S 56 SO 440/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
56
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 56 SO 440/06
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 7.9.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.9.2006 wird insoweit aufgehoben, wie ein Kostenbeitrag in Höhe von 3.505,45 EUR festgesetzt worden ist. 2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Kostenbeitrag für Leistungen, die ihm von der Einrichtung Der B. e.V. erbracht worden sind.

Der 1963 geborene Kläger leidet an einer chronischen paranoiden Psychose, er ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 60 anerkannt. Am 17.7.2002 beantragte er bei der Beklagten Leistungen für Betreuung durch die Einrichtung Der B. e.V. In dem Aufnahmebogen gab er an, über Vermögen in Form einer Lebensversicherung, deren Vertragswert zu diesem Zeitpunkt 2804,39 EUR betrug, sowie Genossenschaftsanteilen im Wert von 1800,- EUR zu verfügen. Außerdem gab er Einkommen aus Arbeitslosenhilfe in Höhe von 145,11 EUR wöchentlich an. Er reichte ferner Kontoauszüge ein, aus denen sich ergibt, dass er eine Mietwohnung der G. bewohnt.

Mit Bescheid vom 30.9.2002 bewilligte die Beklagte Hilfe in besonderen Lebenslagen gemäß § 39 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für den Zeitraum 15.7.2002 bis 31.1.2003 in der Einrichtung Der B. e.V. In dem Bescheid heißt es wörtlich: "Sie sind verpflichtet, hierzu Ihr Einkommen und Vermögen einzusetzen. Die Kosten für die Betreuung betragen zur Zeit täglich 31,20 EUR. Diese Kosten übernimmt der Sozialhilfeträger Freie und Hansestadt Hamburg gemäß § 43 I BSHG. Es ist aber eventuell ein Kostenbeitrag zu leisten, den die Sozialabteilung gegebenenfalls mitteilen wird" und "Bescheide der Sozialabteilung, in denen die Höhe des Kostenbeitrags oder Eigenanteils mitgeteilt wird, ergänzen diesen Bescheid bzw. ändern ihn".

Seitdem nahm der Kläger Leistungen der Einrichtung Der B. e.V. in Anspruch. Der Kläger wohnte dabei in einer eigenen Wohnung. Er kam zu Einzelgesprächen in die Einrichtung, anfangs pro Woche einmal für eine halbe Stunde, später pro Woche einmal für eine Stunde. Außerdem nahm er an Gruppenangeboten teil. Insgesamt verbrachte er ca. 2 – 3 Stunden täglich in der Einrichtung.

Mit Schreiben vom 9.10.2002 forderte die Beklagte von dem Kläger Unterlagen zu den Genossenschaftsanteilen an, um prüfen zu können, ob ein Kostenbeitrag zu fordern sei. Der Kläger übersandte daraufhin eine Bescheinigung der Baugenossenschaft B1. vom 17.10.2002, in der diese bestätigt, dass der Kläger im Besitz von 12 Anteilen im Wert von insgesamt 1800,- EUR ist. Ferner wird dort ausgeführt, die Kündigungsfrist betrage ein volles Geschäftsjahr. Eine Kündigung im Jahr 2002 werde zum 31.12.2003 wirksam. Die Auszahlung könne dann nach dem 30.6.2004 erfolgen.

Mit Bescheid vom 14.1.2003 bewilligte die Beklagte Hilfe in besonderen Lebenslagen in der Einrichtung Der B. e.V. für den Zeitraum 1.2.2003 – 31.1.2004; dieser Bescheid enthielt den gleichen Hinweis auf eine eventuelle Kostenbeitragspflicht wie der oben zitierte Bescheid vom 30.9.2002.

Am 11.11.2003 teilte die Einrichtung Der B. e.V. der Beklagten mit, dass dem Kläger mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 1.5.2003 in Höhe von monatlich 1011,66 EUR bewilligt worden war.

Mit Bescheid vom 20.1.2004 bewilligte die Beklagte Hilfe in besonderen Lebenslagen in der Einrichtung Der B. e.V. für den Zeitraum 1.2.2004 – 31.1.2005; auch dieser Bescheid enthielt den Hinweis auf eine eventuelle Kostenbeitragspflicht. Mit Bescheid vom 24.1.2005 bewilligte die Beklagte "teilstationäre Hilfe in besonderen Lebenslagen" gemäß §§ 53, 54 SGB XII durch die Einrichtung Der B. e.V. vom 1.2.2005 bis 31.1.2006, wiederum mit dem oben zitierten Hinweis (wobei die täglichen Kosten für die Betreuung nunmehr mit 33,12 EUR angegeben wurden).

Am 7.9.2005 erließ die Beklagte einen als "Leistungsbescheid" überschriebenen Bescheid, mit dem dem Kläger "Dezentrales Wohnen § 54 SGB XII vom 1.5.2005 bis 30.9.2005" bewilligt wurde. Weiter heißt es in dem Bescheid: "Nachstehend die Aufstellung über das einzusetzende Vermögen:

Rückkaufswert Lebensversicherung 3.430,90 Euro Genossenschaftsanteile 1.800,00 Euro Guthaben Girokonto 1.624,55 Euro =========== insgesamt 6.855,45 Euro abzgl. Vermögensfreibetrag 3.350,00 Euro =========== einzusetzendes Vermögen 3.505,45 Euro

Bitte überweisen Sie den Betrag von 3.505,45 Euro an ( )"

Mit Schreiben vom 16.9.2005, bei der Beklagten eingegangen am 20.9.2005, erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, die Maßnahme sei mit Bescheid vom 24.1.2005 für den Zeitraum 1.2.2005 bis 31.1.2006 bewilligt worden; eine Aufhebung dieses Bescheids sei nicht erfolgt. Die Forderung einer Eigenbeteiligung zum jetzigen Zeitpunkt sei nicht nachvollziehbar. Er erhalte seit Juli 2002 Leistungen. Seitdem seien die finanziellen Verhältnisse bekannt, dennoch sei bislang kein Eigenbeitrag gefordert worden. Außerdem liege eine besondere Härte im Sinne des § 90 Abs. 3 SGB XII vor. Die Lebensversicherung sei mit dem Ziel der Alterssicherung abgeschlossen worden. Die Genossenschaftsanteile seien bislang nicht aufgelöst worden, da der Kläger unter der Angst leide, er könne seine jetzige Wohnung verlieren. Durch die langjährige Mitgliedschaft in der Genossenschaft habe er Anwartschaften erworben, sodass für diesen Fall eine rasche Versorgung mit neuem Wohnraum gesichert sei. Die Anforderung eines Kostenbeitrags gefährde außerdem den Erfolg der Maßnahme; der Kläger sei krankheitsbedingt misstrauisch und leide an Ängsten. Die Pflicht zur Verwertung des Vermögens könne einen erheblichen Krankheitsschub auslösen. Insoweit werde Bezug genommen auf die Einholung eines psychologischen Gutachtens.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.9.2006, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugegangen am 25.9.2006, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Pflicht zum Vermögenseinsatz stütze sich auf § 90 SGB XII. Das Vermögen liege über den Freigrenzen. Eine besondere Härte liege nicht vor, die Angst vor Vermögensverlust begründe keine solche Härte. Durch den Vermögenseinsatz werde die Altersvorsorge nicht gefährdet, da der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehe, die über den Sozialhilfesätzen liege. Auch die Lebensversicherung sei nicht von der Verwertung ausgeschlossen. Es handele sich um eine Kapitallebensversicherung, die objektiv zur langfristigen Alterssicherung nicht geeignet sei, da die Versicherungssumme keiner Zweckbindung unterliege und bei Fälligkeit in einer Summe ausgezahlt werde, über die der Kläger frei verfügen könne. Der Einsatz der Genossenschaftsanteile bedeute ebenfalls keine Härte. Der Kläger wohne in einer öffentlich geförderten und daher preisgünstigen Wohnung. Weder beabsichtige er, diese Wohnung aufzugeben, noch drohe ihm eine Kündigung.

Am 25.10.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt ergänzend vor, die Lebensversicherung sei geschütztes Vermögen, da sie der Alterssicherung diene. Dies sei daran erkennbar, das als Auszahlungsdatum das Jahr 2028 vereinbart worden sei. Die Genossenschaftsanteile könnten nicht sofort verwertet werden, hierfür würden mindestens 1 ½ Jahre benötigt werden. Der Kläger habe außerdem darauf vertraut, nicht zu einem Kostenbeitrag herangezogen zu werden, da der Beklagten die wirtschaftlichen Verhältnisse seit Juli 2002 bekannt seien und bisher kein Kostenbeitrag gefordert worden sei. Außerdem dürfe der therapeutische Zweck des Vorhandenseins des Vermögens nicht außer Acht gelassen werden. Zum Beweis dafür, dass die Verwertungspflicht zu einer Verschlimmerung der Krankheit führe, werde auf die Einholung eines psychologischen Fachgutachtens Bezug genommen.

Mindestens seit Februar 2006 nimmt der Kläger die zuvor erhaltenen Leistungen der Einrichtung Der B. e.V. nicht mehr in Anspruch.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 07.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2006 insoweit aufzuheben, wie dort ein Kostenbeitrag aus vorhandenem Vermögen in Höhe von 3.505,45 EUR festgesetzt worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid. Ergänzend führt sie aus, der Kläger könne sich nicht darauf berufen, er habe darauf vertraut, dass er nicht mehr zu einem Vermögenseinsatz herangezogen werde. Die Beklagte habe diese Möglichkeit in ihren Bescheiden regelmäßig in Aussicht gestellt.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 7.9.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.9.2006 ist rechtswidrig, soweit in ihm ein Kostenbeitrag in Höhe von 3.505,45 EUR festgesetzt wird. Der Kläger ist hierdurch beschwert (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte war nicht berechtigt, von dem Kläger einen Kostenbeitrag für die für den Zeitraum 1.5.2005 – 31.9.2005 bewilligten Leistungen zu fordern.

1. Die Forderung eines Kostenbeitrags kann sich nicht auf § 92 Abs. 1 SGB XII stützen. Nach dieser Vorschrift hat der Sozialhilfeträger die im Falle einer Behinderung erforderlichen Leistungen für eine stationäre Einrichtung, eine Tageseinrichtung für behinderte Menschen oder für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen auch dann in vollem Umfang zu erbringen, wenn den in § 19 Abs. 3 SGB XII genannten Personen die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten ist. Von diesen Personen ist dann aber ein entsprechender Kostenbeitrag zu fordern. § 92 SGB XII ist im vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, weil die Maßnahme nicht ärztlich verordnet wurde und die Einrichtung Der B. e.V. weder eine stationäre Einrichtung noch eine Tageseinrichtung für Behinderte ist.

Um eine stationäre Einrichtung handelt es sich nur dann, wenn der Leistungsempfänger in der Einrichtung untergebracht ist (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.2.2007, Az: L 8 AS 35/06, in juris, mwN). Das ist hier nicht der Fall, der Kläger lebt in einer eigenen Wohnung, die in keinem Zusammenhang mit der Einrichtung Der B. e.V. steht. Es handelt sich auch nicht um eine Tageseinrichtung für Behinderte. Tageseinrichtungen sind Einrichtungen, in denen behinderte Menschen während des Tages betreut und gefördert werden, wobei die Förderung und Betreuung für eine nicht unwesentliche Dauer im Ablauf des Tages in der Einrichtung erfolgt (vgl. Lippert, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 92 Rn. 12). Zu den Tageseinrichtungen gehören z.B. Werkstätten für behinderte Menschen, Sonderkindergärten oder Tagesförderschulen. Vorliegend hielt sich der Kläger täglich ca. 2 – 3 Stunden in der Einrichtung Der B. e.V. auf. Damit erreicht die Betreuung und Förderung in der Einrichtung selbst nicht ein den genannten Beispielen vergleichbares zeitliches Ausmaß. Sie nimmt nicht einen wesentlichen Teil des Tages ein.

2. Die Forderung eines Kostenbeitrags findet auch keine Rechtsgrundlage in § 19 Abs. 5 SGB XII, der die so genannte "erweiterte Hilfe" regelt. Danach haben der Leistungsempfänger und die sonstigen nach § 19 Abs. 1 bis 3 zum Einsatz von Einkommen oder Vermögen verpflichteten Personen dem Sozialhilfeträger dessen Aufwendungen zu erstatten, wenn Leistungen erbracht worden sind, obwohl diesen Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen oder Vermögen möglich bzw. zuzumuten ist. Damit wird es dem Sozialhilfeträger ermöglicht, Leistungen auch dann zu erbringen, wenn eigentlich infolge einzusetzenden Einkommens und Vermögens kein Anspruch besteht. Um den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe dennoch zu wahren, gibt § 19 Abs. 5 SGB XII dem Sozialhilfeträger in diesen Fällen einen Aufwendungsersatzanspruch.

Der Aufwendungsersatzanspruch setzt jedoch voraus, dass die Leistungen zu Recht als erweiterte Hilfe gewährt worden sind (vgl. Seidel, in: Oestreicher u.a., SGB II/SGB XII, § 19 SGB XII Rn. 60). Zwar formuliert § 19 Abs. 5 SGB XII als Anspruchsvoraussetzung nur, dass Leistungen trotz bestehender Selbsthilfemöglichkeit erbracht worden sind. Aus einem rechtswidrigen Handeln können jedoch keine Ansprüche des Sozialhilfeträgers entstehen.

Nach der Vorgängerregelung in § 29 BSHG war erweiterte Hilfe nur rechtmäßig, wenn ein begründeter Fall für eine derartige Vorleistung vorlag. Eine solche tatbestandliche Voraussetzung enthält § 19 Abs. 5 SGB XII nicht mehr. Das Fehlen einer entsprechenden Einschränkung der Zulässigkeit erweiterter Hilfe im SGB XII kann jedoch nicht dazu führen, dass Leistungen nunmehr beliebig auch dann erbracht werden dürfen, wenn nach den Vorschriften über den Einsatz von Einkommen und Vermögen kein Anspruch auf sie besteht. Vielmehr ist die erweiterte Hilfe auch weiterhin nur in begründeten Fällen zulässig (so Schoch, in: LPK-SGB XII, § 19 Rn. 80; Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm SGB XII, § 19 Rn. 42; nach Seidel, in: Oestreicher u.a., SGB II/SGB XII, § 19 SGB XII Rn. 64 sind entsprechende Erwägungen im Rahmen des Ermessens bezüglich der Gewährung erweiterter Hilfe anzustellen, ebenso Grieger, in Rothkegel, Sozialhilferecht, Kapitel 30 Rn. 11 ff.). Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Gesetzgeber ausweislich der Begründung zu § 19 Abs. 5 SGB XII, (der damals allerdings noch als Abs. 4 vorgeschlagen war) den bisherigen § 29 BSHG inhaltsgleich übertragen wollte (Bundestags-Drucksache 15/1514, S. 57). Das Erfordernis eines begründeten Falls ergibt sich ferner aus folgenden Überlegungen: Erweiterte Hilfe führt dazu, dass der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe zunächst nicht eingehalten wird und Leistungen gewährt werden, obwohl eigentlich kein Anspruch besteht. Außerdem bedeutet sie für den Hilfeempfänger nicht lediglich eine Vergünstigung, da er zwar Leistungen erhält, im Gegenzug aber einem Aufwendungsersatzanspruch ausgesetzt ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 8.8.1991, Az: 6 S 964/91, in juris). Hierdurch wird seine finanzielle Dispositionsfreiheit eingeschränkt. Der Bruch mit dem Nachranggrundsatz und die Belastung des Leistungsempfängers mit einem Aufwendungsersatzanspruch lassen sich jedoch nur durch das Vorliegen besonderer Gründe rechtfertigen. Solche Gründe sind insbesondere dann gegeben, wenn in einer gegenwärtigen Notlage die notwendige sofortige Bedarfsdeckung ohne die Gewährung erweiterter Hilfe an der Kostenfrage zu scheitern droht. In diesen Fällen erfordert der Bedarfsdeckungsgrundsatz, der neben dem Nachranggrundsatz ein weiteres Strukturprinzip der Sozialhilfe darstellt, eine sofortige, vollumfängliche Hilfeleistung in voller Höhe durch den Sozialhilfeträger (vgl. Grieger, in Rothkegel, Sozialhilferecht, Kapitel 30 Rn. 3, 12; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 19 Rn. 80). Hingegen kann die erweiterte Hilfe keine Generalermächtigung an den Leistungsträger sein, Leistungen trotz vorhandener eigener Mittel und damit sehenden Auges rechtswidrig zu gewähren. Vor diesem Hintergrund darf erweiterte Hilfe nicht lediglich zum Zweck der Erleichterung des Verwaltungsverfahrens gewährt werden; der Sozialhilfeträger darf weder von seiner Pflicht zur genauen Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse noch von den strengen Anforderungen an die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X entbunden werden (vgl. Neumann, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 19 Rn. 57; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 19 Rn. 82).

Ein begründeter Fall im oben genannten Sinne liegt insbesondere dann vor, wenn einerseits sofortige Hilfe geboten ist, andererseits ohne eine volle Kostenübernahme des Sozialhilfeträgers die sofortige Leistungsgewährung gefährdet wäre. In Rechtsprechung und Literatur haben sich dabei folgende Fallgruppen herausgebildet (vgl. nur Grieger, in Rothkegel, Sozialhilferecht, Kapitel 30 Rn. 13 ff.; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 19 Rn. 81; BVerwG, Urteil vom 4.6.1992, Az: 5 C 25/87, FEVS 43, S. 324; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 8.8.1991, Az: 6 S 964/91, in juris): • Ein zur Leistung verpflichteter Dritter (z.B. die unterhaltspflichtigen Eltern eines Minderjährigen) verweigert die erforderliche Leistung. • Ein Krankenhaus- oder Heimträger weigert sich, Leistungen an den Hilfebedürftigen ohne volle Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger zu erbringen. • Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind ungeklärt und es kann dem Leistungsberechtigten nicht zugemutet werden, bis zum Abschluss der Ermittlungen auf die Leistung zu verzichten.

Hingegen liegt kein begründeter Fall vor, wenn die Leistungsvoraussetzungen geklärt sind und ausreichend Informationen über vorhandenes Einkommen und Vermögen vorliegen. Hohe Arbeitsbelastung und die Möglichkeit, die Prüfung, ob ein Anspruch tatsächlich besteht, hinaus zu schieben, rechtfertigen ebenso wenig die Gewährung erweiterter Hilfe wie der Wunsch des Sozialhilfeträgers, sich vorsorglich die Möglichkeit eines Aufwendungsersatzes offen zu halten.

Gemessen an diesen Maßstäben vermag das Gericht vorliegend keinen begründeten Fall für die Gewährung der Leistungen an den Kläger in Form der erweiterten Hilfe zu erkennen. Ein Fall der Verweigerung der Leistungserbringung durch Dritte liegt erkennbar nicht vor. Der Kläger hatte bereits mit der Antragstellung im Juli 2002 angegeben, Vermögen in Form der Lebensversicherung und der Genossenschaftsanteile zu besitzen, er hatte auch Unterlagen eingereicht, aus denen sich die Höhe dieses Vermögens ergibt. Der Beklagten lagen daher ausreichend Informationen vor, um über das Bestehen eines Leistungsanspruchs abschließend zu entscheiden. Dass hinsichtlich der Lebensversicherung zunächst nur eine Bescheinigung des Vertragswertes, nicht aber des Rückkaufwertes eingereicht wurde, steht dem nicht entgegen. Denn die Beklagte hätte hier ohne weiteres ergänzende Auskünfte von dem Kläger oder – nach Einholung einer entsprechenden Einverständniserklärung seitens des Klägers – direkt bei der Versicherung einholen können. Dass ein solches Vorgehen zu erheblichen Verzögerungen geführt hätte, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Die Beklagte hat den Kläger im Mai 2005 zur Übersendung entsprechender Unterlagen aufgefordert, dem ist der Kläger auch umgehend nachgekommen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass es sich bei den Leistungen, die der Kläger von der Einrichtung Der B. e.V. erhalten hat, zwar um eine aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes erforderliche Maßnahme handelt, hier aber – anders als z.B. bei Personen, die wegen Pflegebedürftigkeit dringend der Wartung und Pflege bedürfen, um nicht zu verwahrlosen (zu einem solchen Fall OVG Lüneburg, Urteil vom 18.8.1982, Az: 4 A 115/80, FEVS 32, S. 364; ähnlich VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 8.8.1991, Az: 6 S 964/91, in juris) – ein Abwarten bis zur endgültigen Klärung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht unzumutbar erscheint, zumal eine solche Klärung entsprechend den obigen Ausführungen zügig hätte erreicht werden können.

Vor diesem Hintergrund war ein begründeter Fall für die Gewährung der Leistungen in der Form der erweiterten Hilfe nicht gegeben. Dies galt schon für die erstmalige Bewilligung der Leistungen, trifft aber erst recht zu für die Bewilligung für die Zeit ab Februar 2005. Zu diesem Zeitpunkt waren die Vermögensverhältnisse des Klägers seit mehreren Jahren bekannt, sodass ausreichend Zeit für ergänzende Ermittlungen und eine abschließende Prüfung der Leistungsansprüche des Klägers vor einer Bewilligung der Leistungen vorhanden war.

War nach alledem die Gewährung von erweiterter Hilfe nicht rechtmäßig, so kann hieraus kein Aufwendungsersatzanspruch der Beklagten entstehen.

3. Der streitgegenständlich Bescheid vom 7.9.2005 kann sich ferner nicht auf §§ 45, 50 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) stützen. § 45 SGB X ermächtigt zur Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes; nach § 50 SGB X sind im Falle der Rücknahme bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.

Der Bescheid vom 7.9.2005 enthält keine ausdrückliche Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 24.1.2005. Der Hinweis in dem Bescheid vom 24.1.2005, dass Bescheide der Sozialabteilung, in denen die Höhe des Kostenbeitrags oder Eigenanteils mitgeteilt wird, diesen Bescheid ergänzen bzw. ändern, reicht hierfür nicht aus. Unabhängig davon liegen auch die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X nicht vor. Zunächst stellt § 45 SGB X die Rücknahme in das Ermessen der Behörde. Vorliegend ist nicht erkennbar, dass die Beklagte ein Ermessen ausgeübt hat, der Bescheid vom 7.9.2005 enthält keinerlei diesbezügliche Erwägungen. Auch der Widerspruchsbescheid stellt keine Ermessensüberlegungen an. Er setzt sich zwar mit der Frage auseinander, ob dem geforderten Vermögenseinsatz eine besondere Härte oder ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers entgegensteht. Darin liegt jedoch noch keine Ermessensausübung. Insbesondere fehlt es auch an der von § 35 Abs. 1. Satz 3 SGB X geforderten Angabe der bei der Ermessensausübung berücksichtigten Gesichtspunkte. Daneben dürfte einer Rücknahme der Leistungsbewilligung für die Monate Mai – September 2005 auch ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers entgegenstehen, da er zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids am 7.9.2005 die Leistungen für diese Monate schon in Anspruch genommen und damit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 verbraucht hatte. Außerdem handelt es sich vorliegend um eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit, die gemäß § 45 Abs. 4 SGB X nur in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 zulässig ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Weder hat der Kläger unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht, noch kannte er die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung oder hätte diese kennen müssen.

Sonstige Rechtsgrundlagen für die Kostenbeitragsforderungen sind nicht ersichtlich.

4. Ist die Kostenbeitragsforderung der Beklagten mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig, so hatte das Gericht nicht darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang der Kläger tatsächlich über vorrangig einzusetzendes Vermögen verfügt. In diesem Zusammenhang wird jedoch auf folgendes hingewiesen:

Nach Auffassung des Gerichts kann der Kläger mit seinem Vorbringen, der therapeutische Zweck des Vorhandenseins von Vermögen müsse berücksichtigt werden bzw. die Verwertung stelle eine besondere Härte dar, da sie zu einer Verschlimmerung seiner Erkrankung führe, nicht durchdringen. Die Härtevorschrift des § 90 Abs. 3 SGB XII dient wie die Vorschriften über das Schonvermögen dazu, dem Leistungsempfänger einen gewissen Spielraum in der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu erhalten, nicht aber der Verfolgung therapeutischer Zwecke.

Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob das auf dem Girokonto vorhandene Guthaben als Vermögen anzusehen ist. Soweit erkennbar, ist dieses Guthaben durch Ansparung der Erwerbsunfähigkeitsrente entstanden. Zunächst ist schon fraglich, ob es sich hierbei überhaupt um Vermögen handelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 18.2.1999, Az: 5 C 35/97, BVerwGE 108, 296) ist Vermögen das, was der Hilfeempfänger in der Bedarfszeit schon hat; hingegen ist Einkommen alles das, was er in der Bedarfszeit dazu erhält. Als Bedarfszeit hat die Beklagte hier jeweils einen Zeitraum von einem Jahr angenommen, zuletzt den Zeitraum 1.2.2005 – 31.1.2006. Die Rentenzahlungen, die dem Kläger innerhalb dieses Zeitraumes laufend zugehen, sind danach als Einkommen zu berücksichtigen und nicht seinem Vermögen zuzurechnen. Die Erwerbsunfähigkeitsrente ist aber als Einkommen nach der Regelung des § 85 SGB XII nicht einzusetzen, da die dort geregelte Einkommensgrenze nicht erreicht wird. Dementsprechend hat die Beklagte auch keinen Kostenbeitrag aus dem Einkommen des Klägers gefordert. Selbst wenn man die Ansparungen aus der Rente als Vermögen ansehen würde, stünde dieser Schutz der Rente als Einkommen einer Pflicht zur Verwertung als Vermögen entgegen. Denn eine Pflicht zum Einsatz der angesparten Rentenzahlungen als Vermögen würde letztlich dazu führen, dass der Schutz, den die Rentenzahlungen als Einkommen erfahren, aufgeweicht wird. Dementsprechend ist diesbezüglich von einer besonderen Härte auszugehen, die einer Pflicht zur Vermögensverwertung entgegensteht (vgl. auch Brühl, in: LPK-SGB XII, § 90 Rn. 78; ferner die Empfehlungen des Deutschen Vereins, NDV 2003, S. 48).

Ferner hat die Beklagte bei ihrer Kostenbeitragsforderung nicht berücksichtigt, dass die Genossenschaftsanteile nicht sofort, sondern nur mit einer erheblichen Vorlaufzeit verkauft werden können. Dem Kläger muss aber die Möglichkeit bleiben, selbst zu entscheiden, welche seiner Vermögenswerte er als Schonvermögen behalten und welche er verwerten will. Es ist nicht zulässig, ihn über eine sofortige Pflicht zum Vermögenseinsatz faktisch dazu zu zwingen, dass er die Genossenschaftsanteile behält und seine anderen Vermögenswerte aufgibt.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache, da keine Gründe für eine abweichende Entscheidung erkennbar sind.
Rechtskraft
Aus
Saved