Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 8 KR 22/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 140/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklage wird unter Aufhebung des Bescheides vom 24.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2004 verurteilt, die Kosten der medizinisch notwendigen Implantatversorgung zu übernehmen. Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Frage der Versorgung des Oberkiefers der Klägerin mit einem implantatgestützten Zahnersatz.
Die 1963 geborene Klägerin beantragte im Januar 2004 die Versorgung ihres Oberkiefers mit Zahnersatz einschließlich des Einsatzes von Implantaten und Suprakonstruktionen. Sie legte Heil- und Kostenpläne der Zahnärzte N und T sowie ein Attest der Diplom-Psychologin U-W vor. Aus den medizinischen Unterlagen ergab sich, dass die Versorgung mit einem konventionellen Zahnersatz aufgrund der Instabilität der verbleibenden Zähne nur mit einer Gaumenplatte durchgeführt werden könne. Die Versorgung mit einem konventionellen Zahnersatz mit einer Gaumenplatte sei der Klägerin aus psychischen Gründen jedoch nicht möglich. Nach einer erlebten schweren oralen Vergewaltigung würde eine Gaumenplatte als ständiger Fremdkörper im Mundbereich zu einer Retraumatisierung bei einem posttraumatischen Belastungssyndrom und einer Angststörung führen. Nach der Durchführung einer langjährigen Psychotherapie sei es der Klägerin wieder möglich, auch feste Nahrungsmittel - ausgenommen große Stücke - zu sich zu nehmen. Die Versorgung mit Implantaten sei daher medizinisch notwendig. Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) bzw. durch den von diesem beauftragten externen Gutachter Medizinal-Direktor X. Anschließend lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 24.05.2004 ab. Die erforderlichen Voraussetzungen für eine Implantatversorgung seien nicht gegeben, da keine der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zugelassenen Ausnahmeindikationen vorliege.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes des Zahnarztes H und eines Befundberichtes der Diplom-Psychologin U-W. Diesen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2004 zurück.
Die Klägerin hat gegen die ablehnenden Bescheide Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren, die Versorgung mit einem implantatgestützten Zahnersatz, weiterverfolgt. Aus den bereits vorgelegten medizinischen Unterlagen ergäbe sich, dass ein konventioneller prothetischer Zahnersatz unzumutbar und damit die Versorgung mit Implantaten medizinisch notwendig sei. Die von der Beklagten bewilligte Interimsprothese stelle als Provisorium nur eine instabile Versorgung dar, mit der sie nicht richtig beißen und nur breiige Nahrung zu sich nehmen könne. Trotz ihrer Berufstätigkeit sei sie als alleinerziehende Mutter von 3 Kindern finanziell nicht in der Lage, die notwendige Implantatversorgung selber zu finanzieren. Da sie in ihrem Beruf als Sozialberaterin regelmäßig mit Publikumsverkehr zu tun habe, sehe sie ohne bleibende Versorgung ihres Oberkiefers mit Zähnen ihre Berufstätigkeit als gefährdet an. Eventuelle Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) seien mittlerweile mit Sicherheit nicht mehr durchsetzbar, da die geschilderte Gewalttat viele Jahre zurückliege und damals keine Strafanzeige erstattet worden sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2004 zu verurteilen, die medizinisch notwendige Implantatversorgung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig.
Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts Befundberichte und Auskünfte des H eingeholt. Auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Bewilligung der Versorgung mit einem implantatgestützten Zahnersatz zu, §§ 27, 28 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Der Anspruch ist auch unter Berücksichtigung von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V i.V.m. den Behandlungs-Richtlinien des G-BA gegeben. Denn vorliegend ist ein besonders schwerer Fall im Sinne dieser Richtlinien gegeben. Dies ergibt sich aus dem Befundbericht des H vom 25.07.2005, gemäß dem bei der Klägerin erhebliche Entzündungen im Bereich des Oberkieferknochens vorliegen bzw. vorlagen, die zu einem größeren Kieferdefekt geführt haben. Des Weiteren ist auch eine konservative prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich. Dies ergibt sich aus den Ausführungen der behandelnden Diplom-Psychologin der Klägerin. Nach ihren nachvollziehbaren Darlegungen ist der Klägerin das Tragen einer konventionellen Zahnprothese mit Gaumenplatte beim Vorliegen aus posttraumatischen Gründen nicht möglich. Die Kammer stimmt insoweit auch mit der Wertung der Diplom-Psychologin überein, dass unter Berücksichtigung des erlittenen Traumas und des langwierigen und teilweisen psychotherapeutischen Behandlungserfolgs die Gefahr einer Retraumatisierung unzumutbar ist. Aus diesen Gründen ist die Klägerin während der erheblichen Verfahrensdauer auch bereit gewesen, ein nur unzureichendes Langzeitprovisorium zu tragen.
Einwände gegen die medizinische Notwendigkeit an sich sind auch von dem von der Beklagten beauftragten Gutachter X nicht erhoben worden. Seine Einwände hinsichtlich möglicher Probleme bei der Nachsorge einer Implantatversorgung mit Manipulationen im Mundbereich scheinen durch die Versorgung mit dem Langzeitprovisorium mit häufiger zahnärztlicher Kontrolle und Nachbesserung entkräftet.
Auch wenn man mit dem Standpunkt der Beklagten davon ausgehen sollte, dass die Ausnahmeindikation "schwerer Kieferdefekt aufgrund von Entzündungen" nicht vorliegt, ergäbe sich der Anspruch aus einer erweiternden Auslegung der Behandlungs-Richtlinien des G-BA unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -. Denn nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts resultiert ein entsprechender Anspruch aus den Vorschriften des Krankenversicherungsrechts bereits unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip. Gemäß den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist es mit diesem Grundrecht jedenfalls nicht vereinbar, eine gesetzlich Krankenversicherte, für deren lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Stand entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihr gewählten, ärztlich verordneten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (BVerfG, a.a.0.). Gemäß den weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Zu den Rechtsgütern des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gehört sowohl das Leben als auch die körperliche Unversehrtheit. Dies könnte bedeuten, dass auch der entsprechende Behandlungsanspruch einer die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung und nicht nur einer lebensbedrohlichen Erkrankung gewährleistet sein muss (ebenso: SG Hamburg, Urteil vom 07.02.2006 – S 48 KR 1620/03 - ; a. A.: BSG, u.a. Protokoll vom 27.03.2006 -Termin- Bericht 20/06- ; Urteile vom 26.09.2006 – B 1 KR 3/06 R - und - B1 KR 14/06 R - , vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - ; in: www.bundessozialgericht.de, Stichwort: Termine 2006 und Entscheidungstexte). Gegen eine Beschränkung auf lebensbedrohliche Erkrankungen könnten die weiteren Formulierungen der Beschlussbegründung sowie die vorangestellten Orientierungssätze sprechen: So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 06.12.2005 weiterhin ausdrücklich formuliert, dass Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechts das Grundrecht auf Leben "und körperliche Unversehrtheit" ist. (Rn. 55 der amtlichen Fassung; in: www.bundesverfassungsgericht.de). Die Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 GG zu stellen, gelte "insbesondere" in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung (Rn. 56, a.a.O.). In dem vom Bundesverfassungsgericht (allein) zu entscheidenden Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung gehörte der entsprechende Behandlungsanspruch bereits zum "Kernbereich" der Leistungspflicht sowie zu der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten "Mindest"versorgung (Rn. 65, a.a.O.). Von einer die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung wäre vorliegend wegen des für einen vollständigen Zahnverlust jungen Lebensalters der Klägerin auszugehen.
Da der geltend gemachte Versorgungsanspruch bereits aus den oben dargelegten Gründen begründet ist, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte jedenfalls als zuerst angegangener Sozialleistungsträger zur Erbringung der medizinisch notwendigen Versorgung verpflichtet ist, § 43 Abs. 1 Satz 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB I - (siehe hierzu rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.03.2007 - S 8 KR 269/06 - ). Für einen Anspruch auf Bewilligung der Implantatversorgung als vorläufige Leistung spricht, dass die medizinische Notwendigkeit der Versorgung gegeben ist. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Darlegung der Klägerin zu ihrer beruflichen Situation kommt als weiterer Sozialversicherungsträger der Rentenversicherungsträger - § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB VI - und, unter Berücksichtigung der von der Klägerin geschilderten finanziellen Verhältnisse, der Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen - §§ 53 ff. SGB XII - (vgl. auch Sächsisches OVG, Urteil vom 04.04.2006, Az.: 4 B 384/03) als leistungspflichtig in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Frage der Versorgung des Oberkiefers der Klägerin mit einem implantatgestützten Zahnersatz.
Die 1963 geborene Klägerin beantragte im Januar 2004 die Versorgung ihres Oberkiefers mit Zahnersatz einschließlich des Einsatzes von Implantaten und Suprakonstruktionen. Sie legte Heil- und Kostenpläne der Zahnärzte N und T sowie ein Attest der Diplom-Psychologin U-W vor. Aus den medizinischen Unterlagen ergab sich, dass die Versorgung mit einem konventionellen Zahnersatz aufgrund der Instabilität der verbleibenden Zähne nur mit einer Gaumenplatte durchgeführt werden könne. Die Versorgung mit einem konventionellen Zahnersatz mit einer Gaumenplatte sei der Klägerin aus psychischen Gründen jedoch nicht möglich. Nach einer erlebten schweren oralen Vergewaltigung würde eine Gaumenplatte als ständiger Fremdkörper im Mundbereich zu einer Retraumatisierung bei einem posttraumatischen Belastungssyndrom und einer Angststörung führen. Nach der Durchführung einer langjährigen Psychotherapie sei es der Klägerin wieder möglich, auch feste Nahrungsmittel - ausgenommen große Stücke - zu sich zu nehmen. Die Versorgung mit Implantaten sei daher medizinisch notwendig. Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) bzw. durch den von diesem beauftragten externen Gutachter Medizinal-Direktor X. Anschließend lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 24.05.2004 ab. Die erforderlichen Voraussetzungen für eine Implantatversorgung seien nicht gegeben, da keine der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zugelassenen Ausnahmeindikationen vorliege.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes des Zahnarztes H und eines Befundberichtes der Diplom-Psychologin U-W. Diesen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2004 zurück.
Die Klägerin hat gegen die ablehnenden Bescheide Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren, die Versorgung mit einem implantatgestützten Zahnersatz, weiterverfolgt. Aus den bereits vorgelegten medizinischen Unterlagen ergäbe sich, dass ein konventioneller prothetischer Zahnersatz unzumutbar und damit die Versorgung mit Implantaten medizinisch notwendig sei. Die von der Beklagten bewilligte Interimsprothese stelle als Provisorium nur eine instabile Versorgung dar, mit der sie nicht richtig beißen und nur breiige Nahrung zu sich nehmen könne. Trotz ihrer Berufstätigkeit sei sie als alleinerziehende Mutter von 3 Kindern finanziell nicht in der Lage, die notwendige Implantatversorgung selber zu finanzieren. Da sie in ihrem Beruf als Sozialberaterin regelmäßig mit Publikumsverkehr zu tun habe, sehe sie ohne bleibende Versorgung ihres Oberkiefers mit Zähnen ihre Berufstätigkeit als gefährdet an. Eventuelle Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) seien mittlerweile mit Sicherheit nicht mehr durchsetzbar, da die geschilderte Gewalttat viele Jahre zurückliege und damals keine Strafanzeige erstattet worden sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24.05.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2004 zu verurteilen, die medizinisch notwendige Implantatversorgung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für rechtmäßig.
Das Gericht hat zur weiteren Ermittlung des Sachverhalts Befundberichte und Auskünfte des H eingeholt. Auf diese Unterlagen sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Bewilligung der Versorgung mit einem implantatgestützten Zahnersatz zu, §§ 27, 28 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Der Anspruch ist auch unter Berücksichtigung von § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V i.V.m. den Behandlungs-Richtlinien des G-BA gegeben. Denn vorliegend ist ein besonders schwerer Fall im Sinne dieser Richtlinien gegeben. Dies ergibt sich aus dem Befundbericht des H vom 25.07.2005, gemäß dem bei der Klägerin erhebliche Entzündungen im Bereich des Oberkieferknochens vorliegen bzw. vorlagen, die zu einem größeren Kieferdefekt geführt haben. Des Weiteren ist auch eine konservative prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich. Dies ergibt sich aus den Ausführungen der behandelnden Diplom-Psychologin der Klägerin. Nach ihren nachvollziehbaren Darlegungen ist der Klägerin das Tragen einer konventionellen Zahnprothese mit Gaumenplatte beim Vorliegen aus posttraumatischen Gründen nicht möglich. Die Kammer stimmt insoweit auch mit der Wertung der Diplom-Psychologin überein, dass unter Berücksichtigung des erlittenen Traumas und des langwierigen und teilweisen psychotherapeutischen Behandlungserfolgs die Gefahr einer Retraumatisierung unzumutbar ist. Aus diesen Gründen ist die Klägerin während der erheblichen Verfahrensdauer auch bereit gewesen, ein nur unzureichendes Langzeitprovisorium zu tragen.
Einwände gegen die medizinische Notwendigkeit an sich sind auch von dem von der Beklagten beauftragten Gutachter X nicht erhoben worden. Seine Einwände hinsichtlich möglicher Probleme bei der Nachsorge einer Implantatversorgung mit Manipulationen im Mundbereich scheinen durch die Versorgung mit dem Langzeitprovisorium mit häufiger zahnärztlicher Kontrolle und Nachbesserung entkräftet.
Auch wenn man mit dem Standpunkt der Beklagten davon ausgehen sollte, dass die Ausnahmeindikation "schwerer Kieferdefekt aufgrund von Entzündungen" nicht vorliegt, ergäbe sich der Anspruch aus einer erweiternden Auslegung der Behandlungs-Richtlinien des G-BA unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 - 1 BvR 347/98 -. Denn nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts resultiert ein entsprechender Anspruch aus den Vorschriften des Krankenversicherungsrechts bereits unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip. Gemäß den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist es mit diesem Grundrecht jedenfalls nicht vereinbar, eine gesetzlich Krankenversicherte, für deren lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Stand entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihr gewählten, ärztlich verordneten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (BVerfG, a.a.0.). Gemäß den weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Gestaltung des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu stellen. Zu den Rechtsgütern des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gehört sowohl das Leben als auch die körperliche Unversehrtheit. Dies könnte bedeuten, dass auch der entsprechende Behandlungsanspruch einer die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung und nicht nur einer lebensbedrohlichen Erkrankung gewährleistet sein muss (ebenso: SG Hamburg, Urteil vom 07.02.2006 – S 48 KR 1620/03 - ; a. A.: BSG, u.a. Protokoll vom 27.03.2006 -Termin- Bericht 20/06- ; Urteile vom 26.09.2006 – B 1 KR 3/06 R - und - B1 KR 14/06 R - , vom 14.12.2006 - B 1 KR 12/06 R - ; in: www.bundessozialgericht.de, Stichwort: Termine 2006 und Entscheidungstexte). Gegen eine Beschränkung auf lebensbedrohliche Erkrankungen könnten die weiteren Formulierungen der Beschlussbegründung sowie die vorangestellten Orientierungssätze sprechen: So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 06.12.2005 weiterhin ausdrücklich formuliert, dass Maßstab für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Leistungsrechts das Grundrecht auf Leben "und körperliche Unversehrtheit" ist. (Rn. 55 der amtlichen Fassung; in: www.bundesverfassungsgericht.de). Die Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art. 2 GG zu stellen, gelte "insbesondere" in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung (Rn. 56, a.a.O.). In dem vom Bundesverfassungsgericht (allein) zu entscheidenden Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung gehörte der entsprechende Behandlungsanspruch bereits zum "Kernbereich" der Leistungspflicht sowie zu der von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geforderten "Mindest"versorgung (Rn. 65, a.a.O.). Von einer die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung wäre vorliegend wegen des für einen vollständigen Zahnverlust jungen Lebensalters der Klägerin auszugehen.
Da der geltend gemachte Versorgungsanspruch bereits aus den oben dargelegten Gründen begründet ist, kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte jedenfalls als zuerst angegangener Sozialleistungsträger zur Erbringung der medizinisch notwendigen Versorgung verpflichtet ist, § 43 Abs. 1 Satz 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB I - (siehe hierzu rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22.03.2007 - S 8 KR 269/06 - ). Für einen Anspruch auf Bewilligung der Implantatversorgung als vorläufige Leistung spricht, dass die medizinische Notwendigkeit der Versorgung gegeben ist. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Darlegung der Klägerin zu ihrer beruflichen Situation kommt als weiterer Sozialversicherungsträger der Rentenversicherungsträger - § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB VI - und, unter Berücksichtigung der von der Klägerin geschilderten finanziellen Verhältnisse, der Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen - §§ 53 ff. SGB XII - (vgl. auch Sächsisches OVG, Urteil vom 04.04.2006, Az.: 4 B 384/03) als leistungspflichtig in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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