Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 9 KR 947/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2016 sowie des Bescheides vom 22.09.2016 verurteilt, der Klägerin die Kosten für die zwei selbstbeschafften Liposuktionsbehandlungen vom 11.10.2016 und 01.02.2017 in Höhe von 9.180,47 Euro zu erstatten und zwei weitere Liposuktionen der Arme und Beine unter vollstationären Bedingungen als Sachleistung zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen erstattungsfähigen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten für eine stationäre und eine ambulante Liposuktion der Beine sowie die Versorgung mit zwei weiteren stationären Liposuktionsbehandlungen von Armen und Beinen. Dabei ist zwischen den Beteiligten insbesondere der Eintritt und der Bestand einer Genehmigungsfiktion streitig.
Die 1979 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Dort beantragte sie am 07.07.2016 eine Liposuktion und legte dem Antrag eine Bescheinigung der L E – G-O-Krankenhaus bei, aus der als Diagnose ein Lipödem der oberen und unteren Extremität hervorging und als Therapie die wasserstrahlassistierte Liposuktion in mehreren Sitzungen (4-5), stationär, vorgeschlagen wurde. Mit Schreiben vom 18.07.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie zur fachkundigen Beratung über den Antrag den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingebunden habe und sich die Bearbeitungsfrist daher nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) auf fünf Wochen verlängere. Mit einem weiteren Schreiben vom 18.07.2016 bat die Beklagte die Klägerin um Rückruf, weil sie zur Bearbeitung des Antrags deren Hilfe benötige.
Am 25.07.2016 reichte die Klägerin unter Bezugnahme auf ein geführtes Telefonat mit der Beklagten ihren Gewichtsverlauf und einen Bericht des behandelnden Lymphologen ein. Unter dem 15.08.2016 gab der MDK seine sozialmedizinische Stellungnahme ab. Mit Schreiben vom 18.08.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Einhaltung der 5-Wochen-Frist nicht möglich sei.
Mit Bescheid vom 26.08.2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Liposuktion sei in der Regel auch ambulant durchführbar. Die ambulante Liposuktion sei aber zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht möglich, da es insoweit an einer Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) fehle. Es komme aber eine intensivierte konservative Therapie zur Linderung der Beschwerdesymptomatik in Betracht.
Mit der am 29.08.2016 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die Feststellung begehrt, dass der Antrag auf Gewährung einer mehrzeitigen Liposuktionsbehandlung der oberen und unteren Extremitäten als Sachleistung als genehmigt gelte.
Sie legte zudem am 03.09.2016 gegen den ablehnenden Bescheid vom 26.08.2016 Widerspruch ein.
Am 22.09.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Genehmigungsfiktion am 11.08.2016 eingetreten sei. Diese werde aber gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen. Es handele sich bei der fiktiven Genehmigung um einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt, auf dessen Bestehen die Klägerin habe nicht vertrauen dürfen, da sie bereits bei Antragstellung darauf hingewiesen worden sei, dass es sich bei der beantragten Liposuktionsbehandlung nicht um eine übliche Kassenleistung handele. Sie sei auch darüber informiert worden, dass der MDK eingeschaltet werde und habe davon ausgehen müssen, dass ohne Beratungsergebnis des MDK auch keine Kostenzusage erfolgen würde. Da die beantragte Behandlung sozialmedizinisch nicht notwendig sei, werde die Genehmigungsfiktion in sachgerechter Ermessensausübung aufgehoben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 26.08.2016 als unbegründet zurück unter Hinweis auf die fehlende sozialmedizinische Erforderlichkeit.
Die Klägerin hat daraufhin am 17.11.2016 die ursprünglich als Feststellungsklage erhobene Klage auf eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt, mit der sie die Aufhebung des Ablehnungsbescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides und die Aufhebung des Rücknahmebescheides begehrt sowie die Versorgung mit den beantragten Liposuktionsbehandlungen. Der materielle Sachleistungsanspruch ergebe sich aus dem Eintritt der Genehmigungsfiktion. Eine Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 45 SGB X könne nicht erfolgen, da §§ 44ff. SGB X nicht anwendbar seien. Zudem sei eine Rücknahme der fingierten Genehmigung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur bei Fehlen von Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion, nicht jedoch wegen des Fehlens von Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs denkbar.
Am 11.10.2016 hat die Klägerin im G-O-Krankenhaus eine stationäre Liposuktion der Oberschenkel ventral, innen, Knie, Unterschenkel vorne und Fesseln durchführen lassen, für die sie 4.185,47 Euro gezahlt hat. Am 01.02.17 ist eine weitere Liposuktion der Beine im Rahmen einer ambulanten Be- handlung erfolgt, für die sie 4.995,00 Euro gezahlt hat.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2016 sowie des Bescheides vom 22.09.2016 zu verurteilen, ihr die Kosten für die zwei selbstbeschafften Liposuktionsbehandlungen vom 11.10.2016 und 01.02.2017 in Höhe von insgesamt 9.180,47 Euro zu erstatten und zwei weitere Liposuktionen der Arme und Beine unter vollstationären Bedingungen als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Genehmigungsfiktion könne nur eintreten, wenn der Antrag eine grundsätzlich von der gesetzlichen Krankenkasse geschuldete Leistung umfasse. Zudem seien die für die Prüfung notwendigen Unterlagen der Klägerin erst am 25.07.2016 eingegangen. Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung am 26.08.2016 fristgerecht erfolgt. Die beantragte Leistung sei nicht erforderlich im Sinne der gesetzlichen Vorgaben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), deren Gegenstand der ablehnende Bescheid vom 26.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2016 ist. Auch der Rücknahmebescheid vom 22.09.2016 ist in entsprechender Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein nach Klageerhebung erlassener neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Vorliegend ist am 29.08.2016 zunächst Feststellungsklage erhoben worden, so dass (noch) kein Verwaltungsakt angefochten war, der durch den Rücknahmebescheid hätte ersetzt werden können. Der bereits am 26.08.2016 ergangene Ablehnungsbescheid befand sich bei Erlass des Rücknahmebescheides am 22.09.2016 noch im Widerspruchsverfahren. Der Rücknahmebescheid konnte jedoch nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Ablehnungsbescheid nach § 86 SGG werden, da der Rücknahmebescheid den Ablehnungsbescheid weder ersetzte noch abänderte. Vielmehr schließen sich der Ablehnungsbescheid und der Rücknahmebescheid inhaltlich aus, weil dieser eine Leistung ablehnt, die jener als genehmigt voraussetzt. Das Gericht geht jedoch mit dem 16. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen davon aus, dass eine Nichteinbeziehung des Rücknahmebescheides die prozessual nicht tragbare Situation zur Folge hätte, dass über den Anspruch aus der Genehmigungsfiktion und über deren Beseitigung zwei getrennte Verfahren geführt werden müssten mit nicht akzeptablen Risiken für die Beteiligten. Insofern ist von einer Gesetzeslücke auszugehen, die aus Gründen der Prozessökonomie und des effektiven Rechtsschutzes durch eine entsprechende Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG zu schließen ist. Der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bezüglich des Rücknahmebescheides vom 22.09.2016 bedarf es daher nicht (vgl. LSG NRW, Urteil vom 06.04.2017 – L 16 KR 202/16, sozialgerichtsbarkeit.de).
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2016 sowie der Rücknahmebescheid vom 22.09.2016 sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Sie hat einen Anspruch auf die beantragte Gewährung von zwei weiteren Liposuktionen der Arme und Beine unter vollstationären Bedingungen sowie einen Anspruch auf die Erstattung der Kosten der bereits durchgeführten Liposuktionen in Höhe von insgesamt 9.180,47 Euro, den die Klägerin im Wege der nach § 99 Abs. 1 SGG sachdienlichen Klageänderung geltend macht.
Der Anspruch auf Gewährung von zwei weiteren Liposuktionsbehandlungen der Arme und Beine unter vollstationären Bedingungen als Sachleistung folgt aus § 13 Abs. 3a SGB V. Nach Satz 1 der Vorschrift hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Satz 5 bestimmt, dass die Krankenkasse den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig mitteilt, wenn sie diese Frist nicht einhalten kann. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist gemäß Satz 6 als genehmigt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen steht der Klägerin der geltend gemachte Sachleistungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 6 SGB V zu. Die Beklagte hat die Entscheidungsfrist aus § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht eingehalten. Sie hat nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK nicht binnen 5 Wochen über den hinreichend bestimmten Antrag der Klägerin entschieden. Der Antrag ist am 07.07.2016 bei der Beklagten eingegangen. Die 5-Wochen-Frist endet nach § 26 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB X iVm §§ 187, 188 und 193 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 11.08.2016. Der Ablehnungsbescheid datiert auf den 26.08.2016. Die Beklagte hat der Klägerin auch nicht im Sinne von Satz 5 der Vorschrift rechtzeitig schriftlich und unter Darlegung der Gründe mitgeteilt, dass sie die 5-Wochen-Frist nicht einhalten kann. Erst am 18.08.2016 und damit nach Ablauf der Frist erstellte sie ein Schreiben, in dem sie der Klägerin ankündigte, die 5-Wochen-Frist nicht einhalten zu können. Die Frist begann auch bereits mit Eingang des hinreichend bestimmten, fiktionsfähigen Antrags der Klägerin bei der Beklagten und nicht erst nach der Übersendung der von der Beklagten angeforderten Unterlagen am 25.07.2016. Eine dem § 42a Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vergleichbare Regelung, nach der die Frist erst mit dem Eingang der vollständigen Unterlagen zu laufen beginnt, findet sich im Zusammenhang mit § 13 Abs. 3a SGB V nicht (vgl. LSG NRW, Urteil vom 06.12.2016 – L 1 KR 680/15, sozialgerichtsbarkeit.de).
Der Antrag der Klägerin betraf auch eine Leistung, die sie für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag. Die Beschränkung auf eine "erforderliche" Leistung soll rechtsmissbräuchliche Anträge von der Genehmigungsfiktion ausnehmen. Die Liposuktion ist eine Behandlung, die ausschließlich von Ärzten erbracht wird und die der Klägerin hier auch ärztlicherseits zur Behandlung des Lipödems empfohlen wurde.
Rechtsfolge der Fristversäumung ist die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V, aus der sich ein Sachleistungsanspruch, hier auf die beantragten zwei Liposuktionsbehandlungen unter vollstationären Bedingungen, ergibt (zum Naturalleistungsanspruch aufgrund Genehmigungsfiktion vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R, Rn. 25, juris).
Die fingierte Genehmigung ist auch nicht wirksam zurückgenommen worden, da der Rücknahmebescheid vom 22.09.2016 rechtswidrig ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für die Rücknahme der fingierten Genehmigung nicht vor. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X erlaubt lediglich die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Die fingierte Genehmigung ist vorliegend nicht rechtswidrig. Denn ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach der Erfüllung der Voraussetzungen aus § 13 Abs. 3a SGB V, nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs (so BSG, aaO, Rn. 32, juris; BSG, Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R, Terminbericht Nr. 31/17; aA LSG NRW, Urteil vom 06.04.2017 – L 16 KR 202/16, sozialgerichtsbarkeit.de). Die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion lagen nach obigen Ausführungen aber vor.
Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihr durch die selbstbeschafften Liposuktionsbehandlungen entstanden sind. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Kosten der stationären Liposuktion, die am 11.10.2016 durchgeführt wurde, als auch für die ambulante Liposuktion, die am 01.02.2017 erfolgte.
Der Anspruch folgt aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB. Danach ist die Krankenkasse zur Erstattung der Kosten verpflichtet, die entstanden sind, weil sich der Leistungsberechtigte die beantragte erforderliche Leistung nach Ablauf der Fristen des Satz 1 selbstbeschafft hat. Im Hinblick auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion und die fehlende wirksame Rücknahme wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich sowohl bei der selbstbeschafften stationären Liposuktion als auch bei der ambulanten Behandlung um die beantragte erforderliche Leistung, deren Genehmigung durch Ablauf der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V fingiert wurde. Die Klägerin hatte zwar ihrem Antrag vom 07.07.2016 den Therapievorschlag der L E beigefügt und die selbst beschaffte stationäre Liposuktion auch dort durchführen lassen. Für einen hinreichend bestimmten, fiktionsfähigen Antrag wäre aber auch das Behandlungsziel – hier: Liposuktion der Arme und Beine – ausreichend gewesen, so dass die Klägerin sich auch die ambulante Liposuktion hat beschaffen dürfen (vgl. zum Behandlungsziel als ausreichende Angabe im Rahmen des Antrags BSG, Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R, aaO). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die ambulante Behandlung im Vergleich zur stationären Behandlung ein "Weniger" darstellt und im Wege eines Erst-Recht-Schlusses von der Genehmigungsfiktion einer stationären Liposuktion als umfasst gelten muss. An zugelassene Leistungserbringer war die Klägerin nach der Leistungsablehnung nicht mehr gebunden (vgl. BSG, Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 1/17 R, Terminbericht Nr. 31/17).
Die vorgelegten Rechnungen beruhen auf den Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Soweit die Klägerin einen Eigenanteil für die stationäre Liposuktion zu tragen gehabt hätte, wäre dieser in Abzug zu bringen (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, aaO; Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 1/17 R, aaO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten für eine stationäre und eine ambulante Liposuktion der Beine sowie die Versorgung mit zwei weiteren stationären Liposuktionsbehandlungen von Armen und Beinen. Dabei ist zwischen den Beteiligten insbesondere der Eintritt und der Bestand einer Genehmigungsfiktion streitig.
Die 1979 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Dort beantragte sie am 07.07.2016 eine Liposuktion und legte dem Antrag eine Bescheinigung der L E – G-O-Krankenhaus bei, aus der als Diagnose ein Lipödem der oberen und unteren Extremität hervorging und als Therapie die wasserstrahlassistierte Liposuktion in mehreren Sitzungen (4-5), stationär, vorgeschlagen wurde. Mit Schreiben vom 18.07.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie zur fachkundigen Beratung über den Antrag den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingebunden habe und sich die Bearbeitungsfrist daher nach § 13 Abs. 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) auf fünf Wochen verlängere. Mit einem weiteren Schreiben vom 18.07.2016 bat die Beklagte die Klägerin um Rückruf, weil sie zur Bearbeitung des Antrags deren Hilfe benötige.
Am 25.07.2016 reichte die Klägerin unter Bezugnahme auf ein geführtes Telefonat mit der Beklagten ihren Gewichtsverlauf und einen Bericht des behandelnden Lymphologen ein. Unter dem 15.08.2016 gab der MDK seine sozialmedizinische Stellungnahme ab. Mit Schreiben vom 18.08.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Einhaltung der 5-Wochen-Frist nicht möglich sei.
Mit Bescheid vom 26.08.2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Liposuktion sei in der Regel auch ambulant durchführbar. Die ambulante Liposuktion sei aber zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht möglich, da es insoweit an einer Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) fehle. Es komme aber eine intensivierte konservative Therapie zur Linderung der Beschwerdesymptomatik in Betracht.
Mit der am 29.08.2016 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die Feststellung begehrt, dass der Antrag auf Gewährung einer mehrzeitigen Liposuktionsbehandlung der oberen und unteren Extremitäten als Sachleistung als genehmigt gelte.
Sie legte zudem am 03.09.2016 gegen den ablehnenden Bescheid vom 26.08.2016 Widerspruch ein.
Am 22.09.2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Genehmigungsfiktion am 11.08.2016 eingetreten sei. Diese werde aber gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen. Es handele sich bei der fiktiven Genehmigung um einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt, auf dessen Bestehen die Klägerin habe nicht vertrauen dürfen, da sie bereits bei Antragstellung darauf hingewiesen worden sei, dass es sich bei der beantragten Liposuktionsbehandlung nicht um eine übliche Kassenleistung handele. Sie sei auch darüber informiert worden, dass der MDK eingeschaltet werde und habe davon ausgehen müssen, dass ohne Beratungsergebnis des MDK auch keine Kostenzusage erfolgen würde. Da die beantragte Behandlung sozialmedizinisch nicht notwendig sei, werde die Genehmigungsfiktion in sachgerechter Ermessensausübung aufgehoben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.11.2016 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 26.08.2016 als unbegründet zurück unter Hinweis auf die fehlende sozialmedizinische Erforderlichkeit.
Die Klägerin hat daraufhin am 17.11.2016 die ursprünglich als Feststellungsklage erhobene Klage auf eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt, mit der sie die Aufhebung des Ablehnungsbescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides und die Aufhebung des Rücknahmebescheides begehrt sowie die Versorgung mit den beantragten Liposuktionsbehandlungen. Der materielle Sachleistungsanspruch ergebe sich aus dem Eintritt der Genehmigungsfiktion. Eine Rücknahme der fingierten Genehmigung nach § 45 SGB X könne nicht erfolgen, da §§ 44ff. SGB X nicht anwendbar seien. Zudem sei eine Rücknahme der fingierten Genehmigung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur bei Fehlen von Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion, nicht jedoch wegen des Fehlens von Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs denkbar.
Am 11.10.2016 hat die Klägerin im G-O-Krankenhaus eine stationäre Liposuktion der Oberschenkel ventral, innen, Knie, Unterschenkel vorne und Fesseln durchführen lassen, für die sie 4.185,47 Euro gezahlt hat. Am 01.02.17 ist eine weitere Liposuktion der Beine im Rahmen einer ambulanten Be- handlung erfolgt, für die sie 4.995,00 Euro gezahlt hat.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2016 sowie des Bescheides vom 22.09.2016 zu verurteilen, ihr die Kosten für die zwei selbstbeschafften Liposuktionsbehandlungen vom 11.10.2016 und 01.02.2017 in Höhe von insgesamt 9.180,47 Euro zu erstatten und zwei weitere Liposuktionen der Arme und Beine unter vollstationären Bedingungen als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Genehmigungsfiktion könne nur eintreten, wenn der Antrag eine grundsätzlich von der gesetzlichen Krankenkasse geschuldete Leistung umfasse. Zudem seien die für die Prüfung notwendigen Unterlagen der Klägerin erst am 25.07.2016 eingegangen. Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung am 26.08.2016 fristgerecht erfolgt. Die beantragte Leistung sei nicht erforderlich im Sinne der gesetzlichen Vorgaben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), deren Gegenstand der ablehnende Bescheid vom 26.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2016 ist. Auch der Rücknahmebescheid vom 22.09.2016 ist in entsprechender Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein nach Klageerhebung erlassener neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Vorliegend ist am 29.08.2016 zunächst Feststellungsklage erhoben worden, so dass (noch) kein Verwaltungsakt angefochten war, der durch den Rücknahmebescheid hätte ersetzt werden können. Der bereits am 26.08.2016 ergangene Ablehnungsbescheid befand sich bei Erlass des Rücknahmebescheides am 22.09.2016 noch im Widerspruchsverfahren. Der Rücknahmebescheid konnte jedoch nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Ablehnungsbescheid nach § 86 SGG werden, da der Rücknahmebescheid den Ablehnungsbescheid weder ersetzte noch abänderte. Vielmehr schließen sich der Ablehnungsbescheid und der Rücknahmebescheid inhaltlich aus, weil dieser eine Leistung ablehnt, die jener als genehmigt voraussetzt. Das Gericht geht jedoch mit dem 16. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen davon aus, dass eine Nichteinbeziehung des Rücknahmebescheides die prozessual nicht tragbare Situation zur Folge hätte, dass über den Anspruch aus der Genehmigungsfiktion und über deren Beseitigung zwei getrennte Verfahren geführt werden müssten mit nicht akzeptablen Risiken für die Beteiligten. Insofern ist von einer Gesetzeslücke auszugehen, die aus Gründen der Prozessökonomie und des effektiven Rechtsschutzes durch eine entsprechende Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG zu schließen ist. Der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bezüglich des Rücknahmebescheides vom 22.09.2016 bedarf es daher nicht (vgl. LSG NRW, Urteil vom 06.04.2017 – L 16 KR 202/16, sozialgerichtsbarkeit.de).
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2016 sowie der Rücknahmebescheid vom 22.09.2016 sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Sie hat einen Anspruch auf die beantragte Gewährung von zwei weiteren Liposuktionen der Arme und Beine unter vollstationären Bedingungen sowie einen Anspruch auf die Erstattung der Kosten der bereits durchgeführten Liposuktionen in Höhe von insgesamt 9.180,47 Euro, den die Klägerin im Wege der nach § 99 Abs. 1 SGG sachdienlichen Klageänderung geltend macht.
Der Anspruch auf Gewährung von zwei weiteren Liposuktionsbehandlungen der Arme und Beine unter vollstationären Bedingungen als Sachleistung folgt aus § 13 Abs. 3a SGB V. Nach Satz 1 der Vorschrift hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Satz 5 bestimmt, dass die Krankenkasse den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig mitteilt, wenn sie diese Frist nicht einhalten kann. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist gemäß Satz 6 als genehmigt.
Ausgehend von diesen Grundsätzen steht der Klägerin der geltend gemachte Sachleistungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 6 SGB V zu. Die Beklagte hat die Entscheidungsfrist aus § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht eingehalten. Sie hat nach Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK nicht binnen 5 Wochen über den hinreichend bestimmten Antrag der Klägerin entschieden. Der Antrag ist am 07.07.2016 bei der Beklagten eingegangen. Die 5-Wochen-Frist endet nach § 26 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB X iVm §§ 187, 188 und 193 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 11.08.2016. Der Ablehnungsbescheid datiert auf den 26.08.2016. Die Beklagte hat der Klägerin auch nicht im Sinne von Satz 5 der Vorschrift rechtzeitig schriftlich und unter Darlegung der Gründe mitgeteilt, dass sie die 5-Wochen-Frist nicht einhalten kann. Erst am 18.08.2016 und damit nach Ablauf der Frist erstellte sie ein Schreiben, in dem sie der Klägerin ankündigte, die 5-Wochen-Frist nicht einhalten zu können. Die Frist begann auch bereits mit Eingang des hinreichend bestimmten, fiktionsfähigen Antrags der Klägerin bei der Beklagten und nicht erst nach der Übersendung der von der Beklagten angeforderten Unterlagen am 25.07.2016. Eine dem § 42a Abs. 2 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vergleichbare Regelung, nach der die Frist erst mit dem Eingang der vollständigen Unterlagen zu laufen beginnt, findet sich im Zusammenhang mit § 13 Abs. 3a SGB V nicht (vgl. LSG NRW, Urteil vom 06.12.2016 – L 1 KR 680/15, sozialgerichtsbarkeit.de).
Der Antrag der Klägerin betraf auch eine Leistung, die sie für erforderlich halten durfte und die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV lag. Die Beschränkung auf eine "erforderliche" Leistung soll rechtsmissbräuchliche Anträge von der Genehmigungsfiktion ausnehmen. Die Liposuktion ist eine Behandlung, die ausschließlich von Ärzten erbracht wird und die der Klägerin hier auch ärztlicherseits zur Behandlung des Lipödems empfohlen wurde.
Rechtsfolge der Fristversäumung ist die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V, aus der sich ein Sachleistungsanspruch, hier auf die beantragten zwei Liposuktionsbehandlungen unter vollstationären Bedingungen, ergibt (zum Naturalleistungsanspruch aufgrund Genehmigungsfiktion vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 R, Rn. 25, juris).
Die fingierte Genehmigung ist auch nicht wirksam zurückgenommen worden, da der Rücknahmebescheid vom 22.09.2016 rechtswidrig ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen die Voraussetzungen für die Rücknahme der fingierten Genehmigung nicht vor. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X erlaubt lediglich die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes. Die fingierte Genehmigung ist vorliegend nicht rechtswidrig. Denn ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach der Erfüllung der Voraussetzungen aus § 13 Abs. 3a SGB V, nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs (so BSG, aaO, Rn. 32, juris; BSG, Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R, Terminbericht Nr. 31/17; aA LSG NRW, Urteil vom 06.04.2017 – L 16 KR 202/16, sozialgerichtsbarkeit.de). Die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion lagen nach obigen Ausführungen aber vor.
Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihr durch die selbstbeschafften Liposuktionsbehandlungen entstanden sind. Das gilt sowohl im Hinblick auf die Kosten der stationären Liposuktion, die am 11.10.2016 durchgeführt wurde, als auch für die ambulante Liposuktion, die am 01.02.2017 erfolgte.
Der Anspruch folgt aus § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB. Danach ist die Krankenkasse zur Erstattung der Kosten verpflichtet, die entstanden sind, weil sich der Leistungsberechtigte die beantragte erforderliche Leistung nach Ablauf der Fristen des Satz 1 selbstbeschafft hat. Im Hinblick auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion und die fehlende wirksame Rücknahme wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich sowohl bei der selbstbeschafften stationären Liposuktion als auch bei der ambulanten Behandlung um die beantragte erforderliche Leistung, deren Genehmigung durch Ablauf der Frist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V fingiert wurde. Die Klägerin hatte zwar ihrem Antrag vom 07.07.2016 den Therapievorschlag der L E beigefügt und die selbst beschaffte stationäre Liposuktion auch dort durchführen lassen. Für einen hinreichend bestimmten, fiktionsfähigen Antrag wäre aber auch das Behandlungsziel – hier: Liposuktion der Arme und Beine – ausreichend gewesen, so dass die Klägerin sich auch die ambulante Liposuktion hat beschaffen dürfen (vgl. zum Behandlungsziel als ausreichende Angabe im Rahmen des Antrags BSG, Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 26/16 R, aaO). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die ambulante Behandlung im Vergleich zur stationären Behandlung ein "Weniger" darstellt und im Wege eines Erst-Recht-Schlusses von der Genehmigungsfiktion einer stationären Liposuktion als umfasst gelten muss. An zugelassene Leistungserbringer war die Klägerin nach der Leistungsablehnung nicht mehr gebunden (vgl. BSG, Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 1/17 R, Terminbericht Nr. 31/17).
Die vorgelegten Rechnungen beruhen auf den Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Soweit die Klägerin einen Eigenanteil für die stationäre Liposuktion zu tragen gehabt hätte, wäre dieser in Abzug zu bringen (vgl. BSG, Urteil vom 08.03.2016, aaO; Urteil vom 11.07.2017 – B 1 KR 1/17 R, aaO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
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