S 33 KA 7/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
33
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 33 KA 7/07
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beschluss der Beklagten vom 06.12.2006, als Bescheid ausgefertigt am 15.12.2006, wird aufgehoben und der Beklagte verurteilt, über den Widerspruch des Beigeladenen zu 8) gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 24.07.2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und der Beigeladene zu 8) jeweils zur Hälfte

Tatbestand:

Die Beteiligte streiten über die Rechtmäßigkeit der dem Beigeladenen zu 8) erteilten Sonderbedarfszulassung.

Der Beigeladene zu 8) ist Facharzt für Innere Medizin und war bis zur Einstellung des stationären Betriebes zum 31.12.2006 Oberarzt der Inneren Abteilung des Evangelischen Krankenhauses I-T in X. Seinen Antrag auf Erteilung einer Sonderbedarfszulassung lehnte der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 24.07.2006 ab. Auf den dagegen eingelegten Widerspruch des Beigeladenen zu 8) erteilte der Beklagte diesem mit Beschluss vom 06.12.2006, als Bescheid ausgefertigt am 15.12.2006, eine Sonderbedarfszulassung gemäß Nr. 24 a der Bedarfsplanungs-Richtlinien als Facharzt für Innere Medizin mit Vertragsarztsitz in X. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, nach Nr. 24 a der Bedarfsplanungs-Richtlinien könne unbeschadet der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen eine Zulassung ausgesprochen werden, wenn nachweislicher lokaler Versorgungsbedarf in der vertragsärztlichen Versorgung in Teilen eines großräumigen Landkreises vorliege. Diese Voraussetzungen halte der Berufungsausschuss für gegeben. Einen gewissen Hinweis für einen dauerhaften Versorgungsbedarf speziell in X, wo der Beigeladene zu 8) sich niederlassen wolle, gebe die Ende des Jahres wegen Schließung des Krankenhauses auslaufende umfängliche Ermächtigung des Chefarztes der Innere Abteilung. Andererseits decke diese Ermächtigung nicht den gesamten Fachbereich der Inneren Medizin ab. Ein qualitatives Versorgungsdefizit rechtfertige aber die ausnahmsweise Besetzung eines zusätzlichen Vertragsarztsitzes nur dann, wenn diese Maßnahme zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung in einem kompletten Versorgungsbereich unerlässlich sei. Es müsse also eine Versorgungslücke in der gesamten Breite eines Versorgungsbereiches bestehen. Auch diese Voraussetzung halte der Berufungsausschuss für gegeben. In X selbst sei kein fachärztlich tätiger Internist niedergelassen und nach dem Ausscheiden eines niedergelassenen Vertragsarztes nicht einmal mehr ein hausärztlich tätiger Internist. In der benachbarten Stadt Mettmann stehe für gastroenterologische Leistungen, die der Beigeladene zu 8) erbringen könne, auch nur ein Arzt zur Verfügung. Bei dieser Sachlage sehe der Berufungsausschuss die Versorgung der Versicherten in der Stadt X mit fachärztlich-internistischen Leistungen dauerhaft nicht als gesichert an. Dieses Versorgungsdefizit sei deshalb durch die Zulassung des Beigeladenen zu 8) zu beheben.

Hiergegen richten sich die binnen Monatsfrist erhobenen Klage der KV Nordrhein (Klägerin zu 1) sowie die am 25.01.2007 erhobene Klage des in N als fachärztlich tätiger Internist zugelassenen Klägers zu 2). Zur Begründung der Klagen wird im Wesentlichen vorgetragen, die Voraussetzungen für eine Sondeebedarfszulassung wegen eines lokalen Versorgungsbedarfs im Sinne der Nr. 24 a Bedarfsplanungs-Richtlinien lägen nicht vor. Die fachärztlich-internistische Versorgung könne durch die übrigen im Planungsbereich, insbesondere in Mettmann, zugelassenen fachärztlich tätigen Internisten sichergestellt werden. Unzumutbare Entfernungen lägen nicht vor. Die Entfernung zwischen X und den Praxen in Mettmann betrage ca. 6 km, was mit dem Pkw einer Fahrzeit von ca. 10 Minuten entspreche. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln seien die Praxen in Mettmann für X Patienten ohne umzusteigen mit einer Fahrzeit von ca. 25 Minuten zu erreichen.

Die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 2) beantragen,

den Beschluss des Beklagten vom 06.12.2006, ausgefertigt als Bescheid am 15.12.2006, aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, über den Widerspruch des Beigeladenen zu 8) gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 24.07.2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Der Beklagte und der Beigeladene zu 8) beantragen,

die Klagen abzuweisen.

Der Beklagte macht geltend, in X sei nicht einmal ein hausärztlich tätiger Internist niedergelassen und in allenfalls zumutbarer Entfernung in Mettmann stehe für gastroenterologische Leistungen nur ein Arzt zur Verfügung, was auch dort zur Ermächtigung eines Krankenhausarztes für gastroenterologische Leistungen geführt habe.

Der Beigeladene zu 8) macht geltend, die Voraussetzungen unter denen ein bereits zugelassener Arzt die einem weiteren Arzt erteilte Berechtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts und der des Bundesverfassungsgerichts im Wege der sogenannten defensiven Konkurrentenklage anfechten könne, lägen nicht vor. Der Kläger zu 2) sei durch die dem Beigeladenen zu 8) erteilte Sonderbedarfszulassung nicht in eigenen Rechten betroffen. Die Klagen seien zudem unbegründet, weil der Beklagte zutreffend einen lokalen Versorgungsbedarf in X im Bereich der fachärztlich-internistischen Versorgung angenommen habe. Diese ergebe sich insbesondere aus den im Planungsbereich ausgesprochenen Ermächtigungen und Ausnahmegenehmigungen für an der hausärztlichen Versorgung teilnehmende Vertragsärzte.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat die Streitsachen verhandeln und entscheiden können, obwohl im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.10.2007 für die Beigeladenen zu 1) bis 7) niemand erschienen ist, weil diese ordnungsgemäß mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Verhandlung und Entscheidung der Streitsache auch in ihrer Abwesenheit vom Termin benachrichtigt worden sind.

Die Klagen sind zulässig, insbesondere ist auch die Klage des Klägers zu 2) fristgerecht erhoben worden, da diesem die angefochtene Entscheidung des Beklagten nicht zugestellt worden ist. Die Klage des Klägers zu 2) ist auch nicht deshalb unzulässig, weil er zur Anfechtung der dem Beigeladenen zu 8) erteilten Sonderbedarfszulassung nicht befugt werde. Wie das Bundessozialgericht (Urteil vom 07.02.2007 - B 6 KA 6/06 R -) im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17.08.2004 (Aktenzeichen: 1 BVR 378/00) ausgeführt hat, kann bei sogenannten defensiven Konkurrentenklagen zur Abwehr eines zusätzlichen Konkurrenten eine Anfechtungsbefugnis nicht aus materiellen Grundrechten abgeleitet werden, da diese keinen Anspruch auf Fernhaltung anderer begründen. Eine Befugnis zur Abwehr des Konkurrenten besteht jedoch dann, wenn den einschlägigen Bestimmungen, auf die sich die Rechtseinräumung an den Konkurrenten stützt, einen sogenannten Drittschutz vermitteln. Die Auslegungsfrage, ob den einschlägigen Regelungen drittschützende Wirkung entnommen werden kann, ist dabei nicht der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs zuzuordnen, vielmehr ist der drittschützende Charakter einer Rechtsnorm im Rahmen der Begründetheit des Rechtsbehelfs zu überprüfen.

Die Klagen sind auch begründet. Die der Sonderbedarfszulassung zugrunde liegenden Rechtsnormen haben auch drittschützenden Charakter und die Kläger sind durch die angefochtene Entscheidung des Beklagten beschwert im Sinne des § 54 Abs. II Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil diese nicht rechtsmäßig ist.

Die Anfechtungsberechtigung eines Dritten setzt nach den zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts voraus, dass dem Konkurrenten die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet wird, Kläger und Konkurrent im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen erbringen dürfen und der dem Konkurrenten vermittelte Status gegenüber dem des Klägers nachrangig ist. Diese Voraussetzungen liegen hier im Verhältnis zwischen dem Kläger zu 2) und dem Beigeladenen zu 8) vor. Mit der Zulassung des Beigeladenen zu 8) wird diesem die Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung eröffnet und aufgrund der übereinstimmenden Zulassung als fachärztlich tätiger Internist in gleichem Planungsbereich dürfen der Kläger zu 2) und der Beigeladene zu 8) im selben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen erbringen. Schließlich ist der dem Beigeladenen zu 8) vermittelte Status auch nachrangig gegenüber dem des Klägers zu 2). Denn Sonderbedarfszulassungen wegen eines lokalen Versorgungsbedarfs nach § 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V in Verbindung mit Nr. 24 des Bedarfsplanungs-Richtlinien setzen ebenso wie Ermächtigungen eine Bedarfsprüfung voraus und sind damit gegenüber bereits bestehenden Zulassungen nachrangig. Bereits zugelassene Vertragsärzte sind daher berechtigt, Sonderbedarfszulassungen anzufechten (ebenso Steinhilper, Medrecht 2007 Seite 469, 472 ff.).

Gemäß § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V in Verbindung mit Nr. 24 a bis e des Bedarfsplanungs-Richtlinien darf der Zulassungsausschuss unbeschadet der Anordnung von Zulassungsbeschränkungen dem Zulassungsantrag eines Vertragsarztes der betroffenen Arztgruppe entsprechen, wenn eine der unter den Buchstaben a-e genannten Ausnahme gegeben ist. Hier ist die Zulassung des Beigeladenen zu 8) auf Nr. 24 a gestützt, wonach Voraussetzung für die Sonderbedarfszulassung ein nachweislicher lokaler Versorgungsbedarf in Teilen eines großstädtischen Planungsbereichs oder eines großräumigen Landkreises ist. Bei der Prüfung der Frage, ob ein lokaler Versorgungsbedarf vorliegt, der die Besetzung eines zusätzlichen Vertragsarztes zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erforderlich macht, steht den Zulassungsgremien ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Verwaltungsentscheidung ein richtig und vollständig ermittelter Sachverhalt zugrunde liegt, ob die durch Auslegung des Begriffs "lokaler Versorgungsbedarf" ermittelten Grenzen eingehalten und ob die Subsumtionserwägungen so hinreichend in der Begründung der Entscheidung verdeutlicht wurden, dass im Rahmen des möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist. Auch im Rahmen der in diesem Sinne eingeschränkten Überprüfbarkeit erweist sich der angefochtene Bescheid des Beklagten jedoch nicht als rechtsfehlerfrei. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt zum Vorliegen eines lokalen Versorgungsbedarfs in dem gebotenen Maße ermittelt worden ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit den Bedenken der Klägerin zu 1) dahin zu folgen ist, dass es bereits am Vorliegen eines großräumigen Planungsbereichs im Sinne von Nr. 24 a der Bedarfsplanungs-Richtlinien fehlen würde. Der Beklagte hat die Voraussetzungen, unter denen die Annahme eines lokalen Versorgungsbedarfs gerechtfertigt ist, nicht hinreichend ermittelt. Zur Begründung seiner Annahme eines lokalen Versorgungbedarfs hat der Beklagte maßgeblich darauf abgestellt, dass in X kein weiterer Internist niedergelassen sei und auch in der benachbarten Stadt Mettmann lediglich ein Arzt für gastroenterologische Untersuchungen zur Verfügung stehe. Dies rechtfertigt die Annahme eines lokalen Versorgungsbedarfs indes nicht. Soweit ein eventueller Bedarf im Bereich der gastroenterologischen Versorgung bestehen sollte, wäre allenfalls eine Sonderbedarfszulassung gemäß Nr. 24 b der Bedarfsplanungs-Richtlinien wegen eines durch den Inhalt eines Schwerpunktes beschriebenen Versorgungsbedarfs mit einer entsprechenden Beschränkung der Abrechnungsbefugnisse in Betracht gekommen, die hier jedoch nicht streitgegenständlich ist. Soweit der Beklagte darauf abstellt, dass in X kein weiterer Internist niedergelassen sei, fehlen nachvollziehbare Angaben dazu, dass die in anderen Teilen des Planungsbereichs oder auch z. B. im angrenzenden Planungsbereich der Stadt Düsseldorf niedergelassenen fachärztlich tätigen Internisten nicht dazu in der Lage sind, die fachärztlich-internistische Versorgung der Versicherten auch in X sicherzustellen. Denn wie das Bundessozialgericht entschieden hat (Beschluss vom 09.06.1999 - B 6 KA 1/99 B -) liegt ein lokaler Versorgungsbedarf jedenfalls dann nicht vor, wenn Vertragsärzte der maßgeblichen Ärztegruppe sowohl in einer nahe gelegenen Großstadt wie auch in einer anderen Stadt bzw. Gemeinde des jeweiligen Landkreises (auch) mit öffentlichen Verkehrsmitteln problemlos erreicht werden können. Dazu, ob eine in Inanspruchnahme von fachärztlich tätigen Internisten in anderen Städten des Planungsbereiches, insbesondere in Mettmann, oder auch im angrenzenden Planungsbereich der Stadt Düsseldorf für Versicherte aus X aus Gründen unzureichender Verkehrsanbindungen oder aus anderen Gründe nicht zumutbar ist, sind den Ausführungen des Beklagten jedoch keinerlei Ermittlungen bzw. nachvollziehbar und nachprüfbar Erwägungen zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund konnte der angefochtene Bescheid des Beklagten auch in Ansehung der nur eingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit daher keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO.
Rechtskraft
Aus
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