S 45 (35,43) SO 196/05

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
45
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 45 (35,43) SO 196/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 544,15 Euro nebst 4 % Zinsen ab dem 9. Dezember 2005 zu erstatten. Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Erstattungsanspruch der Klägerin wegen der Übernahme rückständiger Stromkosten für die Beigeladene.

Die 1978 geborene Beigeladene, die seinerzeit seit Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II) - bezog, beantragte am 9. Juni 2005 bei dem Beklagten die Übernahme von rückständigen Stromkosten in Höhe von 544,15 Euro. Mit Bescheid vom 7. Juli 2005 lehnte der Beklagte den Antrag der Beigeladenen ab. In der Folgezeit stellte die Beigeladene einen entsprechenden Antrag bei der Klägerin. Mit Bescheid vom 18. Juli 2005 gewährte diese der Beigeladenen ein einmaliges Darlehen in Höhe von 544,15 Euro zur Begleichung des bestehenden Stromrückstandes.

Darüberhinaus legte die Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2005 Widerspruch ein und meldete zugleich ihren Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) an. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2005 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Als Begründung führte sie aus, die Klägerin sei nach § 34 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gegenüber der Beigeladenen zur Leistung verpflichtet gewesen.

Am 30. August 2005 hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte sei gegenüber der Beigeladenen zur Übernahme der rückständigen Stromkosten verpflichtet gewesen.

Nachdem die Klägerin ursprünglich die Feststellung der Leistungsverpflichtung des Beklagten gegenüber der Beigeladenen beantragt hatte, beantragt die Klägerin nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 544,15 Euro nebst 4 % Zinsen ab dem 9. Dezember 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Klägerin stehe ein Erstattungsanspruch nicht zu, da alleine die Klägerin, nicht hingegen jedoch der Beklagte gegenüber der Beigeladenen zur Leistungserbringung verpflichtet gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Klägerin und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist hier nach § 114 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i. V. m. § 51 Abs. 1 Nr. 4a Sozialgerichtsgesetz(SGG) gegeben.

Die von der Klägerin im Laufe des Verfahrens vorgenommene Klageänderung (statt der ursprünglich beantragten Feststellung nunmehr die Geltendmachung eines Erstattungsanspruches) ist nach § 99 Abs. 1 SGG zulässig. Es ist hier nämlich vom Vorliegen einer stillschweigenden Einwilligung des Beklagten zur Klägeänderung auszugehen, da dieser sich auf die geänderte Klage eingelassen hat (vgl. allgemein zur stillschweigenden Einwilligung in eine Klageänderung Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer Sozialgerichtsgesetz Kommentar 8. Auflage 2005, § 99 Randnummer 9). Die Klage ist als (echte) Leistungsklage nach § 57 Abs. 5 SGG statthaft. Bei einem Erstattungsstreit zwischen Sozialleistungsträgern handelt es sich um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt. Ein Vorverfahren war damit nicht durchzuführen, auch die Einhaltung einer Klagefrist war nicht geboten (ebenso Meyer-Ladewig u.a., § 54 Randnummer 41 m.w.N.).

Anspruchsgrundlage ist hier § 104 SGB X. Die Regelung des § 102 SGB X kommt hier als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Der Beklagte als zuerst angegangener Leistungsträger hat nämlich gerade nicht vorläufig geleistet, vielmehr hat er gar nicht geleistet. Die Klägerin hingegen hat erkennbar auf ihre eigene, subsidiäre Verpflichtung hin gegenüber der Beigeladenen eine Leistung erbracht; diese Leistungserbringung ist nicht aufgrund von Zweifeln, welcher Leistungsträger entgültig zuständig ist erfolgt; eine Leistungsbestimmung im Sinne der Vorläufigkeit (vgl. § 43 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I) lässt sich der Leistungszusage der Klägerin gegenüber der Beigeladenen nämlich nicht entnehmen.

Die Klägerin hat ihre Erstattungsforderung gegenüber dem Beklagten nach § 111 SGB X angemeldet.

Der Erstattungsanspruch der Klägerin als Sozialhilfeträgerin richtet sich wegen des instutionellen Nachranges der Sozialhilfe nach § 104 SGB X (Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.April 2006, Az. B 1 KR 32/04 R). Nach § 104 Abs. 1 SGB X ist, wenn ein nachrangig verpflichter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit dieser Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungspflicht eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet wäre (Abs. 2). Erläuternd führt § 104 Abs. 1 S. 3 SGB X zum Nachrangverhältnis aus, dass ein Erstattungsanspruch nicht besteht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangigen verpflichten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. § 104 SGB X geht also von nebeneinander bestehenden Leistungspflichten zweier Leistungsträger aus, wobei die Verpflichtung eines dieser Leistungsträger wegen System- oder Einzelanspruchssubsidiarität der Leistungspflicht des anderen nachgeht (vgl. BSGE 74, 36, 38 n.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn die Klägerin hat als nachrangig verpflichtete Leistungsträgerin an die Beigeladene als Berechtigte Sozialleistungen erbracht, obwohl vorrangig ein Leistungsanspruch gegenüber dem Beklagten bestand. Die von § 104 Abs. 1 SGB X vorausgesetzte Nachrangigkeit der Ansprüche eines Hilfesuchenden gegenüber dem zuständigen Sozialhilfeträger ergibt sich aus der im § 2 SGB XII normierten Systemsubsidiarität der Sozialhilfe (vgl. BSGE 58, 119, 123). Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen kann oder die erforderlich Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Es bestand auch eine vorrangige Leistungspflicht des Beklagten, der Beigeladenen ein Darlehen zur Begleichung des bestehenden Stromrückstandes zu bewilligen, die die Klägerin erfüllt hat, § 107 SGB X (zur Erfüllungsfiktion vgl. BSG in SozR.3 - 1300 § 107 Nr. 10). Der Anspruch der Beigeladenen gegen den Beklagten ergibt sich aus § 34 Abs. 1 SGB XII.

Nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB XII können Schulden übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift folgt aus § 5 Abs. 2 S. 2 SGB II, wonach für Leistungen nach § 34 SGB XII nicht gilt, das der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II Leistungen nach dem dritten Kapitel des Zwölftes Buches ausschließt, soweit sie nicht nach § 22 Abs. 5 SGB II zu übernehmen sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Stromkostenschulden der Beigeladenen sind nicht nach § 22 Abs. 5 SGB II in der 2005 geltenden Fassung zu übernehmen, weil diese Vorschrift nur Mietschulden und drohende Wohungslosigkeit betrifft und vorliegend durch die Nichtübernahme der Schulden auch nicht die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung verhindert würde. Auch stellt die Androhung einer Stromsperrung wegen vorhandener Schulden, wie sie seinerzeit die Beigeladene betraf, eine vergleichbare Notlage gem. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB XII dar (vgl. zu § 34 SGB XII als Anspruchsgrundlage gegenüber dem SGB II - Leistungsträger LSG NW, Beschluss vom 24. Juni 2005, Az. L 12 B 15/05 AS ER). Insoweit folgt die Kammer der Gegenmeinung nicht, wonach in den Fällen einer drohenden Stromsperrung der jeweilige SGB XII-Leistungsträger Arbeitslosengeld II-Leistungsempfängern zur Leistungserbringung - z.B. im Wege der Gewährung eines Darlehens - verpflichtet ist (so z.B. Sozialgericht Düsseldorf, Beschluss vom 8. Dezember 2005, Az. S 29 AS 157/05 ER). Die Kammer ist der Ansicht, dass die Annahme eines auf § 34 SGB XII gründenden Anspruchs von ALG II-Empfängern auf Bewilligung eines entsprechenden Darlehens bereits im Interesse einer Leistungsgewährung möglichst durch einen einen einheitlichen Leistungsträger - hier der Beklagte als SGB II-Leistungsträger geboten ist. Die berechtigten Leistungsempfänger sollen nämlich nicht gehalten sein, ihre Ansprüche auf Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse - wozu auch die Abwendung einer drohenden Stromsperrung gehört - bei verschiedenen Leistungsträgern geltend zu machen und dementsprechend jedes Mal deren Zuständigkeit neu herausfinden zu müssen. Diese Problematik hat auch der Gesetzgeber erkannt; dementsprechend hat er die Gesetzeslage zwischenzeitlich abgeändert, indem er mit Erlass des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 die Bestimmung in § 22 Abs. 5 SGB II dahingehend abgeändert hat, dass die darlehensweise Übernahme von Schulden über die Übernahme von Mietschulden hinaus nunmehr auch auf eine Übernahme sonstiger Schulden - insbesondere - erweitert worden ist.

Der mit dem Tenor ausgesprochene Zinsanspruch beruht auf § 108 SGB X.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich. Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG der Zulassung, weil hier eine Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechtes vorliegt, bei der die Beschwer 5000,00 Euro nicht übersteigt. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass es für zukünftige Fragen der Zuständigkeit für die Leistungserbringung bei drohender Stromsperrung auf die neue, mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006 geregelte Rechtslage ankommt, über die hier nicht zu entscheiden war.
Rechtskraft
Aus
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