S 29 AS 131/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 131/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Stellt eine Behörde bei einem auf Sozialleistungen gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung den Antragsteller klaglos und erklärt zugleich "das Verfahren für erledigt" und erklärt der den Antragsteller vertretende Rechtsanwalt "die Hauptsache ebenfalls für erledigt", so ist eine Auslegung dieser Erklärungen als Anerkenntnis und dessen Annahme im Sinne von § 101 Abs. 2 SGG und von Ziffer 3106 VV RVG regelmäßig ausgeschlossen.

2. Eine fiktive Terminsgebühr im Sinne von Ziffer 3106 VV RVG aufgrund enes angenommenen Anerkenntnisses fällt in einstweiligen Anordnungsverfahren regelmäßig nicht an (wie Beschluss der 44. Kammer vom 31.08.2007 - S 44 AS 43/06 ER).
Die Erinnerung des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 11.08.2006 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die nach § 197 SGG statthafte Erinnerung hat keinen Erfolg.

Der Bevollmächtigte der Antragstellerin kann nicht die Festsetzung höherer Gebühren verlangen, als dies im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.07.2006 erfolgt ist.

Insbesondere kann er nicht eine höhere fiktive Terminsgebühr gemäß Ziff. 3106 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV RVG) verlangen. Er hatte mit seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 25.04.2006 insofern 200 EUR beantragt. Festgesetzt hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) eine Gebühr von 87,50 EUR, weil der Antrag insofern unbillig sei und nach den Kriterien des RVG die festgesetzte Gebühr angemessen sei.

Dies ergibt sich daraus, dass nach Auffassung des Gerichts überhaupt keine fiktive Terminsgebühr angefallen ist.

Zunächst einmal liegt kein Fall eines angenommenen Anerkenntnisses vor. Die Antragsgegnerin hat auf den Eilantrag hin über den Fortzahlungsantrag der Antragstellerin entschieden und Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von April 2006 bis Juli 2006 bewilligt. Verbunden mit der Mitteilung hierüber an das Gericht hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 10.04.2006 das Verfahren für erledigt erklärt. Nachdem die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 20.04.2006 auch noch die Kosten dem Grunde nach übernommen hatte, erklärte der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 25.04.2006 das Verfahren ebenfalls in der Hauptsache für erledigt.

An diesen Erklärungen müssen die Beteiligten bzw. ihre Vertreter und/oder Bevollmächtigten sich festhalten lassen. Eine Auslegung der Erklärungen als Anerkenntnis auf Seite der Antragsgegnerin und als Annahme des Anerkenntnisses auf Seite des Bevollmächtigten der Antragstellerin ist ausgeschlossen, da der Wortlaut eindeutig ist und es sich um juristisch ausgebildete Personen handelt, bei denen man davon ausgehen kann, dass sie die von ihnen verwendeten prozessualen Fachbegriffe so meinen, wie sie nach dem Prozessrecht zu verstehen sind. Eine Klaglosstellung kann insbesondere in einstweiligen Anordnungsverfahren nicht regelmäßig als Anerkenntnis ausgelegt werden, weil diese ja nur den geltend gemachten materiellen Anspruch (also den Anordnungsanspruch) befriedigt und damit gegebenenfalls sinngemäß anerkennt, die Frage des Anordnungsgrundes (also der besonderen Eilbedürftigkeit, die eine Vorwegnahme der Hauptsache eventuell rechtfertigt) aber überhaupt nicht betrifft. Die Behörde ist aufgrund des Gesetzmäßigkeitsprinzips verpflichtet, im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens eine Bewilligung auszusprechen, wenn sie erkennt, dass die Voraussetzungen vorliegen. Dass sie für dieses gesetzmäßige Verhalten nicht notwendig eine fiktive Terminsgebühr tragen muss, erscheint auch nicht unbillig.

Weiterhin ist eine fiktive Terminsgebühr deshalb ausgeschlossen, weil diese – unterstellt man ein angenommenes Anerkenntnis, von dem wohl der frühere Kammervorsitzende in seiner Erledigungsverfügung vom 26.04.2006 und auch der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle im Kostenfestsetzungsbeschluss ausgingen – in einstweiligen Anordnungsverfahren nach dem Sinn und Zweck der Ziff. 3106 des VV RVG nicht anfällt, da diese Gebühr voraussetzt, dass eine mündliche Verhandlung grundsätzlich hätte stattfinden müssen. Dies ist nicht der Fall.

Die 44. Kammer des Gerichts hat mit Beschluss vom 31.08.2007 – S 44 AS 43/06 ER – zur Begründung dieser Auffassung ausgeführt:

"Nach der vorliegend allein in Betracht kommenden Nr. 3106 Anm. Ziff. 3 VV RVG entsteht die Terminsgebühr zwar auch dann, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Es sei dahingestellt, ob das Schreiben der Antragsgegnerin vom 13. Juli 2006 als (konkludentes) Anerkenntnis zu werten ist. Hierauf kommt es nicht an, denn auch wenn man dies bejaht, kommt Nr. 3106 Anm. Ziff. 3 VV RVG nicht zur Anwendung. Die Vorschrift verlangt, dass das Verfahren ohne mündliche Verhandlung endet. Hier fand zwar keine mündliche Verhandlung statt, so dass diese Voraussetzung bei wörtlichem Verständnis erfüllt ist.

Die Vorschrift ist jedoch so auszulegen, dass über das Nichtstattfinden einer mündlichen Verhandlung hinaus erforderlich ist, dass eine mündliche Verhandlung grundsätzlich hätte stattfinden müssen. Dies ist im Eilverfahren, anders als im Klageverfahren gemäß § 124 Abs. 1 SGG, nicht der Fall. Vielmehr entscheidet das Gericht hier durch Beschluss, § 86b Abs. 4 SGG, und damit gemäß § 124 Abs. 3 SGG aufgrund freigestellter mündlicher Verhandlung.

Wie sich aus dem oben zur Verfahrensgebühr Ausgeführten ergibt, gelten die Nr. 3100 bis 3106 VV RVG nach der Systematik des Gesetzes zwar grundsätzlich auch im Eilverfahren. Eine Terminsgebühr fällt daher auch im Eilverfahren an, wenn ein Termin stattfindet. Hinsichtlich der fiktiven Terminsgebühr nach Anm. Ziff. 1 bis 3 gilt jedoch anderes. Denn Ziff. 1 betrifft den Fall, dass in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs. 1, 2 SGG); Ziff. 2 den Fall, dass gemäß § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird, was ebenfalls nur möglich ist, wenn sonst durch Urteil und mithin aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 124 Abs. 1 SGG) zu entscheiden wäre. Bezüglich Ziff. 3 gilt nichts anderes. Sinn der Vorschrift ist es, zu vermeiden, dass der Rechtsanwalt von einer schriftlichen Annahmeerklärung absieht, damit ein Termin durchgeführt wird. Er soll daher bei einer schriftlichen Annahmeerklärung nicht um die Terminsgebühr gebracht werden, die im Klageverfahren normalerweise – sei es wegen tatsächlicher Durchführung einer mündlichen Verhandlung, sei es als fiktive Terminsgebühr nach Ziff. 1 oder 2 – neben der Verfahrensgebühr anfällt. Dieser Zweck der Vorschrift greift im Eilverfahren jedoch nicht. Denn hier muss das Gericht keine mündliche Verhandlung durchführen (und tut dies im Regelfall auch nicht). Auch, wenn ein Anerkenntnis abgegeben und nicht angenommen wird, ist ein Termin nicht erforderlich, weil das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann.

Eine Anwendung der Vorschrift würde zu dem Ergebnis führen, dass der Rechtsanwalt bei einer streitig entschiedenen Eilsache im Regelfall, d.h. wenn nicht ausnahmsweise eine mündliche Verhandlung oder ein sonstiger (insbesondere Erörterungs-)Termin stattgefunden hat, eine Terminsgebühr nicht erhielte, wohl aber im Falle einer unstreitig durch angenommenes Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung beendeten Eilsache. Für eine gebührenrechtliche Besserstellung dieses Falles gegenüber dem erstgenannten ist kein Grund ersichtlich."

Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen.

Wegen des Umstands, dass richtigerweise überhaupt keine fiktive Terminsgebühr angefallen ist, kommt eine Reduzierung des mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.07.2006 festgesetzten Gesamtbetrages nicht in Betracht, weil das Verböserungsverbot (Verbot der sog. reformatio in peius) gilt. Die Antragsgegnerin hat jedoch keine Erinnerung eingelegt, die eine Verminderung des festgesetzten Betrages ermöglichte.

Jedoch ist dieser rechnerische Wegfall der fiktiven Terminsgebühr bei der Prüfung der Festsetzung der Verfahrensgebühr durch den UdG zu berücksichtigen. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin hatte eine Verfahrensgebühr gemäß Ziff. 3102 VV RVG in Höhe von 250 EUR beantragt. Der UdG hat diese wegen Unbilligkeit auf 162,50 EUR gekürzt.

Abgesehen davon, dass die Gründe des UdG, die dieser ausführlich im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18.07.2006 dargelegt hat, das Gericht überzeugen und es deshalb eigentlich überhaupt keinen Grund hat, mehr als die festgesetzten 162,50 EUR zuzusprechen, so könnte das Gericht die Verfahrensgebühr gemäß dem Kostenfestsetzungsantrag und der Erinnerung auf 250 EUR festsetzen, ohne dass der Bevollmächtigte der Antragstellerin insgesamt mehr erhielte. Dies ergibt sich aus der "Überfestsetzung" der fiktiven Terminsgebühr um 87,50 EUR Denn genau um 87,50 EUR hat der UdG die beantragte Verfahrensgebühr von 250 EUR auf 162,50 EUR gekürzt.

In Bezug auf die Telekommunikationspauschale und die Steuer bestehen keine Bedenken.
Rechtskraft
Aus
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