Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 SO 195/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der am 00.00.2001 geborene Kläger leidet, bedingt durch eine Drillingsfrühgeburt und eine Hirnblutung III. Grades, an einer armbetonten Hemiparese rechts, einer leicht betonten Hemiparese rechts, einem Hydrocephalus mit Shuntanlage, akomodativer Esophorie, kleinwinkliger Hypotrophie rechts, Esotropie und Astigmatismus beidseits. Neben einem Grad der Behinderung 70 und den Merkzeichen "B" und "G" ist die Pflegestufe I anerkannt. Der Kläger besucht einen Regelkindergarten.
Nach erfolgloser Antragstellung gegenüber der Krankenkasse beantragte der Kläger unter dem 08.12.2004 gegenüber der Beklagten die Übernahme der Kosten therapeutischen Reitens. Er legte eine Bescheinigung des Therapeutischen Reit-Zentrums und der Voltigierschule L vom 13.11.2004 vor, nach der aufgrund der kontinuierlichen wechselseitigen Bewegungsübertragung beide Körperhälften gleichermaßen bewegt würden. Dies führe zu einer sensomotorischen Leistung, die eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die sensorische Integration sei. Dies sei für den Kläger sehr wichtig und mit konventionellen krankengymnastischen Übungsbehandlungen nicht mit gleichem Ergebnis zu erreichen.
Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme ihres Gesundheitsamtes. Dieses stellte unter dem 22.02.2005 fest, dass es derzeit keine Alternative zur Hippotherapie gebe, um die Greiffunktion der rechten Hand des Klägers noch zu verbessern. Die Hippotherapie diene der Verbesserung der Körperfunktion mit dem Ziel, dass der Kläger eine integrative Schule besuchen könne. Alleine durch die Ergotherapie könne diese Verbesserung nicht erreicht werden. Bei Nichtdurchführung der Therapie bestehe allerdings nicht die Gefahr, dass der Kläger aus der Gesellschaft ausgegliedert werde. Die Übernahme der Kosten der Hippotherapie einmal wöchentlich werde befürwortet.
Mit Bescheid vom 30.03.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie stellte darauf ab, dass es sich bei der Hippotherapie um eine krankengymnastische Maßnahme und damit um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form der Frühförderung gemäß § 54 SGB XII in Verbindung mit §§ 26 Abs. 2 Nr. 2, 30 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) handele. Nach § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII entsprächen die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem SGB XII den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. § 138 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) bestimme, dass Neuheilmittel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nur verordnet werden dürften, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt habe. Die Hippotherapie sei nicht anerkannt.
Der Kläger erhob am 29.04.2005 Widerspruch. Andere Sozialhilfeträger übernähmen die Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe. Die Beklagte müsse berücksichtigen, dass die Therapie seine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft fördere, indem sie seine Kontaktfähigkeit stärke und seine Ängstlichkeit abbaue. Das Pferd stärke sein Selbstbewusstsein, da es ihm das Gefühl vermittele, etwas alleine zu können. Müsse er darauf verzichten, drohe ihm der Ausschluss aus dem Regelkindergarten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe aufgrund seiner Behinderung grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Diese umfassten sowohl heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult seien (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX), als auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Form der Früherkennung und Frühförderung behinderter Kinder (§ 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX). Heilpädagogische Maßnahmen dienten unmittelbar der Vorbereitung auf den Schulbesuch, während Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der Abwendung, Beseitigung, Minderung und dem Ausgleich von Behinderungen sowie der Verhütung einer Verschlimmerung dienten. Die Hippotherapie beruhe auf einem rein medizinischen Einsatz eines Pferdes im Sinne einer Ergänzung der Physiotherapie auf neurophysiologischer Grundlage. Sie stelle eine krankengymnastische Einzelbehandlungsmaßnahme dar, die in ein physiotherapeutisches Gesamtbehandlungskonzept eingebunden sein sollte. Nach der Rechtsprechung handele es sich um eine besondere Form der Krankengymnastik (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006, Az.: 6 K 2480/04). Dass sich der Kläger noch nicht im Vorschul-, sondern erst im Kindergartenalter befinde, spreche auch dafür, dass die Therapie ihrer Zielsetzung nach bei ihm nicht der unmittelbaren Vorbereitung auf den Schulbesuch diene, sondern der Frühförderung im Kleinkindalter. In Betracht komme damit nur die Eingliederungshilfe nach § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX. Dafür spreche auch, dass die Hippotherapie nach den Erläuterungen des Therapeutischen Reit-Zentrums und der Voltigierschule L der Verbesserung seiner motorischen Fähigkeiten diene. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation entsprächen gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Umkehrschluss bestehe kein Anspruch auf Eingliederungshilfe, sofern die in Rede stehende Rehabilitationsleistungen nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Die Hippotherapie stelle ein Heilmittel im Sinne des § 32 SGB V dar, das gemäß § 138 SGB V nur verordnet werden dürfe, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zuvor seinen therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V Empfehlungen für die Sicherheit der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben habe. Dies sei bisher nicht geschehen.
Am 19.09.2005 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, ihm sei bekannt geworden, dass im Zuständigkeitsbereich der Beklagten in Einzelfällen durchaus Kostenübernahmen erfolgt seien. Das gleiche gelte für die Städte Mettmann, Hilden und Solingen. Das Abstellen auf das noch nicht erreichte Vorschulalter überzeuge nicht. Vielmehr sollte die Hippotherapie möglichst früh begonnen werden. Sie habe auch bereits Erfolge erzielt, denn seine Spastik habe sich verringert.
Anlässlich eines Termins zur mündlichen Verhandlung am 07.04.2006 hat der Kläger erneut ausgeführt, die Beklagte habe in der Vergangenheit die Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen. Die Kammer hat die Beklagte vor dem Hintergrund einer möglichen Selbstbindung der Verwaltung um entsprechende Recherchen gebeten. Die Beklagte hat ausgeführt, dass in ihrer Abteilung "Einzelfallhilfen bei Behinderungen" keine Fälle verzeichnet seien, in denen die Kosten einer Hippotherapie für Kinder übernommen worden seien. Der Kläger hat daraufhin anonymisierte Bewilligungsbescheide der Beklagten für die Zeiträume 01.01.2003 bis 30.11.2003, 01.12.2003 bis 30.11.2004, 01.05.2003 bis 30.04.2004 und 01.05.2004 bis 30.04.2005 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer Hippotherapie (einmal wöchentlich zu Kosten in Höhe von jeweils 18,00 EUR) zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf ihren Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die vorgelegten Bewilligungsbescheide beruhten auf Einzelfallentscheidungen, die noch auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) getroffen worden seien. Aus diesen lasse sich gegenwärtig kein Rechtsanspruch herleiten. Nicht auszuschließen sei im Übrigen, dass die vorgelegten Bewilligungsbescheide auf Fehlentscheidungen beruhten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger ist durch den Bescheid vom 30.03.2005, mit dem die Beklagte seinen Antrag auf Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII ablehnte, und den Widerspruchsbescheid vom 24.08.2005, mit dem die Beklagte ihre Entscheidung bestätigte, nicht gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII.
Gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
Aufgrund der Anerkennung eines Grades der Behinderung von 70 und der Merkzeichen "G" und "B" aufgrund einer Hemiparese rechts bei Zustand nach Gehirnblutung III. Grades nach einer Drillingsfrühgeburt und weiterer Erkrankungen hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe.
Die Kosten der von dem Kläger durchgeführten Hippotherapie sind jedoch nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe übernahmefähig.
Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII unter anderem Leistungen nach §§ 26 und 55 SGB IX. § 26 SGB IX betrifft Leistungen zur medizinischen Rehabilitation behinderter Menschen und umfasst insbesondere die Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder (§ 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX), die in § 30 SGB IX näher beschrieben sind. § 55 SGB IX betrifft Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen sollen. Sie umfassen insbesondere heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX).
Die Hippotherapie ist vom heilpädagogischen Reiten abzugrenzen, das eine pädagogisch fundierte Einflussnahme auf die gesamte Entwicklung eines Menschen in allen Bereichen enthält (VG Bayreuth, Urteil vom 19.05.2006, Az.: B 5 K 04.1222). Dessen primäre Zielrichtung ist eine andere als die der krankengymnastischen Heilbehandlung, der die Hippotherapie zuzurechnen ist, bei der es sich um reine Krankengymnastik auf dem Rücken eines Pferdes handelt (VG Bayreuth, a. a. O.). Während das heilpädagogische Reiten eine ganzheitliche Therapiemethode darstellt, deren Ziele sich über den emotionalen Bereich, den kognitiven Bereich, den motorischen Bereich und den sozialen Bereich erstrecken, und dieses unmittelbar an der Behinderung ansetzt, indem es durch ein positives Einwirken auf die Gesamtpersönlichkeit des Betroffenen dessen Entwicklungsverzögerung und Verhaltensauffälligkeit unmittelbar zu therapieren versucht (VG Aachen, Urteil vom 21.06.2006, Az.: 6 K 103/04), setzt die Hippotherapie an den Ursachen einer Behinderung an (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006, Az.: 6 K 2480/04).
Während bezüglich des heilpädagogischen Reitens umstritten ist, ob es sich um eine heilpädagogische Leistung nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX handelt (VG Bayreuth, a. a. O.) oder um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation (VG Aachen, Urteil vom 21.06.2006, Az.: 6 K 103/04), stellt die Hippotherapie als besondere Form der Krankengymnastik eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach § 26 SGB IX dar.
Damit greift § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII ein, nach dem die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen.
Die Hippotherapie, die als medizinische Dienstleistung von nichtärztlichen Fachkräften erbracht wird, kann als Heilmittel im Sinne des § 32 SGB V von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten jedoch nur verordnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 138 SGB V zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt hat. Dies ist hinsichtlich der Hippotherapie nicht erfolgt. In den Richtlinien über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung ist die Hippotherapie in der Anlage "Nichtverordnungsfähige Heilmittel" im Sinne dieser Richtlinien unter "a) Maßnahmen, deren therapeutischer Nutzen nach Maßgabe der BUBR nicht nachgewiesen ist" unter Nr. 1 aufgeführt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 36/00 R, ist diese Ablehnung, die sich auf höhere Kosten und die Erwägung stützt, eine Überlegenheit gegenüber der traditionellen Vorgehensweise sei nicht festzustellen, nicht zu beanstanden.
Sofern der Kläger geltend macht, ein Anspruch entstehe jedenfalls daraus, dass die Beklagte in ihrem Zuständigkeitsbereich in der Vergangenheit die Kosten der Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe in mehreren Fällen übernommen habe, gilt der Grundsatz, dass eine Gleichbehandlung im Unrecht nicht möglich ist. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten der Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe gesetzlich ausgeschlossen ist.
Sofern der Kläger auf die Bewilligungspraxis anderer Kommunen abstellt, kann er dies der Beklagten nicht als anspruchsbegründenden Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz entgegenhalten, denn der Gleichheitsgrundsatz gilt nur gegenüber dem nach der Kompetenzordnung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006, Az.: 6 K 2480/04).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der am 00.00.2001 geborene Kläger leidet, bedingt durch eine Drillingsfrühgeburt und eine Hirnblutung III. Grades, an einer armbetonten Hemiparese rechts, einer leicht betonten Hemiparese rechts, einem Hydrocephalus mit Shuntanlage, akomodativer Esophorie, kleinwinkliger Hypotrophie rechts, Esotropie und Astigmatismus beidseits. Neben einem Grad der Behinderung 70 und den Merkzeichen "B" und "G" ist die Pflegestufe I anerkannt. Der Kläger besucht einen Regelkindergarten.
Nach erfolgloser Antragstellung gegenüber der Krankenkasse beantragte der Kläger unter dem 08.12.2004 gegenüber der Beklagten die Übernahme der Kosten therapeutischen Reitens. Er legte eine Bescheinigung des Therapeutischen Reit-Zentrums und der Voltigierschule L vom 13.11.2004 vor, nach der aufgrund der kontinuierlichen wechselseitigen Bewegungsübertragung beide Körperhälften gleichermaßen bewegt würden. Dies führe zu einer sensomotorischen Leistung, die eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die sensorische Integration sei. Dies sei für den Kläger sehr wichtig und mit konventionellen krankengymnastischen Übungsbehandlungen nicht mit gleichem Ergebnis zu erreichen.
Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme ihres Gesundheitsamtes. Dieses stellte unter dem 22.02.2005 fest, dass es derzeit keine Alternative zur Hippotherapie gebe, um die Greiffunktion der rechten Hand des Klägers noch zu verbessern. Die Hippotherapie diene der Verbesserung der Körperfunktion mit dem Ziel, dass der Kläger eine integrative Schule besuchen könne. Alleine durch die Ergotherapie könne diese Verbesserung nicht erreicht werden. Bei Nichtdurchführung der Therapie bestehe allerdings nicht die Gefahr, dass der Kläger aus der Gesellschaft ausgegliedert werde. Die Übernahme der Kosten der Hippotherapie einmal wöchentlich werde befürwortet.
Mit Bescheid vom 30.03.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie stellte darauf ab, dass es sich bei der Hippotherapie um eine krankengymnastische Maßnahme und damit um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form der Frühförderung gemäß § 54 SGB XII in Verbindung mit §§ 26 Abs. 2 Nr. 2, 30 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) handele. Nach § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII entsprächen die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem SGB XII den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. § 138 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) bestimme, dass Neuheilmittel im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nur verordnet werden dürften, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt habe. Die Hippotherapie sei nicht anerkannt.
Der Kläger erhob am 29.04.2005 Widerspruch. Andere Sozialhilfeträger übernähmen die Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe. Die Beklagte müsse berücksichtigen, dass die Therapie seine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft fördere, indem sie seine Kontaktfähigkeit stärke und seine Ängstlichkeit abbaue. Das Pferd stärke sein Selbstbewusstsein, da es ihm das Gefühl vermittele, etwas alleine zu können. Müsse er darauf verzichten, drohe ihm der Ausschluss aus dem Regelkindergarten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe aufgrund seiner Behinderung grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Diese umfassten sowohl heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult seien (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX), als auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in Form der Früherkennung und Frühförderung behinderter Kinder (§ 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX). Heilpädagogische Maßnahmen dienten unmittelbar der Vorbereitung auf den Schulbesuch, während Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der Abwendung, Beseitigung, Minderung und dem Ausgleich von Behinderungen sowie der Verhütung einer Verschlimmerung dienten. Die Hippotherapie beruhe auf einem rein medizinischen Einsatz eines Pferdes im Sinne einer Ergänzung der Physiotherapie auf neurophysiologischer Grundlage. Sie stelle eine krankengymnastische Einzelbehandlungsmaßnahme dar, die in ein physiotherapeutisches Gesamtbehandlungskonzept eingebunden sein sollte. Nach der Rechtsprechung handele es sich um eine besondere Form der Krankengymnastik (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006, Az.: 6 K 2480/04). Dass sich der Kläger noch nicht im Vorschul-, sondern erst im Kindergartenalter befinde, spreche auch dafür, dass die Therapie ihrer Zielsetzung nach bei ihm nicht der unmittelbaren Vorbereitung auf den Schulbesuch diene, sondern der Frühförderung im Kleinkindalter. In Betracht komme damit nur die Eingliederungshilfe nach § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX. Dafür spreche auch, dass die Hippotherapie nach den Erläuterungen des Therapeutischen Reit-Zentrums und der Voltigierschule L der Verbesserung seiner motorischen Fähigkeiten diene. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation entsprächen gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Umkehrschluss bestehe kein Anspruch auf Eingliederungshilfe, sofern die in Rede stehende Rehabilitationsleistungen nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehöre. Die Hippotherapie stelle ein Heilmittel im Sinne des § 32 SGB V dar, das gemäß § 138 SGB V nur verordnet werden dürfe, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zuvor seinen therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V Empfehlungen für die Sicherheit der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben habe. Dies sei bisher nicht geschehen.
Am 19.09.2005 hat der Kläger Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, ihm sei bekannt geworden, dass im Zuständigkeitsbereich der Beklagten in Einzelfällen durchaus Kostenübernahmen erfolgt seien. Das gleiche gelte für die Städte Mettmann, Hilden und Solingen. Das Abstellen auf das noch nicht erreichte Vorschulalter überzeuge nicht. Vielmehr sollte die Hippotherapie möglichst früh begonnen werden. Sie habe auch bereits Erfolge erzielt, denn seine Spastik habe sich verringert.
Anlässlich eines Termins zur mündlichen Verhandlung am 07.04.2006 hat der Kläger erneut ausgeführt, die Beklagte habe in der Vergangenheit die Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen. Die Kammer hat die Beklagte vor dem Hintergrund einer möglichen Selbstbindung der Verwaltung um entsprechende Recherchen gebeten. Die Beklagte hat ausgeführt, dass in ihrer Abteilung "Einzelfallhilfen bei Behinderungen" keine Fälle verzeichnet seien, in denen die Kosten einer Hippotherapie für Kinder übernommen worden seien. Der Kläger hat daraufhin anonymisierte Bewilligungsbescheide der Beklagten für die Zeiträume 01.01.2003 bis 30.11.2003, 01.12.2003 bis 30.11.2004, 01.05.2003 bis 30.04.2004 und 01.05.2004 bis 30.04.2005 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 30.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer Hippotherapie (einmal wöchentlich zu Kosten in Höhe von jeweils 18,00 EUR) zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf ihren Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die vorgelegten Bewilligungsbescheide beruhten auf Einzelfallentscheidungen, die noch auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) getroffen worden seien. Aus diesen lasse sich gegenwärtig kein Rechtsanspruch herleiten. Nicht auszuschließen sei im Übrigen, dass die vorgelegten Bewilligungsbescheide auf Fehlentscheidungen beruhten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger ist durch den Bescheid vom 30.03.2005, mit dem die Beklagte seinen Antrag auf Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII ablehnte, und den Widerspruchsbescheid vom 24.08.2005, mit dem die Beklagte ihre Entscheidung bestätigte, nicht gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII.
Gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.
Aufgrund der Anerkennung eines Grades der Behinderung von 70 und der Merkzeichen "G" und "B" aufgrund einer Hemiparese rechts bei Zustand nach Gehirnblutung III. Grades nach einer Drillingsfrühgeburt und weiterer Erkrankungen hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe.
Die Kosten der von dem Kläger durchgeführten Hippotherapie sind jedoch nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe übernahmefähig.
Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII unter anderem Leistungen nach §§ 26 und 55 SGB IX. § 26 SGB IX betrifft Leistungen zur medizinischen Rehabilitation behinderter Menschen und umfasst insbesondere die Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder (§ 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX), die in § 30 SGB IX näher beschrieben sind. § 55 SGB IX betrifft Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen oder sichern oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege machen sollen. Sie umfassen insbesondere heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX).
Die Hippotherapie ist vom heilpädagogischen Reiten abzugrenzen, das eine pädagogisch fundierte Einflussnahme auf die gesamte Entwicklung eines Menschen in allen Bereichen enthält (VG Bayreuth, Urteil vom 19.05.2006, Az.: B 5 K 04.1222). Dessen primäre Zielrichtung ist eine andere als die der krankengymnastischen Heilbehandlung, der die Hippotherapie zuzurechnen ist, bei der es sich um reine Krankengymnastik auf dem Rücken eines Pferdes handelt (VG Bayreuth, a. a. O.). Während das heilpädagogische Reiten eine ganzheitliche Therapiemethode darstellt, deren Ziele sich über den emotionalen Bereich, den kognitiven Bereich, den motorischen Bereich und den sozialen Bereich erstrecken, und dieses unmittelbar an der Behinderung ansetzt, indem es durch ein positives Einwirken auf die Gesamtpersönlichkeit des Betroffenen dessen Entwicklungsverzögerung und Verhaltensauffälligkeit unmittelbar zu therapieren versucht (VG Aachen, Urteil vom 21.06.2006, Az.: 6 K 103/04), setzt die Hippotherapie an den Ursachen einer Behinderung an (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006, Az.: 6 K 2480/04).
Während bezüglich des heilpädagogischen Reitens umstritten ist, ob es sich um eine heilpädagogische Leistung nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX handelt (VG Bayreuth, a. a. O.) oder um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation (VG Aachen, Urteil vom 21.06.2006, Az.: 6 K 103/04), stellt die Hippotherapie als besondere Form der Krankengymnastik eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach § 26 SGB IX dar.
Damit greift § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII ein, nach dem die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen.
Die Hippotherapie, die als medizinische Dienstleistung von nichtärztlichen Fachkräften erbracht wird, kann als Heilmittel im Sinne des § 32 SGB V von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten jedoch nur verordnet werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 138 SGB V zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt hat. Dies ist hinsichtlich der Hippotherapie nicht erfolgt. In den Richtlinien über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung ist die Hippotherapie in der Anlage "Nichtverordnungsfähige Heilmittel" im Sinne dieser Richtlinien unter "a) Maßnahmen, deren therapeutischer Nutzen nach Maßgabe der BUBR nicht nachgewiesen ist" unter Nr. 1 aufgeführt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 36/00 R, ist diese Ablehnung, die sich auf höhere Kosten und die Erwägung stützt, eine Überlegenheit gegenüber der traditionellen Vorgehensweise sei nicht festzustellen, nicht zu beanstanden.
Sofern der Kläger geltend macht, ein Anspruch entstehe jedenfalls daraus, dass die Beklagte in ihrem Zuständigkeitsbereich in der Vergangenheit die Kosten der Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe in mehreren Fällen übernommen habe, gilt der Grundsatz, dass eine Gleichbehandlung im Unrecht nicht möglich ist. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten der Hippotherapie im Rahmen der Eingliederungshilfe gesetzlich ausgeschlossen ist.
Sofern der Kläger auf die Bewilligungspraxis anderer Kommunen abstellt, kann er dies der Beklagten nicht als anspruchsbegründenden Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz entgegenhalten, denn der Gleichheitsgrundsatz gilt nur gegenüber dem nach der Kompetenzordnung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt (VG Aachen, Urteil vom 10.02.2006, Az.: 6 K 2480/04).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
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