S 25 KR 293/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 25 KR 293/14
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei Statusentscheidungen, insbesondere bei der Entscheidung über das Bestehen einer Familienversicherung, ist eine vorausschauende Betrachtungsweise angezeigt. Dies erfordert eine Prognose unter Einbeziehung der mit hinreichender Sicherheit zu erwartenden Veränderungen.

2. Maßgebend für die Prognose ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren.

3. Dies gilt auch für rückwirkende Entscheidungen. Auch dann bestand rückblickend nur für solche Zeiträume keine Familienversicherung, zu deren Beginn bereits absehbar war, dass die insoweit geltenden Voraussetzungen nicht mehr erfüllt würden (BSG, Urteil vom 07.12.2000, Az. B 10 KR 3/99 R).

4. Für die anzustellende Prognose ist grundsätzlich auf den letzten Einkommenssteuerbescheid abzustellen, wobei zu erwartende Änderungen zu berücksichtigen sind.
I. Es wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.04.2014 festgestellt, dass die Beigeladenen zu 1., zu 2. und zu 3. in dem Zeitraum vom 01.11.2012 bis 31.01.2014 über die Klägerin familienversichert waren. II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über das Bestehen einer Familienversicherung der Beigeladenen.

Die Klägerin ist bei der Beklagten freiwillig versichert. Ihr Ehemann, Herr Michael A ..., ist privat krankenversichert. Die Beigeladenen sind die drei leiblichen Kinder des Ehepaars.

Herr A ... war von 1998 bis 2010 Inhaber und Geschäftsführer einer mittelständigen Elektronik -Firma. Im Juni 2010 meldete er mit seiner Firma Insolvenz an. Von September 2010 bis Ende 2011 war er im Rahmen eines Honorarvertrages als selbständiger Berater und Handelsvertreter für eine französische Firma, die Teile seines vormaligen Unternehmens aufgekauft hatte, tätig. Ende 2011 wurde der Vertrag mit der französischen Firma beendet. Danach war Herr A ... nach eigener Angabe als Handelsvertreter und Technologieberater tätig.

Mit Eingang vom 18.04.2011 legte die Klägerin auf Anforderung der Beklagten eine Bestätigung des Finanzamtes A ... vom 13.04.2011 vor. In dieser Bestätigung teilte das Finanzamt mit, dass Herr A ... die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit ab dem 01.09.2010 dem Finanzamt angezeigt habe. Das Finanzamt habe keine Einkommenssteuervorauszahlung festgesetzt. Ferner wird mitgeteilt, dass der voraussichtliche Gewinn für den Zeitraum vom 01.09.2010 bis 31.12.2010 aus der Tätigkeit als "Beratung und Vertrieb im Bereich digitaler Rundfunk, IT-Beratung mit 15.000,00 EUR" betrage.

Mit Schreiben vom 13.05.2011 teilte die Beklagte der Klägerin wörtlich Folgendes mit: "Vielen Dank für die Zusendung der Unterlagen zur Familienversicherung. Die kostenfreie Familienversicherung ihrer Kinder und ist gem. den gesetzlichen Bestimmungen möglich, wenn das Gesamteinkommen ihres Ehepartners 44.550,00 EUR im Jahr nicht übersteigt. Nach Prüfung der Einkommensunterlagen wird die Familienversicherung für ihre Kinder und ab dem 01.01.2010 durchgeführt. Bitte beachten Sie, dass der Anspruch auf die Familienversicherung bei einem höheren Einkommen mit dem Datum der Ausstellung des Einkommenssteuerbescheides bzw. der Einkommensänderung, also auch rückwirkend, entfallen kann. Legen Sie mir deshalb bitte den erwarteten Steuerbescheid des Jahres 2010 nach Erhalt vor, damit eine korrekte Beurteilung der Familienversicherung möglich ist und ihnen keine Nachteile entstehen. Im Juni 2012 übersandte die Klägerin der Beklagten als Einkommensnachweis eine Einnahmenüberschussrechnung ihres Ehemannes aus der sich für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 30.04.2012 Betriebseinnahmen in Höhe von 16.037,42 EUR und Betriebsausgaben in Höhe von 3.879,01 EUR ergaben. Die Beklagte teilte daraufhin der Klägerin mit Scheiben vom 05.06.2012 mit, dass nach Prüfung der Einkommensunterlagen die Familienversicherung für die Kinder der Klägerin weitergeführt werde. Im Übrigen wird auf das Schreiben vom 05.06.2012, das die gleichen Zusätze enthält, wie das Schreiben vom 13.05.2011, Bezug genommen (vgl. Bl. 7 der Verwaltungsakte).

Unter dem 17.06.2013 übersandte die Klägerin im Rahmen der jährlichen Einkommensüberprüfung in der Familienversicherung den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2010 mit Datum vom 16.03.2012, aus dem sich für den Ehemann der Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 12.579,00 EUR für das Jahr 2010 ergeben. Ferner übersandte sie den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2011 vom 17.10.2012, aus dem sich für den Ehemann der Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 56.344,00 EUR ergeben. Ferner übersandte die Klägerin die Anlage G zu der Einkommenssteuererklärung für das Jahr 2012, in dem der Gewinn aus Gewerbebetrieb für das Jahr 2012 mit 25.294,00 EUR und ein Veräußerungsverlust nach § 15 EStG mit 188.064,00 EUR beziffert wurde. In dem die Übersendung der Unterlagen begleitenden Schreiben vom 17.06.2013 teilte der Ehemann der Klägerin mit, dass der Steuerbescheid für das Jahr 2011 noch vorläufig sei, da sein Steuerberater Einspruch wegen der Nichtberücksichtigung von Verlusten aus der Insolvenz seiner Firma im Jahr 2010 erhoben habe. Aus der Steuererklärung könne die Beklagte entnehmen, dass die Einnahmen im Jahr 2012 bedeutend niedriger gewesen seien als 2011 und 2010. Auch für das laufende Jahr sei keine positive Entwicklung absehbar. Er erläuterte, dass er bis Mitte 2010 Gesellschafter Geschäftsführer der VAD GmbH, die im Juni 2010 Insolvenz habe anmelden müssen, gewesen sei und danach bis Ende 2011 als selbständiger Berater für eine aus der Insolvenzmasse mit neuen Gesellschaftern neu gegründete Firm gearbeitet und in dieser Zeit noch recht gut verdient habe. Nach Auslaufen dieses Vertrages habe er als selbständiger Handelsvertreter bis auf weiteres nur noch ein sehr geringes, unregelmäßiges und schwer vorhersagbares Einkommen.

Mit Bescheid vom 21.06.2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Familienversicherung der Beigeladenen am 31.10.2012 ende. Das Gesamteinkommen ihres privat krankenversicherten Ehegatten habe nach dem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2011 vom 17.10.2012 über der Jahresarbeitsentgeltgrenze gelegen, so dass die Familienversicherung der Beigeladenen zum Ende des Monats der Ausstellung des Steuerbescheides beendet werden müsse.

Mit ihrem unter dem 03.07.2013 eingelegten Widerspruch wies die Klägerin zum einen darauf hin, dass sie weder im Jahr 2010 noch im Jahr 2012 die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten habe. Darüber hinaus solle die Beklagte in Rechnung stellen, dass der Steuerbescheid für das Jahr 2011 vorläufig sei. Gegen den Bescheid laufe ein Einspruch, weil das Finanzamt die aus der Insolvenz der Firma entstandenen Verluste von rund 188.064,00 EUR nicht für das Jahr 2011 anerkannt habe. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin den veränderten Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2011 vom 08.01.2014 vor, aus dem sich wiederum Einkünfte aus Gewerbebetrieb für ihren Ehemann in Höhe von 56.344,00 EUR ergaben. Ferner legte sie den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2012 vom 08.01.2014 vor, aus dem sich Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 26.358,00 EUR und ein Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von –86.273,00 EUR ergaben.

Mit Bescheid vom 03.02.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie die Familienversicherung für die Beigeladenen ab dem 01.02.2014 wieder durchführen könne, da der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2012 für ihren Ehemann ein Gesamteinkommen ausweise, welches unter der Einkommensgrenze liege.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2014 wies die Beklagte den Widerspruch mit Hinweis auf die Vorschriften des § 10 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und § 16 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) zurück. Ausweislich des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2011 habe der Ehemann ein Gesamteinkommen erzielt, das die Jahresarbeitsentgeltgrenzen für die Jahre 2012 und 2013 übersteige.

Mit der am 12.05.2014 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Aufhebung des Bescheides vom 21.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2014 festzustellen, dass die Beigeladenen zu 1., zu 2. und zu 3. in dem Zeitraum vom 01.11.2012 bis zum 31.01.2014 über die Klägerin familienversichert waren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid ergänzend verweist sie auf den Inhalt der Entscheidungen des LSG Bayern vom 08.02.2007 (Az. L 4 KR 50/05) und des LSG Baden Württemberg vom 14.02.2012 (Az. L 11 KR 4779/10).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungs- und Feststellungsklage ist begründet.

In dem Zeitraum vom 01.11.2012 bis zum 31.01.2014 bestand für die Beigeladenen eine Familienversicherung über die Klägerin.

Das Bestehen der Familienversicherung wurde bereits durch Bescheid vom 05.06.2012 durch die Beklagte festgestellt. Dieser Bescheid wurde in der Folge auch nicht wieder aufgehoben. Bei dem Schreiben vom 05.06.2012 handelt es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Ob ein Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorliegt, insbesondere ob die Erklärung den maßgeblichen Regelungswillen enthält, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei kommt es nicht darauf an, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist. Maßgeblich ist vielmehr in Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze der objektive Sinngehalt ihrer Erklärung, d. h. wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste (vgl. Engelmann in von Wulffen/Schütze § 31 SGB X, Rdnr. 24 f). Die gebotene Auslegung ergibt, dass der Empfänger des Schreibens vom 05.06.2012 dieses nicht nur als bloßen Hinweis auf das Bestehen einer Familienversicherung verstehen konnte. Es geht über den Inhalt eines reinen Begrüßungsschreibens, bei dem es sich nach der Rechtsprechung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, hinaus. Die Beklagte vermittelt nämlich mit dem Schreiben vom 05.06.2012 vielmehr den Eindruck, dass das Weiterführen der Familienversicherung von ihrer Überprüfung der von ihr angeforderten Unterlagen abhängig ist ("Nach Prüfung der Einkommensunterlagen wird die Familienversicherung für Ihre Kinder , und weitergeführt.").

Wurde das Bestehen der Familienversicherung durch Bescheid festgestellt, kann diese nur durch eine Aufhebungsentscheidung auf der Grundlage der §§ 44ff (insbesondere zum §§ 45 und 48 Abs. 1 SGB X) beendet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.12.2000, Az. B 10 KR 3/99 R, juris, Rdnr. 33ff).

Der Bescheid vom 05.06.2012 wurde nicht wirksam aufgehoben. Er enthält bereits der keine wirksame Aufhebungsentscheidung. Dem Bescheid vom 21.06.2013 ist auch keine konkludente Aufhebung des Bescheides vom 05.06.2012 zu entnehmen. Eine konkludente Entscheidung kann nämlich nur dann angenommen werden, wenn aus dem Bescheid ansonsten ersichtlich ist, dass sich die Behörde eine vorangegangene Entscheidung aufheben oder abändern will. Dies kann dem Bescheid vom 21.06.2013 nicht entnommen werden. Die Beklagte setzt sich auch weder in dem Bescheid vom 21.06.2013 noch in dem Widerspruchsbescheid vom 11.04.2014 mit den Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X auseinander, was auch dafür spricht, dass sie keine Aufhebungsentscheidung treffen wollte.

Im Übrigen wäre auch bei Annahme einer konkludenten Aufhebungsentscheidung diese als rechtswidrig anzusehen. Da die Beklagte mit der Vorlage des Einkommenssteuerbescheids für das Jahr 2011 von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach Erlass des Bescheides vom 05.06.2012 ausgeht, ist die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheides ab 01.11.2012 in § 48 Abs. 1 SGB X zu sehen. Danach setzt die Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung zunächst voraus, dass eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten ist eine wesentliche Änderung nicht durch Erlass des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2011 am 17.10.2012 eingetreten. Gem. § 10 Abs. 3 SGB V sind Kinder nicht familienversichert, wenn der mit den Kindern verwandte Ehegatte oder Lebenspartner des Mitglieds nicht Mitglied einer Krankenkasse ist und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat 1/12 der Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteigt und regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitglieds ist. Bei Statusentscheidungen im Versicherungsrecht und insbesondere bei der Feststellung des Bestehens einer Familienversicherung ist grundsätzlich eine vorausschauende Betrachtungsweise angezeigt. Dies erfordert eine Prognose unter Einbeziehung der mit hinreichender Sicherheit zu erwartenden Veränderungen. Das hierbei gewonnene Ergebnis bleibt dann auch verbindlich, wenn die Entwicklung später anders verläuft als angenommen. Die Änderung kann jedoch Anlass für eine neue Prüfung und wiederum vorausschauende Beurteilung sein. Dies gilt auch für rückwirkende Entscheidungen. Auch dann bestand - rückblickend - nur für solche Zeiträume keine Familienversicherung, zu deren Beginn - ggf. anhand der durchschnittlichen Verhältnisse der vergangenen Zeit - bereits absehbar war, dass die insoweit geltenden Voraussetzungen nicht mehr erfüllt würden (BSG, Urteil vom 07.12.2000, Az. B 10 KR 3/99 R, juris, Rdnr. 29f). Für das vorliegende Verfahren käme es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mithin darauf an, ob zum 01.11.2012 bereits absehbar war, dass die Voraussetzungen der Familienversicherung nicht mehr erfüllt sein würden. Dies ist nach Ansicht der Kammer nicht der Fall. § 10 Abs. 3 SGB V verweist mit dem Begriff des "Gesamteinkommens" auf die Vorschrift des § 16 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach ist das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuerrechts; es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen. Gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist das Arbeitseinkommen der nach den Allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommenssteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Grundsätzlich besteht zwischen dem Einkommensbegriff des SGB IV eine Parallelität mit dem Einkommenssteuerrecht, so dass der Gewinn aus dem Einkommenssteuerbescheid entnommen werden kann. Ein praktisches Problem ergibt sich für die Sozialversicherungsträger daraus, dass die Gewinnermittlungen auf das jeweilige Kalenderjahr bzw. Wirtschaftsjahr als Besteuerungszeitraum abstellt. Selbständig Erwerbstätige erhalten in der Regel ihre Bescheide erst Monate und Jahre nach Ablauf des Besteuerungszeitraums. Es ist zwar grundsätzlich auf den letzten Einkommenssteuerbescheid abzustellen, wobei allerdings zu erwartende Änderungen (z. B. Verbesserung oder Verschlechterung der Geschäftslage, des Geschäftsumfangs etc.) zu berücksichtigen sind. Bei Änderungen der Umstände, die im Rahmen der Schätzung berücksichtigt wurden, ist mit Wirkung für die Zukunft eine neue Schätzung vorzunehmen (vgl. Fischer in Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB IV, § 15 Rdnr. 54f). Dabei eröffnet die Prognoseentscheidung einen Spielraum nur, wenn ein Festhalten an den für einen zurückliegenden Zeitraum getroffenen Feststellung mit Blick auf die aktuellen Gegebenheiten für den Versicherten nicht tragbar ist (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 57). Für das vorliegende Verfahren ergibt sich Folgendes: Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, der nach § 10 Abs. 3 SGB V anzustellenden Prognose des Gesamteinkommens den aktuellsten Einkommenssteuerbescheid zugrunde zu legen. Dies gilt jedoch nur dann, wenn sich in Art und Umfang der Geschäftstätigkeit keine wesentlichen Änderungen ergeben haben. Denn nur in diesem Fall kann aus einem zurückliegenden Zeitraum der Fortbestand dieses Einkommens gefolgert werden. Ändert sich jedoch die Geschäftstätigkeit in relevantem Maße, so kann der Einkommenssteuerbescheid der Vergangenheit nicht mehr einer zuverlässigen Prognose für das zukünftig anzunehmende Einkommen zugrunde gelegt werden. Eine solche Fallgestaltung ist vorliegend gegeben. Die Geschäftstätigkeit des Ehemanns der Klägerin hat sich zum 01.01.2012 wesentlich verändert. Von September 2010 bis zum Ende des Jahres 2011 bezog der Ehemann der Klägerin als selbständiger Handelsvertreter und Berater für einen begrenzten Zeitraum Einkünfte aus einem Honorarvertrag für eine französische Firma, die Teile seines vormaligen Unternehmens aufgekauft hatte. Dieser Honorarvertrag wurde jedoch zum 31.12.2011 beendet, so dass sich eine wesentliche Änderung in der Geschäftstätigkeit des Ehemanns der Klägerin ergeben hat. Diese Besonderheit hatte die Klägerin bereits mit Übersendung der Unterlagen zur jährlichen Einkommensabfrage bereits im Juni 2012 mitgeteilt. Darüber hinaus hatte sie eine Einnahmen-Überschussrechnung für den Zeitraum 01.01.2012 bis 30.04.2012 übersandt, aus der sich Einkünfte in Höhe von 16.037,42 EUR und Betriebsausgaben in Höhe von 3.879,01 EUR und damit ein Gewinn in Höhe von monatlich 3.039,60 EUR (12.158,41 EUR geteilt durch vier Monate) ergaben.

Da sich die Geschäftstätigkeit und die Einkünfte von Herrn A ... zum 01.01.2012 wesentlich geändert hatten, durfte die Beklagte aus dem in dem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2011 genannten Einkünften nicht auf die Höhe des Einkommens ab dem 01.11.2012 schließen. Sie hätte vielmehr bei der Klägerin bzw. ihrem Ehemann Auskünfte über seine aktuelle Einkommenssituation einholen müssen. Maßgebend ist dabei nach allgemeinen Grundsätzen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im Widerspruchsverfahren. (Fischer, a.a.O., Rdnr. 56). Zum Zeitpunkt des Erlass des Widerspruchsbescheides am 11.04.2014 lag jedoch bereits der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2012 vom 08.01.2014 vor, aus dem sich Einkünfte weit unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze ergaben. Die Beklagte hätte daher spätestens bei Erlass des Widerspruchsbescheides als letzter Verwaltungsentscheidung die in dem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2012 ausgewiesenen Einkünfte ihrer Entscheidung zugrunde legen müssen. Zu diesem Zeitpunkt stellte dieser Bescheid die zuverlässigste Prognosegrundlage für das Einkommen für das Jahr 2012 dar. Da sich die Voraussetzungen für das Vorliegen der Familienversicherung zum 01.11.2012 nicht verändert hatten, war auch für den streitgegenständlichen Zeitraum das Bestehen der Familienversicherung festzustellen. Die Kammer brauchte daher nicht darüber zu entscheiden, ob die übrigen Voraussetzungen des § 48 SGB X vorlagen.

Es ist auch nicht zulässig, die Grundsätze der Beitragsbemessung für hauptberuflich Selbständige gem. § 240 Abs. 4 Satz 2 bis 6 SGB V i. V. m. den auf der Grundlage des § 240 Abs. 1 Satz 1 erlassenen Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BVGS)und der hierzu ergangenen Rechtsprechung (z. B. BSG, Urteil vom 02.09.2009, Az. B 12 KR 21/08 R, juris) auf die Ermittlung des Gesamteinkommens in § 10 Abs. 3 SGB V zu übertragen. Danach gilt bei hauptberuflich Selbständigen als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, bei Nachweis niedrigerer Einnahmen erfolgt die einkommensgerechte Bemessung nach Maßgabe der § 240 Abs. 4 Satz 2 bis 6 SGB V i. V. mit den BVGS. Danach ist grundsätzlich der aktuellste Einkommenssteuerbescheid zugrunde zulegen. Die Regelungen des § 240 Abs. 4 Satz 2 bis 6 SGB V knüpfen zum einen an einen zu erbringenden Nachweis an, zum anderen ist in § 240 Abs. 4 Satz 2 bis 6 SGB V bzw. in § 6 Abs. 5 BVGS eine Beitragsbemessung auf der Grundlage eines fiktiven Einkommens geregelt. Dagegen knüpft § 10 Abs. 3 SGB V weder an die Vorlage eines Nachweises an, noch wird ein fiktives Einkommen angenommen. Darüber hinaus geht es bei § 240 Abs. 4 Satz 2 bis 6 SGB V um die Bemessung der Höhe von Beiträgen im Rahmen einer bestehenden Versicherung, während es bei § 10 Abs. 3 SGB V um den Status und damit um das Bestehen der Versicherung selber geht. Aufgrund der Unterschiede in den genannten Regelungen ist eine Übertragung der Grundsätze der Beitragsbemessung für hauptberuflich Selbständige nicht auf die Einkommensermittlung nach § 10 Abs. 3 SGB V übertragbar.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus den beiden von der Beklagten zitierten Entscheidungen. Die Entscheidung des LSG Baden Württemberg vom 14.02.2012 (Az. L 11 KR 4779/10) lässt sich nicht zu Gunsten der Beklagen auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen. Das LSG Baden Württemberg wendet sich nämlich gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der vorausschauenden Betrachtungsweise und vertritt die Ansicht, dass rückwirkend jeweils der Einkommenssteuerbescheid für das jeweilige Jahr zugrunde zu legen ist. Nach Ansicht des LSG Baden Württemberg wäre also im vorliegenden Fall für das Jahr 2012 auf den Einkommenssteuerbescheid des Jahres 2012 abzustellen, was ebenfalls dazu führen würde, dass die Familienversicherung im streitgegenständlichen Zeitraum fortbestehen würde. Auch aus der Entscheidung des LSG Bayern vom 08.07.2007 (Az. L 4 KR 50/05) folgt kein anderes Ergebnis. Das LSG Bayern folgt ausdrücklich der vorausschauenden Betrachtungsweise des Bundessozialgerichts und hält die Prognose auf der Grundlage des aktuellsten Einkommenssteuerbescheides grundsätzlich für zulässig. Mit der Frage wie im Falle einer Änderung der selbständigen Tätigkeit zu entscheiden ist, setzt sich das LSG Bayern nicht auseinander.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Rechtskraft
Aus
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