkennung einer auch ins Ausland zahlbaren Rente kommt es nach dem Wortlaut von § 1 ZRBG - soweit überhaupt schon eine aus eigenem Willensentschluss zustandegekommene Beschäftigung angenommen werden kann - ferner darauf an, dass auch tatsächlich Entgelt gezahlt worden war, nicht ob Anspruch darauf bestanden hätte oder Beiträge dafür hätten entrichtet werden müssen. Das ZRBG ist nämlich ein lex spezialis gegenüber anderen insbesondere älteren Vorschriften, auch gegenüber dem WGSVG. Außerdem fingierte § 14 WGSVG auch nur die Beitragsentrichtung aus Verfolgungsgründen, nicht aber die Entgeltzahlung selbst. Im übrigen spricht die Nicht-Zahlung eines eventuellen zivilrechtlich oder öffentlich rechtlich geschuldeten angemessenen Arbeitsentgeltes gerade dafür, dass es sich um Zwangsarbeit zur Ausnutzung und Ausbeutung der Arbeitskraft handelte. Auch nach aktueller Rechtsprechung des LSG NRW, der sich die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf anschließt, greift die Anspruchstheorie nicht ein (LSG NRW Urteile vom 27.01.2006 - L 13 R 123/05 und vom 13.02.2006 - L 3 R 43/5 und L 3 R 178/05 ).

II. Die Würdigung der von der Bevollmächtigten der Klägerin herangezogenen Redebeiträge der Abgeordneten anläßlich der Verabschiedung des ZRBG vermag hier auch nicht eine andere Auslegung des Gesetzes herbeizuführen. Denn ein Gesetz kann nicht gegen seinen eigenen Wortlaut ausgelegt werden, auch wenn sich der Gesetzgeber bzw. die Abgeordneten den Regelungsgehalt des Gesetzes anders vorgestellt haben mögen. Bemerkenswert ist allerdings, dass z.B. Frau Dr. Schwaetzer in ihrem Wortbeitrag zum Ergebnis kommt, dass Juden im Ghetto unendliches Leid zu tragen hatten und dass sie zu keiner Zeit für ihre Arbeit eine angemessene Entlohnung erhielten, gleichwohl aber offenbar einem Gesetz zugestimmt hat, das genau letzteres doch verlangt: nämlich den Erhalt von "Entgelt". Entgelt ist aber nach seinem Wortsinn Gegenleistung für geleistete Arbeit und nicht nur Zuwendung von irgendetwas. Damit kann, auch wenn z.B. Frau Dr. Schwaetzer oder Herr Deligöz sich dies anders vorgestellt haben mögen, das Gesetz nicht gegen seinen Wortlaut dahingehend ausgelegt werden, dass als Entgelt einfach gereicht hat, dass man überleben konnte. Das mag für Juristen unbefriedigend erscheinen und leider die betroffenen Ghettoinsassen enttäuschen, ändert aber nichts daran, dass der Gesetzgeber nun einmal ein Gesetz geschaffen hat, das Arbeit bzw. Beschäftigung "gegen Entgelt" verlangt.

III. Selbst wenn bei der Klägerin ein freiwilliges und sogar entgeltlich gewesenes Beschäftigungsverhältnis im Ghetto Radom vorgelegen hätte, so würde ihr Anspruch auf eine Rente unter Berücksichtigung des ZRBG hier auch daran scheitern, dass die Klägerin für die Zeit im Ghetto Radom in den Jahren 1940 bis 1944 bereits entschädigt wurde, nach dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZStiftG). Wie die Claims Conference bestätigt hat, hat die Klägerin aufgrund der 2000 eingeführten Vorschriften für Zwangsarbeitsverhältnisse für die Jahre 1940 bis 1944 im Ghetto Radom eine Entschädigung nach dem EVZStiftG erhalten (Bl. 52 und Bl. 55 der Gerichtsakte bestätigen diesen Zusammenhang). § 16 EVZStiftG regelt nun in seinem Abs. 1 Satz 2:

"Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind ausgeschlossen."

Die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf schließt sich damit der Auffassung des LSG NRW im Urteil vom 07.06.2005 (L 4 R 3/05) an, wonach der Ausschluss von Ansprüchen nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG auch Forderungen gegenüber der Sozialversicherung beinhaltet bzw. solche Forderungen nun ausschließt. Dieser Leistungsausschluss hätte praktisch keinen Anwendungsbereich und würde ausgehebelt, wenn nach § 16 Abs. 3 EVZStiftG auf diesem Umweg doch wieder jedwede Ansprüche nach anderen Rechtsvorschriften möglich sein sollten. Dies kommt indirekt zum Ausdruck auch in der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" (BT-Drucksache 16/1955 Seite 5). Dort hat die Bundesregierung klargestellt, es sei zu unterscheiden zwischen rentenrechtlichen Beschäftigungen und Entschädigungsleistungen für Zwangsarbeit, die eben nach anderen Gesetzen erbracht wurden oder würden. Ist die Klägerin somit wie hier gerade für Zeiten im Ghetto Radom nach dem Zwangsarbeiter-Stiftungsgesetz so entschädigt worden als hätte sie dort Zwangsarbeiten erbracht, so hat dies automatisch auch den Ausschluss von Abgeltungen nach anderen Gesetzen wie hier nach dem ZRBG bzw. SGB VI zur Folge.

IV. Im übrigen steht der Anwendbarkeit des ZRBG bzw. des SGB VI zur Begründung von Beitragszeiten und zur Zahlbarmachung einer Rente ins Ausland nach §§ 15, 16, 17a FRG auch entgegen, dass die Klägerin nicht überwiegend wahrscheinlich dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hat. Nach dem Urteil des LSG NRW vom 13.01.2006 - L 4 RJ 113/04 -, dem sich die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf anschließt, kommt die Anwendbarkeit des ZRBG bzw. des FRG bzw. des SGB VI nur dem Personenkreis zugute, der auch dem dSK zum Zeitpunkt der Verfolgung angehörte, denn das ZRBG hat keine Anspruchserweiterung herbeigeführt und stellt im wesentlichen - auch nach dem Wortlaut - nur ein Zahlbarmachungsgesetz dar. Da die in Rede stehenden Tätigkeiten im Ghetto Radom im damaligen Generalgouvernement verrichtet wurden, in dem nicht die deutschen Reichsversicherungsgesetze galten, wäre das ZRBG bzw. das FRG nur auf die Klägerin anwendbar, wenn sie dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört hätte. Dies kann hier aber nicht mit der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit angenommen werden; denn in einer schriftlichen Erklärung vom 29.06.1956 gab die Klägerin damals im Rahmen des Entschädigungsverfahrens wesentlich zeitnäher als heute an, dass sie bei ihrem Eintreffen in Deutschland nach dem Kriege damals der deutschen Sprache nur sehr wenig mächtig gewesen sei (Bl. 29 f der Verwaltungsakte der Beklagten); die Klägerin kann also bei dieser Sachverhaltsdarstellung nicht wie es § 17 a FRG erfordert zum Zeitpunkt der Verfolgung die deutsche Sprache überwiegend und auch im Alltag gebraucht haben, so dass allein die Ankreuzung der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis im jetzigen Rentenantrag nicht ausreicht eine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis überwiegend wahrscheinlich zu machen.

V. Im übrigen wird nach Auffassung der Kammer klägerischerseits verkannt, dass das ZRBG in der vorliegenden Fassung von vornherein nicht geeignet ist, Ansprüche für einen wirklich größeren Personenkreis zu begründen und die von den meisten heute noch lebenden Ghetto-Insassen gehegten Erwartungen zu erfüllen. Denn nach dem Wortlaut dieses Gesetzes reicht nicht jede Art von Tätigkeit anlässlich Aufenthalt in einem Ghetto aus, um ins Ausland zahlbare Rentenansprüche nach dem ZRBG zu begründen (BSG Urteil vom 07.10.2004 - B 13 RJ 59/03 R und LSG NRW Urteil vom 18.07.2005 - L 3 RJ 101/04). Auf die obigen Ausführungen unter II wird nochmals hingewiesen. Von der Klägerin wurde hier nicht substanziiert vorgetragen, was im Lichte der vorgenannten Entscheidungen hier ihre Ghetto-Tätigkeiten - soweit sie hier überhaupt glaubhaft sind angesichts des früheren Rentenantrags von 1995 - glaubhaft anders bewerten könnte. Eine klare Sachentscheidung, die eventuelle Tätigkeiten der Klägerin hier anders bewerten könnte, ist auch mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 14.12.2006 (B 4 R 19/06 R) nach der bisher vorliegenden Pressemitteilung nicht getroffen worden; es wurde dort nur aus formalen Gründen der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen.

VI. Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage der gesetzlichen Vorschriften und der bisher vom Bundessozialgericht und dem LSG NRW gemachten Vorgaben keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin zu entsprechen.

Das ZRBG bzw. EVZStiftG in der bisher vorliegenden Form geben solche weitergehende Ansprüche für die Klägerin zur Überzeugung der Kammer nicht her.

VII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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