S 5 U 233/16

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 U 233/16
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Zur ausreichenden Exposition eines Berufsfußballers bei einer Meniskuserkrankung.
I. Unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 07.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2016 wird festgestellt, dass am linken Kniegelenk des Klägers seit dem 27.11.2006 eine Berufskrankheit der Nummer 2102 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung besteht. II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit nach der Nummer 2102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV - im Folgenden: BK 2102).

Der im Jahre 1984 geborene Kläger spielte ab 1996 beim C Fußballclub e.V. Fußball und war ab dem 01.07.2003 bis 2014 Profifußballer bei verschiedenen Vereinen. Nachdem er im Februar 2015 bei der Beklagten beantragt hatte, eine Erkrankung des Innenmeniskus des linken Kniegelenks als BK anzuerkennen, leitete diese ein Feststellungsverfahren zur BK 2102 ein und zog medizinische Befunde und Unterlagen aus einem Verfahren des Klägers beim Landessozialgericht Hamburg bei. Hieraus ergab sich, dass der Kläger im Juni 2004 eine Knieverletzung rechts und am 27.11.2006 eine solche links erlitten hatte. In einer Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition berichtete die Präventionsabteilung der Beklagten am 13.08.2015, dass der Kläger im Zeitraum vom 01.07.2003 bis Juni 2004 596 Stunden die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeit verrichtet habe. Für die Zeit vom 01.07.2003 bis 27.11.2006 sei von 2.003 und für die gesamte Zeit als Profifußballer von 5.710 Stunden auszugehen. 2004 habe weder eine langjährige Belastung vorgelegen noch sei der zu fordernde Belastungsumfang von 3.200 Stunden erfüllt gewesen. Letzteres gelte auch für den Zeitpunkt 27.11.2006. Nach klinischer und röntgenologischer Untersuchung führte der Unfallchirurg und Sportmediziner M ... in einem Gutachten vom 25.01.2016 aus, dass bei dem Kläger am 12.07.2004 ein Lappenriss im Bereich des Innenmeniskushinterhorns rechts aufgetreten sei. Am rechten Kniegelenk sei beim Fußball am 27.11.2006 ein Korbhenkelriss des Innenmeniskus an typischer Stelle aufgetreten sei, der keine traumatische Ursache gehabt habe, sondern auf dem Boden einer fortschreitenden Texturstörung des Innenmeniskus entstanden sei. Es gäbe keinen Zweifel daran, dass es sich in beiden Kniegelenken um primäre Meniskuserkrankungen handele. 2004 habe der Kläger zwar schon viele Jahre lang Fußball gespielt, sei aber erst ab 2003 als Profi unfallversichert gewesen. Der Lappenriss links sei somit nicht auf eine mehrjährige Exposition zurückzuführen. Dieses Kriterium liege aber hinsichtlich der am 27.11.2006 festgestellten Meniskuserkrankung links vor. Eine gesicherte epidemiologische Grundlage, dass erst ab einer Meniskusbelastung in 3.200 Stunden von einer Gefährdung auszugehen sei, sei ihm nicht bekannt. Da der Innenmeniskus betroffen sei, läge ein belastungskonformes Schadensbild vor. Als Folgen der BK bestünden ein Teilverlust des Innenmeniskus sowie eine geringe Bewegungseinschränkung mit Belastungsschmerzen. Auch der von der Beklagten angehörte Staatliche Gewerbearzt DM S ging in einem Gutachten vom 23.03.2016 vom Vorliegen einer BK 2102 aus.

Gleichwohl lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.06.2016 die Anerkennung einer BK 2102 ab. Trainings- und Wettkampfzeiten seien insgesamt zu gering gewesen, um die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung dieser BK zu erfüllen.

Den hiergegen mit Schreiben vom 21.06.2016 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger im Folgenden damit, dass neben den medizinischen auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen vorlägen. Bis zum Auftreten der Meniskopathie links habe er schon mehr als drei Jahre als Profifußballer gespielt. Auf "Vollschichten" könne bei Hochleitungssportarten nicht abgestellt werden. Ein Vollarbeiterrichtwert von 1.600 Stunden im Jahr sei für einen Berufssportler überhaupt nicht erreichbar. Zudem benenne das Merkblatt zur BK 2102 als gefährdete Berufsgruppe ausdrücklich Berufssportler.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.08.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und hielt an ihrer Einschätzung fest.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 31.08.2016 erhobenen Klage, die er mit der Wiederholung seines Vorbringens im Widerspruchsverfahren begründet.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 07.06.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.08.2016 teilweise aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Innenmeniskusschaden in seinem linken Kniegelenk um eine Berufskrankheit der Nummer 2102 und 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung handelt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer Entscheidung fest und glaubt weiterhin, dass die Orientierung am Vollarbeiterrichtwert zur Expositionsermittlung auch bei Berufsfußballern geeignet sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die beigezogen war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da der Sachverhalt geklärt war und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies. Die Beteiligten wurden zu dieser Vorgehensweise angehört.

Die Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig und begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten in seinen Rechten verletzt. Er hat Anspruch auf die Feststellung einer BK 2102 ab dem 27.11.2006.

Ermächtigungsgrundlage für die Bezeichnung von BKen ist § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), das hier gemäß § 212 SGB VII Anwendung findet, weil der Eintritt einer BK für die Zeit nach seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird. Danach sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen. Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingungen zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. z. B. BSG Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 20/2004 R -).

Die BK 2102 hat der Verordnungsgeber in der Anlage zur BKV wie folgt bezeichnet:

"Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten."

Diese Voraussetzungen sind vollständig erfüllt. Insbesondere liegen die arbeitstechnischen Voraussetzungen vor.

Der Tatbestand der BK 2102 definiert die Tatbestandsmerkmale der erforderlichen beruflichen Einwirkungen nicht anhand exakter numerischer Einwirkungsgrößen. Er verwendet stattdessen unbestimmte Rechtsbegriffe wie "mehrjährig" oder "häufig wiederkehrend" (vgl. zu dem insoweit vergleichbaren Problem bei BK 2108 schon: BSG vom 18.11.2008 - B 2 U 14/08 R - UV-Recht Aktuell 2009, 287). Der Umstand, dass Rechtsbegriffe in einer BK-Definition auslegungsbedürftig und -fähig sind, verletzt aber nicht das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot (so schon zur BK 2108: BSG vom 23.3.1999 - B 2 U 12/98 R - BSGE 84, 30 = SozR 3-2200 § 551 Nr. 12). Vielmehr ist es Aufgabe der Versicherungsträger und Gerichte unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien sowie anhand der Vorgaben des vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Merkblatts für die ärztliche Untersuchung zur BK 2102 (BArbBl 2/1990, - im Folgenden: Merkblatt BK 2102), die für diese BK vorausgesetzten beruflichen Einwirkungen näher zu konkretisieren. Solchen Merkblättern kommt zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu (BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 6/04 R - SozR 4-2700 § 9 Nr. 5), sie sind allerdings als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (BSG vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R -).

Die unbestimmten Rechtsbegriffe des BK-Tatbestands der BK 2102 sind so zu verstehen, dass eine versicherte Person zur Erfüllung der Voraussetzungen des Tatbestands der BK 2102 den nachfolgend aufgezeigten beruflichen Einwirkungen ausgesetzt gewesen sein muss:

1. Es müssen die Kniegelenke überdurchschnittlich belastende Tätigkeiten verrichtet worden sein.

Nach dem Merkblatt BK 2102 ist eine überdurchschnittliche Belastung der Kniegelenke biomechanisch gebunden an eine Dauerzwangshaltung, insbesondere bei Belastungen durch Hocken oder Knien bei gleichzeitiger Kraftaufwendung oder häufig wiederkehrender erheblicher Bewegungsbeanspruchung, insbesondere Laufen oder Springen mit häufigen Knick-, Scher- oder Drehbewegungen auf grob unebener Unterlage. Als eine mögliche Gefahrenquelle wird in den Anmerkungen zum Merkblatt ausdrücklich der Beruf eines Dachdeckers benannt.

2. Die die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten müssen mehrjährig andauernd oder häufig wiederkehrend verrichtet worden sein.

Mehrjährig andauernd bedeutet nach dem Wortlaut ein Zeitraum von mindestens zwei Jahren. In der Literatur ist anerkannt, dass eine zweijährige Tätigkeit, die eine ausreichende Belastung im Sinne der BK 2102 darstellt, auch dann gegeben ist, wenn eine derartige Tätigkeit im Verlaufe des Berufslebens insgesamt zwei Jahre mit Unterbrechungen verrichtet wurde und dass Fehlzeiten (Urlaub, Krankheit, Freistellung) nicht abzuziehen sind (Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung [BKV], Stand: 1/2016, M 2102, S. 7). Bei der erforderlichen weiteren Konkretisierung dieser Kriterien ist zu beachten, dass die Einwirkung nicht nur der Art nach, sondern auch nach ihrer Dauer und Intensität zur Verursachung der Erkrankung geeignet gewesen sein muss, wobei insoweit maßgeblich auf den aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand abzustellen ist.

Der aktuelle medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisstand zu der Belastung der Kniegelenke durch die Ausübung der Tätigkeit als Profi-Fußballspieler wurde von dem Sachverständigen M ... in seinem Gutachten vom 25.012.2016 umfassend dargelegt. Dabei hat der Sachverständige auch schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass erhebliche Unterschiede in der Art der Meniskusbelastung zwischen den ebenfalls im Merkblatt zur BK 2102 genannten Untertagearbeitern bzw. Beschäftigten, die in andauernder Hock- und Kauerposition arbeiten müssen und Berufssportlern - insbesondere Fußballern - bestehen. Da es beim Hocken und Kauern zu einer anhaltenden Quetschung des Meniskusgewebes komme, wovon in besonderem Maße das Innenmeniskushinterhorn betroffen sei, könne ausschließlich bei den im Merkblatt zur BK 2102 genannten Berufsgruppen der Bergmänner, Ofenmaurer und Fliesen- oder Parkettleger davon ausgegangen werden, dass sich das Meniskusgewebe erholen könne, wenn die Zwangshaltung des Kniegelenkes zumindest vorübergehend beendet werde. Die von der Beklagten geäußerte Ansicht stünde schon mit dem Wortlaut des Merkblatts zur BK 2102 im Widerspruch, in dem Profi-Fußballspieler ausdrücklich als gefährdete Berufsgruppe genannt würden. Unabhängig davon, dass schon nicht ersichtlich ist, weshalb eine belastende Tätigkeit nur gegeben sein solle, wenn mindestens 1.600 Stunden im Jahr an kniebelastender Tätigkeit angefallen sind, wäre die Erwähnung von Profifußballern als gefährdete Gruppe durch den Verordnungsgeber im Merkblatt zur BK 2102 nicht verständlich, wenn bei ihnen eine zweijährige Tätigkeit nicht ausreichen würde.

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen war der Kläger seit dem 1. Juli 2003 unter professionellen Bedingungen tätig. Damit erfüllt er auch das Kriterium der "Mehrjährigkeit" vor der erstmaligen Manifestation eines Meniskusschadens im linken Kniegelenk im November 2006, so dass insgesamt die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2102 erfüllt sind.

Nach dem Begutachtungsergebnis bestehen auch keine Zweifel daran, das bei dem Kläger ein Meniskusschaden im Sinne der BK 2102 vorliegt, welcher ursächlich auf seine Belastung im Rahmen der bei der Beklagten versicherten Tätigkeit als Lizenzfußballspieler zurückzuführen ist.

Da es für die Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Belastung aufgrund der versicherten Tätigkeiten und dem Eintritt der zur Entschädigung berechtigenden Gesundheitsstörung ausreichend ist, dass die berufliche Belastung zumindest eine rechtlich wesentliche Teilursache im vorgenannten Sinn darstellt, steht dem Anspruch des Klägers auch nicht entgegen, dass dieser bei der Aufnahme des Fußballsports im Alter von sechs Jahren und nach Durchlaufen aller Jugendmannschaften bis zum Übergang in den Lizenzspielerkader bereits ein vorgeschädigtes Meniskusgewebe aufgewiesen haben dürfte. Unerheblich ist insoweit auch die vom Gutachter erwähnte leichte O-Verformung der Beinachse.

Im Ergebnis liegen damit sämtliche Voraussetzungen einer BK 2102 vor, wobei der Versicherungsfall durch die Diagnose einer Meniskuserkrankung des linken Kniegelenks am 27.11.2006 markiert wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG
Rechtskraft
Aus
Saved