S 26 R 205/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 205/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 R 283/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Altersrente unter Berücksichtigung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

Die am 00.00.1928 in M (M, M, damals zu Polen gehörig) geborene Klägerin ist Jüdin und Verfolgte des Nazi-Regimes und lebt seit 1949 in Israel mit der dortigen Staatsangehörigkeit.

Von der Deutschen Rentenversicherung Bund erhält die Klägerin eine Witwenrente aus dem Konto ihres Ehemannes (Bl. 1 der Verwaltungsakte der Beklagten).

Ein Antrag der Klägerin von 1996 bei der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten für ihre im Oktober 1946 in Deutschland geborene Tochter C, zum Zweck der Begründung von eigenen Beitragszeiten der Klägerin, war von der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte mit Bescheid vom 09.01.1997 damals noch abgelehnt worden, weil der Aufenthalt der Klägerin in Deutschland von Februar 1946 bis März 1949 nur vorübergehend gewesen sei.

Am 25.07.2003 beantragte die Klägerin unmittelbar bei der Beklagten durch ihre Bevollmächtigte die Gewährung einer Regelaltersrente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung von Ghetto-Zeiten nach dem ZRBG. Der Antragsschriftsatz der Bevollmächtigten der Klägerin datiert vom 23.07.2003. Kurz zuvor hatte die Klägerin selbst mit einem Antrag vom 08.07.2003 bei der israelischen Nationalversicherung auch einen Antrag auf eine Altersrente aufgrund von Ghetto-Beitragszeiten gestellt, der dort mit Stempel vom gleichen Tage einging und zuständigkeitshalber an die Beklagte weitergeleitet wurde, wo er am 16.07.2003 einging.

Die Klägerin gab in dem Rentenantrag an, dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu haben. Sie habe von Oktober 1941 bis Juli 1943 während ihres Aufenthaltes im Ghetto vom Lemberg dort Tätigkeiten als Arbeiterin verrichtet. Sie habe im dortigen Arbeitsamt und auf der dazugehörigen Straße alle anfallenden Reinigungsarbeiten verrichtet. Sie habe ca. 10 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeit sei durch den Judenrat vermittelt worden, und sie habe eine Arbeitserlaubnis erhalten. Bekommen habe sie dafür Verpflegung und Lebensmittel (Bl. 80 der Verwaltungsakte).

Die Beklagte zog die Entschädigungsvorgänge nach dem BEG von der Oberfinanzdirektion München bei und die der Claims Conference. In dem BEG-Vorgang hatte die Klägerin 1959 angegeben: " ...Kurze Zeit vor der Ghetto-Liquidierung im Sommer 1943 begegnete ich außerhalb des Ghettos, während ich Zwangsarbeit leistete, einer mir von früher her bekannten Hausbesorgerin ... Diese erkannte mich sofort und im Verlaufe des selben Tages während ich noch bei der Zwangsarbeit war, gelang es ihr, mir ein Schulzeugnis auf den Namen L zuzustecken ... Mir gelang es dann tatsächlich einige Tage später aus dem Ghetto zu flüchten und die Familie Q in M ... zu finden. Ich wurde in einem Keller versteckt ...". Später habe sie ab Juli 1943 illegal in den Wäldern gelebt, bis zu ihrer Befreiung im Sommer 1944. Dann habe sie wieder in M bis 1945 gewohnt, sei dann nach Deutschland gekommen und habe dort gelebt bis März 1949 bis zu ihrer Ausreise nach Israel.

Mit dem Rentenbescheid vom 07.09.2005 gewährt die Beklagte nun Altersrente, rückwirkend ab dem 01.01.1999, in Höhe von monatlich ca. 40 EUR, unter Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten und Ersatzzeiten. Zu diesem Rentenbescheid gibt es noch einen Zusatz, indem es heißt: " ...Eine Berücksichtigung der Beschäftigungszeit während ihres zwangsweisen Ghetto-Aufenthaltes kommt mangels Glaubhaftmachung einer entgeltlichen Beschäftigung nicht in Betracht ... Die im Ghetto gewährte Verpflegung sowie Lebensmittel ging über die Gewährung freien Unterhalts nicht voraus und führte daher nach bundesdeutschem Recht nicht zur Versicherungspflicht der Beschäftigung ...".

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 26.09.2005 Widerspruch ein, der nicht begründet wurde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil der angefochtene Rentenbescheid nach Aktenlage nicht zu beanstanden sei, zumal der Widerspruch nicht begründet worden sei.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 10.08.2006 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.

Zur Begründung trägt sie vor, die Beklagte habe bisher zu Unrecht keine Ghetto-Beitragszeiten rentensteigernd nach §§ 1, 2 ZRBG berücksichtigt. Dazu macht sie geltend, für ihre aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Tätigkeit habe sie Lohn in Form von Verpflegung und zusätzlichen Lebensmittel bekommen. Bestätigt werde das durch eine schriftliche Erklärung einer Frau T (Bl. 61 der Gerichtsakte). Dort wird die Arbeit der Klägerin beim Arbeitsamt bestätigt und dass die Klägerin Verpflegung und zusätzliche Lebensmittel erhalten habe. Diese Erklärung und ihre eigenen Angaben, so die Klägerin, reichten zur Anerkennung rentensteigernder Beitragszeiten aus und führten auch zu einer rückwirkenden Rentenzahlung seit dem 01.07.1997. Frühere Bezeichnung von Arbeit im Ghetto als "Zwangsarbeit" sei unschädlich. Im übrigen habe sie nach den Richtlinien, Vorschriften und Verordnungen für das Generalgouvernement, in dem Lemberg gelegen habe, einen Anspruch auf nicht nur geringfügigen Lohn gehabt, der nach den Vorschriften der §§ 12, 14 WGSVG unter Berücksichtigung der Rechtsanspruchstheorie ein Entgelt bzw. Beitragsleistung zur Rentenversicherung fingiere. Die Beschäftigung sei auch aus eigenem Willensentschluss aufgenommenen worden, denn die Entscheidung eine Arbeit aufzunehmen sei die vernünftige Reaktion auf die schlimmen Verhältnisse für Juden im Ghetto gewesen. Die Beklagte stelle zu hohe Anforderungen an die Erfüllung der Voraussetzungen des ZRBG. Zudem sei nach dem Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 14.12.2006 die Sachlage hier zu ihren Gunsten verschoben. Eine Beschäftigung müsse danach nicht versicherungspflichtig gewesen sein. Im übrigen schlössen Ansprüche und Leistungen nach dem Stiftungsgesetz andere Ansprüche aus der Sozialversicherung nicht aus. Dagegen sprächen die Bundestags-Drucksachen; bestehende Rechte sollten danach durch das Stiftungsgesetz nicht eingeschränkt oder aufgehoben werden, und künftige weitere Wiedergutmachungsregelungen nicht tangiert werden. Insoweit wird insbesondere auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten der Klägerin vom 28.08.2007 mit Anlagen Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

1.die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2006 zu verurteilen, bei der Berechnung und Feststellung der Regelaltersrente für sie rentensteigernd auch Beitragszeiten nach dem ZRBG - für die von ihr anlässlich des Aufenthalts im Ghetto von Lemberg von Oktober 1941 bis Juli 1493 zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung - zu berücksichtigen und dementsprechend eine Regelaltersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen bereits seit dem 01.07.1997 zu zahlen, 2.hilfsweise den Sachverständigen Hi aus I zur Situation der Ghetto-Arbeiter im Ghetto Lemberg betreffend die Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit der verrichteten Arbeiten zu hören wie auch zu ihrem Vortrag über die Arbeitsaufnahme und die Entlohnung zu hören, 3.hilfsweise ihr persönliches Erscheinen zum Termin zur mündlichen Verhandlung anzuordnen, um sie zu ihrer Ghetto-Arbeit anzuhören und zu befragen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte erwidert, sie nehme zunächst Bezug auf den Zusatz in dem angefochtenen Bescheid vom 07.09.2005. Hier fehle es jedenfalls schon an einer Zahlung von ausreichendem Entgelt. Ein Verzicht auf dieses Kriterium würde Abgrenzung zwischen freiwillig eingegangenen Beschäftigungsverhältnissen und Zwangsarbeit erschweren. Leistungen für Zwangsarbeit seien nur aus dem Entschädigungsfond der deutschen Wirtschaft "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" zu gewähren. Hier habe die Klägerin keine Versicherungspflicht auslösende Gegenleistung erhalten, die Lebensmittel hätten lediglich der Erhaltung der Arbeitskraft gedient. Die Frage einer eventuellen Einbehaltung von Beiträgen oder Beitragsanteilen durch die deutsche Verwaltung sei hier nicht relevant, da im Generalgouvernement kein Reichsrecht gegolten habe und somit auch keine Beiträge zu einem deutschen Rentenversicherungsträger abgeführt worden seien. Jedenfalls unter Berücksichtigung des Urteils des 13. Senats des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 sei hier von schon nicht ausreichendem versicherungspflichtigem Entgelt im Sinne des ZRBG auszugehen. Einer diesbezüglich anderweitigen Auffassung des 4. Senats des Bundessozialgerichts zum Entgeltbegriff folge sie nicht. Außerdem folge sich auch der von der Bevollmächtigten der Klägerin vertretenen Rechtsanspruchstheorie nicht.

Das Gericht hat Auskünfte und Unterlagen der Claims Conference beigezogen, mit einem Antrag der Klägerin vom 19.12.2001 auf Zahlung von Leistungen nach dem Stiftungsgesetz wegen Aufenthalt im Ghetto Lemberg (Bl. 95 der Gerichtsakte). In der Auskunft der Claims Conference dazu heißt es: " ...teilen wir Ihnen mit, dass Frau T2 von uns eine Entschädigung aufgrund ihres Verfolgungsschicksals im Ghetto Lwow im Jahre 1942 erhalten hat ...".

Das Gericht hat ferner das nicht rechtskräftige in der Berufung befindliche Urteil über T1 (die benannte Zeugin) in deren eigener Sache beigezogen (S 26 R 526/05 - Beiakte zu Bl. 66 Rückseite der Gerichtsakte) und dieses Urteil den Beteiligten übersandt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte in Abwesenheit der Bevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil diese in der ordnungsgemäß zugestellten Terminsmitteilung auf diese Verfahrensmöglichkeit hingewiesen worden ist, die sich aus §§ 124 Abs. 1, 126 und 127 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergibt.

Die Klage ist zwar zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 07.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2006, sind jedenfalls im Ergebnis nicht rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG, weil die Beklagte mit diesen Bescheiden zu Recht eine die Rente steigernde Beschäftigungszeit nach dem ZRBG abgelehnt hat und zu Recht auch eine frühere Rentenzahlung für Zeiten vor 1999 abgelehnt hat. Der dahingehenden begehrten Verpflichtung der Beklagten (§ 54 Abs. 4 SGG) war damit nicht zu entsprechen. Den Hilfsanträgen der Klägerin war hier auch nicht zu entsprechen, weil es aus Rechtsgründen auf die Anhörung eines Sachverständigen oder die Anhörung der Klägerin nicht ankommt.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte nämlich schon allein deshalb keinen Anspruch auf rentensteigernde Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten in einem Ghetto entsprechend §§ 70, 55 SGB VI in Verbindung mit §§ 1, 2 ZRBG, weil der Geltendmachung von weiteren Versicherungszeiten in der gesetzlichen deutschen Rentenversicherung für Zeiträume der Arbeit in einem Ghetto schon entgegensteht, dass die Klägerin für die Zeit im Ghetto bereits entschädigt wurde, und zwar nach dem EVZStiftG. § 16 dieses Gesetzes besagt in Absatz 1 Satz 1 und 2: "Leistungen aus Mitteln der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherung sowie deutscher Unternehmen für erlittenes nationalsozialistisches Unrecht im Sinne von § 11 können nur nach diesem Gesetz beantragt werden. Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind ausgeschlossen". Diese Vorschriften schließen also hier, da die Klägerin bereits Leistungen nach dem EVZStiftG erhalten hat für Zeiten einer Arbeit im Ghetto von Lemberg, weitere Ansprüche aus Tatbeständen im Zusammenhang mit dieser Arbeit im Ghetto Lemberg aus. Die 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf schließt sich damit der Auffassung des LSG NRW im Urteil vom 07.06.2005 (L 4 R 3/05) an, wonach der Ausschluss von Ansprüchen nach § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG auch Forderungen gegenüber der Sozialversicherung enthält bzw. solche ausschließt. Dieser Leistungsausschluss hätte nämlich praktisch keinen Anwendungsbereich und würde ausgehebelt, wenn über die sehr allgemeine Klausel des § 16 Abs. 3 EVZStiftG mit dem Wortlaut "Weitergehende Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgenregelungen gegen die öffentliche Hand bleiben hiervon unberührt" auf diesem Umweg doch wieder Ansprüche aus Ghetto-Zeiten nach anderen Rechtsvorschriften möglich sein sollten. Dies kommt indirekt zum Ausdruck auch in der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" (BT-Drucksache 16/1955 Seite 5). Dort hat die Bundesregierung klargestellt, es sei zu unterscheiden zwischen rentenrechtlichen Beschäftigungen und Entschädigungsleistungen für Zwangsarbeit, die eben nach anderen Gesetzen erbracht würden. Ist die Klägerin somit wie hier gerade aufgrund ihres Antrags vom 19.12.2001 für ihr Verfolgungsschicksal im Ghetto Lemberg bzw. für damit gegebenenfalls verbundene Tätigkeiten im Ghetto wegen etwaiger Tätigkeiten entschädigt worden, die als Zwangsarbeiten bzw. Sklavenarbeiten nach dem EVZStiftG qualifiziert wurden (gleich ob dies richtig war oder nicht), hat dies den Ausschluss von Abgeltungen nach anderen Gesetzen wie hier nach dem ZRBG bzw. SGB VI bzw. auch FRG zur Folge. Dass die Klägerin für ihren Aufenthalt bzw. etwaige Tätigkeit im Ghetto Lemberg aus dem Fond für ehemalige Sklaven- bzw. Zwangsarbeiter entschädigt wurde, lässt sich den Auskünften der Claims Conference entnehmen, denn die Klägerin ist gerade für ihr Verfolgungsschicksal im Ghetto Lemberg aus diesem Fond aufgrund eines Antrages vom 19.12.2001 nach dem Stiftungsgesetz entschädigt worden (Bl. 93-95 der Gerichtsakte). Dabei ist es nach Auffassung der Kammer auch ohne Bedeutung, ob die nach dem EVZStiftG gewährte Zwangsarbeiterentschädigung für Tätigkeit im Ghetto Lemberg auf das Jahr 1942 beschränkt wurde, während hier Beitragszeiten nach dem ZRBG für einen Gesamtzeitraum von Oktober 1941 bis Juli 1943 geltend gemacht werden; denn es handelt sich bei der Entschädigung nach dem EVZStiftG um Pauschalentschädigungen für zwangsweise ausgeübte Tätigkeiten im Ghetto, sodass auch alle sonstigen Tätigkeiten im Ghetto vom Anspruchsausschluss erfasst werden, wenn es um Tätigkeiten geht, die bereits von der Claims Conference als Zwangsarbeit qualifiziert wurden (gleich ob dies materiell richtig war oder nicht). Die Bundestags-Drucksachen und die anderen von der Bevollmächtigten eingereichten Unterlagen führen hier nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Denn die Grenze der Auslegung der Tragweite eines Gesetzes bildet immer der Wortlaut des Gesetzes. Gleich was sich einzelne Bundestags-Abgeordnete gedacht haben mögen und gleich was in die Bundestags-Drucksachen eingeflossen ist, müssen diese Vorstellungen und Meinungen unberücksichtigt bleiben, wenn der Wortlaut des Gesetzes keine Handhabe bietet, das Gesetz praktisch gegen seinen Wortlaut auszulegen. Es ist doch vielmehr so, dass Ziel des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" es war, endlich für Verfolgte eine Abgeltung zu gewähren, auch für Arbeiten, die im Dritten Reich in Ost-Europa als Zwangsarbeit angesehen wurden oder so empfunden wurden. Dafür wurden auch Mittel des Bundes und auch der Wirtschaft bereit gestellt. Die Mittel wären jedenfalls aus Töpfen der deutschen Wirtschaft nicht zusammengekommen, wenn das EVZStiftG keinerlei Beschränkung beinhalten würde, hinsichtlich Geltendmachung weiterer Ansprüche aus dem gleichen Lebenssachverhalt. Der Wortlaut des § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG "Etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrechts sind ausgeschlossen ..." kann also nur dahingehend ausgelegt werden, dass für schon nach dem Stiftungsgesetz entschädigte Arbeit in einem Ghetto sich keine Rechtsansprüche mehr nach anderen Vorschriften ergeben können. Die allgemeine Klausel des § 16 Abs. 3 EVZStiftG "Weitergehende Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgenregelungen gegen die öffentliche Hand bleiben hiervon unberührt" kann also nur die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck bringen, dass anderweitige eventuelle Ansprüche aus anderen Tatbeständen als der Arbeit im Ghetto nicht eingeschränkt werden und nicht abgeschafft werden sollen. Weitergehende Rechtsansprüche rentenrechtlicher Art aus den Arbeitszeiten im Ghetto bleiben somit durch § 16 Abs. 1 Satz 2 EVZStiftG ausgeschlossen.

Im übrigen hat die Klägerin auch keinen Anspruch darauf, dass die ihr zuerkannte Rente bereits zu einem früheren Zeitpunkt für Zeiten vor 1999 gewährt wird. Denn die Beklagte hat den Rentenantrag vom Juli 2003 schon zu ihren Gunsten ausgelegt auch als Überprüfungsantrag hinsichtlich der früher einmal von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abgelehnten Kindererziehungszeiten und Kinderberücksichtigungszeiten, und ist unter Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X zutreffend zu einer maximalen Rückwirkung von Rentenleistungen seit dem 01.01.1999 gelangt (Überprüfung mit Wirkung längstens für einen Zeitraum von bis zu 4 Jahren vor Stellung des Rentenantrages im Juli 2003). Eine Erstreckung auf weitere Zeiträume vor 1999 ergibt sich hier auch durch § 3 ZRBG nicht. Diese Norm würde eine rückwirkende Leistungserbringung schon ab 01.07.1997 überhaupt nur dann ermöglichen, wenn der auf Ghetto-Zeiten gestützte Rentenantrag schon bis spätestens zum 30. Juni 2003 gestellt worden wäre. Die diesbezüglichen Anträge der Klägerin sind aber sowohl bei der israelischen Nationalversicherung wie auch unmittelbar bei der Beklagten erst im Juli 2003 gestellt worden bzw. eingegangen. Außerdem scheitert hier die Anwendung von § 3 ZRBG ohnehin daran, dass nach Auffassung der Kammer wie bereits oben ausgeführt das ZRBG gar nicht erst zu Gunsten der Klägerin rentensteigernd zur Anwendung kommt.

Damit kann letztlich dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt im Ghetto Lemberg Tätigkeiten verrichtete, die materiell-rechtlich auch als entgeltliche Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss zu werten gewesen wären; gleich ob man zur Anspruchsprüfung das den Beteiligten bekannte Urteil des 13. Senats des Bundessozialgerichts vom 07.10.2004 (B 13 RJ 59/03 R) heranzieht oder das in weiten Teilen im Widerspruch dazu stehende Urteil des 4. Senats des Bundessozialgerichts vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R) oder aber das neuerliche Urteil des 13. Senats vom 26.07.2007 (B 13 R 28/06 R), mit welchen Urteilen das Bundessozialgericht immer wieder entschieden hat, ohne bisher zu einer einheitlichen senatsübergreifenden Rechtsmeinung zu den allgemeinen Voraussetzungen des § 1 ZRBG zu kommen und mit welchen Entscheidungen bisher davon abgesehen wurde, zuvor andere Senate anzurufen oder aber den großen Senat des Bundessozialgericht anzurufen, was der Rechtsfortbildung und der Rechtsvereinheitlichung nur positiv gedient hätte, gleich zu welcher Entscheidung man gekommen wäre. Mit dem etwaigen Ausschluss von Rentenleistungen aus der deutschen Rentenversicherung durch § 16 EVZStiftG haben sich aber jedenfalls bisher weder der 4. noch der 13. Senat des Bundessozialgerichts entscheidungserheblich auseinandergesetzt.

Da es wegen des Ausschlusses von Rentenleistungen aus Ghetto-Beschäftigungszeiten nicht auf die Art und Weise der Tätigkeit der Klägerin im Ghetto Lemberg ankommt, bedurfte es hier aus Rechtsgründen nicht der hilfsweise begehrten Anhörung eines Sachverständigen oder der hilfsweise begehrten Anhörung der Klägerin.

Die Kammer verkennt nicht das Verfolgungsschicksal der Klägerin, sieht aber nach Lage von § 16 EVZStiftG keine Möglichkeit, dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin zu entsprechen. Das ZRBG bzw. SGB VI wie auch das FRG geben hier weitergehende Ansprüche für die Klägerin nicht her.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Rechtskraft
Aus
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