Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AS 914/18 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der Vorschrift des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II nicht unterworfen sind Personen, die keine Versicherungszeiten nach dem SGB III zurückgelegt haben und auch sonst aktuell nicht in das SGB III-Versicherungssystem eingebunden sind.
2. Auf Grund der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 Satz 1 SGB X) besteht grundsätzlich das Recht der Beteiligten, sich mündlich an die Behörde zu wenden. Wenn ein Leistungsempfänger auf die schriftliche Anhörung zu einer Sanktion schriftlich um die Ermöglichung einer mündlichen Äußerung zu dem Vorwurf bittet,
darf die Behörde die Sanktion nicht ohne weiteres erlassen, sondern ist zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs des Leistungsempfängers verpflichtet, diesem die gewünschte mündliche Anhörung zu ermöglichen und ihm einen Termin hierfür vorzuschlagen.
2. Auf Grund der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 Satz 1 SGB X) besteht grundsätzlich das Recht der Beteiligten, sich mündlich an die Behörde zu wenden. Wenn ein Leistungsempfänger auf die schriftliche Anhörung zu einer Sanktion schriftlich um die Ermöglichung einer mündlichen Äußerung zu dem Vorwurf bittet,
darf die Behörde die Sanktion nicht ohne weiteres erlassen, sondern ist zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs des Leistungsempfängers verpflichtet, diesem die gewünschte mündliche Anhörung zu ermöglichen und ihm einen Termin hierfür vorzuschlagen.
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 5. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2018 wird angeordnet. II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe:
I. Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Verhängung einer Sanktion im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 31. Mai 2018.
Der 1980 geborene Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II vom Antragsgegner. Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 18. Oktober 2017 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10. Oktober 2017 für November 2017 733,40 EUR, für Dezember 2017 747 EUR und für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2018 monatlich 761 EUR. Am 13. Oktober 2017 schloss der Antragsteller mit der Firma F. W. GmbH einen unbefristeten Arbeitsvertrag ab 16. Oktober 2017. Er erhielt den Einsatzauftrag, am 16. Oktober 2017 um 8:00 Uhr die Tätigkeit im W. Fachmarkt für R. in Dresden aufzunehmen. Der Antragsteller erschien nicht zur Arbeit. Die Arbeitgeberin teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 16. Oktober 2017 mit, dass deswegen der Arbeitsvertrag nicht zustande gekommen sei, und kündigte diesen fristlos. Mit Änderungsbescheid vom 25. November 2017 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für den Zeitraum Januar bis Oktober 2018 monatlich 768 EUR. Mit Schreiben vom 6. November 2017 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zum möglichen Eintritt einer Sanktion an. Der Antragsteller erklärte mit Schreiben vom "27. Oktober 2017", der Arbeitgeber hätte ihn am 16. Oktober 2017 nur einmal angerufen und nicht öfters. Zu dem Vorwurf wolle er sich gerne mündlich äußern. Mit Bescheid vom 5. Februar 2018 stellte der Antragsgegner für die Zeit vom 1. März 2018 bis 31. Mai 2018 den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II fest. Das Arbeitslosengeld II mindere sich um 768 EUR monatlich. Mit Bescheid vom 6. Februar 2018 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 25. November 2017 auf und bewilligte für Januar und Februar sowie Juni bis Oktober 2018 monatlich 808 EUR und für März bis Mai 2018 0 EUR. Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 22. Februar 2018 Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. Februar 2018, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2018 zurückwies. Am 9. März 2018 hat der Antragsteller Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Dresden gestellt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, den Arbeitsvertrag habe er unmittelbar nach dem Bewerbungsgespräch am Freitag, 13. Oktober 2017 abgeschlossen. Da er über kein Bargeld mehr verfügt habe, wollte er am Freitag in Dresden am Hauptbahnhof mit der EC-Karte Geld abheben. Die EC-Karte sei vom Auto-maten eingezogen worden. Weder am Freitag noch am Wochenende habe er das Problem mit der Sparkasse lösen können. Am Montag habe er zunächst den Arbeitgeber angerufen und die missliche Lage geschildert. Der Arbeitgeber habe ihn an das Jobcenter verwiesen. Bei dem Antragsgegner habe er daraufhin telefonisch Leistungen aus dem Vermittlungsbudget beantragt. Seine Hausbank habe ihm mitgeteilt, dass das Konto leer sei. Er habe kein Geld ausgezahlt bekommen.
Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 22. Februar 2018 gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 5. Februar 2018 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller habe auf die Anhörung nicht geantwortet. Die Angaben des Antragstellers widersprächen den Angaben des Arbeitgebers. Dieser habe mitgeteilt, dass der Antragsteller sich nicht entschuldigt habe. Der Antragsteller habe durch sein Verhalten die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung verhindert. Die angegebenen Gründe seien keine wichtigen Gründe. Der Antragsteller habe bereits Anlass für eine Sanktion vom 1. Oktober 2016 bis 31. Dezember 2016 und vom 1. Juni 2017 bis 31. Au-gust 2017 gegeben. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 15. März 2018 hat der Antragsteller am 15. März 2018 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (Az.: S 20 AS 1013/18). Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II. Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist begründet.
1. Der Antrag ist als Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zulässig und begründet. Nach dieser Vorschrift können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Klage gegen den Bescheid vom 5. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2018 hat gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Anfechtenden, den Vollzug des angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen (privates Aussetzungsinteresse), gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Sofortvollzug (öffentliches Vollzugsinteresse) überwiegt. Die danach nötige Abwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse und dem öffentlichen Vollzugsinteresse hat sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, weil am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides in der Regel kein öffentliches Interesse besteht, während bei einem rechtmäßigen Bescheid das öffentliche Interesse angesichts der gesetzlich angeordneten, sofortigen Vollziehbarkeit in der Regel vorrangig ist. Daneben sind aber auch alle sonstigen Umstände des Einzelfalls, die für und gegen die sofortige Vollziehbarkeit sprechen, ge-geneinander abzuwägen, insbesondere das besondere Vollzugsinteresse im Einzelfall, der Umfang der drohenden Rechtsbeeinträchtigung und die Folgen, die der Sofortvollzug eines rechtswidrigen Bescheides einerseits und das Aussetzen des Sofortvollzugs eines rechtmäßigen Bescheides andererseits mit sich bringen würde. Je geringer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso gewichtiger müssen die sonstigen, gegen den Sofortvollzug sprechenden Umstände sein. Der Bescheid vom 5. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2018 ist nach summarischer Prüfung rechtswidrig, so dass das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung dieses Bescheides gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers insbesondere im Hinblick auf dessen betroffenes Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zurück tritt.
a) Die Sanktion durch den Antragsgegner beruht offenbar auf § 31 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II und lässt das Arbeitslosengeld II des Antragstellers für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 31. Mai 2018 vollständig entfallen. Zwar benennt der Sanktionsbescheid vom 5. Februar 2018 keine Rechtsgrundlage, auf die die Minderung gestützt wird. Allerdings ist der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2018 zu entnehmen, dass wohl § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II als Rechtsgrundlage für die Sanktion angesehen wird (S. 7, drittletzter Absatz des Widerspruchsbescheides). Nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II ist eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auch anzunehmen, wenn sie die im SGB III genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen. Die vom Antragsgegner herangezogene Rechtsgrundlage ist bereits dem Grunde nach im Falle des Antragstellers nicht anwendbar. Denn nach der Rechtsprechung des BSG ist der Grundsicherungsträger nicht berechtigt, Arbeitslosengeld II wegen des Vorliegens der Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit abzusenken, wenn das dem Hilfebedürftigen abverlangte Verhalten bereits in § 31 Abs. 1 SGB II geregelt ist und keine Beziehung des Hilfebedürftigen zum Rechtskreis des SGB III vorliegt (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 20/09 R –, BSGE 105, 194-201). Die Regelung des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II stellt einen systematischen Fremdkörper mit unklarer Funktion innerhalb des § 31 SGB II dar. Dieser Vorschrift nicht unterworfen sind Personen, die keine Versicherungs-zeiten nach dem SGB III zurückgelegt haben und auch sonst aktuell nicht in das SGB III-Versicherungssystem eingebunden sind (Berlit, in: Münder, SGB II, 6. Auflage, § 31 Rn. 103, 104). Nach den dem Gericht vorgelegten Akten ist keinerlei Bezug des Antragstellers zum dem SGB III-Versicherungssystem erkennbar. Als Rechtsgrundlage für die vorlie-gende Sanktion wäre daher allenfalls § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Betracht gekommen, was allerdings offenbar an der nach dieser Vorschrift erforderlichen schriftlichen Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis durch den Antragsteller scheiterte. Unter diesen Voraussetzungen sind bereits die rechtlichen Voraussetzungen für eine Sanktion nach § 31 SGB II nicht gegeben.
b) Ferner bestehen Zweifel, ob die Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II vor-liegen. Dies ist nur dann der Fall, wenn der einschlägigen Pflichtverletzung mindestens zwei Pflichtverletzungen im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB II vorausgegangen sind, die rechtmäßig sanktioniert worden sind. Ob dies der Fall ist, lässt sich anhand der vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsakten nicht beurteilen, da diese nur Zeiträume ab März 2017 umfassen und jedenfalls die erste Sanktionierung bereits im Jahr 2016 erfolgt war.
c) Schließlich hat der Antragsgegner das gemäß § 24 SGB X erforderliche Anhörungsver-fahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Nach dieser Vorschrift ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Zwar hat der Antragsgegner dem Antragsteller diese Möglichkeit mit Schreiben vom 6. November 2017 eröffnet. Allerdings hat er offenbar übersehen, dass der Antragsteller sich mit Schreiben vom "27. Oktober 2017" (e-Akte Sanktionen, S. 64, Eingang: 19. Dezember 2017) geäußert hat und insbesondere den Wunsch zum Ausdruck gebracht hat, sich zu dem Vorwurf mündlich zu äußern. Hierauf hat der Antragsgegner nicht reagiert. Vielmehr führt er im Widerspruchsbescheid vom 15. März 2018 auf S. 5 unzutreffend aus, der Antragsteller habe auf die Anhörung vom 6. November 2017 nicht geantwortet. Wenn auch die Antwort vom "27. Oktober 2017" wenig Substantielles zum Sachverhalt enthält, ist ihr doch ein-deutig der Wunsch nach einer mündlichen Anhörung zu entnehmen. Unter diesen Umständen durfte der Antragsgegner die Sanktion nicht ohne weiteres erlassen, sondern war zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers verpflichtet, diesem die gewünschte mündliche Anhörung zu ermöglichen und ihm einen Termin hierfür vorzuschlagen. Denn auf Grund der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 Satz 1 SGB X) besteht grundsätzlich das Recht der Beteiligten, sich mündlich an die Behörde zu wenden (Roller, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 9 Rn. 4).
d) Insofern kann offen bleiben, ob der Vortrag des Antragstellers zu den Geschehnissen am 13. und 16. Oktober 2017, der insgesamt reichlich konstruiert erscheint, trotz der Vor-lage einer eidesstattlichen Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht ist. Nach summarischer Prüfung des Sachverhalts überwiegt nämlich das private Interesse des Antragstellers, den Vollzug des angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Sofortvollzug. In diesem Zusammenhang war auch zu berücksichtigten, dass im Hinblick auf die grundlegenden Bedenken, ob § 31 i. V. m. §§ 31a, 31b SGB II wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsgebot, Art. 20 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist, wovon die Kammer überzeugt ist (vgl. im Einzelnen SG Gotha, Vorlagebeschluss vom 2. August 2016 – S 15 AS 5157/14 –, Az. des BVerfG: 1 BvL 7/16; Beschluss der Kammer vom 31. August 2015 – S 20 AS 4288/15 ER), an die Glaubhaftmachung jedenfalls im Rahmen des vorliegen-den Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Gründe:
I. Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Verhängung einer Sanktion im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 31. Mai 2018.
Der 1980 geborene Antragsteller bezieht Leistungen nach dem SGB II vom Antragsgegner. Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 18. Oktober 2017 bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10. Oktober 2017 für November 2017 733,40 EUR, für Dezember 2017 747 EUR und für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2018 monatlich 761 EUR. Am 13. Oktober 2017 schloss der Antragsteller mit der Firma F. W. GmbH einen unbefristeten Arbeitsvertrag ab 16. Oktober 2017. Er erhielt den Einsatzauftrag, am 16. Oktober 2017 um 8:00 Uhr die Tätigkeit im W. Fachmarkt für R. in Dresden aufzunehmen. Der Antragsteller erschien nicht zur Arbeit. Die Arbeitgeberin teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 16. Oktober 2017 mit, dass deswegen der Arbeitsvertrag nicht zustande gekommen sei, und kündigte diesen fristlos. Mit Änderungsbescheid vom 25. November 2017 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für den Zeitraum Januar bis Oktober 2018 monatlich 768 EUR. Mit Schreiben vom 6. November 2017 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zum möglichen Eintritt einer Sanktion an. Der Antragsteller erklärte mit Schreiben vom "27. Oktober 2017", der Arbeitgeber hätte ihn am 16. Oktober 2017 nur einmal angerufen und nicht öfters. Zu dem Vorwurf wolle er sich gerne mündlich äußern. Mit Bescheid vom 5. Februar 2018 stellte der Antragsgegner für die Zeit vom 1. März 2018 bis 31. Mai 2018 den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II fest. Das Arbeitslosengeld II mindere sich um 768 EUR monatlich. Mit Bescheid vom 6. Februar 2018 hob der Antragsgegner den Bescheid vom 25. November 2017 auf und bewilligte für Januar und Februar sowie Juni bis Oktober 2018 monatlich 808 EUR und für März bis Mai 2018 0 EUR. Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 22. Februar 2018 Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. Februar 2018, den der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2018 zurückwies. Am 9. März 2018 hat der Antragsteller Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht Dresden gestellt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, den Arbeitsvertrag habe er unmittelbar nach dem Bewerbungsgespräch am Freitag, 13. Oktober 2017 abgeschlossen. Da er über kein Bargeld mehr verfügt habe, wollte er am Freitag in Dresden am Hauptbahnhof mit der EC-Karte Geld abheben. Die EC-Karte sei vom Auto-maten eingezogen worden. Weder am Freitag noch am Wochenende habe er das Problem mit der Sparkasse lösen können. Am Montag habe er zunächst den Arbeitgeber angerufen und die missliche Lage geschildert. Der Arbeitgeber habe ihn an das Jobcenter verwiesen. Bei dem Antragsgegner habe er daraufhin telefonisch Leistungen aus dem Vermittlungsbudget beantragt. Seine Hausbank habe ihm mitgeteilt, dass das Konto leer sei. Er habe kein Geld ausgezahlt bekommen.
Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 22. Februar 2018 gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 5. Februar 2018 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller habe auf die Anhörung nicht geantwortet. Die Angaben des Antragstellers widersprächen den Angaben des Arbeitgebers. Dieser habe mitgeteilt, dass der Antragsteller sich nicht entschuldigt habe. Der Antragsteller habe durch sein Verhalten die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung verhindert. Die angegebenen Gründe seien keine wichtigen Gründe. Der Antragsteller habe bereits Anlass für eine Sanktion vom 1. Oktober 2016 bis 31. Dezember 2016 und vom 1. Juni 2017 bis 31. Au-gust 2017 gegeben. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 15. März 2018 hat der Antragsteller am 15. März 2018 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (Az.: S 20 AS 1013/18). Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II. Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist begründet.
1. Der Antrag ist als Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zulässig und begründet. Nach dieser Vorschrift können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Klage gegen den Bescheid vom 5. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2018 hat gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet, wenn das private Interesse des Anfechtenden, den Vollzug des angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen (privates Aussetzungsinteresse), gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Sofortvollzug (öffentliches Vollzugsinteresse) überwiegt. Die danach nötige Abwägung zwischen dem privaten Aussetzungsinteresse und dem öffentlichen Vollzugsinteresse hat sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, weil am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides in der Regel kein öffentliches Interesse besteht, während bei einem rechtmäßigen Bescheid das öffentliche Interesse angesichts der gesetzlich angeordneten, sofortigen Vollziehbarkeit in der Regel vorrangig ist. Daneben sind aber auch alle sonstigen Umstände des Einzelfalls, die für und gegen die sofortige Vollziehbarkeit sprechen, ge-geneinander abzuwägen, insbesondere das besondere Vollzugsinteresse im Einzelfall, der Umfang der drohenden Rechtsbeeinträchtigung und die Folgen, die der Sofortvollzug eines rechtswidrigen Bescheides einerseits und das Aussetzen des Sofortvollzugs eines rechtmäßigen Bescheides andererseits mit sich bringen würde. Je geringer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso gewichtiger müssen die sonstigen, gegen den Sofortvollzug sprechenden Umstände sein. Der Bescheid vom 5. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2018 ist nach summarischer Prüfung rechtswidrig, so dass das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung dieses Bescheides gegenüber dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers insbesondere im Hinblick auf dessen betroffenes Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zurück tritt.
a) Die Sanktion durch den Antragsgegner beruht offenbar auf § 31 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II und lässt das Arbeitslosengeld II des Antragstellers für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 31. Mai 2018 vollständig entfallen. Zwar benennt der Sanktionsbescheid vom 5. Februar 2018 keine Rechtsgrundlage, auf die die Minderung gestützt wird. Allerdings ist der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2018 zu entnehmen, dass wohl § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II als Rechtsgrundlage für die Sanktion angesehen wird (S. 7, drittletzter Absatz des Widerspruchsbescheides). Nach § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II ist eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten auch anzunehmen, wenn sie die im SGB III genannten Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen. Die vom Antragsgegner herangezogene Rechtsgrundlage ist bereits dem Grunde nach im Falle des Antragstellers nicht anwendbar. Denn nach der Rechtsprechung des BSG ist der Grundsicherungsträger nicht berechtigt, Arbeitslosengeld II wegen des Vorliegens der Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit abzusenken, wenn das dem Hilfebedürftigen abverlangte Verhalten bereits in § 31 Abs. 1 SGB II geregelt ist und keine Beziehung des Hilfebedürftigen zum Rechtskreis des SGB III vorliegt (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 20/09 R –, BSGE 105, 194-201). Die Regelung des § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II stellt einen systematischen Fremdkörper mit unklarer Funktion innerhalb des § 31 SGB II dar. Dieser Vorschrift nicht unterworfen sind Personen, die keine Versicherungs-zeiten nach dem SGB III zurückgelegt haben und auch sonst aktuell nicht in das SGB III-Versicherungssystem eingebunden sind (Berlit, in: Münder, SGB II, 6. Auflage, § 31 Rn. 103, 104). Nach den dem Gericht vorgelegten Akten ist keinerlei Bezug des Antragstellers zum dem SGB III-Versicherungssystem erkennbar. Als Rechtsgrundlage für die vorlie-gende Sanktion wäre daher allenfalls § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Betracht gekommen, was allerdings offenbar an der nach dieser Vorschrift erforderlichen schriftlichen Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis durch den Antragsteller scheiterte. Unter diesen Voraussetzungen sind bereits die rechtlichen Voraussetzungen für eine Sanktion nach § 31 SGB II nicht gegeben.
b) Ferner bestehen Zweifel, ob die Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II vor-liegen. Dies ist nur dann der Fall, wenn der einschlägigen Pflichtverletzung mindestens zwei Pflichtverletzungen im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB II vorausgegangen sind, die rechtmäßig sanktioniert worden sind. Ob dies der Fall ist, lässt sich anhand der vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsakten nicht beurteilen, da diese nur Zeiträume ab März 2017 umfassen und jedenfalls die erste Sanktionierung bereits im Jahr 2016 erfolgt war.
c) Schließlich hat der Antragsgegner das gemäß § 24 SGB X erforderliche Anhörungsver-fahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Nach dieser Vorschrift ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Zwar hat der Antragsgegner dem Antragsteller diese Möglichkeit mit Schreiben vom 6. November 2017 eröffnet. Allerdings hat er offenbar übersehen, dass der Antragsteller sich mit Schreiben vom "27. Oktober 2017" (e-Akte Sanktionen, S. 64, Eingang: 19. Dezember 2017) geäußert hat und insbesondere den Wunsch zum Ausdruck gebracht hat, sich zu dem Vorwurf mündlich zu äußern. Hierauf hat der Antragsgegner nicht reagiert. Vielmehr führt er im Widerspruchsbescheid vom 15. März 2018 auf S. 5 unzutreffend aus, der Antragsteller habe auf die Anhörung vom 6. November 2017 nicht geantwortet. Wenn auch die Antwort vom "27. Oktober 2017" wenig Substantielles zum Sachverhalt enthält, ist ihr doch ein-deutig der Wunsch nach einer mündlichen Anhörung zu entnehmen. Unter diesen Umständen durfte der Antragsgegner die Sanktion nicht ohne weiteres erlassen, sondern war zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers verpflichtet, diesem die gewünschte mündliche Anhörung zu ermöglichen und ihm einen Termin hierfür vorzuschlagen. Denn auf Grund der Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens (§ 9 Satz 1 SGB X) besteht grundsätzlich das Recht der Beteiligten, sich mündlich an die Behörde zu wenden (Roller, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 9 Rn. 4).
d) Insofern kann offen bleiben, ob der Vortrag des Antragstellers zu den Geschehnissen am 13. und 16. Oktober 2017, der insgesamt reichlich konstruiert erscheint, trotz der Vor-lage einer eidesstattlichen Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht ist. Nach summarischer Prüfung des Sachverhalts überwiegt nämlich das private Interesse des Antragstellers, den Vollzug des angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Sofortvollzug. In diesem Zusammenhang war auch zu berücksichtigten, dass im Hinblick auf die grundlegenden Bedenken, ob § 31 i. V. m. §§ 31a, 31b SGB II wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsgebot, Art. 20 Abs. 1 GG) verfassungswidrig ist, wovon die Kammer überzeugt ist (vgl. im Einzelnen SG Gotha, Vorlagebeschluss vom 2. August 2016 – S 15 AS 5157/14 –, Az. des BVerfG: 1 BvL 7/16; Beschluss der Kammer vom 31. August 2015 – S 20 AS 4288/15 ER), an die Glaubhaftmachung jedenfalls im Rahmen des vorliegen-den Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
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