S 43 AS 354/07 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
43
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 43 AS 354/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei Beiträgen zu einer privaten Rentenversicherung eines minderjährigen Kindes, welches noch nicht in einem eine Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglichenden Alter ist, handelt es sich grundsätzlich nicht um dem Grunde nach angemessene Beiträge zu privaten Versicherungen i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

Das Gericht, welches bei seiner Entscheidung über den von den Antragstellern erhobenen Anspruch nicht an die Fassung des Antrages gebunden ist (§ 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) analog), legt den wörtlich gestellten Antrag,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 19.10.2007 zum angefochtenen Bescheid vom 15.10.2007, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2007, herzustellen und die Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu verpflichten, vorläufig die Rentenversicherungsbeiträge der Antragsteller von deren Einkommen gemäß § 11 Abs. 3 SGB II zu bereinigen,

unter Würdigung des gesamten Vorbringens in der Antragsschrift aus als Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig laufend zusätzlich zu dem ihnen durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.06.2007 jeweils gewährten Sozialgeld weiteres Sozialgeld in Höhe von monatlich jeweils 25,00 EUR, nämlich in Höhe der monatlichen Beiträge für ihre privaten Rentenversicherungen, zu gewähren.

Diese Auslegung ergibt sich aus dem erkennbaren Rechtsschutzziel, im Rahmen der den Antragstellern gewährten Sozialgeld-Leistungen von den angerechneten Einkommen der Antragsteller die Beiträge für die privaten Rentenversicherungen in Höhe von jeweils 25,00 EUR monatlich abzusetzen. Im Falle der Vornahme entsprechender Absetzungen ergäben sich für beide Antragsteller höhere Leistungsansprüche von monatlich 25,00 EUR.

Um dieses Rechtsschutzziel zu erreichen, bedarf es nicht einer Suspendierung des Bescheides vom 15.10.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2007, durch den die Antragsgegnerin die beantragte Absetzung der Versicherungsbeiträge vom anzurechnenden Einkommen abgelehnt hat, denn durch die Suspendierung dieses Bescheides könnte nicht erreicht werden, dass den Antragstellern die begehrten höheren Leistungen gewährt werden. Statthafte Antragsart im vorliegenden Verfahren ist damit nicht ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sondern ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, weil die Antragsteller nur durch den Erfolg eines solchen die vorläufige Gewährung der begehrten höheren Leistungen erreichen können.

Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache – auf Antrag – eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus. Eine solche Unzumutbarkeit ist zu bejahen im Falle einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschluss vom 25.06.2007, Az. L 1 B 25/07 AS ER sowie Beschluss vom 18.04.2007, Az. L 7 B 69/07 AS ER).

Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfes (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) vom Antragsteller glaubhaft zu machen. Erforderlich im Rahmen der Glaubhaftmachung ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, III. Kapitel, Rn. 157). Die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ist grundsätzlich im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln.

Es kann dahinstehen, ob der Antrag wegen möglicher Bestandskraft des Bescheides der Antragsgegnerin vom 15.10.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2007, durch den es die Antragsgegnerin sinngemäß abgelehnt hat, den Antragstellern unter Abänderung des Bewilligungsbescheides vom 12.06.2007 höhere monatliche Leistungen durch Absetzung der Rentenversicherungsbeiträge vom angerechneten Einkommen zu gewähren, bereits unzulässig ist. Eine derartige Bestandskraft ist gegeben, wenn die Antragsteller nicht innerhalb der Klagefrist gegen diesen Bescheid Klage erhoben haben. Eine derartige Klage liegt dem erkennenden Gericht nicht vor.

Jedenfalls erweist sich der Antrag im Rahmen der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung als unbegründet, weil die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben. Eine rechtliche Grundlage für die von den Antragstellern begehrte Absetzung der Rentenversicherungsbeiträge von dem anzurechnenden Einkommen mit der Folge eines höheren Leistungsanspruchs besteht ersichtlich nicht.

Beide Antragsteller haben als nicht erwerbsfähige Angehörige, nämlich drei und zehn Jahre alte Kinder ihrer erwerbsfähigen und mangels Erzielung von Einkommen hilfebedürftigen Mutter, mit der sie zusammenleben, dem Grunde nach einen Sozialgeldanspruch nach § 28 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), weil ihr jeweiliges eigenes Einkommen in Form von Kindergeld bzw. Kindesunterhalt nicht ausreicht, um den jeweiligen Lebensunterhalt zu decken (§§ 7, 9, 11 Abs. 1 SGB II).

Dabei steht dem monatlichen Bedarf (Regel-, Unterkunfts- und Heizungsbedarf) der Antragstellerin zu 2) in Höhe von 356,98 EUR ein Kindergeldeinkommen (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II) in Höhe von monatlich 154,00 EUR gegenüber, so dass sich ein der Antragstellerin zu 2) zustehendes monatliches Sozialgeld in Höhe von 202,98 EUR ergibt, welches ihr durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.06.2007 für den Zeitraum Juli bis einschließlich Dezember 2007 auch bewilligt wurde (Regelleistungen in Höhe von 54,00 EUR und Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 148,98 EUR). Dem monatlichen Bedarf des Antragstellers zu 1) in Höhe von ebenfalls 356,98 EUR steht ein monatliches Einkommen in Höhe von 281,00 EUR (Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR und Kindesunterhalt in Höhe von 127,00 EUR) gegenüber, so dass sich ein dem Antragsteller zu 1) zustehendes monatliches Sozialgeld in Höhe von 75,98 EUR ergibt, welches auch ihm durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 12.06.2007 für den Zeitraum Juli bis einschließlich Dezember 2007 in Form von Leistungen für Unterkunft und Heizung bewilligt wurde.

Gründe für eine Einkommensabsetzung nach § 11 Abs. 2 SGB II sind im Falle beider Antragsteller ersichtlich nicht gegeben. Insbesondere können die monatlichen Beiträge für die zugunsten der beiden Antragsteller abgeschlossenen privaten Rentenversicherungen in Höhe von monatlich 25,00 EUR nicht von deren jeweiligem Einkommen abgesetzt werden, weil diese Ausgaben von keiner der Alternativen des § 11 Abs. 2 SGB II erfasst sind. Insbesondere ist im Falle dieser Versicherungsbeiträge § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II nicht einschlägig.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II sind vom Einkommen abzusetzen Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind; hierzu gehören Beiträge a) zur Vorsorge für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind, b) zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, soweit die Beiträge nicht nach § 26 bezuschusst werden.

Die Beiträge zu den zugunsten der beiden Antragsteller abgeschlossenen privaten Rentenversicherungen sind weder gesetzlich vorgeschrieben noch nach Grund und Höhe angemessen.

Bei einer privaten Rentenversicherung handelt es sich um eine private Vorsorge für das Ruhestandsalter. Das Gericht geht davon aus, dass Beiträge zu privaten Rentenversicherungen von minderjährigen Kindern, welche noch nicht in einem eine Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglichenden Alter sind, grundsätzlich nicht das Kriterium der Angemessenheit dem Grunde nach i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II erfüllen.

Dies ergibt sich aus der Gesamtsystematik der Nr. 3 des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II sowie dem systematischen Zusammenhang der Nr. 3 mit den Nummern 2 und 4 des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Mit den Nummern 2, 3 Buchstabe b) und 4 des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II hat der Gesetzgeber eine systematisch schlüssige Regelung hinsichtlich der Absetzbarkeit von Altersvorsorgebeiträgen dahingehend getroffen, dass nach § 82 EStG geförderte Altersvorsorgebeiträge bei sämtlichen Personengruppen vom Einkommen absetzbar sind (Nr. 4) und darüberhinaus sonstige Altersvorsorgebeiträge lediglich bei Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind (Nr. 3 Buchstabe b) und bei denen somit Altersvorsorgebeiträge nicht bereits in Form der Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gemäß Nr. 2 absetzbar sind.

Diese Systematik macht deutlich, dass der Gesetzgeber zum einen von der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Altersvorsorge von einer potentiellen Versicherungspflicht unterliegenden Personen, also grundsätzlich erwerbsfähigen Personen ausgeht, und zum anderen von der Notwendigkeit einer zusätzlichen Altersvorsorge im Rahmen von nach § 82 EStG geförderten Altersvorsorgebeiträgen, bei der die Zweckbindung der Altersvorsorge dadurch sichergestellt ist, dass die Auszahlungsphase im Rahmen des Altersvorsorgesystems erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres beginnt (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz). Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber Altersvorsorgebeiträge nicht dem Grunde nach als angemessen ansieht, die weder erwerbsfähigen Personen zugute kommen noch eine gesicherte Zweckbindung i.S.d. §§ 82 EStG, 1 Abs. 1 Nr. 2 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz haben, denn hierdurch würde eine allgemeine Vermögensbildung privilegiert, welche grundsätzlich nicht dem Gesetzeszweck des SGB II entspricht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 8/06 R, Randnr. 35). Bei einer Rentenversicherung ohne gesicherte Zweckbindung i.S.d. §§ 82 EStG, 1 Abs. 1 Nr. 2 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz hat der Versicherungsnehmer nämlich grundsätzlich die Möglichkeit, Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag durch vorzeitige Kündigung bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahrs zu realisieren. Aus diesem Grund ist auch die Beschränkung der Absetzbarkeit von Altersvorsorgebeiträgen insbesondere im Falle von nichterwerbsfähigen minderjährigen Kindern auf der Nr. 4 des § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II unterfallende Anlageformen nicht zu beanstanden (vgl. LSG NRW, Urteil vom 18.06.2007, Az. L 20 AS 88/06).

Es steht den Antragstellern somit frei, in Zukunft Altersvorsorge in einer von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II erfassten Form zu betreiben und die derzeitigen Verträge entsprechend umzuwandeln oder ggf. neue Verträge abzuschließen. Derartige geförderte Altersvorsorgebeiträge wären im Gegensatz zu den streitgegenständlichen Beiträgen zu den privaten Rentenversicherungen vom Einkommen abzusetzen.

Mangels Anordnungsanspruchs kann dahinstehen, ob und ggf. inwieweit ein Anordnungsgrund besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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