Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 370/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 18 R 149/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 25.06.2004 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2005 verurteilt, der Klägerin ab 01.07.1997 höhere große Witwenrente unter Anerkennung weiterer Ersatzzeiten für die Zeit vom 09.08.1945 - 31.12.1949 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin höhere Witwenrente unter Anerkennung weiterer Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingtem Auslandsaufenthalt zu gewähren ist.
Die am 00.00.1931 in N (Tschechien) geborene Klägerin besitzt heute die israelische Staatsangehörigkeit. Am 20.02.1951 heiratete sie S (im Folgenden: Versicherter), der am 00.00.1927 in Lodz (Polen) geboren wurde und am 08.03.1993 in Israel verstarb. Der Versicherte war Verfolgter des Nationalsozialismus. Im Verfahren auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) gab er an, bei Ausbruch des Krieges gemeinsam mit seinen Eltern in Lodz gelebt zu haben. Ab Mai 1940 habe er Zwangsarbeit im dortigen Ghetto verrichtet. Dies habe bis zur Liquidation des Ghettos 1944 angedauert. Er sei anschließend für 6 Wochen nach Auschwitz gekommen und dann gemeinsam mit seinem Vater in das Lager Sigma-Schoenau. Nach einigen Tagen seien sie nach Kemnitz gekommen und am 09.05.1945 im Sudetenland befreit worden. Sein Vater sei dann im Krankenhaus von Lidice (nähe Karbod) verstorben. Er - der Versicherte - sei allein nach Polen zurückgekehrt und habe in Lodz gewohnt. Am 20.06.1948 sei er nach Israel eingereist. Er sei vorher staatenlos gewesen und habe 1952 automatisch die israelische Staatsangehörigkeit erhalten (persönliche Erklärung vom 01.01.1957, Bl. 7 und 8 der Entschädigungsakte sowie Erklärung vom 03.01.1957, Bl. 19 der Entschädigungsakte). In einer weiteren Erklärung gab der Versicherte an, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zugehörig zu sein. Wegen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach und Kulturkreis sei er bei Rückkehr nach Lodz genötigt gewesen, Lodz zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Er sei 1946 zunächst nach Österreich gelangt und von dort sei ihm nach Gründung Israels 1948 die Möglichkeit eröffnet gewesen, nach Israel auszuwandern (Erklärung vom 02.10.1963, Bl. 40 der Entschädigungsakte). Der Versicherte wurde damals wegen Freiheitschadens entschädigt, sein Antrag auf Entschädigung des Schadens an Körper oder Gesundheit wurde abgelehnt.
Am 02.12.1991 beantragte der Versicherte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund die Gewährung einer Altersrente unter Anerkennung von Beitragszeiten für das Ghetto Lodz. Er gab an, 1946 nach Israel aus- und 1948 dort eingereist zu sein (Bl. 10 der Rentenakte Bd. I). Diesen Antrag lehnte die Beklagte - an die der Vorgang zwischenzeitlich zuständigkeitshalber abgegeben worden war - mit Bescheid vom 15.08.1992 ab. Auch der Widerspruch des Versicherten blieb ohne Erfolg und wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.1992 zurückgewiesen. Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Düsseldorf (Az.: S 5 J 25/93) verstarb der Versicherte und die jetzige Klägerin beantragte am 02.10.1995 die Gewährung von Witwenrente. Im Laufe des Klageverfahrens erkannte die Beklagte an, dass der Versicherte über Beitragszeiten zur Deutschen Rentenversicherung vom 01.01.1941 bis 31.08.1944 verfügt; dieses Anerkenntnis nahm die Klägerin an. In der Folgezeit kam es zunächst nicht zu einer Rentenzahlung. Nachentrichtungsanträge der Klägerin wurden abgelehnt, wobei die Klägerin der Beklagten mitteilte, ihr verstorbener Ehemann, der Versicherte, habe sich ab 1946 in Österreich in einem DP-Lager in der Nähe von Linz aufgehalten (Bl. 196 der Rentenakte Bd. II).
Am 15.05.2002 beantragte die Klägerin erneut bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Mit Rentenbescheid vom 25.06.2004 gewährte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab 01.07.1997 in Höhe von 71,38 Euro. Hierbei erkannte sie Beitragszeiten vom 01.05.1940 bis 08.05.1945 an.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch mit dem Begehren, weitere Ersatzzeiten anerkannt zu bekommen. Der Versicherte sei im Anschluss an die Verfolgung ab 09.05.1945 arbeitsunfähig gewesen. Er habe sich zudem im Ausland aufgehalten. Mit Bescheid vom 20.12.2004 half die Beklagte dem Widerspruch zum Teil ab und stellte die Rente der Klägerin ab 01.07.1997 neu fest. Sie erkannte weitere Beitragszeiten vom 09.05.1945 bis 08.08.1945 mit der Folge an, dass sich der Rentenzahlbetrag auf 75,13 Euro monatlich erhöhte. Die Anerkennung von Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingtem Auslandsaufenthalt lehnte die Beklagte ab, da wegen der Rückkehr des Versicherten nach Polen der anschließende Auslandsaufenthalt nicht mehr als verfolgungsbedingt angesehen werden könne. Dieser Teilabhilfebescheid wurde Gegenstand des Widerspruchsverfahrens und mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin im Übrigen zurück. Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingtem Auslandsaufenthalt könnten nicht anerkannt werden. Es fehle an der Kausalität zwischen Verfolgung und Auslandsaufenthalt, da der Versicherte nach Lodz zurückgekehrt und erst 1946 nach Österreich ausgereist sei. Es sei nicht dargetan, dass im Auswanderungsentschluss maßgebende objektive Umstände im Sinne des Nachwirkens von Verfolgungsmaßnahmen lägen.
Hiergegen hat die Klägerin am 19.08.2005 Klage erhoben.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass der Versicherte über weitere Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingtem Auslandsaufenthalt verfügt. Sein Auslandsaufenthalt habe bereits durch Rückgängigmachung der Eingliederung Lodz begonnen. Für die Anerkennung von Ersatzzeiten reiche es insoweit aus, dass sich der Verfolgte infolge von Verfolgungsmaßnahmen im Ausland aufgehalten habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25.06.2004 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.12.2004 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 16.08.2005 zu verurteilen, ihr ab 01.07.1997 höhere große Witwenrente unter Anerkennung weiterer Ersatzzeiten für die Zeit vom 09.08.1945 bis 31.12.1949 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die getroffene Entscheidung weiterhin für zutreffend. Aus einem Urteil des Bundessozialgerichts (vom 29.03.2006 - B 13 RJ 7/05 R -) ergebe sich, dass bei direkter Ausreise aus ehemals eingegliederten Gebieten ohne Zwischenstation in Deutschland kein verfolgungsbedingter Auslandsaufenthalt vorliege. Insoweit fehle es bereits an einem Verlassen des Inlandes nach dem Stand 30.06.1945.
Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die Gerichtsakte, die von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten sowie die vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg beigezogene Entschädigungsakte des Versicherten hingewiesen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 25.06.2004 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2005 beschwert die Klägerin nach § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Diese Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als die Beklagte es abgelehnt hat, der Klägerin höhere große Witwenrente unter Anerkennung von Ersatzzeiten für die Zeit vom 09.08.1945 bis 31.12.1949 zu gewähren. Dies folgt aus § 250 Abs. 1 Nr. 4 lit. b Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 lit. b SGB VI sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr bis zum 30.06.1945 ihren Aufenthalt in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30.06.1945 genommen oder einen solchen beibehalten haben, längstens aber die Zeit bis zum 31.12.1949, soweit sie zum Personenkreis des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) gehören. Diese Voraussetzungen erfüllt der Versicherte für den in Rede stehenden Zeitraum. Er gehörte zu dem Personenkreis des § 1 BEG. Er hat auch seinen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze genommen und diesen bis zum 31.12.1949 beibehalten. Ein Verlassen des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze liegt auch dann vor, wenn sich ein Verfolgter bei Kriegsende in einem Gebiet befunden hat, in dem die Reichsversicherungsgesetze galten und dessen faktische Zugehörigkeit zum Deutschen Reich mit dem Krieg endete (BSG, Urteil vom 13.09.1978 - 5 RJ 86/77, SozR 2002 § 1251 Nr. 51). Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Versicherte befand sich bei Kriegsende im Sudetenland, in dem seit 01.01.1939 die Reichsversicherungsgesetze anwendbar waren (Verordnung vom 27.06.1940 über die endgültige Regelung der Reichsversicherung in den ehemaligen tschechoslowakischen, dem Deutschen Reich eingegliederten Gebieten, RGBl I S. 957). Das Sudetenland wurde mit Kriegsende faktisch Ausland und die Anwendbarkeit der Reichsversicherungsgesetze endete. Auch danach hat sich der Versicherte im Ausland aufgehalten. Er ist zunächst nach Lodz zurückgekehrt, wobei in Lodz zum damaligen Zeitpunkt die Reichsversicherungsgesetze ebenfalls nicht mehr anwendbar waren. Danach hat er sich in Österreich und ab dem 20.06.1948 in Israel aufgehalten.
Der Auslandsaufenthalt wurde auch durch Verfolgungsmaßnahmen hervorgerufen. Nach der Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung" ist jede Bedingung ursächlich, die nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSG, Urteil vom 13.09.1978, a.a.O.; grundlegend: BSGE 13, 175). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes hat das Bundessozialgericht in der zuvor genannten Entscheidung die Verfolgung als wesentliche Bedingung für den Auslandsaufenthalt angenommen, wenn sich ein Verfolgter verfolgungsbedingt bei Kriegsende in einem Gebiet befunden hat, in dem bis zum Kriegsende die Reichsversicherungsgesetze anwendbar waren, danach aber nicht mehr wegen der Beendigung der faktischen Zugehörigkeit zum Deutschen Reich (BSG, Urteil vom 13.09.1978, a.a.O.). Zudem ist bei der Auslegung des hier in Rede stehenden Ersatzzeittatbestandes der Regelungszweck der Vorschrift einzubeziehen. Diejenigen sollen in den Genuss der Regelung kommen, die jemals im Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze waren - und sei es auch nur durch Eingliederung ihres Heimatgebietes; ihnen soll eine Überlegungsfrist zur Rückkehr in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze eingeräumt werden, ohne dass ihnen im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Aufenthalt im Ausland und die deswegen nicht bestehende Möglichkeit des Aufbaus weiterer Beitragszeiten zur Deutschen Rentenversicherung Nachteile in der Rentenversicherung entstehen (BSG, Urteil vom 29.03.2006 -B 13 RJ 7/05 R-). Ferner ist bei der Auslegung der Ersatzzeittatbestände derjenigen Interpretation der Vorzug zu geben, die eine möglichst weitgehende Wiedergutmachung des eingetretenen Schadens erlaubt; diese Vorschriften sind am Widergutmachungsgedanken orientiert auszulegen (Hauck/Haines-Klattenhoff, § 250 SGB VI, RdNr. 201 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat der Versicherte seinen Aufenthalt im Ausland verfolgungsbedingt genommen und beibehalten. Er befand sich zunächst durch Eingliederung Lodz im Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze, denn diese wurden mit dem 01.01.1942 in Lodz anwendbar (durch die Ostgebiete-Verordnung vom 22.12.1941, RGBl I 777). Durch Verfolgungsmaßnahmen während des Krieges befand er sich in weiteren Konzentrations- und Arbeitslagern, zuletzt im Sudetenland und damit im Inland. Bei Kriegsende wurde er dort befreit und die Reichsversicherungsgesetze waren auf ihn nicht mehr anwendbar. Neben der Aufenthaltsnahme in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze war auch die Beibehaltung desselben verfolgungsbedingt. Der Versicherte ist zunächst nach Lodz zurückgekehrt. Hierdurch wurde entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der Zusammenhang zwischen Verfolgung und Auslandsaufenthalt unterbrochen. Eine solche Rückkehr ins Heimatgebiet stellt sich zur Überzeugung der Kammer solange als unschädlich dar, wie der Verfolgte nur vorübergehend - beispielsweise zur Suche nach Angehörigen und Habseligkeiten - ins Vertreibungsgebiet zurückkehrt. Ein solches Verhalten ist naheliegend; es handelt sich um eine Nachwirkung der Verfolgung. Eine Vielzahl der Verfolgten ist nach der Erfahrung der Kammer aus den vorbeschriebenen Gründen zunächst ins Vertreibungsgebiet zurückgekehrt. Anderes kann nur gelten, wenn der Verfolgte längerfristig Aufenthalt in den Vertreibungsgebieten nimmt. Denn dann macht er durch sein Verhalten deutlich, dass er die Verfolgung als abgeschlossen betrachtet und sich (freiwillig) im ehemaligen Vertreibungsgebiet niederlässt. Ein solch längerfristiger Aufenthalt ist im Falle des Versicherten nicht gegeben. Er kehrte für kurze Zeit bis 1946 nach Lodz zurück, fand dort aber wegen der Nachwirkung des Krieges keinen Halt mehr. In einer persönlichen Erklärung vom 02.10.1963 (Bl. 40 der Entschädigungsakte) hat er angegeben, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis nach seiner Rückkehr nach Lodz genötigt gewesen sei, Lodz zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Auch der nachfolgende Aufenthalt in Österreich war durch Nachwirkungen der Verfolgung bedingt. Denn der Versicherte wollte von vornherein wegen der Verfolgung Europa verlassen und nach Israel einwandern. Dies ist ihm erst im Juni 1948 nach Gründung Israels gelungen.
Auch eine am Regelungszweck der Vorschrift orientierte Auslegung spricht dafür, dass der Auslandsaufenthalt des Versicherten verfolgungsbedingt war. Denn der Versicherte kam zunächst durch Eingliederung seines Heimatgebietes (Lodz) in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze; dieser Aufenthalt in Gebieten der Reichsversicherungsgesetze wurde durch Verfolgungsmaßnahmen beendet. Denn er befand sich bei Kriegsende durch Verfolgungsmaßnahmen bedingt im Sudetenland und fortan waren die Reichsversicherungsgesetze auf ihn nicht mehr anwendbar. Dies berücksichtigend trifft auf ihn der Gedanke der vorgenannten Überlegungsfrist (zur Rückkehr ins RVO-Gebiet) zu.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für das Eingreifen des in Rede stehenden Ersatzzeittatbestandes auch nicht notwendige Voraussetzung, dass der Verfolgte sich zumindest kurzfristig in Nachkriegsdeutschland aufgehalten hat. Die Auffassung der Beklagten findet zunächst keine Stütze im Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.03.2006 (Az.: B 13 RJ 7/05 R). Soweit das Bundessozialgericht dort ausgeführt hat, dass die in dem Ersatzzeittatbestand enthaltene Überlegungsfrist jedenfalls dann gelte, wenn Deutschland nicht lediglich kurzfristige Zwischenstationen bei der Ausreise gewesen, sondern hier ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden sei, bedeutet das nicht, das ein solcher Aufenthalt im Nachkriegsdeutschland unerlässliche Voraussetzung für das Eingreifen des Ersatzzeittatbestandes ist. Denn das Bundessozialgericht hat dort lediglich ausgeführt, dass dies (Überlegungsfrist) jedenfalls dann (nicht nur kurzfristige Zwischenstation in Nachkriegsdeutschland) gelte; es hat nicht angenommen, dass dies nur unter den vorgenannten Bedingungen gelte. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der vom Bundessozialgericht in diesem Verfahren zu entscheidende Fall vom hiesigen abweicht. Denn dort hatte der Verfolgte nach der Verfolgung Aufenthalt im Nachkriegsdeutschland (in einem DP-Lager) genommen. Die Kammer sieht deswegen die Ausführungen des Bundessozialgerichts zum nicht nur kurzfristigen Aufenthalt im Nachkriegsdeutschland im Zusammenhang mit dem Aufenthalt im DP-Lager. Zudem ist die Auffassung der Beklagten aber auch wegen des Regelungszwecks des in Rede stehenden Ersatzzeittatbestandes nicht überzeugend. Denn die Auffassung der Beklagten würde dazu führen, dass sich alle Verfolgten - um in den Genuss der Ersatzzeit zu kommen - zunächst nach Kriegsende wieder nach Deutschland begeben müssten, um danach wieder ins Ausland auszureisen. Eine solche Auslegung findet im Gedanken des für die Rentenversicherung unschädlichen Auslandsaufenthaltes (Überlegungsfrist) keine Stütze und wäre auch nicht mit der am Wiedergutmachungsgedanken zu orientierenden Auslegung der Ersatzzeittatbestände vereinbar. Denn der Verfolgte müsste - um an der Wiedergutmachung teil zu haben - zumindest kurzfristig in das Land zurückkehren, von dem aus seine Verfolgung iniziiert wurde.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin höhere Witwenrente unter Anerkennung weiterer Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingtem Auslandsaufenthalt zu gewähren ist.
Die am 00.00.1931 in N (Tschechien) geborene Klägerin besitzt heute die israelische Staatsangehörigkeit. Am 20.02.1951 heiratete sie S (im Folgenden: Versicherter), der am 00.00.1927 in Lodz (Polen) geboren wurde und am 08.03.1993 in Israel verstarb. Der Versicherte war Verfolgter des Nationalsozialismus. Im Verfahren auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) gab er an, bei Ausbruch des Krieges gemeinsam mit seinen Eltern in Lodz gelebt zu haben. Ab Mai 1940 habe er Zwangsarbeit im dortigen Ghetto verrichtet. Dies habe bis zur Liquidation des Ghettos 1944 angedauert. Er sei anschließend für 6 Wochen nach Auschwitz gekommen und dann gemeinsam mit seinem Vater in das Lager Sigma-Schoenau. Nach einigen Tagen seien sie nach Kemnitz gekommen und am 09.05.1945 im Sudetenland befreit worden. Sein Vater sei dann im Krankenhaus von Lidice (nähe Karbod) verstorben. Er - der Versicherte - sei allein nach Polen zurückgekehrt und habe in Lodz gewohnt. Am 20.06.1948 sei er nach Israel eingereist. Er sei vorher staatenlos gewesen und habe 1952 automatisch die israelische Staatsangehörigkeit erhalten (persönliche Erklärung vom 01.01.1957, Bl. 7 und 8 der Entschädigungsakte sowie Erklärung vom 03.01.1957, Bl. 19 der Entschädigungsakte). In einer weiteren Erklärung gab der Versicherte an, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zugehörig zu sein. Wegen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach und Kulturkreis sei er bei Rückkehr nach Lodz genötigt gewesen, Lodz zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Er sei 1946 zunächst nach Österreich gelangt und von dort sei ihm nach Gründung Israels 1948 die Möglichkeit eröffnet gewesen, nach Israel auszuwandern (Erklärung vom 02.10.1963, Bl. 40 der Entschädigungsakte). Der Versicherte wurde damals wegen Freiheitschadens entschädigt, sein Antrag auf Entschädigung des Schadens an Körper oder Gesundheit wurde abgelehnt.
Am 02.12.1991 beantragte der Versicherte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund die Gewährung einer Altersrente unter Anerkennung von Beitragszeiten für das Ghetto Lodz. Er gab an, 1946 nach Israel aus- und 1948 dort eingereist zu sein (Bl. 10 der Rentenakte Bd. I). Diesen Antrag lehnte die Beklagte - an die der Vorgang zwischenzeitlich zuständigkeitshalber abgegeben worden war - mit Bescheid vom 15.08.1992 ab. Auch der Widerspruch des Versicherten blieb ohne Erfolg und wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.1992 zurückgewiesen. Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Düsseldorf (Az.: S 5 J 25/93) verstarb der Versicherte und die jetzige Klägerin beantragte am 02.10.1995 die Gewährung von Witwenrente. Im Laufe des Klageverfahrens erkannte die Beklagte an, dass der Versicherte über Beitragszeiten zur Deutschen Rentenversicherung vom 01.01.1941 bis 31.08.1944 verfügt; dieses Anerkenntnis nahm die Klägerin an. In der Folgezeit kam es zunächst nicht zu einer Rentenzahlung. Nachentrichtungsanträge der Klägerin wurden abgelehnt, wobei die Klägerin der Beklagten mitteilte, ihr verstorbener Ehemann, der Versicherte, habe sich ab 1946 in Österreich in einem DP-Lager in der Nähe von Linz aufgehalten (Bl. 196 der Rentenakte Bd. II).
Am 15.05.2002 beantragte die Klägerin erneut bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente unter Hinweis auf das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Mit Rentenbescheid vom 25.06.2004 gewährte die Beklagte der Klägerin große Witwenrente ab 01.07.1997 in Höhe von 71,38 Euro. Hierbei erkannte sie Beitragszeiten vom 01.05.1940 bis 08.05.1945 an.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch mit dem Begehren, weitere Ersatzzeiten anerkannt zu bekommen. Der Versicherte sei im Anschluss an die Verfolgung ab 09.05.1945 arbeitsunfähig gewesen. Er habe sich zudem im Ausland aufgehalten. Mit Bescheid vom 20.12.2004 half die Beklagte dem Widerspruch zum Teil ab und stellte die Rente der Klägerin ab 01.07.1997 neu fest. Sie erkannte weitere Beitragszeiten vom 09.05.1945 bis 08.08.1945 mit der Folge an, dass sich der Rentenzahlbetrag auf 75,13 Euro monatlich erhöhte. Die Anerkennung von Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingtem Auslandsaufenthalt lehnte die Beklagte ab, da wegen der Rückkehr des Versicherten nach Polen der anschließende Auslandsaufenthalt nicht mehr als verfolgungsbedingt angesehen werden könne. Dieser Teilabhilfebescheid wurde Gegenstand des Widerspruchsverfahrens und mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin im Übrigen zurück. Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingtem Auslandsaufenthalt könnten nicht anerkannt werden. Es fehle an der Kausalität zwischen Verfolgung und Auslandsaufenthalt, da der Versicherte nach Lodz zurückgekehrt und erst 1946 nach Österreich ausgereist sei. Es sei nicht dargetan, dass im Auswanderungsentschluss maßgebende objektive Umstände im Sinne des Nachwirkens von Verfolgungsmaßnahmen lägen.
Hiergegen hat die Klägerin am 19.08.2005 Klage erhoben.
Sie ist weiterhin der Auffassung, dass der Versicherte über weitere Ersatzzeiten wegen verfolgungsbedingtem Auslandsaufenthalt verfügt. Sein Auslandsaufenthalt habe bereits durch Rückgängigmachung der Eingliederung Lodz begonnen. Für die Anerkennung von Ersatzzeiten reiche es insoweit aus, dass sich der Verfolgte infolge von Verfolgungsmaßnahmen im Ausland aufgehalten habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25.06.2004 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.12.2004 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 16.08.2005 zu verurteilen, ihr ab 01.07.1997 höhere große Witwenrente unter Anerkennung weiterer Ersatzzeiten für die Zeit vom 09.08.1945 bis 31.12.1949 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die getroffene Entscheidung weiterhin für zutreffend. Aus einem Urteil des Bundessozialgerichts (vom 29.03.2006 - B 13 RJ 7/05 R -) ergebe sich, dass bei direkter Ausreise aus ehemals eingegliederten Gebieten ohne Zwischenstation in Deutschland kein verfolgungsbedingter Auslandsaufenthalt vorliege. Insoweit fehle es bereits an einem Verlassen des Inlandes nach dem Stand 30.06.1945.
Im Übrigen wird wegen des weiteren Sach- und Streitstandes auf die Gerichtsakte, die von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten sowie die vom Amt für Wiedergutmachung in Saarburg beigezogene Entschädigungsakte des Versicherten hingewiesen. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 25.06.2004 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 20.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2005 beschwert die Klägerin nach § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Diese Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als die Beklagte es abgelehnt hat, der Klägerin höhere große Witwenrente unter Anerkennung von Ersatzzeiten für die Zeit vom 09.08.1945 bis 31.12.1949 zu gewähren. Dies folgt aus § 250 Abs. 1 Nr. 4 lit. b Sechstes Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 lit. b SGB VI sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 01.01.1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr bis zum 30.06.1945 ihren Aufenthalt in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30.06.1945 genommen oder einen solchen beibehalten haben, längstens aber die Zeit bis zum 31.12.1949, soweit sie zum Personenkreis des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) gehören. Diese Voraussetzungen erfüllt der Versicherte für den in Rede stehenden Zeitraum. Er gehörte zu dem Personenkreis des § 1 BEG. Er hat auch seinen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze genommen und diesen bis zum 31.12.1949 beibehalten. Ein Verlassen des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze liegt auch dann vor, wenn sich ein Verfolgter bei Kriegsende in einem Gebiet befunden hat, in dem die Reichsversicherungsgesetze galten und dessen faktische Zugehörigkeit zum Deutschen Reich mit dem Krieg endete (BSG, Urteil vom 13.09.1978 - 5 RJ 86/77, SozR 2002 § 1251 Nr. 51). Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Versicherte befand sich bei Kriegsende im Sudetenland, in dem seit 01.01.1939 die Reichsversicherungsgesetze anwendbar waren (Verordnung vom 27.06.1940 über die endgültige Regelung der Reichsversicherung in den ehemaligen tschechoslowakischen, dem Deutschen Reich eingegliederten Gebieten, RGBl I S. 957). Das Sudetenland wurde mit Kriegsende faktisch Ausland und die Anwendbarkeit der Reichsversicherungsgesetze endete. Auch danach hat sich der Versicherte im Ausland aufgehalten. Er ist zunächst nach Lodz zurückgekehrt, wobei in Lodz zum damaligen Zeitpunkt die Reichsversicherungsgesetze ebenfalls nicht mehr anwendbar waren. Danach hat er sich in Österreich und ab dem 20.06.1948 in Israel aufgehalten.
Der Auslandsaufenthalt wurde auch durch Verfolgungsmaßnahmen hervorgerufen. Nach der Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung" ist jede Bedingung ursächlich, die nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSG, Urteil vom 13.09.1978, a.a.O.; grundlegend: BSGE 13, 175). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes hat das Bundessozialgericht in der zuvor genannten Entscheidung die Verfolgung als wesentliche Bedingung für den Auslandsaufenthalt angenommen, wenn sich ein Verfolgter verfolgungsbedingt bei Kriegsende in einem Gebiet befunden hat, in dem bis zum Kriegsende die Reichsversicherungsgesetze anwendbar waren, danach aber nicht mehr wegen der Beendigung der faktischen Zugehörigkeit zum Deutschen Reich (BSG, Urteil vom 13.09.1978, a.a.O.). Zudem ist bei der Auslegung des hier in Rede stehenden Ersatzzeittatbestandes der Regelungszweck der Vorschrift einzubeziehen. Diejenigen sollen in den Genuss der Regelung kommen, die jemals im Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze waren - und sei es auch nur durch Eingliederung ihres Heimatgebietes; ihnen soll eine Überlegungsfrist zur Rückkehr in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze eingeräumt werden, ohne dass ihnen im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Aufenthalt im Ausland und die deswegen nicht bestehende Möglichkeit des Aufbaus weiterer Beitragszeiten zur Deutschen Rentenversicherung Nachteile in der Rentenversicherung entstehen (BSG, Urteil vom 29.03.2006 -B 13 RJ 7/05 R-). Ferner ist bei der Auslegung der Ersatzzeittatbestände derjenigen Interpretation der Vorzug zu geben, die eine möglichst weitgehende Wiedergutmachung des eingetretenen Schadens erlaubt; diese Vorschriften sind am Widergutmachungsgedanken orientiert auszulegen (Hauck/Haines-Klattenhoff, § 250 SGB VI, RdNr. 201 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat der Versicherte seinen Aufenthalt im Ausland verfolgungsbedingt genommen und beibehalten. Er befand sich zunächst durch Eingliederung Lodz im Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze, denn diese wurden mit dem 01.01.1942 in Lodz anwendbar (durch die Ostgebiete-Verordnung vom 22.12.1941, RGBl I 777). Durch Verfolgungsmaßnahmen während des Krieges befand er sich in weiteren Konzentrations- und Arbeitslagern, zuletzt im Sudetenland und damit im Inland. Bei Kriegsende wurde er dort befreit und die Reichsversicherungsgesetze waren auf ihn nicht mehr anwendbar. Neben der Aufenthaltsnahme in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze war auch die Beibehaltung desselben verfolgungsbedingt. Der Versicherte ist zunächst nach Lodz zurückgekehrt. Hierdurch wurde entgegen der Auffassung der Beklagten nicht der Zusammenhang zwischen Verfolgung und Auslandsaufenthalt unterbrochen. Eine solche Rückkehr ins Heimatgebiet stellt sich zur Überzeugung der Kammer solange als unschädlich dar, wie der Verfolgte nur vorübergehend - beispielsweise zur Suche nach Angehörigen und Habseligkeiten - ins Vertreibungsgebiet zurückkehrt. Ein solches Verhalten ist naheliegend; es handelt sich um eine Nachwirkung der Verfolgung. Eine Vielzahl der Verfolgten ist nach der Erfahrung der Kammer aus den vorbeschriebenen Gründen zunächst ins Vertreibungsgebiet zurückgekehrt. Anderes kann nur gelten, wenn der Verfolgte längerfristig Aufenthalt in den Vertreibungsgebieten nimmt. Denn dann macht er durch sein Verhalten deutlich, dass er die Verfolgung als abgeschlossen betrachtet und sich (freiwillig) im ehemaligen Vertreibungsgebiet niederlässt. Ein solch längerfristiger Aufenthalt ist im Falle des Versicherten nicht gegeben. Er kehrte für kurze Zeit bis 1946 nach Lodz zurück, fand dort aber wegen der Nachwirkung des Krieges keinen Halt mehr. In einer persönlichen Erklärung vom 02.10.1963 (Bl. 40 der Entschädigungsakte) hat er angegeben, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis nach seiner Rückkehr nach Lodz genötigt gewesen sei, Lodz zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Auch der nachfolgende Aufenthalt in Österreich war durch Nachwirkungen der Verfolgung bedingt. Denn der Versicherte wollte von vornherein wegen der Verfolgung Europa verlassen und nach Israel einwandern. Dies ist ihm erst im Juni 1948 nach Gründung Israels gelungen.
Auch eine am Regelungszweck der Vorschrift orientierte Auslegung spricht dafür, dass der Auslandsaufenthalt des Versicherten verfolgungsbedingt war. Denn der Versicherte kam zunächst durch Eingliederung seines Heimatgebietes (Lodz) in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze; dieser Aufenthalt in Gebieten der Reichsversicherungsgesetze wurde durch Verfolgungsmaßnahmen beendet. Denn er befand sich bei Kriegsende durch Verfolgungsmaßnahmen bedingt im Sudetenland und fortan waren die Reichsversicherungsgesetze auf ihn nicht mehr anwendbar. Dies berücksichtigend trifft auf ihn der Gedanke der vorgenannten Überlegungsfrist (zur Rückkehr ins RVO-Gebiet) zu.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für das Eingreifen des in Rede stehenden Ersatzzeittatbestandes auch nicht notwendige Voraussetzung, dass der Verfolgte sich zumindest kurzfristig in Nachkriegsdeutschland aufgehalten hat. Die Auffassung der Beklagten findet zunächst keine Stütze im Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.03.2006 (Az.: B 13 RJ 7/05 R). Soweit das Bundessozialgericht dort ausgeführt hat, dass die in dem Ersatzzeittatbestand enthaltene Überlegungsfrist jedenfalls dann gelte, wenn Deutschland nicht lediglich kurzfristige Zwischenstationen bei der Ausreise gewesen, sondern hier ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden sei, bedeutet das nicht, das ein solcher Aufenthalt im Nachkriegsdeutschland unerlässliche Voraussetzung für das Eingreifen des Ersatzzeittatbestandes ist. Denn das Bundessozialgericht hat dort lediglich ausgeführt, dass dies (Überlegungsfrist) jedenfalls dann (nicht nur kurzfristige Zwischenstation in Nachkriegsdeutschland) gelte; es hat nicht angenommen, dass dies nur unter den vorgenannten Bedingungen gelte. Im Übrigen ist zu bedenken, dass der vom Bundessozialgericht in diesem Verfahren zu entscheidende Fall vom hiesigen abweicht. Denn dort hatte der Verfolgte nach der Verfolgung Aufenthalt im Nachkriegsdeutschland (in einem DP-Lager) genommen. Die Kammer sieht deswegen die Ausführungen des Bundessozialgerichts zum nicht nur kurzfristigen Aufenthalt im Nachkriegsdeutschland im Zusammenhang mit dem Aufenthalt im DP-Lager. Zudem ist die Auffassung der Beklagten aber auch wegen des Regelungszwecks des in Rede stehenden Ersatzzeittatbestandes nicht überzeugend. Denn die Auffassung der Beklagten würde dazu führen, dass sich alle Verfolgten - um in den Genuss der Ersatzzeit zu kommen - zunächst nach Kriegsende wieder nach Deutschland begeben müssten, um danach wieder ins Ausland auszureisen. Eine solche Auslegung findet im Gedanken des für die Rentenversicherung unschädlichen Auslandsaufenthaltes (Überlegungsfrist) keine Stütze und wäre auch nicht mit der am Wiedergutmachungsgedanken zu orientierenden Auslegung der Ersatzzeittatbestände vereinbar. Denn der Verfolgte müsste - um an der Wiedergutmachung teil zu haben - zumindest kurzfristig in das Land zurückkehren, von dem aus seine Verfolgung iniziiert wurde.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved