Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
44
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 44 R 1270/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 17.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2013 wird insoweit aufgehoben, als der Kläger darin zur Zahlung von Säumniszuschlägen in Höhe von 8.612,50 EUR verpflichtet wird. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird endgültig auf 8.612,50 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Säumniszuschlägen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.
Der Kläger ist durch Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach zum Insolvenzverwalter der Firma C I1 GmbH in I2 eingesetzt worden, über die am 18.01.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (Az.: 45 IN 172/07). Am 28.01.2008 ging bei dem Amtsgericht Mönchengladbach die Anzeige des Klägers, dass Masseunzulänglichkeit vorliegt, ein.
Die Beklagte führte am 11.12.2012 eine beitragsrechtliche Betriebsprüfung für die Zeit vom 18.01.2008 bis 31.05.2008 bei der Firma C I1 GmbH durch und forderte mit Bescheid vom 17.12.2012 Krankenversicherungsbeiträge für freigestellte Arbeitnehmer ab dem Tag der Insolvenzeröffnung in Höhe von 15.158,33 EUR (abzüglich eines Erstattungsanspruchs der Bundesagentur für Arbeit nach § 335 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) – Arbeitsförderung) nach und machte Säumniszuschläge in Höhe von 8.612,50 EUR geltend.
Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. Er teilte mit, dass Säumniszuschläge in erster Linie ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Forderungen darstellen würden. Die Ausübung eines auf die pünktliche Steuerzahlung gerichteten Druckes verliere aber dann ihren gesetzlichen Sinn und Zweck, wenn und soweit einem Pflichtigen die rechtzeige Erbringung der Leistungen wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nicht mehr möglich sei. Dies sei seit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit der Fall. Deshalb seien die Säumniszuschläge zu erlassen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass für die Dauer des Fortbestandes der Beschäftigungsverhältnisse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 22 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – ein Beitragsanspruch bestünde. Die ab Insolvenzeröffnung aufgrund von Freistellungen und ordentlichen Kündigungsfristen fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge seien der zuständigen Krankenkasse gemäß § 28f Abs. 3 S. 1 SGB IV rechtzeitig in Form eines genormten Beitragsnachweises anzuzeigen und nachzuweisen. Bei der Betriebsprüfung sei aber festgestellt worden, dass dies nicht geschehen sei. Die besonderen Vorschriften der Insolvenszordnung (InsO) über tatsächlich bestehende Zahlungspflichten der Masseschuldansprüche bei gegebenenfalls vorliegender Masseunzulänglichkeit seien nicht Bestandteil einer Betriebsprüfung und blieben hiervon unberührt. Eine vorliegende Masseunzulänglichkeit habe somit keinen Einfluss auf die Rechtsgültigkeit der öffentlich-rechtlichen Normen des Sozialversicherungsrechts. Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger entstünden bereits, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorlägen. Bei nicht rechtzeitig eingereichten Beitragsnachweisen habe der Insolvenzverwalter Kenntnis von seiner Zahlungspflicht, da die entsprechende gesetzliche Vorschrift (§ 28f Abs. 3 SGB IV) und die daraus folgenden Konsequenzen durch die Einzugsstellen als auch durch die prüfenden Rentenversicherungsträger Arbeitgebern und Insolvenzverwaltern durch entsprechende Publikationen bekannt gemacht würden. Das rechtzeitige Einreichen von Beitragsnachweisen gehöre zu den originären Arbeitgeberpflichten. Es seien daher auch Säumniszuschläge geltend zu machen.
Der Kläger hat am 18.07.2013 Klage erhoben.
Er hält den Bescheid vom 17.12.2012 für zu unbestimmt, da er es ihm nicht ermögliche, die Säumniszuschläge dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen. Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung unmöglich sei und deshalb die Ausübung eines Drucks zur Zahlung ihren Sinn verliere.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Bescheid vom 17.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2013 insoweit aufzuheben, als er darin zur Zahlung von Säumniszuschlägen in Höhe von 8.612,50 EUR verpflichtet wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den streitgegenständlichen Bescheiden. Ergänzend trägt sie vor, dass Säumniszuschläge eine doppelte Funktion erfüllen würden, da sie einerseits die Beitragsschuldner zur pünktlichen Beitragszahlung anhalten und andererseits die den Sozialversicherungsträgern durch verspätete Beitragszahlungen entstandene Nachteile ausgleichen würden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehende Säumniszuschläge auf vor diesem Zeitpunkt begründete Krankenversicherungsbeiträge seien als nachrangige Insolvenzforderungen zu behandeln. Daher führe die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht dazu, dass der Zweck der Erhebung von Säumniszuschlägen verfehlt würde und keine Säumniszuschläge auf Insolvenzforderungen oder Masseschuldansprüche geltend gemacht werden dürften. Der Kläger sei juristisch hochqualifiziert und habe als Insolvenzverwalter sämtliche Arbeitgeberpflichten übernommen. Da der Kläger es bis zum Zeitpunkt der Prüfung versäumt habe, seiner Pflicht nachzukommen und Beitragsnachweise zu erstellen, seien zwingend Säumniszuschläge zu erheben gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese lagen dem Gericht vor und waren Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht war nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) berechtigt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ausdrücklich zugestimmt.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 17.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2013 ist insoweit rechtswidrig, als der Kläger darin zur Zahlung von Säumniszuschlägen verpflichtet wird. Insoweit ist der Kläger beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Nach § 24 Abs. 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Bei einem rückständigen Betrag unter 100 Euro ist der Säumniszuschlag nicht zu erheben, wenn dieser gesondert schriftlich anzufordern wäre. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nach § 24 Abs. 2 SGB IV nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.
Nachdem Säumniszuschläge verschuldensunabhängig dann entstehen, wenn die fälligen Beiträge nicht fristgerecht bezahlt werden, entstehen sie auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (Segebrecht in jurisPK-SGB IV, 2. Auflage 2011, § 24 Rn. 73). Der Umstand, dass sie ggf. nicht realisiert werden können, hindert nicht ihre Entstehung, sondern er führt allenfalls zu einer (verwaltungsinternen) Niederschlagung (§ 76 Abs. 2 Nr. 2 SGB IV). Säumniszuschläge, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, gehören zur Insolvenzforderung (§ 38 InsO). Ansprüche auf Säumniszuschläge, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, sind aber nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO als nachrangige Insolvenzforderungen zu behandeln (Segebrecht a.a.O. Rn. 74; Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 84. EL. Dezember 2014, § 24 SGB IV Rn. 3a; zur vor dem 01.07.2007 geltenden Rechtslage: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26.01.2005, Az.: B 12 KR 23/03 R).
Bei den von der Beklagten festgesetzten Beiträgen für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt es sich um Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO (sog. Altmasseverbindlichkeiten) und nicht um Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO (sog. Neumasseverbindlichkeiten). Die Beitragsforderungen wurden vom Kläger nicht – wie dies § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO verlangt – begründet. Für eine "Begründung" in diesem Sinn reicht nicht aus, dass ein vorher abgeschlossenes Dauerrechtsverhältnis auch noch eine gewisse Zeit lang nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit rechtlich fortbesteht. Im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist ein Schuldverhältnis (unmittelbar) "begründet" worden, wenn der Insolvenzverwalter den Rechtsgrund dafür erst nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gelegt hat, insbesondere durch eine Handlung im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2014, Az.: L 11 R 157/14). Hierbei handelt es sich jeweils um Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter durch selbstbestimmtes Handeln auslöst (LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil der Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter die Arbeitsverträge derjenigen Arbeitnehmer, für die hier Beiträge gefordert werden, nicht abgeschlossen hat. Der Kläger hat auch nicht die Gegenleistung aus den Arbeitsverhältnissen genutzt, weil er die Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt hat. Er hat damit die Gegenleistung aus dem Dauerschuldverhältnis gerade nicht in Anspruch genommen, so dass auch kein Fall des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO vorliegt (vgl. LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.). Somit sind die Beitragsforderungen Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr.3 InsO. Nach § 210 InsO ist die Vollstreckung wegen einer solchen Masseverbindlichkeit unzulässig, sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Letzteres ist hier erfolgt.
Die Pflicht zur Zahlung eines Säumniszuschlages setzt eine Pflicht zur Zahlung des Beitrages voraus. Aufgrund des sich aus § 210 InsO ergebenden Vollstreckungsverbotes für die sog. Altmasseverbindlichkeiten bestand aber keine Pflicht zur Zahlung der Beiträge. Im Beitragsrecht der Sozialversicherung ist ähnlich wie im Steuerrecht und im Abgabenrecht eine Trennung zwischen einer Festsetzung der Beiträge und ihrer Vollstreckung vorzunehmen (LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.). Das Vollstreckungsverbot hat deshalb zur Folge, dass Widerspruch und Klage gegen den Beitragsbescheid aufschiebende Wirkung haben und eine Vollstreckung aus dem Beitragsbescheid unzulässig ist. Ferner fallen keine Säumniszuschläge an. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit lässt die Forderung des Massegläubigers als solche zwar unberührt. Sie schränkt jedoch die Leistungspflicht des Insolvenzverwalters und damit zugleich den Wert der Altmasseforderungen ein. Aufgrund der Anzeige verlieren die Altmasseverbindlichkeiten nicht allein ihre Durchsetzbarkeit, sondern es tritt auch eine Anspruchsbeschränkung auf die ihnen zustehende Quote ein. Die Höhe der Quote schwankt im Laufe des Verfahrens und kann im Grunde erst nach Abschluss der Verwertung hinreichend sicher berechnet werden. Die angezeigte Masseunzulänglichkeit begründet deshalb eine materiell-haftungsrechtliche Einwendung (LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.) Der Verwalter kann somit durch die Anzeige einen Schuldnerverzug gegenüber Altmassegläubigern (§§ 280,286 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) vermeiden, so dass die unzulängliche Masse nicht durch Verzugszinsen oder Säumniszuschläge zusätzlich geschmälert wird (LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.).
Aus den Entscheidungen des BSG zu der Frage, welcher Rang den Ansprüchen auf Säumniszuschläge in der Insolvenz zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 26.01.2005, Az.: B 12 KR 23/03 R und Urteil vom 18.12.2003, Az.: B 11 AL 37/03 R) kann nicht der Schluss gezogen werden, dass Säumniszuschläge auch für die Altmasseverbindlichkeiten anfallen. Denn die Entscheidungen des BSG betreffen Ansprüche auf Säumniszuschläge, die zwar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, aber aufgrund von Forderungen, die bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor (vgl. LSG Baden-Württemberg a.a.O.).
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die unterlegene Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert ist gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist nach Abs. 3 deren Höhe maßgebend. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, ist nach Abs. 2 ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen. Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus dem streitigen Forderungsbetrag. Dieser betrifft allein die Säumniszuschläge und beträgt daher 8.612,50 EUR.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Säumniszuschlägen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.
Der Kläger ist durch Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach zum Insolvenzverwalter der Firma C I1 GmbH in I2 eingesetzt worden, über die am 18.01.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (Az.: 45 IN 172/07). Am 28.01.2008 ging bei dem Amtsgericht Mönchengladbach die Anzeige des Klägers, dass Masseunzulänglichkeit vorliegt, ein.
Die Beklagte führte am 11.12.2012 eine beitragsrechtliche Betriebsprüfung für die Zeit vom 18.01.2008 bis 31.05.2008 bei der Firma C I1 GmbH durch und forderte mit Bescheid vom 17.12.2012 Krankenversicherungsbeiträge für freigestellte Arbeitnehmer ab dem Tag der Insolvenzeröffnung in Höhe von 15.158,33 EUR (abzüglich eines Erstattungsanspruchs der Bundesagentur für Arbeit nach § 335 Abs. 3 Sozialgesetzbuch, Drittes Buch (SGB III) – Arbeitsförderung) nach und machte Säumniszuschläge in Höhe von 8.612,50 EUR geltend.
Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. Er teilte mit, dass Säumniszuschläge in erster Linie ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Forderungen darstellen würden. Die Ausübung eines auf die pünktliche Steuerzahlung gerichteten Druckes verliere aber dann ihren gesetzlichen Sinn und Zweck, wenn und soweit einem Pflichtigen die rechtzeige Erbringung der Leistungen wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung nicht mehr möglich sei. Dies sei seit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit der Fall. Deshalb seien die Säumniszuschläge zu erlassen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2013 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass für die Dauer des Fortbestandes der Beschäftigungsverhältnisse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 22 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – ein Beitragsanspruch bestünde. Die ab Insolvenzeröffnung aufgrund von Freistellungen und ordentlichen Kündigungsfristen fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge seien der zuständigen Krankenkasse gemäß § 28f Abs. 3 S. 1 SGB IV rechtzeitig in Form eines genormten Beitragsnachweises anzuzeigen und nachzuweisen. Bei der Betriebsprüfung sei aber festgestellt worden, dass dies nicht geschehen sei. Die besonderen Vorschriften der Insolvenszordnung (InsO) über tatsächlich bestehende Zahlungspflichten der Masseschuldansprüche bei gegebenenfalls vorliegender Masseunzulänglichkeit seien nicht Bestandteil einer Betriebsprüfung und blieben hiervon unberührt. Eine vorliegende Masseunzulänglichkeit habe somit keinen Einfluss auf die Rechtsgültigkeit der öffentlich-rechtlichen Normen des Sozialversicherungsrechts. Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger entstünden bereits, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorlägen. Bei nicht rechtzeitig eingereichten Beitragsnachweisen habe der Insolvenzverwalter Kenntnis von seiner Zahlungspflicht, da die entsprechende gesetzliche Vorschrift (§ 28f Abs. 3 SGB IV) und die daraus folgenden Konsequenzen durch die Einzugsstellen als auch durch die prüfenden Rentenversicherungsträger Arbeitgebern und Insolvenzverwaltern durch entsprechende Publikationen bekannt gemacht würden. Das rechtzeitige Einreichen von Beitragsnachweisen gehöre zu den originären Arbeitgeberpflichten. Es seien daher auch Säumniszuschläge geltend zu machen.
Der Kläger hat am 18.07.2013 Klage erhoben.
Er hält den Bescheid vom 17.12.2012 für zu unbestimmt, da er es ihm nicht ermögliche, die Säumniszuschläge dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen. Die Erhebung von Säumniszuschlägen sei sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung unmöglich sei und deshalb die Ausübung eines Drucks zur Zahlung ihren Sinn verliere.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Bescheid vom 17.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2013 insoweit aufzuheben, als er darin zur Zahlung von Säumniszuschlägen in Höhe von 8.612,50 EUR verpflichtet wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den streitgegenständlichen Bescheiden. Ergänzend trägt sie vor, dass Säumniszuschläge eine doppelte Funktion erfüllen würden, da sie einerseits die Beitragsschuldner zur pünktlichen Beitragszahlung anhalten und andererseits die den Sozialversicherungsträgern durch verspätete Beitragszahlungen entstandene Nachteile ausgleichen würden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehende Säumniszuschläge auf vor diesem Zeitpunkt begründete Krankenversicherungsbeiträge seien als nachrangige Insolvenzforderungen zu behandeln. Daher führe die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht dazu, dass der Zweck der Erhebung von Säumniszuschlägen verfehlt würde und keine Säumniszuschläge auf Insolvenzforderungen oder Masseschuldansprüche geltend gemacht werden dürften. Der Kläger sei juristisch hochqualifiziert und habe als Insolvenzverwalter sämtliche Arbeitgeberpflichten übernommen. Da der Kläger es bis zum Zeitpunkt der Prüfung versäumt habe, seiner Pflicht nachzukommen und Beitragsnachweise zu erstellen, seien zwingend Säumniszuschläge zu erheben gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese lagen dem Gericht vor und waren Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht war nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) berechtigt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ausdrücklich zugestimmt.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 17.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2013 ist insoweit rechtswidrig, als der Kläger darin zur Zahlung von Säumniszuschlägen verpflichtet wird. Insoweit ist der Kläger beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Nach § 24 Abs. 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Bei einem rückständigen Betrag unter 100 Euro ist der Säumniszuschlag nicht zu erheben, wenn dieser gesondert schriftlich anzufordern wäre. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nach § 24 Abs. 2 SGB IV nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.
Nachdem Säumniszuschläge verschuldensunabhängig dann entstehen, wenn die fälligen Beiträge nicht fristgerecht bezahlt werden, entstehen sie auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (Segebrecht in jurisPK-SGB IV, 2. Auflage 2011, § 24 Rn. 73). Der Umstand, dass sie ggf. nicht realisiert werden können, hindert nicht ihre Entstehung, sondern er führt allenfalls zu einer (verwaltungsinternen) Niederschlagung (§ 76 Abs. 2 Nr. 2 SGB IV). Säumniszuschläge, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, gehören zur Insolvenzforderung (§ 38 InsO). Ansprüche auf Säumniszuschläge, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, sind aber nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO als nachrangige Insolvenzforderungen zu behandeln (Segebrecht a.a.O. Rn. 74; Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 84. EL. Dezember 2014, § 24 SGB IV Rn. 3a; zur vor dem 01.07.2007 geltenden Rechtslage: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26.01.2005, Az.: B 12 KR 23/03 R).
Bei den von der Beklagten festgesetzten Beiträgen für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt es sich um Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO (sog. Altmasseverbindlichkeiten) und nicht um Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO (sog. Neumasseverbindlichkeiten). Die Beitragsforderungen wurden vom Kläger nicht – wie dies § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO verlangt – begründet. Für eine "Begründung" in diesem Sinn reicht nicht aus, dass ein vorher abgeschlossenes Dauerrechtsverhältnis auch noch eine gewisse Zeit lang nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit rechtlich fortbesteht. Im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist ein Schuldverhältnis (unmittelbar) "begründet" worden, wenn der Insolvenzverwalter den Rechtsgrund dafür erst nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gelegt hat, insbesondere durch eine Handlung im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 16.12.2014, Az.: L 11 R 157/14). Hierbei handelt es sich jeweils um Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter durch selbstbestimmtes Handeln auslöst (LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil der Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter die Arbeitsverträge derjenigen Arbeitnehmer, für die hier Beiträge gefordert werden, nicht abgeschlossen hat. Der Kläger hat auch nicht die Gegenleistung aus den Arbeitsverhältnissen genutzt, weil er die Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt hat. Er hat damit die Gegenleistung aus dem Dauerschuldverhältnis gerade nicht in Anspruch genommen, so dass auch kein Fall des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO vorliegt (vgl. LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.). Somit sind die Beitragsforderungen Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr.3 InsO. Nach § 210 InsO ist die Vollstreckung wegen einer solchen Masseverbindlichkeit unzulässig, sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Letzteres ist hier erfolgt.
Die Pflicht zur Zahlung eines Säumniszuschlages setzt eine Pflicht zur Zahlung des Beitrages voraus. Aufgrund des sich aus § 210 InsO ergebenden Vollstreckungsverbotes für die sog. Altmasseverbindlichkeiten bestand aber keine Pflicht zur Zahlung der Beiträge. Im Beitragsrecht der Sozialversicherung ist ähnlich wie im Steuerrecht und im Abgabenrecht eine Trennung zwischen einer Festsetzung der Beiträge und ihrer Vollstreckung vorzunehmen (LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.). Das Vollstreckungsverbot hat deshalb zur Folge, dass Widerspruch und Klage gegen den Beitragsbescheid aufschiebende Wirkung haben und eine Vollstreckung aus dem Beitragsbescheid unzulässig ist. Ferner fallen keine Säumniszuschläge an. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit lässt die Forderung des Massegläubigers als solche zwar unberührt. Sie schränkt jedoch die Leistungspflicht des Insolvenzverwalters und damit zugleich den Wert der Altmasseforderungen ein. Aufgrund der Anzeige verlieren die Altmasseverbindlichkeiten nicht allein ihre Durchsetzbarkeit, sondern es tritt auch eine Anspruchsbeschränkung auf die ihnen zustehende Quote ein. Die Höhe der Quote schwankt im Laufe des Verfahrens und kann im Grunde erst nach Abschluss der Verwertung hinreichend sicher berechnet werden. Die angezeigte Masseunzulänglichkeit begründet deshalb eine materiell-haftungsrechtliche Einwendung (LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.) Der Verwalter kann somit durch die Anzeige einen Schuldnerverzug gegenüber Altmassegläubigern (§§ 280,286 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) vermeiden, so dass die unzulängliche Masse nicht durch Verzugszinsen oder Säumniszuschläge zusätzlich geschmälert wird (LSG Baden-Württemberg a.a.O. und m.w.N.).
Aus den Entscheidungen des BSG zu der Frage, welcher Rang den Ansprüchen auf Säumniszuschläge in der Insolvenz zukommt (vgl. BSG, Urteil vom 26.01.2005, Az.: B 12 KR 23/03 R und Urteil vom 18.12.2003, Az.: B 11 AL 37/03 R) kann nicht der Schluss gezogen werden, dass Säumniszuschläge auch für die Altmasseverbindlichkeiten anfallen. Denn die Entscheidungen des BSG betreffen Ansprüche auf Säumniszuschläge, die zwar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, aber aufgrund von Forderungen, die bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor (vgl. LSG Baden-Württemberg a.a.O.).
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die unterlegene Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Streitwert ist gemäß § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist nach Abs. 3 deren Höhe maßgebend. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, ist nach Abs. 2 ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen. Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus dem streitigen Forderungsbetrag. Dieser betrifft allein die Säumniszuschläge und beträgt daher 8.612,50 EUR.
Rechtskraft
Aus
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