S 51 AS 501/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
51
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 51 AS 501/06
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Auf die Erinnerung der Beklagten wird der Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 3. November 2006 insoweit abgeändert, als die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 141,52 EUR (in Worten: hunderteinundvierzig 52/100) festgesetzt werden. 2. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beklagte wendet sich gegen die Festsetzung der von ihr an die Klägerin zu erstattenden Kosten.

Im zugrunde liegenden Rechtsstreit hat die Klägerin Untätigkeitsklage wegen der Nichtbescheidung ihres Antrages vom 9. Februar 2005 auf Erstattung der notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung im Vorverfahren erhoben. Die Beklagte hat während des Klageverfahrens über den Kostenantrag der Klägerin entschieden. Danach hat der Rechtsstreit eine unstreitige Erledigung gefunden. Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2006 hat sich die Beklagte bereit erklärt, der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 15. Juni 2006 hat der Bevollmächtigte der Klägerin die vierfache Mindestverfahrensgebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) in Höhe von 160,00 EUR, zuzüglich 20,00 EUR Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, zuzüglich 16 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV (28,28 EUR), insgesamt 208,80 EUR in Ansatz gebracht.

Die Beklagte hat sich lediglich zur Erstattung der Gebühren bereit gezeigt, die sich bei Berücksichtigung einer zweifachen Mindestverfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG in Höhe von 40,00 EUR, zuzüglich 8,00 EUR Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG ergeben, insgesamt - inklusive 16 % Mehrwertsteuer – 55,68 EUR.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat durch Beschluss vom 3. November 2006, dem Antrag der Klägerin in vollem Umfang entsprochen und die zu erstattenden Kosten auf 208,80 EUR festgesetzt. Dabei brachte sie die vierfache Mindestverfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 160,00 EUR, zuzüglich der Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00 EUR sowie 16 % Mehrwertsteuer nach Nr. 7008 VV RVG (28,80 EUR) in Ansatz.

Mit ihrer am 6. Dezember 2006 hiergegen erhobenen Erinnerung, der die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hat, trägt die Beklagte vor, dass bei der Bemessung der Verfahrensgebühr der Rahmen der Nr. 3103 (und nicht der Nr. 3102) VV RVG Anwendung finde, weil der Untätigkeitsklage eine Tätigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin im Verwaltungs- und Vorverfahren vorausgegangen sei, so dass sie im sozialgerichtlichen Verfahren einen geringeren Aufwand gehabt habe. Innerhalb dieses Rahmens sei bei der vorliegenden durchschnittlichen Untätigkeitsklage die dreifache Mindestgebühr angemessen. Anzusetzen seien daher 60,00 EUR Verfahrensgebühr zuzüglich 12,00 EUR Auslagenpauschale (20 % der Verfahrensgebühr) sowie 16 % Mehrwertsteuer (12,80 EUR), insgesamt 83,52 EUR.

II. Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung ist im tenorierten Umfang begründet.

Rechtsgrundlage für die Kostenfestsetzung ist vorliegend § 197 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 2, 3 und 14 RVG. Danach setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszuges auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat einen solchen Antrag gestellt. Nach den zitierten Bestimmungen des RVG entstehen in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen - wie vorliegend - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Diese bestimmt der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Sein besonderes Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten – hier der Beklagten – zu ersetzen, ist die vom Anwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

Vorliegend entspricht es nicht der Billigkeit, die zu erstattenden Kosten in Gestalt der Rechtsanwaltsgebühren auf mehr als 102,00 EUR zuzüglich 20,00 EUR Auslagenpauschale und 16% Umsatzsteuer festzusetzen.

Die Verfahrensgebühr ist nicht nach dem Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV RVG (40,00 bis 460,00 EUR), sondern nach dem Rahmen der Nr. 3103 VV RVG (20,00 bis 320,00 EUR) zu bemessen. Denn der Tätigkeit des Bevollmächtigten der Klägerin im gerichtlichen Verfahren ist eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat für diese den Widerspruch vom 9. Februar 2005 gegen den Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 2005 erhoben und die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen beantragt. Insoweit ist es ohne Belang, dass es sich bei dem gerichtlichen Verfahren um eine Untätigkeitsklage hinsichtlich der Entscheidung über den Kostenerstattungsantrag gehandelt hat und demgemäß das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen war. Der Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV RVG stellt allein darauf ab, dass der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin zuvor in einem der dort aufgeführten Verfahren tätig war. Mit dem reduzierten Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Tätigkeit in diesen Verfahren die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren erleichtert. Hierfür kommt es auf die Frage des Abschlusses des jeweiligen Verwaltungsverfahrens ebenso wie auf die Klageart nicht an (ebenso: Sozialgericht Hamburg, Beschl v. 5. Juli 2006, S 58 AS 329/05; Beschl. v. 25. September 2006, S 52 AS 1626/05; Beschl. v. 11. Januar 2007, S 59 AS 234/06 und unter ausdrücklicher Aufgabe der bisher anderen Ansicht: Beschl. v. 13. Februar 2007, S 53 AS 2116/06). Der Gedanke des geringeren Aufwands greift auch bei Untätigkeitsklagen: Während ein Bevollmächtigter, der bereits im Verwaltungs- oder Vorverfahren tätig war, mit dem Sachverhalt vertraut ist und sich bei Antragstellung bzw. Widerspruchseinlegung die Frist zur Erhebung einer Untätigkeitsklage notiert haben dürfte, müsste ein erstmalig zwecks Erhebung der Untätigkeitsklage aufgesuchter Rechtsanwalt zunächst im Mandantengespräch den Sachverhalt klären, sich Unterlagen vorlegen lassen und dann prüfen, ob die Erhebung der Klage zulässig, begründet und sinnvoll ist.

Ausgehend von dem Rahmen der Nr. 3103 VV RVG (20,00 bis 320,00 EUR) mit einer Mittelgebühr in Höhe von 170,00 EUR erscheint eine Gebühr in Höhe der vierfachen Mindestgebühr (80,00 EUR) allerdings unangemessen niedrig. Zu bewerten ist die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen einer durchschnittlichen Untätigkeitsklage. Die Untätigkeitsklage zielt darauf ab, den Fortgang des Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens zu erzwingen. Sie ist nur darauf gerichtet, überhaupt eine Entscheidung des Sozialleistungsträgers herbeizuführen. Die begehrte Sachentscheidung kann mit ihr nicht erreicht werden. Sie hat daher für den Kläger in aller Regel weniger Bedeutung als die übrigen Klagearten. Zudem ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit typischerweise gering. Regelmäßig ist bei einer Untätigkeitsklage daher eine Gebühr deutlich unterhalb der Mittelgebühr anzusetzen. Gleichwohl muss die Untätigkeitsklage im Zusammenhang mit der begehrten Leistung (gleichsam als ihrem "Fernziel") betrachtet werden, zu deren Durchsetzung sie dient. Aus diesem Grund darf die Gebühr nicht zu niedrig angesetzt werden. Die Gebühr sollte zudem auch nicht in Bezug auf die Mindestgebühr, sondern im Verhältnis zur Mittelgebühr gebildet werden, um ein angemessenes Verhältnis zur Bewertung der Untätigkeitsklage bei fehlender vorausgegangener Tätigkeit nach Nr. 3102 VV RVG zu gewährleisten. Bei einer Bemessung der Verfahrensgebühr, die von der Mindest- statt von der Mittelgebühr ausgeht, ergäbe sich bei der Anwendung der Nr. 3102 VV RVG (Mindestgebühr 40,00 EUR) eine der Sache nach kaum zu rechtfertigende Verdoppelung gegenüber derjenigen der Nr. 3103 RVG (Mindestgebühr 20,00 EUR). Daher hält das Gericht bei durchschnittlichen Untätigkeitsklagen eine Verfahrensgebühr in Höhe von 60% der Mittelgebühr des jeweiligen Rahmens für angemessen (vgl. Sozialgericht Hamburg, Beschl v. 13. Februar 2007, S 53 AS 2116/06).

Im Falle der vorliegend anzuwendenden Nr. 3103 VV RVG ergibt sich damit eine angemessene Verfahrensgebühr von 102,00 EUR (60 % der Mittelgebühr in Höhe von 170,00 EUR). Hinzu kommt noch die Auslagenpauschale nach VV Nr. 7002 deren Ansatz in Höhe des Höchstsatzes von 20,00 EUR regelmäßig nicht unbillig ist. Zu der sich ergebenden Zwischensumme von 120,00 EUR sind, da der Rechtsstreit und damit die Leistungserbringung durch den Bevollmächtigten der Klägerin vor dem 1. Januar 2007 geendet hat, noch 16% (statt nunmehr 19%) Mehrwertsteuer, also 19,52 EUR hinzuzurechnen. Somit ergeben sich festzusetzende Kosten in Höhe von 141,52 EUR.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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