S 16 U 199/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 199/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 268/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Umstritten ist zwischen den Beteiligten die Zahlung von Verletztengeld, die Erstattung von Kosten für berufliche Rehabilitationsmaßnahmen, die Anhebung der Rente wegen Arbeitslosigkeit sowie die Bewilligung von Pflegegeld.

Der 1954 geborene Kläger war von 1968 bis Juni 1996 im väterlichen Betrieb - Fahrzeughaus I1 U1, D-I2 in M - als Kfz-Mechanikermeister beschäftigt. Er erlitt am 03.03.1995 bei Schweißarbeiten einen Unfall als er sich eine Brandverletzung im Bereich des linken Zeigefingers zuzog. Der Kläger behandelte die Verletzung zunächst selbst und stellte sich sodann bei dem Praktischen Arzt U2 vor, der eine Untersuchung in der Abteilung für Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums M veranlasste. Im Untersuchungsbericht vom 12.03.1995 beschrieb X1 eine alte Verbrennung des linken Zeigefingers mit Gewebsnekrose und Sensibilitätsminderung im Bereich des dritten Fingernervens. Am 17. und 23.03.1995 wurden wegen Nekrosebildungen Revisionsoperationen erforderlich. Es zeigte sich eine defekte Sehnenscheide des gesamten Grundgliedes des Zeigefingers bei langstreckig defektem dritten Fingernerv. Der Neurologe und Psychiater T diagnostizierte am 23.06.1995 eine Medianus-Teilschädigung mit Dyästhesien am Digitus II links. Die Unfallanzeige erstattete der Vater des Klägers unter dem 27.12.1995. Nachdem die Beklagte zunächst die Anerkennung und Entschädigung des Unfalls als Arbeitsunfall abgelehnt hatte, erkannte die Beklagte im Berufungsverfahren L 15 U 302/98 in der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2000 den Unfall vom 03.03.1995 als Arbeitsunfall an und verpflichtete sich, nach Durchführung medizinischer Ermittlungen einen Bescheid darüber zu erteilen, ob und inwieweit Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren seien. Die Beklagte zog daraufhin über den Kläger vorliegende medizinische Unterlagen bei, unter anderem ein MDK-Gutachten vom 16.07.1996, in dem davon die Rede ist, der Kläger, der seit dem 01.06.1996 arbeitslos sei, könne als Kfz-Mechaniker nicht mehr arbeiten. Verweisbar sei er für Tätigkeiten im Kfz-Bereich, die überwiegend organisierend, planend oder begutachtend erfolgten. Im Hinblick auf die Verweisbarkeit des Klägers sei die Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des 21.07.1996 als beendet anzusehen. Die Beklagte beauftragte daraufhin die TKK I3 mit der Auszahlung von Verletztengeld für den Zeitraum vom 24.04.1995 bis zum 21.07.1996. Sodann holte die Beklagte ein handchirurgisches Gutachten von X2 ein, der die unfallbedingte MdE für die Zeit vom 22.07. bis 31.12.1996 auf 20 vom Hundert schätzte und in Übereinstimmung mit dem Neurologen und Psychiater C Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation nicht für erforderlich hielt. Auf dieser medizinischen Grundlage gewährte die Beklagte Verletztenrente (Bescheid vom 11.04.2001). Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 28.06.2001) erhob der Kläger beim Sozialgericht Düsseldorf Klage. Das Sozialgericht holte ein handchirurgisches Gutachten von X3 ein, der die Befundung und MdE-Bewertung von X2 bestätigte und darüber hinaus ausführte, Hilflosigkeit habe beim rechtshändigen Kläger zu keinem Zeitpunkt bestanden, da die rechte Hand intakt gewesen sei. Das Sozialgericht hat daraufhin die auf die Weitergewährung von Rente gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht durch Urteil vom 17.01.2007 zurück.

Parallel zu dem Rentenrechtsstreit begehrte der Kläger in weiteren Feststellungsverfahren Verletztengeld, Kostenerstattung für auf eigene Inititative durchgeführte berufliche Rehabilitationsmaßnahmen, die Aufstockung der Rente sowie die Bewilligung von Pflegegeld: Mit Schriftsatz vom 05.03.2001 begehrte der Kläger ausdrücklich Zahlungen von Verletztengeld über den 21.07.1996 hinaus. Er gab an, in der Zeit vom 22.07. bis zum 29.07.1997 Arbeitslosengeld und danach Arbeitslosenhilfe erhalten zu haben. Während seiner Arbeitslosigkeit habe er sich für das Wintersemester 1996/1997 an der Technischen Hochschule in L für den Studiengang Maschinenbau (Fachrichtung Kfz-Technik/Sachverständigenwesen) immatrikuliert gehabt. Parallel dazu habe er einen Volontariat bei dem vereidigten Sachverständigen H A abgeleistet. In dem beigefügten Zeugnis heißt es u. a., nach Ablegung der Meisterprüfung im Kraftfahrzeugmechanikgebinde-Handwerk sei der Kläger als verantwortlicher Werkstattmeister im elterlichen Betrieb tätig gewesen. Er verfüge über ein gutes technische Wissen auf den Gebieten Kraftfahrzeugmechanik, Kraftfahrzeugelektronik und Karrosseriebau. Besonders hervorzuheben sei seine Fähigkeit schwierige technische Probleme Laien verständlich zu beschreiben und auszudrücken, Schäden richtig zu erkennen, zuzuordnen und präzise zu beschreiben.

Mit Schriftsatz vom 27.04.2001 beantragte der Kläger die Aufstockung der Rente mit der Begründung, er habe seinen Arbeitsplatz wegen der Folgen des Unfalls verloren; die Rente und das Arbeitslosengeld zusammen erreichten nicht den Betrag des Übergangsgeldes, so dass die Rente gemäß § 587 RVO aufgestockt werden müsse. Darüber hinaus müsse auch Pflegegeld gemäß § 558 RVO geleistet werden, da er mehrere Monate lang nicht in der Lage gewesen sei, ohne Wartung und Pflege durch seine Ehefrau auszukommen. Mit Verwaltungsakt vom 05.07.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2002 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld über den 21.07.1996 hinaus ab, weil der Kläger weiterhin wettbewerbsfähig als Kfz-Meister hätte arbeiten können. Berufliche Rehabilitationsmaßnahmen sowie die Erhöhung der Rente wegen Arbeitslosigkeit des Klägers lehnte die Beklagte mit derselben Begründung ebenfalls ab (Bescheid vom 2706.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2002. Auch die Bewilligung von Pflegegeld lehnte die Beklagte ab, nachdem U3 die medizinischen Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit verneint hatte (Bescheid vom 17.05.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2002). Die gegen diese Bescheide gerichteten Klagen hat das Gericht verbunden. Der Kläger macht geltend, wegen der Unfallfolgen seien Arbeitsplatz als Kfz-Meister verloren zu haben. Zu Unrecht verneine die Beklagte die Ursächlichkeit des Arbeitsunfalls für die bestehende Arbeitslosigkeit. Dabei übersehe die Beklagte offensichtlich, dass er aufgrund des Arbeitsunfalls bis zum 21.07.1996 arbeitsunfähig krank gewesen ist und sein Arbeitsverhältnis gekündigt worden sei und zwar gerade deshalb, weil er aufgrund des Unfalls in seinem bis dahin ausgeübten Beruf als Kfz-Mechaniker nicht mehr einsetzbar gewesen sei. Krankenzeit und Arbeitslosigkeit gingen also unmittelbar ineinander über. An dem unfallbedigtem Gesundheitszustand habe sich nichts wesentliches geändert. Im Übrigen seien ihm vom Verletztengeld die Sozialabgaben zweimal einbehalten worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Verwaltungsakts vom 05.07.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2002 und unter Aufhebung des Bescheides vom 27.06.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2001 sowie unter Aufhebung des Bescheides vom 17.05.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.09.2002 zu verurteilen, Verletztengeld vom 22.07.1996 bis zum 31.08.1997 zu zahlen, die ihm für die berufliche Rehabilitation entstandenen Kosten zu übernehmen, die Rente zu erhöhen sowie für die Zeit vom 12.03. bis zum 23.05.1995 Verletztengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich des begehrten Pflegeldes macht sie hilfsweise die Einrede der Verjährung geltend.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten, die Akten der Beklagten und die Vorprozessakten S 6 (3) U 60/01 (L 17 U 107/05) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger kann die geltend gemachten Leistungen nicht verlangen. Dabei beurteilen sich seine Ansprüche noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung, weil der Versicherungsfall bereits eingetreten war, bevor das Siebte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 01.01.1997 in Kraft trat. Der Anspruch auf Verletztengeld richtet sich nach § 560 RVO. Danach erhält der Verletzte Verletztengeld, solange er infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist und keinen Anspruch auf Übergangsgeld nach den §§ 568, 568 a Abs. 2 oder 3 hat. Über den 22.07.1996 ist der Kläger nicht als arbeitsunfähig anzusehen. Aus dem MDK-Gutachten ergibt sich, dass der Kläger damals bereits arbeitslos gewesen ist. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, er habe seinerzeit seine Arbeit als Kfz-Meister wegen der Unfallfogen nicht mehr ausüben können, ist er dennoch nicht als arbeitsunfähig anzusehen, weil er sich auf berufsverwandte Tätigkeiten verweisen lassen muss. Diese Verweisbarkeit ist nur ausgeschlossen, solange das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Nach beendetem Arbeitsverhältnis liegt Arbeitsunfähigkeit nicht mehr vor, wenn eine andere zumutbare Tätigkeit ausgeübt werden kann. Mit dem MDK-Gutachter geht die Kamemr davon aus, dass sich der Kläger deshalb nach Beginn der Arbeitslosigkeit auf berufsverwandte Tätigkeiten aus dem Kfz-Bereich verweisen lassen muss, zumal er ausweislich des Zeugnisses, das ihm der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige A ausgestellt hat über gutes technisches Wissen auf den Gebieten Kraftfahrzeugmechanik, Kraftfahrzeugelektronik und Karosseriebau verfügt. Im Übrigen sind bei der Berechnung des Verletztengeldes - entgegen der Auffassung des Klägers - die Sozialversicherungsbeiträge nicht zu Unrecht zweimal abgezogen worden: Bei der Berechnung des Verletztengeldes ist zunächst unter Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge das Nettoarbeitsentgelt zu errechnen. Von diesem Nettoarbeitsentgelt sind wiederum Beiträge abzuführen (vgl. § 166 SGB VI): Die weiteren Voraussetzungen des § 560 RVO, nämlich ein Anspruch auf Übergangsgeld nach den §§ 568, 568 a Abs. 2 oder 3 bestehen ebenfalls nicht, da der Kläger keinen Anspruch auf Übergangsgeld für die Dauer von Berufshilfeleistungen hat. Seiner Einlassung nach hat sich der Kläger im Wintersemester 1996/1997 als Student immatrikuliert und ein Volontariat bei einem Kfz-Sachverständigen absolviert. Die dafür aufgewandten Kosten kann er ebenso wenig wie Übergangsgeld beanspruchen. Den Antrag auf berufsfördernde Leistungen hat er erstmals 2001 gestellt. In der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie in anderen Sozialversicherungsbereichen - jedenfalls auf dem Gebiet der Rehabilitation - das Sachleistungsprinzip, d. h. der Unfallversicherungsträger hat die zur beruflichen Wiedereingliederung erforderlichen Maßnahmen grundsätzlich als Sachleistung bzw. Naturalleistung zu gewähren; ein unmittelbarer Kostenerstattungsanspruch gegen den Unfallversicherungsträger für eine selbst beschaffte Rehabiliationsleistung ist in der Regel nicht gegeben (vgl. BSGE 48, 172, 173). Das Sachleistungsprinzip für die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wird nunmehr durch § 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII ausdrücklich normiert. Eine Kostenerstattung für selbst beschaffte Leistungen zur Rehabilitation findet allein unter den Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 13 Abs. 3 SGB V statt. Danach kommt eine Kostenerstattung in der gesetzlichen Unfallversicherung hinsichtlich einer selbst beschafften Leistung nur dann in Betracht, wenn der Unfallversicherungsträger 1. eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtszeitig erbringen konnte oder 2. eine beantragte Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Im vorliegenden Fall kommt als Anspruchsgrundlage des Klägers allein die zweite Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht, denn bei den vom Kläger gewählten Berufshilfemaßnahmen handelte es sich nicht um unaufschiebbare Sach- bzw. Dienstleistungen im Sinne der ersten Alternative. Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach der zweiten Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V liegen ebenfalls nicht vor. Danach ist es erforderlich, dass der Unfallversicherungsträger rechtzeitig von der Notwendigkeit einer solchen Maßnahme erfährt und somit auch rechtzeitig seine Zuständigkeit die Geeignetheit in Betracht kommender Maßnahmen vor deren Begehren prüfen kann. Erfährt der Unfallversicherungsträger hingegen erst im Nachhinein hiervon, so kann er das ihm zustehende Auswahlermessen allenfalls noch theoretisch ausüben, wobei besonders die Prüfung der persönlichen Neigung und ggf. auch Eignung des Versicherten regelmäßig äußerst problematisch sein wird. Mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung geht die Kammer deshalb davon aus, dass ein Erstattungsanspruch voraussetzt, dass zuvor bei einem Rehabilitationsträger ein entsprechender Antrag des Versicherten eingegangen ist (vgl. BSG, Urteil vom 24.02.2000 - B 2 U 12/99 R - ). Daran fehlt es hier. Ferner kann der Kläger auch nicht gemäß § 587 RVO die Erhöhung der Rente beanspruchen. Nach dieser Vorschrift setzt die Rentenerhöhung u. a. voraus, dass der Verletzte infolge des Arbeitsunfalls ohne Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen ist und die Rente und das Arbeitslosengeld ohne die Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe zusammen nicht den sich aus § 568 Abs. 2 ergebenden Betrag des Übergangsgeldes erreicht. Unterstellt man zu Gunsten des Klägers, dass ein solcher Unterschiedsbetrag vorgelegen hat, so scheitert der Anspruch dennoch bereits daran, dass der Kläger nicht nachweisbar wegen der Unfallfolgen seinen Arbeitsplatz verloren hat. Nach den plausiblen Feststellungen der von der Beklagten gehörten Gutachter ist der Kläger seinerzeit nicht gehindert gewesen, seine Tätigkeit als Kfz-Meister weiter wettbewerbsfähig auszuüben.

Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht Anspruch auf Pflegegeld. Nach § 558 RVO kann Pflegegeld gewährt werden, solange der Verletzte infolge des Arbeitsunfalls so hilflos ist, dass er nicht ohne Wartung und Pflege sein kann. Der Begriff der Hilfslosigkeit setzt dabei voraus, dass für die gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang dauernd fremde Hilfe benötigt wird. Zu den Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens haben dabei nicht die hauswirtschaftlichen Verrichtungen gezählt. In diesem Sinne ist der Kläger nicht hilfsbedürftig gewesen. Er hat auch als er mit einem Gips versorgt war bei den Verrichtungen des täglichen Lebens die nicht unfallverletzte rechte Hand uneingeschränkt einsetzen können. Darauf hat insbesondere X3 hingewiesen. Im Übrigen ist der Anspruch des Klägers verjährt. Ansprüche auf Sozialleistungen verjähren gemäß § 45 SGB I in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Pflegegeld machte der Kläger für den Zeitraum vom 12.03. bis 22.05.1995 geltend. Erstmals beansprucht hat er diese Leistungen im Jahre 2001. Zu Recht hat sich die Beklagte deshalb auf die Einrede der Verjährung berufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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