S 18 KR 637/04

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 18 KR 637/04
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 75/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Für die Beurteilung eines Stoffes oder Stoffgemisches als Arzneimittel kommt es auf den therapeutischen Zweck im Sinne der Herstellung, Korrektur oder Beeinflussung der physiologischen Funktion an. Um ein dietätisches Lebensmittel handelt es sich nur, wenn der Stoff oder das Stoffgemisch zur Ernährung im Sinne der Gewinnung von Energie durch Stoffwechselprozesse und der Bildung körpereigener Stoffe bestimmt ist. Soweit ein Stoff oder Stoffgemisch Eigenschaften sowohl eines Arzneimittels als auch eines Lebensmittels aufweist, gilt ausschließlich Arzneimittelrecht.
2. Lorenzos Öl ist ein Arzneimittel, das mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden darf. Einer Verordnung von Lorenzos Öl als Lebensmittel nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V steht außer der Eigenschaft als Arzneimittel entgegen, dass es sich nicht um eine Aminosäuremischung, ein Eiweißhydrolysat, eine Elementardiät oder Sondennahrung handelt.
3. Die Ausnahme von dem für Lebensmittel geltenden Verordnungsausschluss hinsichtlich bilanzierter Diäten zur Behandlung seltener Defekte im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel nach Nr. 15.2.3 Satz 3 AMR steht nicht im Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage in § 31 Abs. 1 Satz 2 und § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit Lorenzos Öl (LO), einer 4: 1-Mischung aus Glyceroltrioleat (GTO) und Glyceroltrierucat (GTE) mit einem hohen Anteil mittellanger einfach ungesättigter Fettsäuren (vorwiegend Ölsäure und Erucasäure), zur Behandlung der Adrenomyeloneuropathie (AMN), einer Verlaufsform der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie (X-ALD; ICD-10 Nr. E71.3).

Bei dem 1956 geborenen Kläger stellte sich vor ca. 5 Jahren eine Gangstörung des rechten Beines ein. Der Kläger unterzog sich vom 03.07. bis zum 08.07.2003 sowie am 27.05. und 25.08.2003 einer eingehenden ambulanten sowie stationären Diagnostik an der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Dresden, in deren Ergebnis an Hand auffälliger Reflex- und Nervenleitungsbefunde eine demyelinisierernde Schädigung der motorischen und sensiblen Bahnen der Beine bei gleichzeitig deutlicher Erhöhung der langkettigen Fettsäuren festgestellt und eine Adrenoleukodystrophie/-myeloneuropathie diagnostiziert wurde. Zur Verminderung der Paraspastik der Beine wurde dem Kläger zunächst ein Muskelrelaxans verschrieben. Im Zuge einer DNA-Analyse wurde festgestellt, dass der Kläger auf Grund einer heterozygoten C- zu T-Transversion im 7. Exon des Gens ABCD1 an Stelle des Codons Nr. 560 für Prolin (CCG) das Codon Nr. P560S für Serin (TCG) aufweist. In einem Arztschreiben vom 27.11.2003 bestätigten die Ärzte des Instituts für Klinische Genetik am Universitätsklinikum Dresden die nunmehr molekukargenetisch gesicherte Diagnose einer Adrenomyeloneuropathie.

Nach Überweisung an das Sächsische Krankenhaus H. stellte der dortige Chefarzt W. K. auf Grund des stationären Aufenthalts vom 01.12.2003 bis zum 05.12.2003 in seinem Bericht vom 17.12.2003 fest, dass der Kläger an einer Adrenomyeloneuropathie, einem adulten Phänotyp der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie leide, die von einer sensorischen Ataxie und einer dezenten spastischen Paraparese der Beine sowie einer neurogenen Blasenstörung begleitet sei. Im MRT habe kein Hinweis auf eine leukodystrophische Läsion festgestellt werden können. Lediglich die Akzentuierung der infratentoriellen äußeren Liquorräume weise auf eine leichte infratentorielle Hirnatrophie hin, die in seltenen Fällen im Rahmen einer Adrenoleukodystrophie gesehen werde. Eine beginnende zerebrale Affektion im EEG stelle sich derzeit noch als subklinisch dar. Die Krankheit weise einen gutartigen Verlauf mit leichter klinischer Progredienz hinsichtlich des im Laufe des Jahres zunehmenden Harndrangs auf. Zur Verhinderung einer weiteren Progredienz empfahl Chefarzt W. K. eine Therapie mit Lorenzos Öl.

Mit am 11.12.2003 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 08.12.2003 beantragte Chefarzt W. K. zu Gunsten des Klägers die Übernahme der Kosten einer lebenslangen Behandlung, bestehend aus einer Basisdiät sowie "quasi medikamenenähnlich" der Zuführung der Spezialöle Glyceroltrioleat und Glyceroltrierucat, wobei es neben der ambulanten nervenärztlichen Kontrolle zur Einleitung der Behandlung zwei bis drei kurzer ca. einwöchiger stationärer Aufenthalte in Abständen von 6 bis 12 Monaten zur Dosisfindung, Einstellung und Kontrolle bedürfe. Die Kosten der Spezialöle beliefen sich je nach Körpergewicht auf monatlich 1.000,00 bis 1.500 DM. Diese könnten vorzugsweise vom Patienten über die S. GmbH, H., beschafft und gegenüber der Krankenkasse abgerechnet werden. Ziel der Behandlung sei die Normalisierung der Blutwerte zur Verhinderung der Ansammlung krankmachender Fettsäuren. Obwohl erst junge Erkenntnisse hierzu vorlägen, stelle diese Behandlung mittlerweile die Basistherapie für alle Adrenoleukodystrophieformen dar. Sie erweise sich von deutlichem Nutzen in Bezug auf die Stabilisierung und im Einzelfall Besserung der Symptomatik sowie die Verzögerung des Auftretens der Krankheit bei bislang symptomfreien Patienten und sei deshalb keinem Patienten vorzuenthalten.

In einer von der Beklagten eingeholten Stellungnahme vom 27.01.2004 sprach sich die Gutachterärztin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Dr. med. O. gegen die Therapie aus. Die Behandlung mit Lorenzos Öl befinde sich in der klinischen Erprobung. Diätversuche mit Glyceroltrioleat und Glyceroltrierucat führten zwar zur Normalisierung der Blutwerte. Ob diese aber klinisch relevant wirksam ist, sei bislang nicht gesichert. Es zeichne sich aber ab, dass sich zwar die Symptome nicht zurückbilden, aber die Patienten einen gegenüber dem Spontanverlauf verlangsamten Krankheitsprogress erleben. Erwachsene mit zerebralen Verlaufsformen profitierten von der Therapie nicht. Bei der Mehrzahl der Patienten komme es unter der Therapie mit Glyceroltrioleat und Glyceroltrierucat zu Nebenwirkungen, weshalb die Behandlung unter klinischer Kontrolle erfolgen müsse. Soweit ein biomechanischer Wirkmechanismus der Spezialöle postuliert wird ("medikamentenähnlich"), handele es sich um ein Arzneimittel. Mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung sei es in diesem Fall nicht verordnungsfähig. Am ehesten handele es sich jedoch um ein Diätetikum oder Nahrungsergänzungsmittel. Der Verordnungsmöglichkeit stehe in diesem Fall jedoch Nr. 17.1 Buchst. i der Richtlinien über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittelrichtlinien - AMR) in der bis zum 31.03.2004 geltenden Fassung entgegen.

Die Beklagte lehnte, gestützt auf die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, mit Bescheid vom 10.02.2004 den Antrag auf Versorgung des Klägers mit Lorenzos Öl ab.

Gegen die Ablehnung erhob der Kläger mit am 23.02.2004 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 21.02.2004 Widerspruch. Es handele sich bei der Adrenoleukodystrophie um eine seltene Erbkrankheit. Mit Lorenzos Öl seien gute Erfolge erzielt worden. Die Nichtanwendung des Öls führe zu einer lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Seinem Widerspruch fügte der Kläger ein Schreiben von Chefarzt W. K. vom 16.02.2004 bei, worin dieser ausführt, die X-chromosomale Adrenoleukodystrophie weise eine Inzidenz von 1: 20.000 bis 1: 100.000 auf. Die Krankheit führe in 50 % der Fälle unbehandelt frühzeitig zum Tode. Die andere Hälfte erleide schwere Behinderungen mit massiven Einschränkungen im beruflichen Leben und im Alltag. Wegen der Seltenheit der Erkrankung seien klinisch kontrollierte Doppelblindstudien zum Wirksamkeitsnachweis einer spezifischen Therapie praktisch unmöglich. Die biochemische Wirksamkeit von mit Glyceroltrioleat und Glyceroltrierucat sei unumstritten, die Evidenz eindeutig. Die Nichtanwendung der Therapie erhöhe drastisch das Risiko, eine schwere Behinderung oder den Tod zu erleiden. Nach dem bisherigen Stand der Diskussion gebe es eine Wirksamkeitsevidenz nur für die Knochenmarktransplantation im Frühstadium der kindlich-zerebralen Erkrankung und für Lorenzos Öl bei noch asymptomatischen männlichen Betroffenen und bei Patienten mit eher gutartigen Verlaufsformen ohne Hinweis auf eine entzündliche Demyelinisierung (z.B. der Adrenomyeloneuropathie) oder bei schwer betroffenen heterozygoten Genträgerinnen. Auf einer Tagung am 15.09. und 16.09.2003 in Mailand habe Prof. Moser (Baltimore) eine hochsignifikante Korrelation zwischen der Normalisierung langkettiger Fettsäuren mittels Lorenzos Öl und dem klinischem Behandlungsergebnis mit einer 90-prozentigen Risikoreduktion für das Auftreten von Symptomen oder Veränderungen im MRT unabhängig vom Alter dargestellt. Die Behandlung sei keine Diät, sondern eine biochemisch und klinisch wirksame Therapie mit klarem Wirkmechanismus und potentiellen Nebenwirkungen. Sie werde allerdings in der Regel in Kombination mit einer Diät angewandt, um die Zufuhr langkettiger Fettsäuen zu vermindern.

In einem zu den Verwaltungsakten gereichten Attest vom 02.03.2004 bescheinigten die Fachärzte für Allgemeinmedizin SR S. Kümmel und Dr. med. St. K., die Therapie mit Lorenzos Öl sei sinnvoll und probat, um das Voranschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Am 03.03.2004 empfahl der Facharzt für Neurologie Dipl.-Med. O., Lorenzos Öl beim Kläger anzuwenden, auch wenn es sich dabei um ein Nahrungsmittel handele.

Die Beratungsapothekerin der Beklagten, Dr. K. K., schloss sich in einer Stellungnahme vom 03.03.2004 dem Votum der Gutachterärztin Dr. med. O. an. Als Diätetikum erfülle Lorenzos Öl nicht die Anforderungen der Verordnung über dietätische Lebensmittel (DiätV). Ein begrenzter Effekt der Reduzierung der langkettigen Fettsäuren werde nicht bestritten. Jedoch fehle ein Nachweis für die Verhinderung der neurologischen Symptomatik.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2004, der am selben Tag abgesandt wurde, den Widerspruch des Klägers zurück. Für Lorenzos Öl sei kein Wirksamkeitsnachweis nach dem Arzneimittelgesetz oder durch signifikante Studien belegt. Das Öl verfüge weder im In- noch im Ausland über eine Zulassung als Fertigarzneimittel. Es handele sich weder um Sondennahrung noch um eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss anerkannte Elementardiät, ebenso wenig um eine anerkannte neue Behandlungsmethode im Sinne von § 135 des Sozialgesetzbuchs (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung -.

Hiergegen richtet sich die am 25.06.2004 beim Sozialgericht Dresden eingegangene Klage vom 24.06.2004. Der Kläger stützt sich unter Berufung auf das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25.01.2007, Az. L 8 KR 18/05, in erster Linie darauf, dass es sich bei Lorenzos Öl um ein diätetisches Lebensmittel handele. Ein Anspruch leite sich aus der Neufassung der Arzneimittelrichtlinien in der ab dem 01.10.2005 geltenden Fassung her. Die Adrenoleukodystrophie gehöre zur Indikationsgruppe der Enzymmangelkrankheiten. Anderenfalls beruhe die fehlende Anerkennung der Behandlung mit Lorenzos Öl in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses auf einem Systemversagen. Die Behandlung sei generell wirksam. In der Praxis habe sich die Therapie mit Lorenzos Öl durchgesetzt. Auf wissenschaftliche Studien könne es wegen der Seltenheit der Erkrankung nicht ankommen. Zudem liege beim Kläger eine lebensbedrohliche bzw. die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Erkrankung vor, die dringend der Behandlung bedürfe. Es bestehe die begründete Aussicht, dass mit Lorenzos Öl ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Es gebe keine Behandlungsalternative. Der Kläger stützt sich im Übrigen auf die ein Gutachten von Chefarzt W. K. von Februar 2005 und beantragt vorsorglich die Anhörung von Chefarzt W. K. als Sachverständigen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 10.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.05.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger gegen Vorlage einer vertragsärztlichen Arzneimittelverordnung mit Lorenzos Öl (4:1-Mischung von Glyceroltrioleat und Glyceroltrierucat) zur Behandlung der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung zu versorgen,

hilfsweise:

bei Chefarzt W. K. gemäß § 109 SGG ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Behauptungen

- Lorenzos Öl ist klinisch wirksam und die Behandlung mit Lorenzos Öl verzögert die Krankheitsprogression bei symptomatischen Patienten und verzögert bzw. hindert die Erstmanifestation der X-ALD,

- Lorenzos Öl hat beim Kläger einen therapeutischen Nutzen und ist klinisch wirksam

einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie schließt sich dem Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 27.09.2004, Az. L 6 KR 883/02 (nachgehend: Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.07.2005, Az. B 1 KR 101/04 B), an, wonach es sich bei Lorenzos Öl um ein Arzneimittel handelt. Ausschlag gebend dafür seien der Schutzzweck des Arzneimittelrechts, insbesondere hinsichtlich der Nebenwirkungen und der notwendigen ärztlichen Begleitung der Therapie. Für die Eigenschaft als Arzneimittel sprächen auch die Indikationshinweise im Beipackzettel. Dem Mittel fehle nach Auskunft der Leiterin der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe vom 07.09.2006 weltweit eine arzneimittelrechtliche Zulassung als Mindestvoraussetzung für eine Versorgung der Versicherten. Deshalb sei auch kein Einzelimport nach § 73 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes (AMG) möglich.

Der Kläger hat den ärztlichen Bericht des Chefarztes W. K.s vom 29.04.2005 über die stationäre Verlaufskontrolle vom 22.11.2004 bis zum 26.11.2004 im Sächsischen Krankenhaus H. zu den Akten gereicht. Darin werden neben der Adrenomyeloneuropathie als adulter Phänotyp der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie weiterhin eine sensorische Ataxie, eine spastische Paraparese und neurogene Blasenstörung sowie darüber hinaus auch eine grenzwertige Nebenniereninsuffizienz diagnostiziert. Die Befunde seien bis auf die leicht zunehmende Blasenschwäche unverändert. Es gebe keinen Hinweis auf eine zerebrale Beteiligung im Sinne einer floriden entzündliche Leukodystrophie. Die Werte der langkettigen Fettsäuren seien unter Diät leicht regredient, aber noch immer massiv erhöht. Empfohlen werde die tägliche Einnahme von 70 ml Lorenzos Öl unter begleitender echokadiografischer und Blutwertkontrolle.

Dem Gericht liegen darüber hinaus vor:

a) das Grundsatzgutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe von Mai 2004

Darin wird unter Anderem festgestellt, es handele sich bei der Adrenoleukodystrohie um eine relativ seltene Erkrankung, die jedoch auf Grund verbesserter Diagnostik zunehmend häufiger festgestellt werde. Eine kausal heilende Behandlung sei nicht bekannt. Ergebnisse von Fallserien sprächen eindeutig gegen eine klinische Wirksamkeit von Lorenzos Öl bei symptomatischen Patienten. Darüber hinaus lägen auch keine ausreichend validen Aussagen über eine Verzögerung des Verlaufs bzw. eine Verhinderung der Manifestation der Krankheit vor.

b) das Gutachten von Chefarzt W. K. von Februar 2005 mit der Gegenäußerung zum Grundsatzgutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe von Mai 2004

Nach Auffassung von Chefarzt W. K. wird der Zusammenhang zwischen der Akkumulation überlangkettiger Fettsäuren (very long chain fatty acids - VLCFA) und entzündlich-demyelinisierenden Nervenzellschädigungen durch Obduktionsergebnisse und Tierversuche gestützt. Ihm sei kein männlicher Patient mit X-chromosomaler Adrenoleukodystrophie bekannt, der dauerhaft symptomfrei geblieben wäre.

Für die Differenzierung der Verlaufsformen und die Krankheitsprognose sei der Nachweis zerebraler Symptome bzw. Läsionen im MRT wesentlich. Die Krankheit weise keineswegs einen sehr variablen, sondern differenziert nach Phänotypen einen geradezu linearen Verlauf auf, der eine Verlaufsprognose ermögliche.

Die gegenwärtige Studienlage lasse keine Aussage für oder gegen eine Wirksamkeit der Therapie mit Lorenzos Öl bei der Adrenomyeloneuropathie zu. Seit 2004 werde hierzu am Kennedy-Krieger-Institut Baltimore eine auf 4 Jahre angelegte Phase-III-Studie durchgeführt.

Bei der zerebral manifesten Adrenoleukodystrophie sei für Lorenzos Öl keine klinische Wirksamkeit belegt. Die entzündliche Demyelinisierung sei offenbar nicht diätetisch beeinflussbar. Etwas anderes gelte dagegen für asymptotische Patienten und für die Verlaufsformen der Adrenomyeloneuropathie.

Für die Adrenomyeloneuropathie gebe es zur Therapie mit Lorenzos Öl keine Behandlungsalternative. Eine Knochenmarktransplantation sei lediglich eine Option für symptomatische Verlaufsformen bei Jungen. Selbst die Wirkung der begleitenden Diät sei marginal. Entscheidend sei die Anwendung von Lorenzos Öl.

Die eigenen klinische Ergebnisse belegten in einer retrospektive Auswertung im Vergleich mit der Kankheitsprogression vor Beginn der Behandlung mit Lorenzos Öl und im Vergleich mit dem geradezu linearen natürlichem Verlauf der Adrenomyeloneuropathie, wie sie in der Studie von van Geel (Ann Neurol 49 [2001] Nr. 2 S. 186 ff.) veröffentlicht seien, eindeutig einen positiven Effekt der Therapie mit Lorenzos Öl auf den klinischen Verlauf. Erkenne man den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen dem erhöhten Spiegel überlangkettiger Fettsäuren und der Entwicklung von Krankheitszeichen an, gelt das auch für bereits symptomatische Patienten.

Bei der Behandlung träten Nebenwirkungen auf. Diese seien jedoch nicht schwerwiegend und reversibel. Im Hinblick auf die biochemische Wirksamkeit, den therapeutischen Zweck und die Nebenwirkungen stelle Lorenzos Öl kein Diätlebensmittel dar. Es werden nicht im Rahmen eines diätetischen Ernährungsplans verordnet, sondern unabhängig von der zusätzlich einzuhaltenden Diät. Es gehe dabei nicht um den Fettersatz zur Ernährung. Das Ölsäuregesmisch habe medikamentenähnliche Wirkung. Es sei grundsätzlich nicht zum Verzehr bestimmt, sondern werde gezielt bei einer definierten Indikation mit dem Ziel engesetzt, eine spezifische Wirkung im Körper zu entfalten. Da es sich aber formal um ein Diätetikum handele, komme eine Kostenübernahme in analoger Anwendung von § 31 Abs. 2 SGB V in Verbindung mit Nr. 20.1 Buchst. i AMR hinsichtlich der Indikationsgruppe der Enzymmangelkrankheiten in Betracht.

c) eine Stellungnahme der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe von Mai 2005 zum Gutachten von Chefarzt W. K. von Februar 2005

Nach Meinung der Verfasser sind die im Gutachten von Chefarzt W. K. mitgeteilten Zwischenerkenntnisse nicht valide. Eine Vorher-Nachher-Betrachtung sei bei dem veränderlichen Krankheitsbild ebenso wenig aussagekräftig wie ein Vergleich mit der anderweitigen Verlaufsstudie von Van Geel, um die geringere Rate zerebral-progressiver Patienten der Wirkung von Lorenzos Öl zuzuordnen. Die Vergleichbarkeit der Patientenkollektive und des Beobachtungszeitraums sei unter diesen Bedingungen nicht gewährleistet. Eine Übereinstimmung mit Chefarzt W. K. bestehe insoweit, als Studienlage zur Adrenomyeloneuropathie unzureichend sei und hierzu noch kontrollierte Studien durchgeführt werden, was bestätige, dass die gegenwärtigen die Erkenntnisse von Chefarzt W. K. nicht ausreichten. Die Behandlung mit Lorenzos Öl entspreche damit nicht dem allgemein anerkannten medizinischen Stand. Die Bereitstellung von Lorenzos Öl durch die Krankenkassen als serieller Heilversuch, dessen Daten gesammelt werden, würde nur auf die Durchführung einer weiteren, nicht kontrollierten klinischen Studie hinauslaufen.

d) eine weitere Stellungnahme der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe vom 07.11.2005, wonach weiterhin keine validen Erkenntnisse über ein erhöhtes Progressionsrisiko bei Nichteinnahme von Lorenzos Öl gegenüber dem Verlauf unter Behandlung mit Lorenzos Öl vorliegen. Die Wirkung von Lorenzos Öl in der Therapie der Adrenomyeloneuropathie sei jedoch in klinischen Studien erforschbar. Derartige Studien würden in Fachkreisen als erforderlich angesehen und initiiert.

e) eine ergänzende Stellungnahme der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe von Januar 2006, der zufolge ein klinisch relevanter Nutzen von Lorenzos Öl zur Therapie der Adrenomyeloneuropathie nicht belegt sei. Eine kontrollierte Studie hierzu sei noch nicht abgeschlossen. Die Erkrankung sei mit einer Inzidenz von 1: 20.000 bis 1: 40.000 nicht so selten, dass nicht kontrollierte Studien in Studiengruppen durchführbar wären. Die Studie von Moser et al. (Arch Neurol 62 [2005] S. 1073 ff.) zur Anwendung von Lorenzos Öl sei methodisch mangelhaft und liefere keinen validen Beleg für den therapeutischen Nutzen der Therapie. Nach den Maßstäben der Verordnung über dietätische Lebensmittel handele es sich bei Lorenzos Öl um ein diätetisches Lebensmittel

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der gerichtlichen Verfahrensakte, insbesondere auf die Gutachten und Stellungnahmen der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (Anlagenkonvolut zu Blatt 77 der Sozialgerichtsakte) und das Gutachten von Chefarzt W. K. von Februar 2005 (Datenträger in der Anlage zu Blatt 79 und Ausdruck Blatt 102 ff. der Sozialgerichtsakte) sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 08.03.2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Der Ablehnungsbescheid vom 10.02.2004 und der Widerspruchsbescheid vom 28.05.2004 sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Lorenzos Öl als Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Bei Lorenzos Öl handelt es sich um ein Fertigarzneimittel, das mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung nicht in die Versorgung gesetzlich Versicherter nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V einbezogen ist. Auch als diätetisches Lebensmittel könnte Lorenzos Öl nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden.

1. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt.

Für Lorenzos Öl liegt weder in Deutschland noch EU-weit eine Arzneimittelzulassung vor. Es unterliegt jedoch als Fertigarzneimittel gemäß § 21 Abs. 1 AMG der Zulassungspflicht. Nach § 4 Abs. 1 AMG sind Fertigarzneimittel Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden.

Lorenzos Öl ist ein Arzneimittel. Es ist kein (diätetisches) Lebensmittel.

Arzneimittel sind gemäß § 2 Abs. 1 AMG Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper (1.) Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen, (2.) die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen, (3.) vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen, (4.) Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder (5.) die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen. Keine Arzneimittel sind gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) Lebensmittel im Sinne des Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. Danach sind Lebensmittel alle Stoffe, und Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.

Soweit hiernach ein Produkt Eigenschaften sowohl eines Arzneimittels als auch eines Lebensmittels aufweist, ist für die Auslegung und Anwendung der Ausnahmeregelung in § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG zu berücksichtigen, dass kraft Gemeinschaftsrechts die arzneimittelrechtlichen Vorschriften den lebensmittelrechtlichen vorgehen. Dies ergibt sich aus Artikel 2 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 in Verbindung mit Artikel 128 Satz 2 und Anhang III der Richtlinie (EG) Nr. 83/2001 und den durch die Richtlinie (EG) Nr. 83/2001 abgelösten Richtlinien (EWG) Nr. 65/65 und Nr. 73/92. Auf Grund dieser Verweisung gehören Arzneimittel im Sinne des Artikel 1 Nr. 2 der Richtlinie (EG) Nr. 83/2001 nicht zu den Lebensmitteln. Auf sie sind nur die speziell für Arzneimittel geltenden Vorschriften anzuwenden. § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG hat damit nur klarstellende Funktion dahin gehend, dass auf ein Erzeugnis nicht zugleich sowohl arzneimittel- als auch lebensmittelrechtliche Vorschriften anwendbar sind. Ein Arzneimittel wird aber auf Grund dieser Regelung nicht von der Geltung des Arzneimittelrechts ausgenommen, weil es zugleich die rechtlichen Voraussetzungen für ein Lebensmittel erfüllt. Einer anderen Auslegung würde das Gemeinschaftsrecht entgegen stehen. Im Sinne einer den Anwendungsbereich des Arzneimittelrechts einschränkende Ausnahmeregelung wäre die Vorschrift unanwendbar (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 09.06.2005, Rs. C-211/03, C-299/03 und C-316/03 bis 318/03). Gemäß Artikel 1 Nr. 2 der Richtlinie (EG) Nr. 83/2001 in der am 01.05.2004 in Kraft getretenen Fassung des Artikel 1 Nr. 1 Buchst. b der Richtlinie (EG) Nr. 27/2004 sind Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die (a) als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind (sog. Präsentationsarzneimittel), oder die (b) im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wieder herzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen (sog. Funktionsarzneimittel). Zu Recht weist das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen allerdings in seinem Urteil vom 17.03.2006, Az. 13 A 2098/02, darauf hin, dass sich die im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung zu beachtenden Merkmale eines Funktionsarzneimittels nach Artikel 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie (EG) Nr. 83/2001, soweit sie an die pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung anknüpfen, nicht für eine von Zirkelschlüssen freie Abgrenzung zwischen Lebens- und Arzneimitteln eignen, so dass in erster Linie auf den therapeutischen Zweck abzustellen ist, wie er mit Herstellung, Korrektur oder Beeinflussung der physiologischen Funktion umschrieben ist. Dabei kommt es nicht auf einen Wirksamkeitsnachweis im engeren Sinne, sondern allein auf den angestrebten bzw. postulierten therapeutischen Wirkeffekt an. Abzugrenzen hiervon sind Stoffe oder deren Zusammensetzungen, die in erster Linie ernährungsphysiologische Wirkung haben, selbst dann, wenn durch ihre Zufuhr ein krankheitsbedingter Mangelzustand ausgeglichen wird, ohne aber dessen Ursache selbst zu beeinflussen. Eine solche in erster Linie ernährungsphysiologische Funktion kann ohne Kollision mit Gemeinschaftsrecht grundsätzlich bei Stoffen oder Stoffzusammensetzungen angenommen werden, die nach § 1 DiätV als Lebensmittel qualifiziert werden.

Nach diesen Maßstäben ist Lorenzos Öl ein Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG und Artikel 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie (EG) Nr. 83/2001.

Die Kammer schließt dies aus den im Gutachten von Chefarzt W. K. von Februar 2005 dargestellten Annahmen über die biochemischen Eigenschaften von Lorenzos Öl, welche Chefarzt W. K. in seiner Eigenschaft als behandelnder Arzt des Klägers dem therapeutischen Einsatz von Lorenzos Öl zu Grunde legt. Der postulierte biochemische Wirkeffekt von Lorenzos Öl beruht auf der Annahme, dass auf Grund des X-chromosomal vererbten Gendefekts überlangkettige gesättigte Fettsäuren (wie beispielsweise Cerotinsäure, C26:0) nicht im Wege der sog. &946;-Oxidation in den Peroxisomen genannten Organellen abgebaut werden können, wodurch es zur Ansammlung überlangkettiger gesättigter Fettsäuren im Körper, unter anderem in den Myelinscheiden, kommt, was seinerseits Schädigungen des Nervensystems, der Nebennierenrinden- und der Hodenfunktion nach sich zieht. Die therapeutischen Bestrebungen konzentrieren sich deshalb darauf, die Anreicherung überlangkettiger gesättigter Fettsäuren im Gewebe zu verhindern. Dies erfolgt zum Einen durch die Beschränkung der Zufuhr gesättigter Fettsäuren durch eine diätetische Ernährung. Darüber hinaus - und nach Auffassung von Chefarzt W. K. liegt hier der Schwerpunkt der Behandlung - werden gezielt einfach ungesättigte Fettsäuren zugeführt, um die Lipidsynthese überlangkettiger gesättigter Fettsäuren kompetitiv zu unterbinden. Als geeignet hierfür wird von den Befürwortern dieser Therapieoption das als Lorenzos Öl vertriebene Fettsäuregemisch aus Glyceroltrioleat (vorwiegend Ölsäure C18:1) und Glyceroltrierucat (vorwiegend Erucasäure C22:1) angesehen.

Dass dieses pathogenetisch-pharmakologische Wirkungsmodell für den Behandlungsansatz mit Lorenzos Öl - ungeachtet seiner tatsächlichen Wirksamkeit - tragend ist, bestätigt die im Grundsatzgutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe von Mai 2004 in Auswertung verschiedener Publikationen getroffene Feststellung "Das Versagen der rein diätetischen Restriktion im Gegensatz zu deren erfolgreicher Anwendung bei Stoffwechselerkrankungen, wie zum Beispiel der Phenylketonurie oder dem Refsum-Syndrom wird auf die zusätzliche endogene Synthese von VLCFA zurückgeführt [ ] Einfach ungesättigte, mittellange Fettsäuren wie die Ölsäure (C18:1) hemmen im Überschuss die Synthese von VLCFA in kultivierten Hautfibroblasten durch kompetitive Hemmung der Synthese gesättigter Fettsäuren an dem selben mikrosomalen Fettsäureverlängerungssystem". Etwas anschaulicher beschreibt das Sozialgericht Augsburg diesen Wirkmechanismus im Tatbestand seines Urteils vom 16.04.2003, Az. S 12 KR 63/02, mit den Worten: "Grundidee von Lorenzo s Öl ist dabei, durch Zufuhr größerer Mengen ungesättigter Fettsäuren das System dermaßen zu beschäftigen, dass es kaum noch zur Bildung gesättigter VLCFA kommt und sich die gesättigten VLCFA im Serum weitgehend normalisieren."

Unzutreffend ist dagegen die dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25.01.2007, Az. L 8 KR 18/05, zu Grunde liegende Annahme "Der restliche Fettbedarf (etwa 20 % der Gesamtkalorien) wird durch die Zufuhr von Lorenzo s Öl sichergestellt. Damit stellt dieses Spezialöl einen wesentlichen Bestandteil der täglichen Ernährung im Rahmen eines Diätplans dar." Die Zielsetzung des Einsatzes des Spezialöls liege in der "Substituierung der überlangkettigen Fettsäuren im Rahmen einer krankheitsbezogenen Diät". Der Senat stützt sich dabei zwar auf das auch dem Gericht vorliegende Gutachten von Chefarzt W. K. von Februar 2005. Diesem lassen sich die vom Hessischen Landessozialgerichts getroffenen Feststellungen indessen nicht entnehmen. Vielmehr bezeichnet Chefarzt W. K. in seinem Gutachten auf Seite 69 (Blatt 136 der Sozialgerichtsakte) in Anbetracht des hohen Nebenwirkungsrisikos die Einschätzung, Lorenzos Öl könne als Lebensmittel, quasi zum Fettersatz verwendet werden, als "vollkommen abwegig" und fährt fort: "Die Verordnung erfolgt keineswegs im Rahmen eines diätetischen Ernährungsplans, sondern weitgehend unabhängig von der zusätzlich einzuhaltenden Diät."

Die Einnahme der Öle dient also gerade nicht wie bei einem Lebensmittel der metabolischen Gewinnung von Energie und der Bildung körpereigener Stoffe aus den darin enthaltenen Fetten, um die physiologischen Lebensfunktionen aufrecht zu erhalten. Vielmehr ist die Zufuhr der ungesättigten Fettsäuren der angestrebten unphysiologischen (Über-)Beanspruchung der die langkettigen Fettsäuren synthetisierenden Enzyme untergeordnet, um so eine Anreicherung des Körpers mit - krankheitsbedingt nicht verwertbaren - Stoffwechselprodukten zu verhindern. Das aber ist gerade das Gegenteil von Ernährung.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob sich der behauptete biochemische Effekt und sein Einfluss auf den Ausbruch und den Verlauf der Krankheit bei den Trägern der Krankheitsanlage tatsächlich nachweisen lassen. Die Beurteilung eines Stoffs oder Stoffgemisches als Arzneimittel hat unabhängig vom Nachweis der Wirksamkeit zu erfolgen. Die Einordnung als Arzneimittel ist vielmehr die Voraussetzung dafür, ein Mittel, bevor es in den Verkehr gebracht wird, den Anforderungen an den gesetzlich vorgeschriebenen Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zu unterwerfen.

Damit ist zugleich eine Einordnung als diätetisches Lebensmittel im Sinne des § 1 Abs. 1 DiätV ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind diätetische Lebensmittel solche Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Für eine besondere Ernährung sind Lebensmittel nach § 1 Abs. 2 DiätV bestimmt, wenn sie (Nr. 1) den besonderen Ernährungserfordernissen (a) bestimmter Gruppen von Personen, deren Verdauungs- oder Resorptionsprozess oder Stoffwechsel gestört ist oder (b) bestimmter Gruppen von Personen, die sich in besonderen physiologischen Umständen befinden und deshalb einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter in der Nahrung enthaltener Stoffe ziehen können, oder (c) gesunder Säuglinge oder Kleinkinder entsprechen, wenn sie sich (Nr. 2) für den angegebenen Ernährungszweck eignen und mit dem Hinweis darauf in den Verkehr gebracht werden, dass sie für diesen Zweck geeignet sind, und (Nr. 3) auf Grund ihrer besonderen Zusammensetzung oder des besonderen Verfahrens ihrer Herstellung deutlich von den Lebensmitteln des allgemeinen Verzehrs unterscheiden.

Bei an Adrenoleukodystrophie erkrankten Patienten ist zwar der Stoffwechsel durch das Unvermögen, überlangkettige gesättigte Fettsäuren abzubauen, gestört. Lorenzos Öl ist aber nicht zur Ernährung bestimmt. Denn Folge der Störung des Fettsäureabbaus ist kein Ernährungsdefizit im Sinne einer Malabsorption oder einer Fettassimilationsstörung, das durch die Zufuhr von Öl- oder Erucasäure ausgeglichen werden müsste. Für die physiologische Funktion des Stoffwechsels sind die Produkte des peroxisomalen Abbaus der überlangkettigen gesättigten Fettsäuren nicht essentiell. Diese sind zwar energiereich. Der Energiebedarf kann jedoch auch aus anderen Nährstoffen, einschließlich mitochondrial abbaubarer Fettsäuren, gedeckt werden. Nach dem Krankheitskonzept, das der Behandlung mit Lorenzos Öl zu Grunde liegt, sind die durch den Gendefekt hervorgerufenen gesundheitlichen Schäden nicht die Folge eines Mangels, sondern vielmehr des Überschusses bestimmter Fettsäuren. Die Zufuhr weiterer, jedoch biochemisch speziell wirkender mittel- bis langkettiger einfach ungesättigter Fettsäuren dient nicht dem Ausgleich eines Nährstoffdefizits und damit nicht, wie § 1 Abs. 2 Nr. 1 DiätV formuliert, der Befriedigung eines Ernährungserfordernisses.

Auch um ein diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) im Sinne des § 1 Abs. 4a Satz 1 DiätV handelt es sich bei Lorenzos Öl nicht. Denn auch hierunter werden gemäß § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV ausschließlich Erzeugnisse verstanden, die der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung des Patienten dienen. Auch diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil die nutritive Funktion der zugeführten Öle neben dem angestrebten therapeutischen Effekt keine Rolle spielt.

Der Einordnung als Funktionsarzneimittel steht schließlich nicht entgegen, dass nach der im Wortlaut des § 2 Abs. 1 AMG und in Artikel 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG als Kriterium für ein sog. Präsentationsarzneimittel genannten "Bestimmung" des Produkts die Einordnung als Arzneimittel durchaus fraglich erscheinen kann, wenn sich die Beurteilung auf die Aufmachung beschränkt, in der Lorenzos Öl in den Verkehr gebracht wird. Nach den - allerdings vor wettbewerbsrechtlichem Hintergrund entwickelten - Maßstäben, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. exemplarisch Urteil vom 06.05.2004, Az. I ZR 275/01, mit weiteren Nachweisen) heranzieht, soll für die Einordnung eines Produkts als Arznei- oder Lebensmittel dessen an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung entscheidend sein, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt. In den Verkehr gebracht wird Lorenzos Öl im Inland von der S. GmbH, ausweislich der Gebrauchsinformationen "zur besonderen Ernährung" im Rahmen eines Diätplans bzw. als "Diätöl" zur "diätetischen Behandlung". Die Einnahme wird entweder pur oder unter die Speisen gemischt empfohlen, wobei den Gebrauchsinformationen Rezepturvorschläge beigefügt sind (vgl. Blatt 149 und 152 der Sozialgerichtsakte). Aus Sicht eines unbefangenen Verbrauchers legt diese Präsentation eine Verwendung als Lebensmittel - wie etwas Speiseöl oder tierische Fette - nahe.

Auf diese Aufmachung kommt es nicht an, weil Lorenzos Öl bereits ein Funktionsarzneimittel ist. Für die Qualifikation als Arzneimittel ist es auf Grund des Schutzzwecks des Arzneimittelrechts ausreichend, dass ein Stoff oder eine Stoffzusammensetzung entweder funktionell oder nach seiner Präsentation als Arzneimittel in den Verkehr gebracht wird. Wird ein Stoff oder eine Stoffzusammensetzung im Verkehr als Arzneimittel präsentiert, ohne funktionell ein solches zu sein, ist Arzneimittelrecht anwendbar. Handelt es sich - wie hier - funktionell um ein Arzneimittel, spielt es umgekehrt keine Rolle, ob bzw. dass es nicht als solches, sondern als ein diätetisches Lebensmittel präsentiert wird. Die Funktion als Therapeutikum ist ausreichend, um das Präparat dem Arzneimittelrecht zu unterwerfen. Die vom unbefangenen Verbraucher wahrgenommene Aufmachung von Lorenzos Öl in den Gebrauchsinformationen als Ernährungsbestandteil widerspiegelt zudem nicht die objektiven Eigenschaften des Mittels (präziser dagegen die Kurzbeschreibung auf der Internetseite des Herstellers http://www.shsweb.co.uk/metabolic/3132/products/ADRENOLE.htm: "Lorenzo s oil providing calories, and inhibiting synthesis of VLCFAs"). Ein Arzneimittel wird nicht dadurch zum Lebensmittel, dass es wie ein Lebensmittel als Element der täglichen Ernährung angeboten wird. Der Sinn der Abgrenzung zwischen Arznei- und Lebensmitteln nach objektiven Kriterien liegt gerade darin, zu verhindern, dass Arzneimittel unter kontrafaktischer Aufmachung als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden, um so die für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln erforderlichen strengen Zulassungsvoraussetzungen zu umgehen.

Das Erfordernis einer arzneimittelrechtlichen Zulassung entfällt nicht etwa deshalb, weil Lorenzos Öl in anderen Ländern nach dem dort anzuwendenden Arznei- und Lebensmittelrecht möglicherweise nicht als Arzneimittel qualifiziert und deshalb legal als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden darf (Bundessozialgericht, Urteil vom 14.12.2006, Az. B 1 KR 12/06 R).

Ist Lorenzos Öl mithin als Fertigarzneimittel zu qualifizieren, unterliegt es der Zulassungspflicht, ohne dass die Voraussetzungen für eine der in § 21 Abs. 2 AMG genannten Ausnahmen vom Zulassungszwang gegeben wären.

Insbesondere wird Lorenzos Öl Versicherten nicht im Rahmen eines sog. Compassionate Use gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG in Verbindung mit Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zur Verfügung gestellt. Nach diesen Regelungen kann ein zulassungspflichtiges Arzneimittel aus humanen Erwägungen einer Gruppe von Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu Invalidität führenden chronischen oder schweren Krankheit leiden oder deren Krankheit als lebensbedrohend gilt und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können. Während der Gesetzgeber zwar die Möglichkeit zur Einführung von Compassionate Use-Programmen mit Wirkung ab dem 06.09.2005 in § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG vorgesehen hat, fehlen noch immer die in § 21 Abs. 2 Nr. 6 Halbsatz 2 AMG vorgeschriebenen und auf Grund der Notifizierungspflicht nach Artikel 83 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 auch vorausgesetzten Verfahrensregelugen durch Rechtsverordnung nach § 80 AMG. Aus Gemeinschaftsrecht ableitbare Rechte der Versicherten werden hierdurch indessen nicht verletzt, weil Artikel 83 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 den Mitgliedstaaten die Einführung freistellt.

Voraussetzung für das zulassungsfreie Inverkehrbringen eines Arzneimittels im Rahmen eines Compassionate Use-Programms ist darüber hinaus gemäß Artikel 83 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004, dass das betreffende Arzneimittel entweder Gegenstand eines Zulassungsantrags oder Gegenstand einer noch nicht abgeschlossenen klinischen Prüfung ist, wofür auch eine Klinische Prüfung außerhalb der Europäischen Union ausreicht (vgl. European Medicines Agency, Committee for medicinal products for human use [CHMP], Guideline on Compassionate Use of medicinal products, pursuant to Article 83 of Regulation [EC] No 726/2004, unter 3.). Nach ihrer Zweckbestimmung ist die Regelung zum Compassionate Use indessen auf Arzneimittel beschränkt, für die die klinische Erprobung so weit fortgeschritten ist, dass seitens des Herstellers ausreichende Unterlagen zur Dokumentation von Wirksamkeit, Sicherheit und zur Qualität des Arzneimittels vorliegen (Deutscher Bundestag, Drucksache 15/5316 Seite 36 f.). Hiervon kann angesichts von bislang nur einer, noch nicht abgeschlossenen Phase-III-Studie zur Anwendung von Lorenzos Öl bei Patienten mit Adrenomyeloneuropathie, deren Zwischenergebnisse bislang nicht in allgemein zugänglicher Form publiziert wurden, keine Rede sein.

Es bedarf deshalb keiner näheren Erörterung, ob die Duldung des Inverkehrbringens eines nicht zugelassenen Arzneimittels im Rahmen eines Compassionate Use überhaupt ausreicht, um dieses in die Leistungpflicht der gesetzlichen Krankenversicherung einzubeziehen, oder ob nicht in dieser Phase die Finanzierungsverantwortlichkeit für die Versorgung der Patienten - wie bei Medikamenten, die gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 AMG zur klinischen Prüfung von der Zulassungspflicht ausgenommen sind - noch allein beim Hersteller liegt.

Auf das Erfordernis einer Zulassung kann auch nicht mit der Erwägung verzichtet werden, dass Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit, die so selten auftritt, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet, vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht allein deshalb ausgeschlossen sind, weil das bei der Behandlung verwendete, in Deutschland nicht zugelassene Fertigarzneimittel im Einzelfall aus dem Ausland beschafft werden muss (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 19.10.2004, Az. B 1 KR 27/02 R). Ein solcher Seltenheitsfall, der sich einer systematischen Erforschung entzieht, liegt nicht vor.

Das Schreiben des Chefarztes W. K. vom 16.02.2004 beziffert die Inzidenz der X-chromosomalen Adrenoleukodystrophie mit 1: 20.000 bis 1: 100.000. Das Grundsatzgutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe von Mai 2004 (Seite 16) und die dortige Stellungnahme von Januar 2006 (Seite 23) greifen unter Auswertung verschiedener epidemologischer Studien eine Zahl von 1: 20.000 (so auch Moser et al., Nat Clin Pract Neurol 2007, Nr. 3, S. 140 ff.) bzw. jährlich deutschlandweit ca. 18 männlichen an Adrenoleukodystrophie erkrankten Neugeborenen bei einer nicht abschätzbaren Dunkelziffer auf. In der weiteren Stellungnahme der Expertengruppe vom 07.11.2005 (Seite 2 f.) wird differenzierend nach Phänotypen der beim Kläger vorliegenden Verlaufsform der Adrenomyeloneuropathie mit langsamer Progression eine geschätzte Häufigkeit von 40 bis 46 % der Patienten, mindestens 18 %, beigemessen, von denen ca. 20 bis 40 % bzw. im Mittel nach 10 Jahren 20 % eine zerebrale Beteiligung entwickeln. Berücksichtigt man, dass sich, anders als bei den juvenilen Verlaufsformen mit zerebraler Beteiligung, der Krankheitsverlauf bei der Adrenomyeloneuropathie regelmäßig langsam über Jahrzehnte erstreckt und durch verbesserte Diagnostik heute mehr Patienten zutreffend positiv als Träger der Krankheit erkannt werden können, steht ein ausreichendes Patientenkollektiv zur Verfügung, um die Wirksamkeit und Sicherheit der Anwendung von Lorenzos Öl zur Therapie der Adrenomyeloneuropathie in valide Aussagen ermöglichenden Studien systematisch zu erforschen.

Tatsächlich hat der (am 20.01.2007 verstorbene) Direktor des Neurogenetischen Forschungszentrums am Kennedy-Krieger-Institut Baltimore, Hugo W. Moser M.D., bereits die Durchführung einer solchen Studie initiiert ("Effect of Lorenzo s Oil [LO] in men with AMN phenotype of X-ALD and Symptomatc Carrier Women", vgl. die Eintragung in die Liste der vom Office of Orphan Products Development bei der U.S Food and Drug Administration geförderten Forschungsvorhaben, http:/ www. fda.gov/orphan/grants/awarded.htm). Der Erwähnung in Moser et al., JAMA 294 (2005) Nr. 24 S. 3131, 3132, sowie den von der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 in deren Stellungnahme vom 07.11.2005 auf Seite 3 zitierten Informationen zufolge handelt es sich dabei sogar um eine placebo-kontrollierte Studie.

Eine im April 1998 begonnene Studie zur klinischen Wirksamkeit von Lorenzos Öl bei Kindern mit Adrenoleukodystrophie "Glyceryl Trierucate and Glyceryl Trioleate (Lorenzo s Oil) Therapy in Male Children With Adrenoleukodystrophy" rekrutiert weiterhin Teilnehmer (vgl. den Eintrag in das Register klinischer Studien http://clinicaltrials.gov show/NCT00004418). Seit Juli 2005 liegen zudem Ergebnisse einer prospektiven einarmigen Studie zur Behandlung von 89 Jungen im Alter von 0,2 bis 15 Jahren aus dem Beobachtungszeitraum von 1989 bis 2002 vor (Moser et al., Arch Neur 62 [2005] S. 1073 ff.; kritisch hierzu die Stellungnahme der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe von Januar 2006). Darüber hinaus befasst sich eine ganze Reihe weiterer Forschungen, über die regelmäßig in der Fachpresse berichtet wird, mit weiteren Therapiealternativen (beispielsweise Stammzellentransplantation und Agonisten zur Unterstützung der &946;-Oxidation) sowie mit der Diagnostik der verschiedenen Formen der Adrenoleukodystrophie. Diese Forschungsvorhaben und deren Diskussion belegen ungeachtet der in methodischer Hinsicht geübten Kritik, dass eine systematische Erhebung und Evaluierung von Daten über die Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlung von an Adrenoleukodystrophie erkrankten Patienten durchaus möglich ist und auch stattfindet. Angesichts der etwas geringeren Prävalenz und des aggressiveren Verlaufs der dabei im Vordergrund stehenden kindlich-zerebralen Adrenoleukodystrophie kann daraus ohne Weiters der Schluss gezogen werden, dass dies für die Erforschung von Pharmakotherapien zur Behandlung der Adrenomyeloneuropathie erst recht gilt.

Am Zulassungserfordernis als Voraussetzung für die Einbeziehung in die Arzneimittelversorgung ändert auch nichts die verfassungskonforme Auslegung der Normen des Krankenversicherungs- und Arzneimittelrechts, die Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen, auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98. Diese verfassungskonforme Auslegung hat zur Folge, dass nicht nur die Anspruchsvoraussetzungen von § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V, sondern auch die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit ausnahmsweise bejaht werden müssen, wenn ein im Inland nicht zugelassenes, aber im Ausland verkehrsfähiges Arzneimittel nur gemäß § 73 Abs. 3 AMG im Wege des Einzelimports über eine Apotheke beschafft werden kann und deshalb an sich von der Versorgung ausgeschlossen ist. Die verfassungskonforme Auslegung setzt jedoch unter Anderem voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Daran fehlt es.

Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des sog Off-Label-Use formuliert ist. Denn hieran knüpfen weiter gehende Folgen an. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig vom Gesetzgeber bewusst gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des Fünften Buchs Sozialgesetzbuchs und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen. Bereits die Anforderungen an das Bestehen einer "schwerwiegenden" Erkrankung sind erheblich. Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Denn der Off-Label-Use bedeutet, Arzneimittel ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll. Ausnahmen können schon insoweit nur in engen Grenzen auf Grund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die Anforderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel (§ 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V) beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt. Über diese Anforderungen geht es deutlich hinaus, wenn als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bloß der Off-Label-Use eines mit anderer Indikation in Deutschland zugelassenen Fertigarzneimittels, sondern im Rahmen verfassungskonformer Auslegung der Einzelimport eines überhaupt nicht in Deutschland zugelassenen Mittels nach § 73 AMG in Rede steht. Der institutionelle Schutz, den das für Deutschland erforderliche Arzneimittelzulassungsverfahren bietet, fehlt in solchen Fällen vollständig. Damit drohen den Versicherten Gesundheitsgefahren, vor denen sie das Zulassungsverfahren gerade schützen will. Soll trotzdem unter Berufung auf den verfassungsrechtlich gebotenen Gesundheitsschutz ein Anspruch auf Einzelimportarzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung begründet werden, kann nicht unberücksichtigt bleiben, ob sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs schon in näherer oder erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu konkretisieren droht. Verbleibt durch einen langen, verzögerten Krankheitsverlauf jahrzehntelang Zeit zur Therapie, ist in Rechnung zu stellen, dass die im Zeitablauf typischerweise voranschreitenden medizinischen und pharmakologischen Erkenntnisse in Zukunft Therapiemöglichkeiten eröffnen und (positive wie negative) Ergebnisse zu Tage fördern können, welche aktuell noch nicht verfügbar sind. Dann aber ist es auch verfassungsrechtlich hinnehmbar, den von einer schweren Krankheit betroffenen Patienten bei fehlender Akut-Problematik trotz der damit verbundenen Belastungen und Unzuträglichkeiten in der Regel abzuverlangen, vor der Inanspruchnahme der gesetzlichen Krankenversicherung für unkonventionelle Pharmakotherapien zunächst das Vorliegen einer auf solchen Forschungsergebnissen gestützten Zulassung der beanspruchten Fertigarzneimittel abzuwarten. Dies gilt erst recht, wenn - wie hier - in absehbarer Zeit Ergebnisse zu aktuell laufenden bzw. unmittelbar anstehenden aussagekräftigen, breit angelegten Forschungsvorhaben zu erwarten sind. Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen daher nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Ähnliches kann für den ggf. gleichzustellenden, nicht kompensierbaren Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion gelten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14.12.2006, Az. B 1 KR 12/06 R).

Nach diesen Maßstäben ist keine notstandsähnliche Situation gegeben, welche die ausnahmsweise Versorgung mit dem unzutreffend als diätetisches Lebensmittel deklarierten Lorenzos Öl unter Umgehung des hierfür gesetzlich vorgeschriebenen arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens rechtfertigt. Insoweit ist zwischen der beim Kläger vorliegenden Verlaufsform einer Adrenomyeloneuropathie ohne zerebrale Beteiligung und den erheblich schwerwiegenderen juvenilen Verlaufsformen der Adrenoleukodystrophie mit zerebraler Beteiligung zu unterscheiden. Kennzeichnend ist nach den in der Stellungnahme der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe vom 07.11.2005 (Seite 2 f.) wiedergegebenen epidemologischen Erkenntnisses für die im Mittel um das 28 Lebensjahr (± 9 Jahre) erstmals symptomatisch werdende Adrenomyeloneuropathie eine überwiegend distale Axonopathie, eine hormonell behandelbare Nebenniereninsuffizienz (ca. 50 %) und nicht selten Hodenfunktionsstörungen mit langsamer Progression über Jahrzehnte. Die Lebenszeit ist nicht sicher eingeschränkt. Nur bei ca. 20-40 % der Betroffenen bzw. im Mittel nach 10 Jahren bei 20 % kommt es überhaupt zu einer zerebralen Beteiligung mit ungünstiger Prognose und eingeschränkter Lebenserwartung. Viele Patienten erreichen die 7.-8. Lebensdekade. In seinem Gutachten von Februar 2005 beschreibt Chefarzt W. K. als klinische Kriterien des Phänotyps der Adrenomyeloneuropathie ohne zerebrale Beteiligung ebenfalls einen über Jahrzehnte langsamen Verlauf mit spastischer Pares, sensorischen Ausfällen, Ataxie, Blasen- und sexueller Dysfunktion bei normaler kranialer Nervenfunktion und ohne kognitive Einschränkungen. Innerhalb des jeweiligen Phänotyps sei ein ausgesprochen gleichmäßiger Krankheitsverlauf zu verzeichnen, wobei sich 14 Jahre nach Krankheitsbeginn auf einer 10 Punkte umfassenden Klinischen Skala (AACS) ein mittlerer Wert von 6,5 (± 2,9) Punkten ergebe, was etwa Gehen mit Gehhilfe, mäßigen sensiblen und Blasenfunktionsstörungen bei fehlenden kognitiven Einbußen entspreche. Das klinische Bild umfasse zu diesem Zeitpunkt sowohl Patienten ohne sensible oder Blasenstörungen, die mit leichten Schwierigkeiten selbständig laufen könnten, als auch solche, die rollstuhlpflichtig und inkontinent seien (Seite 16 ff. des Gutachtens, Blatt 109 R und 110 R der Sozialgerichtsakte).

Angesichts der Zugehörigkeit des Klägers zur Patientengruppe mit der vergleichsweise milden Verlaufsform der Adrenomyeloneuropathie und des in den Verlaufskontrollen seit der Erstdiagnose nur moderaten Fortschreitens der Symptome ist eine Vergleichbarkeit mit den Krankheiten, bei denen eine notstandsähnliche Situation für einen Einzelimport zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung anerkannt worden ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2006, Az. B 1 KR 7/05 R: Tomudex® bei Zoekumkarzinom; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98: Duchenne sche Muskeldystrohie), nicht vergleichbar.

2. Auch unter der Prämisse, dass es sich bei Lorenzos Öl um ein diätetisches Lebensmittel handelt, besteht kein Anspruch auf Bereitstellung des Mittels durch die gesetzliche Krankenversicherung.

Die Versorgung mit Lebensmitteln, einschließlich dietätischer Lebesnmittel, gehört grundsätzlich nicht zu den in § 27 Abs. 1 SGB V genannten Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Für Lorenzos Öl gilt keine der in § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V angeordneten Ausnahmen hiervon.

Mit § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat der Gesetzgeber dem Gemeinsamen Bundesausschuss aufgegeben, in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden. Damit hat der Gesetzgeber die bereits vor Inkrafttreten der Norm vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Arzneimittelrichtlinien vorgesehen Ausnahmeregelungen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt.

Nach Nr. 17.1. Buchst. i AMR in der bis zum 31.03.2004 geltenden Fassung bzw. der gleich lautenden Nr. 20.1 Buchst. i AMR in der Fassung des Beschlusses vom 16.03.2004 (BAnz. Nr. 77 vom 23.04.2004, S. 8905) dürfen Würz- und Süßstoffe, Obstsäfte, Lebensmittel im Sinne des § 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes, Krankenkost- und Diätpräparate nicht verordnet werden; als Ausnahmen sind nur zulässig Aminosäuremischungen und Eiweißhydrolysate bei angeborenen Enzymmangelkrankheiten, Elementardiäten (Gemische von Nahrungsgrundbausteinen, Vitaminen und Spurenelementen) bei Morbus Crohn, Kurzdarmsyndrom, stark Untergewichtigen mit Mukoviszidose, bei Patienten mit chronisch terminaler Niereninsuffizienz unter eiweißarmer Ernährung und bei Patienten mit konsumierenden Erkrankungen sowie medizinisch indizierter Sondennahrung.

In Umsetzung des gesetzgeberischen Auftrags nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V hat der Gemeinsame Bundesausschuss am 15.02.2005 beschlossen, die Ausnahmeindikationen für die Verordnung von Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysaten, Elementardiäten und Sondennahrung in einem neuen Kapitel E Nr. 15 AMR zu regeln (http://www.g-ba.de/downloads/40-268-305/2005-02-15 EE Beschluss WZ.pdf). Nr. 15.2 AMR in der Fassung des Beschlusses vom 15.02.2005 enthält zunächst eine Definition der in § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V genannten Produktgruppen, Nr. 15.3 eine Beschreibung der allgemeinen Gründe für die Verordnungsfähigkeit (Nr. 15.3.1) sowie die - nicht abschließenden - Indikationen mit den in einer Anlage aufgeführten spezifischen Verordnungsvoraussetzungen, Produktgruppen, Applikationswegen und ergänzenden Verordnungshinweisen (Nr. 15.3.2 in Verbindung mit Anlage 7). In den Verordnungsgrundsätzen für seltene und Ausnahmefälle gemäß Nr. 15.3.3 ist geregelt, dass für Indikationen, die wegen ihrer geringen Prävalenz in der ambulanten Versorgung nicht in die - keine abschließende Aufzählung darstellende - Anlage 7 aufgenommen sind, die grundsätzlichen Verordnungsvoraussetzungen nach Nr. 15.2 und 15.4 entsprechend gelten und bei in der Tabelle nicht aufgeführten seltenen Indikationen dort nicht abgebildete klinische Konstellationen der verordnende Arzt die Verordnungsfähigkeit unter Beachtung der allgemeinen Verordnungsgrundsätze der Anlage 7 prüft, wobei der Entscheidung analoge Indikationen zu Grunde gelegt werden können. Dem schließen sich unter Nr. 15.4 auf die Produktspezifikation abstellende Regelungen an. An Stelle der bisherigen Nr. 20.1 Buchst. i AMR sollte ein Verweis auf die dann abschließenden Regelungen des neuen Abschnitts E treten.

Das Bundesministerium für Gesundheit hat den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V beanstandet (dazu Sozialgericht Köln, Urteil vom 21.03.2007, Az. S 19 KA 27/05) und statt dessen mit Wirkung vom 01.10.2005 durch Bekanntmachung vom 25.08.2005 (BAnz. Nr. 165 vom 01.09.2005 S. 13241) im Wege der Ersatzvornahme gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB V eine vom Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses in wesentlichen Punkten abweichende Fassung des Kapitels E Nr. 15 AMR verkündet. Diese sieht neben den Produktgruppendefinitionen für Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung (Nr. 15.2.1 bis 15.2.4 AMR) in Nr. 15.2.5 AMR ergänzend vor, dass Produkte, die nicht den vorgenannten Definitionen entsprechen, zum Beispiel weil sie nur Kohlenhydrate oder Fette enthalten, keine Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung sind; dies gelte jedoch nicht für ergänzende bilanzierte Diäten zur Behandlung von angeborenen, seltenen Defekten im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel und anderen diätpflichtigen Erkrankungen, die unbehandelt zu schwerer geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung führen und bei denen eine diätetische Intervention mit ergänzenden bilanzierten Diäten nach Prüfung des Defekttyps durch den verordnenden Arzt medizinisch notwendig ist. Unter den Produktspezifikationen in Nr. 15.4.3 AMR ist geregelt, dass bei gegebener Indikation die Versorgung mit Elementardiäten und Sondennahrung in Form von norm- oder hochkalorischen Standardprodukten (bilanzierte Diäten) erfolgt; hierzu zählen gegebenenfalls unter Anderem auch niedermolekulare oder speziell mit mittelkettigen Triglyzeriden (MCT-Fette) angereicherte Produkte bei Patientinnen und Patienten mit dokumentierten Fettverwertungsstörungen oder Malassimilitationssyndromen (z. B. Kurzdarmsyndrom, AIDS-assoziierten Diarrhöen, Mukoviszidose) sowie spezielle Produkte für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit seltenen angeborenen Defekten im Kohlehydrat- oder Fettstoffwechsel (je nach Krankheitsbild auch kohlenhydrat- oder fettfreie Einzelsupplemente) sowie für weitere definierte diätpflichtige Erkrankungen. Daneben ist Nr. 20.1 Buchst. i AMR in der bereits vor dem 01.10.2005 geltenden Fassung weiter in Kraft geblieben.

Bei Lorenzos Öl handelt es sich nach den Produktgruppendefinitionen der Arzneimittelrichtlinien weder um eine Aminosäuremischung noch um ein Eiweißhydrolysat im Sinne von Nr. 15.2.1 bzw. Nr. 15.2.2 AMR, weil es nicht aus Aminosäuren oder Proteinkomponenten besteht, ebenso wenig um eine Elementardiät im Sinne von Nr. 15.2.3 AMR, weil es kein als einzige Nahrungsquelle geeignetes Nährstoffgemisch ist, und auch nicht um Sondennahrung im Sinne der Nr. 15.2.4 AMR. Bei Produkten, die keiner dieser Definitionen entsprechen, handelt es sich gemäß Nr. 15.2.5 AMR nicht um Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V.

Soweit Nr. 15.2.3 Satz 3 AMR in der Fassung der Ersatzvornahme des Bundesministeriums für Gesundheit vom 25.08.2005 hiervon eine Ausnahme für bilanzierte Däten anordnet, wenn diese der Behandlung seltener Defekte im Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel dienen, steht dies nicht im Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 31 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V. Das Gesetz knüpft mit den Worten "Aminosäuremischungen", "Eiweißhydrolysate", "Elementardiäten" und "Sondennahrung" an empirische Begriffe an, deren Ausfüllung dem Gemeinsamen Bundesausschuss, ersatzweise dem Bundesministeriums für Gesundheit, nur deskriptiv im Wege der Normkonkretisierung gestattet ist. Eine originäre Regelungsbefugnis auf der untergesetzlichen Ebene steht dem Gemeinsamen Bundesausschuss dagegen nur hinsichtlich der Definition bestimmter, als medizinisch notwendig anerkannter Fälle zu, an die das Gesetz die Gleichstellung der Produkte aus den Produktgruppen nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V mit einem Arzneimittel hinsichtlich der Verordnungsfähigkeit anknüpft. Bei Nr. 15.2.3 Satz 3 AMR handelt es sich jedoch nicht um eine erläuternde Beschreibung der bereits im Gesetz abschließend bestimmten Produktgruppen. Die Norm umschreibt nicht den Gesetzestatbestand, sondern sie korrigiert ihn vielmehr, indem sie die klare begriffliche Beschränkung des Satzes 2 der Nr. 15.2 AMR in Abhängigkeit von der konkreten therapeutischen Bestimmung eines Mittels durchbricht. Der regelnde, statt nur beschreibende, Charakter des Satzes 3 ergibt sich daraus, dass nicht, wie vom Gesetz gefordert, die konkrete Bestimmung eines zu einer Produktgruppe nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V gehörenden Produktes als verordnungsfähig anerkannt wird, sondern dass umgekehrt die Zugehörigkeit eines Produkts zu den im Gesetz genannten zur Produktgruppen als Anknüpfungstatbestand für dessen Verordnungsfähigkeit von seiner therapeutischen Bestimmung abhängig gemacht wird. Dass sich der negativen Formulierung des Nr. 15.2.5 Satz 3 AMR nicht entnehmen, welcher konkreten Produktgruppe nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine ergänzende bilanzierte Diät im Sinne von Nr. 15.2.3 Satz 3 AMR zugeordnet werden soll, bestätigt, dass es sich tatsächlich nicht um eine Konkretisierung des gegenständlichen Anwendungsbereichs des Gesetzes, sondern um dessen Ausdehnung auf weitere, von der gesetzlichen Grundlage nicht umfasste Produkte handelt. Von § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V gedeckt ist damit in gegenständlicher Hinsicht nur der Leistungsumfang wie er in Nr. 15.2 AMR in der vom Bundesministerium für Gesundheit beanstandeten Fassung des Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 15.02.2005 - ohne den im Wege der Ersatzvornahme ergänzten Zusatz nach Nr. 15.2.5 Satz 3 AMR - beschrieben ist.

§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V gilt als Ausnahmeregelung abschließend. Die Einbeziehung weiterer als der darin genannten Lebensmittel in den Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung bedarf jedoch einer ausdrücklichen Regelung durch den Gesetzgeber. Diese fehlt. Da bei diätetischen Lebensmitteln im Gegensatz zu Arzneimitteln die Bestimmung zur - ggf. krankheitsangepassten - Nahrungszufuhr gegenüber der therapeutischen Einwirkung auf Ausprägung und Verlauf einer Krankheit typischerweise Vordergrund steht, gehört die Bereitstellung von Diätetika nicht zum Kernbereich von Gesundheitsleistungen, für den die gesetzliche Krankenversicherung auf Grund ihres sozialstaatlichen Auftrags einzustehen hat. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Krankenkassen den Versicherten Leistungen nur nach Maßgabe des vom Gesetzgeber vorgegebenen Leistungskatalogs zur Verfügung stellen. Die Kassen sind von Verfassungs wegen nicht gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 04.04.2006, Az. B 1 KR 12/04 R).

Daraus folgt zugleich, dass - ungeachtet des ungeklärten Verhältnisses zwischen den Regelungen in Nr. 15 AMR und Nr. 20.1. Buchst. i AMR in der Fassung der Ersatzvornahme durch das Bundesministerium für Gesundheit - Lorenzos Öl dem Kläger auch nicht auf Grundlage der Ausnahmeindikation nach Nr. 20.1. Buchst. i AMR zur Verfügung gestellt werden kann, weil es sich weder um eine Aminosäuremischung noch um ein Eiweißhydrolysat handelt. Auf die Frage, ob das genetisch bedingte Fehlen eines Proteins, das die überlangkettigen gesättigten Fettsäuren an den Ort des Fettsäureabbaus in den Peroxisomen zu transportieren vermag, als "Enzymmangel" im Sinne von Nr. 20.1. Buchst. i AMR bezeichnet werden kann, kommt es damit nicht an.

Nur ergänzend ist noch klarzustellen, dass Lorenzos Öl auch nicht zu den in Nr. 15.4.3 AMR erwähnten mit mittellangkettigen Triglyzeriden (MCT-Fette) angereicherten bilanzierten Diäten für Patienten mit dokumentierten Fettverwertungsstörungen gehört. Aus dem zusammenfassenden Bericht "Enterale Ernährung" des Unterausschusses "Arzneimittel" des Gemeinsamen Bundesausschusses über die systematische Literaturbewertung zur Enteralen Ernährung vom 24.11.2005, welcher der Neufassung des Kapitels E Nr. 15 AMR zu Grunde liegt (http://www.g-ba.de/downloads/40-268-53/2005-11-24-Lit Bewertung EE.pdf, Seite 97 ff.) geht hervor, dass damit Triglyzeride mit Fettsäuren der Kettenlänge C6 bis C12 gemeint sind, die beim Fettsäureabbau in der Leber als Energiequelle zur Verfügung stehen. Die in Lorenzos Öl vor allem enthaltene Öl- und Erucasäure weisen dagegen Kohlenstoffkettenlängen C18 und C22 mit jeweils einer Doppelbindung an 9. bzw. 13. Position auf, woraus im oxidativen Fettsäureabbauzyklus Zwischenprodukte mit einer Doppelbindung an 3. Stelle (statt wie beim Abbau der meisten Fettsäuren an 2. Stelle) entstehen, welche die Synthese überlangkettiger Fettsäuren ohne Doppelbindung kompetitiv verhindern. Dieser Effekt spielt bei den in Nr. 15.4.3 AMR genannten Triglyzeriden keine Rolle. Patienten mit Adrenoleukodystrophie leiden auch nicht an einer generalisierten Fettverwertungsstörung. Die Krankheit betrifft nicht die in den Mitochondrien (statt in den Peroxisomen) erfolgende &946;-Oxidation anderer als der überlangkettigen Fettsäuren.

Es bedarf bei dieser Rechtslage keiner vertieften Erörterung, ob die Nichterwähnung der Adrenoleukodystrophie in den Arzneimittelrichtlinien als Indikation für die Verordnung von Glyceroltrioleat, Glyceroltrierucat und deren Mischungen auf einem Versagen des gesetzlichen Leistungssystems beruht. Anhaltspunkte für ein Systemversagen sind jedenfalls nicht ersichtlich. Ein sog. Seltenheitsfall liegt nicht vor. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Gemeinsame Bundesausschuss, obwohl ihm die zur Beurteilung der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Therapeutikums benötigten Unterlagen vorlagen oder jedenfalls zugänglich gewesen wären, willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen die Behandlung mit Lorenzos Öl nicht in seine Überlegungen einbezogen hätte. Bislang liegen keine für Fachkreise wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss allgemein zugänglichen Veröffentlichungen vor, denen sich valide Aussagen zur Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlung der Adrenomyeloneuropathie mit Lorenzos Öl entnehmen lassen. Dies wäre aber die Mindestvoraussetzung, um überhaupt ein Systemversagen in Betracht zu ziehen.

Wie Chefarzt W. K. auf Seite 53 seines Gutachtens von Februar 2005 (Blatt 128 der Sozialgerichtsakte) ausführt "muss weiterhin deutlich festgestellt werden, dass die methodischen Mängel der bislang publizierten Therapiestudien zwar einerseits aus den genannten Gründen nicht geeignet sind, die Wirksamkeit der Lorenzos Öl-Therapie zu beweisen, andererseits aber genau so wenig als Beleg für deren Unwirksamkeit herangezogen werden können. Auf dem Hintergrund fehlender Kontrollgruppen kann die in einigen Studien dokumentierte Progression der Erkrankung mit gleicher Wahrscheinlichkeit trotzdem einen therapeutischen Vorteil beinhalten im Vergleich zu unbehandelten Patienten." Auf Seite 56 (Blatt 129 R der Sozialgerichtsakte) heißt es "Erneut sei darauf hingewiesen, dass die vorliegenden Studien keine Aussage im Hinblick auf eine Wirksamkeit oder auch Nichtwirksamkeit der Therapie mit Lorenzos Öl bei AMN erlauben." In den von Chefarzt W. K. in seinem Gutachten an gleicher Stelle selbst erstmals dargestellten Ergebnissen der Anwendung von Lorenzos Öl bei den von ihm behandelten Patienten stützt er die Annahme, dass die Einnahme von Lorenzos Öl zu einer Verringerung der Krankheitsprogression führt, auf einen retrospektiven Vergleich mit einem hypothetischen linearen Krankheitsverlauf, den er seinerseits aus Beobachtungen eines anderen Patientenkollektivs in der Studie von van Geel (Ann Neurol 49 [2001] Nr. 2 S. 186 ff.) folgert. Dies wird in der Stellungnahme der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe von Mai 2005 zu Recht wegen der mangelnden Vergleichbarkeit der Patientenkollektive und des Beobachtungszeitraums als methodisch unzulänglich beurteilt. Letztlich kommt es nicht darauf an, ob die von Chefarzt W. K. mitgeteilten Ergebnisse gleichwohl geeignet sind, die Behandlung einer (positiven) Beurteilung durch den Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V zu unterziehen, weil sie nicht in einer vom Bundesausschuss verwertbaren Form den Fachkreisen allgemein zugänglich sind. Schließlich bildet auch die im Juli 2005 veröffentlichte einarmige Studie von Moser et al. (Arch Neurol 62 [2005] S. 1073 ff.) keine ausreichende Beurteilungsgrundlage für den Bundesausschuss, weil sie sich ausschließlich auf die Auswertung der Daten von Kindern beschränkt, die das für das Auftreten der Adrenomyeloneuropathie typische Alter noch nicht erreicht haben und denen wiederum nur eine Vergleichsgruppe aus einer anderen Studie (Bezmann et al., Am J Med Genet 76 [1998] S. 415 ff.) gegenüber gestellt wird. Moser et al. empfehlen wegen des demgegenüber vergleichsweise selteneren Auftretens zerebraler Symptome die präventive Gabe von Lorenzos Öl für symptomfreie männliche Träger des Gendefekts zwischen dem 12. Lebensmonat und dem 7. Lebensjahr. Ungeachtet des für die verschiedenen Verlaufsformen gleichen pathogenetischen Krankheitsmodells ist nicht nachvollziehbar, wie aus der behaupteten Verringerung des Auftretens der juvenilen zerebralen Adrenoleukodystrophie ein valider Schluss auf eine wirksame Prävention und erst recht auf eine Beeinflussung des Verlaufs der bereits symptomatisch gewordenen adulten Adrenomyeloneuropathie ohne zerebrale Beteiligung, die ohnehin nur auf nicht schon an der schweren Jugendform erkrankten Patienten zutreffen kann, gezogen werden soll. Als Beurteilungsgrundlage für den Gemeinsamen Bundesausschuss ist die Studie jedenfalls in Bezug auf die beim Kläger vorliegende Verlaufsform nicht geeignet.

Auf die vom Kläger in seinem Hilfsantrag zur Begutachtung nach § 109 SGG gestellten Beweisfragen kommt es nach alledem nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Abs. 1 SGG. Die Berufung ist gemäß §§ 143, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG kraft Gesetzes zulässig, weil an Hand der Feststellungen in den Gutachten Chefarzt W. K.s und der Sozialmedizinischen Expertengruppe 6 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Westfalen-Lippe die Kosten der beantragten Therapie mit Lorenzos Öl auf ca. 200,00 bis 225,00 EUR je 500 ml zu schätzen sind, was bei einer täglichen Dosis von 70 ml schon pro Monat Kosten von etwa 840,00 bis 945,00 EUR entspricht; zudem ist die Behandlung mit Lorenzos Öl auf lebenslange Dauer angelegt.
Rechtskraft
Aus
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