Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 18 R 305/15
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 131/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 50/17 B
Datum
Kategorie
Gerichtsbescheid
Der Bescheid vom 04.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2015 wird aufgehoben, soweit Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, die Umlage U1, U2 sowie die Umlage nach § 358 Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und die darauf entfallenden Säumniszuschläge geltend gemacht werden.
Im Übrigen – hinsichtlich der Beiträge zur Rentenversicherung sowie der darauf entfallenden Säumniszuschläge – wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zu ½.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beigeladene zu 1) während ihrer Tätigkeit für den gastronomischen Betrieb des Klägers selbständig oder abhängig beschäftigt war und entsprechende Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung zu zahlen sind.
Die Beigeladene zu 1) beantragte am 25.09.2005 die versicherungsrechtliche Beurteilung ihres Beschäftigungsverhältnisses im Betrieb des Klägers bei der Einzugsstelle, der KKH-Allianz. Im Rahmen dieses Verwaltungsverfahrens teilte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund der KKH-Allianz mit, dass sie die Beigeladene zu 1) für abhängig beschäftigt halte. Mit Bescheid vom 06.06.2006 stellte die KKH-Allianz fest, dass die Begeiladene zu 1) seit dem 01.04.1991 als abhängig beschäftigt angesehen werde und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung bestehe.
Dagegen erhob die Beigeladene zu 1) Widerspruch unter Hinweis auf die Gewährung von Darlehen und bestehende Bürgschaftsverpflichtungen in hohem Umfang.
Mit Abhilfebescheid vom 07.08.2006 hob die KKH-Allianz den Bescheid vom 06.06.2006 wieder auf, da ab dem 01.04.1991 keine abhängige Beschäftigung bestehe. Für die Erstattung der Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge könne sich die Beigeladene zu 1) an den jeweiligen Sozialversicherungsträger wenden. Wegen der Krankenversicherungsbeiträge werde sich die KKH-Allianz in den nächsten Tagen mit dieser in Verbindung setzen.
Von dieser Abhilfeentscheidung erfuhr die DRV Bund durch den Erstattungsantrag der Beigeladene zu 1) vom 22.08.2006. Die DRV Bund erhob am 30.01.2007 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (S 166 KR 558/07). Mit Beschluss vom 02.05.2007 wurden der Kläger, die Beigeladene zu 1) sowie die Bundesagentur für Arbeit und die Pflegeversicherung zu diesem Klageverfahren beigeladen. Mit Urteil vom 08.02.2010 hob das Sozialgericht Berlin den Bescheid vom 07.08.2006 hinsichtlich der gesetzlichen Rentenversicherung auf. Am 15.03.2010 legten der Kläger sowie Beigeladene zu 1) dagegen Berufung (L 1 KR 78/10) ein.
Am 11.10.2010 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung bei dem Kläger durch. Dabei wurde festgestellt, dass die Frage des Status der Beigeladene zu 1) durch Bescheid vom 07.08.2006 aufgegriffen wurde und zum damaligen Zeitpunkt noch streitbefangen war. Es erging die Aufforderung an den Kläger, ein zukünftiges Urteil des Landessozialgerichts (LSG) hinsichtlich der Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2009 auszuwerten. Wörtlich hies es in dem Hinweis der Betriebsprüfung: "Die durchgeführte Prüfung hat für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2009 hinsichtlich des Sachverhalts Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung der C. A., Feststellungen ergeben, die bereits anlässlich des Statusfeststellungsverfahrens von der KKH Allianz durch Bescheid vom 07.08.2006 aufgegriffen wurden und noch streitbefangen sind. Eine unanfechtbare Entscheidung über die Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (AZ: L 1 KR 78/10) lag im Zeitpunkt der Betriebsprüfung noch nicht vor. Wir bitten Sie sicherzustellen, dass das rechtskräftige Urteil der Sozialgerichtsbarkeit unmittelbar nach dem Eingang auch hinsichtlich des Prüfzeitraums dieses Bescheides sowie ggf. der nachfolgenden Zeiträume ausgewertet wird. Die nachzuzahlenden Beiträge sind bei rechtskräftigen Urteilen bis zum drittletzten Bankarbeitstag des Monats, der der Rechtskraft des Urteils folgt, an die zuständige Einzugsstelle zu zahlen. Bei Fragen hinsichtlich der Auswertung sowohl für den letzten wie für diesen Prüfzeitraum als auch ggf. für die nachfolgenden Zeiträume bitten wir, sich mit der zuständigen Einzugsstelle in Verbindung zu setzen. Anlässlich der nächsten Betriebsprüfung werden wir die ordnungsgemäße Auswertung überprüfen. Bitte beachten Sie, dass sämtliche Unterlagen zu diesem Sachverhalt bei der nächsten Betriebsprüfung vorzulegen sind. Sofern keine Auswertung erfolgt, weisen wir jetzt schon darauf hin, dass ggf. Säumniszuschläge fällig werden."
Mit Beschluss vom 30.08.2011 wies das LSG Berlin-Brandenburg die Berufung zurück, da von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis der Beigeladene zu 1) auszugehen sei und deshalb Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehe.
Vom 21.07.2014 bis 03.11.2014 fand erneut eine Betriebsprüfung bei dem Kläger für den Zeitraum 01.01.2010 – 31.12.2011 statt. Dabei stellte die Beklagte fest, dass bis zum Abschluss der Betriebsprüfung (4.11.2014) keine Auswertung vorgenommen worden sei.
Mit Bescheid vom 03./04.11.2014 forderte die Beklagte 54.057,94 EUR im Rahmen der Betriebsprüfung nach. Durch das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung und der damit verbundenen Versicherungspflicht seien Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.12.2012 nachzuerheben. "Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz1 SGB V). Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beinträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach dem Urteil des BSG vom 21.06.1990 – 12 RK 13/89 – reicht es für die Anwendung des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV aus, wenn der Beitragsschuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht nur für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat."
Dagegen legte der Kläger am 08.12.2014 Widerspruch ein, mit dem er auch die Einrede der Verjährung geltend machte. Ab dem 01.09.2006 sei Beigeladene zu 1) nicht mehr bei ihm beschäftigt gewesen, sondern habe nur noch selbständig ein Kleingewerbe betrieben. Die Gastronomie sei zum 31.12.2011 geschlossen worden. Frühestens im Oktober 2011 (nach Zustellung des Beschlusses des LSG am 05.09.2011) hätte die geforderte Auswertung vorgenommen werden können und die Beiträge gezahlt werden müssen. Die Forderung von Säumniszuschlägen bereits ab dem 01.12.2010 könne angesichts dessen keinen Bestand haben. Weiter trug die Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass sich dieser nicht vorsätzlich oder fahrlässig verhalten. Sie (als Prozessbevollmächtigte) habe sich in mehreren Schreiben im Jahr 2012 an die KKH Allianz gewandt und darum gebeten, auf die Forderung zu verzichten, ratenfreie Stundung, notfalls Einräumung von Ratenzahlung, erbeten. Die KKH Allianz habe darauf nicht reagiert. Der Kläger habe zwar einerseits nicht davon ausgehen können, dass auf die Forderung an Sozialversicherungsbeiträgen verzichtet würde. Andererseits durfte er aber davon ausgehen, dass die Angelegenheit sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten noch geprüft werde und noch nicht abgeschlossen sei. Wenn er aufgrund dessen davon ausgegangen sei, dass er zunächst noch nicht zahlen müsse, sei dies möglicherweise fahrlässig gewesen, vorsätzlich jedoch nicht. Mit Schreiben vom 09.02.2015 machte die Prozessbevollmächtigte des Klägers geltend, dass für die Beigeladene zu 1) Beiträge zur Arbeitslosen- und Krankenversicherung gezahlt worden seien bis zur Betriebsschließung. Möglicherweise habe es sich um freiwillige Beiträge gehandelt. Insoweit könne es jedenfalls nicht sein, dass letztlich doppelt Beiträge gezahlt werden. Für die Zeit vor der Zustellung des Beschlusses des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.09.2011 könne nicht von Vorsatz ausgegangen werden. Die Beiträge für die Jahre 2006 bis 2009 seien verjährt.
Mit Änderungsbescheid vom 13.03.2015 änderte die Beklagte ihre Entscheidung dahingehend ab, dass Säumniszuschläge erst ab November 2011 geltend gemacht werden. Daraus ergab sich eine Nachforderung: 50.431,44 EUR inkl. Säumniszuschläge von 13.332,50 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2015 wies die Beklagte den Widerspruch – soweit ihm nicht durch den Änderungsbescheid vom 13.03.2015 abgeholfen worden sei – zurück. Entgegen den Angaben im Bescheid habe der Prüfzeitraum nicht die Zeit vom 01.01.2010 – 31.12.2011, sondern die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.12.2011 umfasst. Nach den während der Betriebsprüfung zur Verfügung gestellten Jahreslohnkonten habe die Beigeladene zu 1) bis zum 31.12.2011 Arbeitsentgelt bezogen. Die Angabe, dessen Beigeladene zu 1) sei nur bis zum 31.08.2006 bei ihm beschäftigt gewesen, könne nicht nachvollzogen werden.
Am 12.06.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt die Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass bei dem Kläger hinsichtlich der Beiträge zur Rentenversicherung kein bedingter Vorsatz bestanden habe. Der Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg sei am 05.09.2011 zugestellt worden; eine Zustellung innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist (im Jahr 2010) sei nicht erfolgt. Dementsprechend seien Säumniszuschläge auch erst ab November 2011 von der Beklagte gefordert worden. Bedingter Vorsatz bestehe erst ab diesem Zeitpunkt, so dass die Beiträge für das Jahr 2006 verjährt seien. Es würden überzogene Anforderungen an den Kläger gestellt. Die Komplexität spiegele sich auch dadurch wieder, dass die Beklagte nicht in der Lage gewesen sei, in ihrer Widerspruchsbegründung vom 04.11.2014 den Prüfzeitraum richtig wiederzuspiegeln.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt schriftlich,
den Bescheid der Beklagten vom 04.11.2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 13.03.2015 und des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Verwaltungsakte der Beigeladenen zu 2) sowie der Akte S 166 KR558/07 des Sozialgerichts Berlin Bezug genommen.
II.
Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist geklärt und weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 04.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2015 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG soweit darin Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, der Umlage U1, U2 sowie der Umlage nach § 358 Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und die darauf entfallenden Säumniszuschläge geltend gemacht werden. Die Entscheidung ist insoweit rechtswidrig. Im Übrigen ist der Kläger – soweit die Beiträge zur Rentenversicherung und darauf entfallende Säumniszuschläge geltend werden – nicht durch die streitige Entscheidung beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Insoweit ist die Entscheidung der Beklagten rechtmäßig.
Die streitige Entscheidung ist hinsichtlich der Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, der Umlage U1, U2 sowie der Umlage nach § 358 Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und die darauf entfallenden Säumniszuschläge rechtswidrig. Die Beigeladene zu 2) hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 07.08.2006 festgestellt, dass keine Versicherungspflicht in diesen Zweigen der Sozialversicherung besteht. Die davon betroffenen Sozialversicherungsträger waren dem Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin und dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg beigeladen und hätten aufgrund dieser Kenntnis ebenfalls die Möglichkeit gehabt, den Bescheid vom 07.08.2006 hinsichtlich der Beiträge zu ihrer Sozialversicherung anzugreifen. Dies haben sie nicht getan. Daran sind alle Beteiligten gebunden. Die Beiträge zur Rentenversicherung hat die Beklagte zutreffend erhoben. Insoweit ist zwischen den Beteiligten durch die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg rechtskräftigt festgestellt worden, dass für die Beigeladene zu 1) Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses bestand.
Der Kläger kann sich nicht auf die Einrede der Verjährung berufen. Die Beiträge zur Rentenversicherung sind für das Jahr 2006 nicht verjährt. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die Beiträge für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.11.2006 sind innerhalb des Jahre 2006 fällig geworden, so dass grundsätzlich die vierjährige Verjährungsfrist zum 31.12.2010 endet. Innerhalb dieser Frist hat die Antragsgegnerin die Beiträge nicht geltend gemacht, sondern erst mit Bescheid vom 04.11.2014. Es greift allerdings die dreißigjährige Verjährung nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren danach in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Maßgeblich dafür ist, dass innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist ein mindestens bedingter Vorsatz auf Vorenthaltung der Beiträge entstanden ist (vgl. BSG, URteil vom 30.03.2000, B 12 KR 14/99 R, juris). Vorsätzlich in Form des bedingten Vorsatzes handelt, wer einen Erfolg für möglich hält und ihn billigend in Kauf nimmt; die lange Verjährung muss damit auch gegen sich gelten lassen, wer als Beitragspflichtiger seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (Segebrecht, juris-PK, § 25 SGB IV; Rdnr. 28). Der Kläger musste es aufgrund des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 08.02.2010 (und seiner dortigen Stellung als Beigeladener) sowie des ausdrücklichen Hinweises in der Betriebsprüfung vom 11.10.2010 für möglich halten, dass eine Beitragspflicht zur Rentenversicherung besteht. Bei einem solchen Sachverhalt kann ausgehend von den objektiven Umständen nur auf ein billigendes Inkaufnehmen und damit auch ein subjektives Element bei dem Kläger geschlossen werden.
Dass Säumniszuschläge erst ab November 2011 geltend gemacht werden, ändert an diesem Umstand nichts. Die Beitragsansprüche waren fällig. Die Beklagte bringt damit nur zum Ausdruck, dass in Hinblick auf den Rechtsstreit vor dem LSG Berlin-Brandenburg sowie des Hinweises in der Betriebsprüfung vom 11.10.2010 diese Beiträge von der Beklagten quasi bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung gestundet waren – die Beklagte also auf die Durchsetzung des Anspruchs vorübergehend verzichtet hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
Im Übrigen – hinsichtlich der Beiträge zur Rentenversicherung sowie der darauf entfallenden Säumniszuschläge – wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zu ½.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beigeladene zu 1) während ihrer Tätigkeit für den gastronomischen Betrieb des Klägers selbständig oder abhängig beschäftigt war und entsprechende Beiträge zu allen Zweigen der Sozialversicherung zu zahlen sind.
Die Beigeladene zu 1) beantragte am 25.09.2005 die versicherungsrechtliche Beurteilung ihres Beschäftigungsverhältnisses im Betrieb des Klägers bei der Einzugsstelle, der KKH-Allianz. Im Rahmen dieses Verwaltungsverfahrens teilte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund der KKH-Allianz mit, dass sie die Beigeladene zu 1) für abhängig beschäftigt halte. Mit Bescheid vom 06.06.2006 stellte die KKH-Allianz fest, dass die Begeiladene zu 1) seit dem 01.04.1991 als abhängig beschäftigt angesehen werde und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung bestehe.
Dagegen erhob die Beigeladene zu 1) Widerspruch unter Hinweis auf die Gewährung von Darlehen und bestehende Bürgschaftsverpflichtungen in hohem Umfang.
Mit Abhilfebescheid vom 07.08.2006 hob die KKH-Allianz den Bescheid vom 06.06.2006 wieder auf, da ab dem 01.04.1991 keine abhängige Beschäftigung bestehe. Für die Erstattung der Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge könne sich die Beigeladene zu 1) an den jeweiligen Sozialversicherungsträger wenden. Wegen der Krankenversicherungsbeiträge werde sich die KKH-Allianz in den nächsten Tagen mit dieser in Verbindung setzen.
Von dieser Abhilfeentscheidung erfuhr die DRV Bund durch den Erstattungsantrag der Beigeladene zu 1) vom 22.08.2006. Die DRV Bund erhob am 30.01.2007 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (S 166 KR 558/07). Mit Beschluss vom 02.05.2007 wurden der Kläger, die Beigeladene zu 1) sowie die Bundesagentur für Arbeit und die Pflegeversicherung zu diesem Klageverfahren beigeladen. Mit Urteil vom 08.02.2010 hob das Sozialgericht Berlin den Bescheid vom 07.08.2006 hinsichtlich der gesetzlichen Rentenversicherung auf. Am 15.03.2010 legten der Kläger sowie Beigeladene zu 1) dagegen Berufung (L 1 KR 78/10) ein.
Am 11.10.2010 führte die Beklagte eine Betriebsprüfung bei dem Kläger durch. Dabei wurde festgestellt, dass die Frage des Status der Beigeladene zu 1) durch Bescheid vom 07.08.2006 aufgegriffen wurde und zum damaligen Zeitpunkt noch streitbefangen war. Es erging die Aufforderung an den Kläger, ein zukünftiges Urteil des Landessozialgerichts (LSG) hinsichtlich der Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2009 auszuwerten. Wörtlich hies es in dem Hinweis der Betriebsprüfung: "Die durchgeführte Prüfung hat für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2009 hinsichtlich des Sachverhalts Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung der C. A., Feststellungen ergeben, die bereits anlässlich des Statusfeststellungsverfahrens von der KKH Allianz durch Bescheid vom 07.08.2006 aufgegriffen wurden und noch streitbefangen sind. Eine unanfechtbare Entscheidung über die Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (AZ: L 1 KR 78/10) lag im Zeitpunkt der Betriebsprüfung noch nicht vor. Wir bitten Sie sicherzustellen, dass das rechtskräftige Urteil der Sozialgerichtsbarkeit unmittelbar nach dem Eingang auch hinsichtlich des Prüfzeitraums dieses Bescheides sowie ggf. der nachfolgenden Zeiträume ausgewertet wird. Die nachzuzahlenden Beiträge sind bei rechtskräftigen Urteilen bis zum drittletzten Bankarbeitstag des Monats, der der Rechtskraft des Urteils folgt, an die zuständige Einzugsstelle zu zahlen. Bei Fragen hinsichtlich der Auswertung sowohl für den letzten wie für diesen Prüfzeitraum als auch ggf. für die nachfolgenden Zeiträume bitten wir, sich mit der zuständigen Einzugsstelle in Verbindung zu setzen. Anlässlich der nächsten Betriebsprüfung werden wir die ordnungsgemäße Auswertung überprüfen. Bitte beachten Sie, dass sämtliche Unterlagen zu diesem Sachverhalt bei der nächsten Betriebsprüfung vorzulegen sind. Sofern keine Auswertung erfolgt, weisen wir jetzt schon darauf hin, dass ggf. Säumniszuschläge fällig werden."
Mit Beschluss vom 30.08.2011 wies das LSG Berlin-Brandenburg die Berufung zurück, da von einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis der Beigeladene zu 1) auszugehen sei und deshalb Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehe.
Vom 21.07.2014 bis 03.11.2014 fand erneut eine Betriebsprüfung bei dem Kläger für den Zeitraum 01.01.2010 – 31.12.2011 statt. Dabei stellte die Beklagte fest, dass bis zum Abschluss der Betriebsprüfung (4.11.2014) keine Auswertung vorgenommen worden sei.
Mit Bescheid vom 03./04.11.2014 forderte die Beklagte 54.057,94 EUR im Rahmen der Betriebsprüfung nach. Durch das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung und der damit verbundenen Versicherungspflicht seien Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.12.2012 nachzuerheben. "Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz1 SGB V). Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beinträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach dem Urteil des BSG vom 21.06.1990 – 12 RK 13/89 – reicht es für die Anwendung des § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV aus, wenn der Beitragsschuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht nur für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat."
Dagegen legte der Kläger am 08.12.2014 Widerspruch ein, mit dem er auch die Einrede der Verjährung geltend machte. Ab dem 01.09.2006 sei Beigeladene zu 1) nicht mehr bei ihm beschäftigt gewesen, sondern habe nur noch selbständig ein Kleingewerbe betrieben. Die Gastronomie sei zum 31.12.2011 geschlossen worden. Frühestens im Oktober 2011 (nach Zustellung des Beschlusses des LSG am 05.09.2011) hätte die geforderte Auswertung vorgenommen werden können und die Beiträge gezahlt werden müssen. Die Forderung von Säumniszuschlägen bereits ab dem 01.12.2010 könne angesichts dessen keinen Bestand haben. Weiter trug die Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass sich dieser nicht vorsätzlich oder fahrlässig verhalten. Sie (als Prozessbevollmächtigte) habe sich in mehreren Schreiben im Jahr 2012 an die KKH Allianz gewandt und darum gebeten, auf die Forderung zu verzichten, ratenfreie Stundung, notfalls Einräumung von Ratenzahlung, erbeten. Die KKH Allianz habe darauf nicht reagiert. Der Kläger habe zwar einerseits nicht davon ausgehen können, dass auf die Forderung an Sozialversicherungsbeiträgen verzichtet würde. Andererseits durfte er aber davon ausgehen, dass die Angelegenheit sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten noch geprüft werde und noch nicht abgeschlossen sei. Wenn er aufgrund dessen davon ausgegangen sei, dass er zunächst noch nicht zahlen müsse, sei dies möglicherweise fahrlässig gewesen, vorsätzlich jedoch nicht. Mit Schreiben vom 09.02.2015 machte die Prozessbevollmächtigte des Klägers geltend, dass für die Beigeladene zu 1) Beiträge zur Arbeitslosen- und Krankenversicherung gezahlt worden seien bis zur Betriebsschließung. Möglicherweise habe es sich um freiwillige Beiträge gehandelt. Insoweit könne es jedenfalls nicht sein, dass letztlich doppelt Beiträge gezahlt werden. Für die Zeit vor der Zustellung des Beschlusses des LSG Berlin-Brandenburg vom 05.09.2011 könne nicht von Vorsatz ausgegangen werden. Die Beiträge für die Jahre 2006 bis 2009 seien verjährt.
Mit Änderungsbescheid vom 13.03.2015 änderte die Beklagte ihre Entscheidung dahingehend ab, dass Säumniszuschläge erst ab November 2011 geltend gemacht werden. Daraus ergab sich eine Nachforderung: 50.431,44 EUR inkl. Säumniszuschläge von 13.332,50 EUR.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2015 wies die Beklagte den Widerspruch – soweit ihm nicht durch den Änderungsbescheid vom 13.03.2015 abgeholfen worden sei – zurück. Entgegen den Angaben im Bescheid habe der Prüfzeitraum nicht die Zeit vom 01.01.2010 – 31.12.2011, sondern die Zeit vom 01.09.2006 bis 31.12.2011 umfasst. Nach den während der Betriebsprüfung zur Verfügung gestellten Jahreslohnkonten habe die Beigeladene zu 1) bis zum 31.12.2011 Arbeitsentgelt bezogen. Die Angabe, dessen Beigeladene zu 1) sei nur bis zum 31.08.2006 bei ihm beschäftigt gewesen, könne nicht nachvollzogen werden.
Am 12.06.2015 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt die Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass bei dem Kläger hinsichtlich der Beiträge zur Rentenversicherung kein bedingter Vorsatz bestanden habe. Der Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg sei am 05.09.2011 zugestellt worden; eine Zustellung innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist (im Jahr 2010) sei nicht erfolgt. Dementsprechend seien Säumniszuschläge auch erst ab November 2011 von der Beklagte gefordert worden. Bedingter Vorsatz bestehe erst ab diesem Zeitpunkt, so dass die Beiträge für das Jahr 2006 verjährt seien. Es würden überzogene Anforderungen an den Kläger gestellt. Die Komplexität spiegele sich auch dadurch wieder, dass die Beklagte nicht in der Lage gewesen sei, in ihrer Widerspruchsbegründung vom 04.11.2014 den Prüfzeitraum richtig wiederzuspiegeln.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt schriftlich,
den Bescheid der Beklagten vom 04.11.2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheids vom 13.03.2015 und des Widerspruchsbescheids vom 12.05.2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt schriftlich,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, der Verwaltungsakte der Beigeladenen zu 2) sowie der Akte S 166 KR558/07 des Sozialgerichts Berlin Bezug genommen.
II.
Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sachverhalt ist geklärt und weist keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 04.11.2014 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2015 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG soweit darin Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, der Umlage U1, U2 sowie der Umlage nach § 358 Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und die darauf entfallenden Säumniszuschläge geltend gemacht werden. Die Entscheidung ist insoweit rechtswidrig. Im Übrigen ist der Kläger – soweit die Beiträge zur Rentenversicherung und darauf entfallende Säumniszuschläge geltend werden – nicht durch die streitige Entscheidung beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Insoweit ist die Entscheidung der Beklagten rechtmäßig.
Die streitige Entscheidung ist hinsichtlich der Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, der Umlage U1, U2 sowie der Umlage nach § 358 Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und die darauf entfallenden Säumniszuschläge rechtswidrig. Die Beigeladene zu 2) hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 07.08.2006 festgestellt, dass keine Versicherungspflicht in diesen Zweigen der Sozialversicherung besteht. Die davon betroffenen Sozialversicherungsträger waren dem Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin und dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg beigeladen und hätten aufgrund dieser Kenntnis ebenfalls die Möglichkeit gehabt, den Bescheid vom 07.08.2006 hinsichtlich der Beiträge zu ihrer Sozialversicherung anzugreifen. Dies haben sie nicht getan. Daran sind alle Beteiligten gebunden. Die Beiträge zur Rentenversicherung hat die Beklagte zutreffend erhoben. Insoweit ist zwischen den Beteiligten durch die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg rechtskräftigt festgestellt worden, dass für die Beigeladene zu 1) Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses bestand.
Der Kläger kann sich nicht auf die Einrede der Verjährung berufen. Die Beiträge zur Rentenversicherung sind für das Jahr 2006 nicht verjährt. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die Beiträge für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.11.2006 sind innerhalb des Jahre 2006 fällig geworden, so dass grundsätzlich die vierjährige Verjährungsfrist zum 31.12.2010 endet. Innerhalb dieser Frist hat die Antragsgegnerin die Beiträge nicht geltend gemacht, sondern erst mit Bescheid vom 04.11.2014. Es greift allerdings die dreißigjährige Verjährung nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren danach in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Maßgeblich dafür ist, dass innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist ein mindestens bedingter Vorsatz auf Vorenthaltung der Beiträge entstanden ist (vgl. BSG, URteil vom 30.03.2000, B 12 KR 14/99 R, juris). Vorsätzlich in Form des bedingten Vorsatzes handelt, wer einen Erfolg für möglich hält und ihn billigend in Kauf nimmt; die lange Verjährung muss damit auch gegen sich gelten lassen, wer als Beitragspflichtiger seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (Segebrecht, juris-PK, § 25 SGB IV; Rdnr. 28). Der Kläger musste es aufgrund des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 08.02.2010 (und seiner dortigen Stellung als Beigeladener) sowie des ausdrücklichen Hinweises in der Betriebsprüfung vom 11.10.2010 für möglich halten, dass eine Beitragspflicht zur Rentenversicherung besteht. Bei einem solchen Sachverhalt kann ausgehend von den objektiven Umständen nur auf ein billigendes Inkaufnehmen und damit auch ein subjektives Element bei dem Kläger geschlossen werden.
Dass Säumniszuschläge erst ab November 2011 geltend gemacht werden, ändert an diesem Umstand nichts. Die Beitragsansprüche waren fällig. Die Beklagte bringt damit nur zum Ausdruck, dass in Hinblick auf den Rechtsstreit vor dem LSG Berlin-Brandenburg sowie des Hinweises in der Betriebsprüfung vom 11.10.2010 diese Beiträge von der Beklagten quasi bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung gestundet waren – die Beklagte also auf die Durchsetzung des Anspruchs vorübergehend verzichtet hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
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