S 27 KA 49/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
27
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 27 KA 49/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Berufung wurde eingelegt: Az.: L 5 KA 46/14
Der Bescheid des Beklagten vom 02.03.2011 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.147,99 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Zielfeldprüfung für das Abrechnungsjahr 2006.

Der Kläger ist als Facharzt für Orthopädie u.a. mit der Zusatzbezeichnung interventionelle Schmerztherapie zur vertragsärztlichen Versorgung in H. zugelassen. Mit Schreiben vom 27.4.2010 teilte die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in H. dem Kläger mit, er habe in einem oder in mehreren der für das Jahr 2006 vereinbarten Zielfeldern die Zielvorgabe nicht erreicht. Der Kläger erhalte Gelegenheit zur Zielwertüberschreitung eine Stellungnahme abzugeben. Insbesondere werde gebeten mitzuteilen, ob Besonderheiten für einzelne Patienten oder Patientengruppen geltend gemacht würden, die bei entsprechender Indikation eine Verordnung höherpreisiger Arzneimittel rechtfertigen könnten. Die Zielfeldüberschreitung seien bei der Verordnung von Biphosphonaten (540,07 EUR), NSAR einschließlich Coxibe (1.915,55 EUR) und Opiod-Analgetika (5.320,92 EUR) aufgetreten. Mit Schreiben vom 12.5.210 erklärte der Kläger, er habe bei den Biphosphonaten von Generika auf die Originalpräparate umsteigen müssen wegen Erfolglosigkeit bzw. Unverträglichkeit der Generika. Von den NSAR habe er kleine Packungen verordnet entweder zur Kurzzeittherapie oder um die Verträglichkeit zu prüfen. Coxibe verordne er bei bekannten Magenbeschwerden. Opiode habe er dann verordnet, wenn ein Wechsel medizinisch nicht indiziert gewesen sei, weil der Patient zufriedenstellend eingestellt gewesen sei. Pflaster seien immer dann verordnet worden, wenn die Compliance des Patienten dies erfordert hätte bzw. wenn es sich nicht um eine kurzfristig orale Therapie gehandelt habe. Er habe den Stufenplan in der Schmerztherapie auch in Zusammenarbeit mit den behandelnden Schmerztherapeuten beachtet. Wenn diese Angaben nicht ausreichten, dann bitte er um Übersendung der Daten der einzelnen Patienten. Mit Bescheid vom 25.10.2010 setzte die Gemeinsame Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von 5.147,99 EUR netto wegen Zielfeldüberschreitung fest.

Mit seinem am 3.11.2010 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, Oxygesic/Fentanyl werde nur verordnet, wenn Patienten darauf eingestellt seien. Eine Umstellung erfolge nicht, um eine Verschlechterung zu vermeiden und um den Patienten keine neue Titrationsphase zuzumuten. Die Behandlung werde bei den von ihm eingestellten Patienten nach dem WHO-Schema durchgeführt. In jedem Einzelfall sei die Therapie mit den entsprechenden Wirkstoffen (Oxycodon, Fentanyl, Buprenorphin) notwendig. Die transdermale Darreichungsform werde bei Patienten eingesetzt, die mit einer oralen Medikation nicht befriedigend einzustellen seien. Darunter befänden sich auch Patienten, die von einem Pflegedienst zuhause betreut würden. Dabei sei es notwendig, für eine gesicherte Anwendung der Wirkstoffe zu sorgen, da es mit den Patienten bei oraler Medikation Compliance-Probleme gebe.

Mit Beschluss vom 2.3.2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, der Regress sei zu Recht festgesetzt. Schon die Prüfungsstelle habe auf die unzureichende Begründung für die Verordnung der teuren Medikamente hingewiesen. Warum im Einzelnen aus jeder Wirkstoffgruppe die teuersten gewählt worden seien, sei nicht erklärt worden. Der Arzt müsse in seiner Kartei die Verordnung dokumentieren. Im Prüfantrag seien die Pharmazentralnummer (PZN) und das verordnete Medikament angegeben, so dass in der Patientenkartei recherchiert werden könne. Ein patienten-bezogener Sachvortrag sei deshalb möglich, so dass Dritte das Verordnungsverhalten nachvollziehen könnten. Mit seiner am 14.4.2011 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Beschlusses des Beklagten vom 2.3.2011. Zur Begründung rügt er die formelle Recht-mäßigkeit des Beschlusses, weil u.a. im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten es keine Ermächtigungsgrundlage für den Regress mehr gegeben habe, denn die Rechts-grundlage für die Prüfung sei nach dem Inkrafttreten des Arzneimittel-Neuordnungs-gesetzes (AMNOG) am 1.1.2011 entfallen, da der Gesetzgeber die Bonus-Malus-Regelungen als Anreiz für die Verordnung eines preisgünstigen Medikaments wieder abgeschafft habe.

Im Übrigen verlange der Beklagte vom ihm, dem Kläger, etwas unmögliches. Dies verstoße gegen den Rechtsgedanken des § 275 BGB und führe zum Erlöschen der Verpflichtung. Anhand der PZN und des Medikamentennamens könne nicht in der Patientendatei recherchiert werden, um nähere Angaben zu den Verordnungen zu machen. Der Beklagte müsse, wenn er nähere Angaben verlange, wie bei der Richt-größenprüfung auch, patientenbezogene Daten liefern. Wegen des weiteren Vortrags des Klägers wird auf dessen Schriftsätze Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, den Beschluss des Beklagten vom 2.3.2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrags verweist der Beklagten auf seine Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss. Ergänzend führt er aus, soweit der Kläger vortrage, dem angefochtenen Bescheid mangele es an einer Rechtsgrundlage, weil mit Inkrafttreten des Arzneimittelneuordnungsgesetzes 2011 (AMNOG 2011) die geschehene Prüfung obsolet geworden sei, sei diese Schlussfolgerung nicht nachvollziehbar. Das AMNOG ist nach Art 12 Abs. 1 a.a.O. am 1.1.2011 in Kraft getreten, vorbehaltlich der Regelung des Absatzes zwei, der das Inkrafttreten einiger Teile des Gesetzes mit dem Tag nach der Verkündung bzw. am 1.7.2013 vorsehe. Das Gesetz habe sich also keine Rückwirkung beigemessen und könne die Rechtsgrundlage für die vor seiner Verkündung geschehene Zielfeld¬prüfung nicht berühren.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags des Beklagten auch in Bezug auf die vermeintlichen Auswirkungen der Entscheidungen der Kammer vom 4.12.2013 zu den Aktenzeichen S 27 KA 35/11 und S 27 KA 42/11 wird auf die Schriftsätze des Beklagten verwiesen.

Mit Beschluss vom 19.9.2011 hat die Kammer die aus dem Rubrum ersichtlichen Beiladungen ausgesprochen. Die Beigeladen zu 1 trägt vor, der Beklagte habe zu Recht einen Regress wegen Zielwertverfehlung für das Jahr 2006 festgestellt. Die Beigeladen zu 6 habe mit den Hamburger Krankenkassenverbänden indikationsbezogene Zielfelder vereinbart, die im Falle der Überschreitung des Ausgabenvolumens für Arznei- und Heil-mittel zu gesamtvertraglich verankerten Regressansprüchen gegen diejenigen Arztpraxen führten, die die Zielvereinbarungen verfehlten. Mit der Zielvereinbarung sollte erreicht werden, dass innerhalb eines bestimmten Indikationsgebiets möglichst kostengünstige Fertigarzneimittel gewählte würden. Mit der Feststellung der Regressansprüche seien die Prüfgremien beauftragt worden. Rechtsgrundlage für den Regress sei § 19 Prüf-vereinbarung über das Verfahren der Wirtschaftlichkeit durch die Gemeinsame Prüfungs-stelle- und den Beschwerdeausschuss vom 30.11.2010 in Verbindung mit § 84 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Verbindung mit den Gesamtverträgen (u.a. Anlage F zum Gesamtvertrag zwischen der KVHH und der AOK H. vom 18.4.1996 in der Fassung des 12. Nachtrags vom 21.4.2005) und §§ 84 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 84 Abs. 4 a Satz 1 SGB V in Verbindung mit der Arznei- und Heilmittelvereinbarung für das Jahr 2005.

Weiter trägt die Beigeladene zu 1 vor, es gehe nicht um die Frage, ob ein Arzneimittel dem Grunde nach verordnungsfähig ist, sondern allein um die Frage, ob nicht ein kosten-günstigeres Fertigarzneimittel dem Wirtschaftlichkeitsgebot entspreche. Bei denjenigen Arztpraxen, die die Versorgungsziele der Arzneimittelvereinbarung nicht erreicht hätten, spreche der erste Anschein dafür, dass sie unwirtschaftlich verordneten. Ihnen werde aber insoweit rechtliches Gehör gewährt, als dass es ihnen möglich ist, zwingende medizinische Gründe darzulegen, weshalb eine kostengünstigere Versorgung nicht möglich gewesen sei. Die Beweislast hierfür liege beim Vertragsarzt, vgl. § 2 Sätze 2 und 3 der Anlage F zum Gesamtvertrag. Die Beigeladene zu 6 habe deshalb in ihren Veröffentlichungen von Anfang an deutlich darauf hingewiesen, dass es für die Prüfungs¬art unbedingt erforderlich sei, zu dokumentieren, warum im Einzelfall ein Arzneimittel mit ungünstigen DDD-Kosten gewählte werde. Demgemäß sei es Sache des Klägers vorzutragen, bei welchen Patienten sich aus seiner Dokumentation Hinweise ergeben, weshalb im Einzelfall teure Alternativen aus einem Indikationsgebiet gewählte werden mussten. Die anderen Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte der Kammer und der Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gemacht worden.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und auch begründet. Der Beschluss des Beklagten vom 2.3.2011 war aufzuheben, weil er den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dem vom Beklagten fest-gesetzten Regress fehlte im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten an einer gültigen Rechtsgrundlage.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss – ebenso wie das vor dem Berufungsausschuss – ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungs-instanz, bei dem der vom Beschwerde- bzw. Berufungsausschuss erlassene Verwaltungsakt selbständig ist, so dass auch nur dieser Verwaltungsakt den alleinige Gegenstand des anschließenden gerichtlichen Verfahren bildet (Clemens in Schlegel / Voelzke, Juris Praxiskommentar, SGB V, § 106 Rdnr. 281 m.w.N. zur Rechtsprechung). Damit weicht das BSG von der im Verwaltungsverfahrensrecht geltenden Linie ab, das Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens immer der Bescheid der Ausgangsbehörde, allerdings in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist (vgl. § 79 Abs.1 Nr. 1 Verwaltungs-gerichtsordnung, VwGO, und § 95 Sozialgerichtsgesetz, SGG). Diese Abweichung wird mit den besonderen Bestimmungen des § 97 Abs. 3 Satz 2 SGB V und § 106 Abs. 5 Satz 6 SGB V begründet, wonach das Verfahren vor dem Berufungsausschuss und vor dem Beschwerdeausschuss als Vorverfahren gilt und damit eine Sonderregelung im Sinne des § 78 Abs. 2 Nr. 1 SGG darstellt und ab dem Zeitpunkt der Anrufung des Berufungs- bzw. des Beschwerdeausschusses nur noch diese Ausschüsse zuständig sind.

Das BSG hat in Bezug auf Entscheidungen des Berufungsausschusses ausgeführt. "Zum anderen gibt es keinen Widerspruch mehr, über den der Berufungsausschuss zu entscheiden hätte. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist allein der Bescheid des Berufungsausschusses Streitgegenstand (vgl. BSG SozR 3-2500 § 96 Nr. 1 S 6; BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 6 S 39; vgl. schon BSG SozR 1500 § 96 Nr. 32 S 42). Da der Berufungsausschuss nicht über einen Widerspruch entscheidet, sondern eine eigen-ständige Sachentscheidung trifft (so auch Schallen, Zulassungsverordnung, 8. Aufl. 2012, § 44 Ärzte-ZV Rdnr. 6), bedarf es nach einer gerichtlichen Aufhebung des Bescheides des Berufungsausschusses keiner erneuten Entscheidung unter dem Gesichtspunkt, dass andernfalls der Bescheid des Zulassungsausschusses "in der Luft hinge". Die Aufhebung des Bescheides des Berufungsausschusses führt nicht zu einer Wiederherstellung des Ausgangsbescheides; vielmehr ist die Entscheidung des Zulassungsausschusses in der Entscheidung des Berufungsausschusses aufgegangen (so ausdrücklich LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 2.2.2006 - L 5 KA 37/05 - NZS 2006, 609, 610; Schallen, a.a.O., § 44 Ärzte-ZV Rdnr. 8 sowie Bäune in Bäune/Meschke/Rothfuß, Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertrags¬zahnärzte, § 45 Ärzte-ZV Rdnr. 5, jeweils unter Hinweis auf BSG SozR 1500 § 96 Nr. 32; vgl. auch BSG SozR 3-2500 § 96 Nr. 1 S 6), ist also rechtlich nicht mehr existent" (BSG, Urteil vom 17. Oktober 2012 – B 6 KA 49/11 R –, BSGE 112, 90-108). Für die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses (des Beklagten) gilt nicht anders, so dass die Kammer davon absieht, sich weiter zu den Ausführungen des Beklagten über ihre vermeintlich desaströse Rechtsprechung zu äußern. Die Entscheidung der Gemeinsamen Prüfungsstelle vom 25.10.2010 ist mit den Worten des BSG rechtlich nicht mehr existent und kann damit auch nicht in Rechtskraft erwachsen.

Die ausschließliche Zuständigkeit des Beschwerdeausschusses hat zur Folge, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdeausschusses die Ermächtigungsgrundlage für den von ihm festgesetzten Regress (noch) bestehen muss. Als zweite Verwaltungs¬instanz hat der Beschwerdeausschuss die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu berücksichtigen und sich nicht darauf zu beschränken, ob die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides der Gemeinsamen Prüfungsstelle den Erlass eines Regresses rechtfertigte.

Der von der Gemeinsamen Prüfungsstelle mit Bescheid vom 25.10.2010 festgesetzte Regress beruhte auf einer Verfehlung der Zielfelder in den Bereichen Biphosphonate, NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika) einschließlich Coxibe und Opiod-Analgetika im Abrechnungsjahr 2006. Mit dem durch das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeits-gesetz (AVWG) neu eingeführten § 87 Abs. 7 a SGB V sollte die Verantwortung der Ärzte für die Wirtschaftlichkeit ihrer Arzneimittelverordnungen gestärkt werden. Die Vertrags-partner wurden verpflichtet für Gruppen mit starken Verordnungsvolumen sogenannte Zielgrößen zu vereinbaren, wobei es sich um Durchschnittskosten je definierter Dosis-einheit handelte. Während § 84 Abs. 3 die Haftung der Ärzteschaft einer Kassenärztlichen Vereinigung insgesamt für die Überschreitung des vereinbarten Ausgabevolumens regelt, ordnete § 84 Abs. 7 a Satz 6 SGB V die Haftung des einzelnen Vertragsarztes für den Fall an, dass dieser die nach § 84 Abs. 7 a Satz 1 festgesetzten Zielgrößen überschritten hatte (vgl. Baierl in Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, § 84 SGB V, Rdnr. 23). Diese Vorschrift kam mithin nur dann zum Tragen, wenn auf regionaler Ebene keine vorrangige Vereinbarung nach § 84 Abs. 4 a SGB V getroffen worden ist, so dass auf die in einer solchen Vereinbarung getroffenen Zielgrößen § 87 Abs. 7 a Satz 6 SGB V keine Anwendung fand (vgl. Clemens, Juris Praxiskommentar, § 84 Rdnr. 75 SGB V).

Worauf auch die Beigeladene zu 1 zu Recht hinweist, ist eine solche Vereinbarung in H. zwischen den Partner des Gesamtvertrags getroffen worden. Gleichwohl reicht der Bezug zu § 19 der Prüfungsvereinbarung über das Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch die Gemeinsame Prüfungsstelle- und den Beschwerdeausschuss vom 21.4.2005 nicht aus, eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung eines Regresses durch den Beklagten zu begründen.

War im Zeitpunkt der Entscheidung der Gemeinsamen Prüfungsstelle noch § 84 Abs. 7 a SGB V als die Norm, die die Grundlage der gesamtvertraglichen Regelung in H. bildete, in Kraft, so war durch das Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG) zum 1.1.2011 § 87 Abs. 7 a SGB V außer Kraft getreten. Der Gesetzgeber hat dazu ausgeführt: "Die Bonus-Malus-Regelung wird aufgehoben. Die Bonus-Malus-Regelung als Anreiz für die Verordnung eines preisgünstigen Arzneimittels im generikafähigen Markt auf der Grundlage einer Tagesdosis ist entbehrlich geworden. Die Krankenkassen haben durch Rabattverträge nach § 130 a Absatz 8 (SGB V) die Verantwortung für die Auswahl eines preisgünstigen, wirkstoffgleichen Arzneimittels übernommen. Mit der Streichung wird dem Ziel Rechnung getragen, Überregulierung im Arzneimittelmarkt der gesetzlichen Krankenversicherung abzubauen" (BT-Drucksache 17/2413, S. 27).

Es trifft zwar zu, dass der Gesetzgeber keine Regelungen über eine Rückwirkung dieser Aufhebung auf noch laufende Regressverfahren getroffen hat, gleichwohl ist die Aufhebung vom Beklagten zu beachten gewesen, weil er als zweite Verwaltungsinstanz die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu beachten hatte. Die Kammer kann den Ausführungen des Beklagten, dass das AMNOG die Rechtsgrundlage für die vor seiner Verkündung geschehene Zielfeldprüfung nicht berühren, nur teilweise zustimmen. Dies gilt sicher in den Fällen, in denen die Zielfeldprüfungen einschließlich des zweiten Verwaltungsverfahrens vor dem Außerkrafttreten des § 84 Abs. 7 a SGB V abgeschlossen waren. Dies gilt aber nicht in den Fällen, in denen durch einen Wider¬spruch gegen die Entscheidung der Gemeinsamen Prüfungsstelle die zweite Verwaltungsentscheidung noch ausstand. Solange der Regressbescheid entweder der Gemeinsamen Prüfungsstelle oder des Beschwerdeausschusses noch nicht bestands-kräftig war, solange ist die Zielfeldprüfung nicht vor Verkündung des AMNOG "geschehen".

Gegen eine "Weitergeltung" der Ermächtigungsgrundlage für noch nicht "geschehene Prüfungen" spricht auf die Absicht des Gesetzgebers mit der Streichung des § 84 Abs. 7 a SGB V dem Ziel Rechnung zu tragen, die Überregulierung im Arzneimittelmarkt abzubauen. Wozu diese Überregulierung im Einzelfall geführt hat, zeigen gerade die Zielfeldprüfungen, die zu ihrer Durchführung vereinbarten Beweislastregelungen und die danach festgesetzten Regresse, die in der Kammer streitig sind. Aber, da es bereits ab dem 1.1.2011 an einer Ermächtigungsgrundlage für einen Regress aufgrund einer Zielfeldprüfung fehlte, ist eigentlich nicht mehr darauf einzugehen, ob der Kläger entsprechend der § 2 Abs. 1 der Anlage F zum Gesamtvertrag zwischen der KVH und AOK H. in der Fassung des Nachtrags vom 21.4.2005 seiner Beweislast nachgekommen sind. Immerhin hat der Kläger gegenüber dem Beklagten und entsprechend der Aufforderung im ersten Schreiben der Gemeinsamen Prüfungsstelle vom 27.4.2010 Besonderheiten zu seinen Patienten bzw. Patientengruppen vorgetragen. Inwieweit dieser Vortrag nicht ausreichend sein soll, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Schließlich war die Zielfeldprüfung nicht als eine Einzelfallprüfung wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise vorgesehen, so dass durchaus allgemeiner Angaben zu Patienten bzw. Patientengruppen ausreichen konnten. Der Vorwurf des Beklagten, der Kläger habe einen patientenbezogenen Sachvortag versäumt, damit Dritte sein Verordnungsverhalten nachvollziehen könnten, überspannt die Anforderungen an die hier in Rede stehenden Zielfeldprüfungen.

Ebenso ist die Kammer auch unter Berücksichtigung ihrer fachkundigen Besetzung mit einer Vertreterin der Vertragsärzte und einer Vertreterin der gesetzlichen Krankenkasse übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass die Beweislastregelung in § 2 Abs. 1 der Anlage F zum Gesamtvertrag von den Ärzten Unmögliches verlangt. Entgegen der Behauptung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zum Aktenzeichen 27 KA 38/11, ihm sei von allen an seinen Sitzungen teilnehmenden Ärzten gesagt worden, dass eine Recherche der Patienten möglich ist, ist dies jedenfalls nicht anhand der Angabe der PZN und des Medikamentennamens in der elektronischen Patientendatei möglich. Eine solche elektronische Suche setzte voraus, dass die Ärzte in der Lage sind, eine eigene, in ihrem Praxisprogramm nicht vorgesehene Suchabfrage zu programmieren. Dazu müssten sie in das interne Datenbankmanagement eingreifen, was jedoch nur den Herstellern der Praxisprogramme möglich ist. Allein den Krankenkassen dürfte es anhand der Abrechnungsdaten der Apotheken und ihrer Versichertendaten möglich sein, das Medikament und den Versicherten anzugeben, damit der Arzt die Krankengeschichte überprüfen kann. Angesichts dessen ist es unverhältnismäßig, den Ärzten die Beweislast aufzubürden.

Die Kammer ist auch der Überzeugung, dass es vom Vertragsarzt nicht verlangt werden kann, manuell seine Patientendatei z.B. aus dem Jahr 2006 im Jahr 2010 bzw. 2011 zu durchsuchen, um die vom Beklagten verlangten patientenbezogenen Angaben zu machen, damit Dritte das Verordnungsverhalten nachvollziehen können. Wenn der Beklagte auf eine Dokumentationspflicht abstellt, so kann dem nur entgegen gehalten werden, dass wohl keinem Arzt unterstellt wird, er habe keinerlei Dokumentation in der Patientendatei zu seinen Verordnungen vorgenommen. Dass für die Entlastung von Vorwürfen der Zielfeldüberschreitung eine eigenständige Dokumentation zu führen ist, geht jedenfalls nicht aus den Mitteilungen der Beigeladene zu 1 bzw. der Anlage F zum Gesamtvertrag hervor.

Die Behauptung im Beschluss des Beklagten es sei Aufgabe des Klägers, einer Fixierung des Patienten auf Originalpräparate entgegen zu wirken und der Vorwurf, der Arzt könne es nicht dem Patienten überlassen zu beurteilen, ob Generika wirkten, entbehrt nach Überzeugung der Kammer jeder Grundlage, wobei sich die Frage stellt, wie anders als durch die Angaben des Patienten soll der Arzt die Wirksamkeit eines Schmerzmittels feststellen. Im Interesse einer Einsparabsicht kann nicht vom behandelnden Arzt verlangt werden, mit den preisgünstigeren Generika zu experimentieren.

Inwieweit die Bestimmung der Geschäftsordnung des Beklagten in § 4 Absatz 2, nach der der Vorsitzende und seine Stellvertreter sich zur Einhaltung einer einheitlichen Spruch-praxis der Kammern abstimmen sollen, geeignet ist, im Sinne einer Selbstbindung der Verwaltung einheitliche Entscheidungen der zweiten Verwaltungsinstanz sicher zu stellen, war hier nicht zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halb-satz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außer-gerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO für nicht erstattungsfähig erklärt worden, weil diese keine eigenen Anträge gestellt haben. Der Streitwert ist nach § 52 Gerichtskostengesetz festgesetzt worden.
Rechtskraft
Aus
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