Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 KR 159/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten. Der Streitwert wird auf 2.861,64 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin behandelte den bei der Beklagten krankenversicherten Herrn A. (geb. xxxxx.1990, i.F.: Versicherter) in der Zeit vom 3. bis zum 6. März 2009 stationär. Vorausgegangen war eine prästationäre Untersuchung am 14. August 2008 durch den Chefarzt der medizinischen Abteilung und Abteilung für Akutgeriatrie, den Internisten und Kardiologen Prof. Dr. S ... Damals war eine Eigenanamnese erhoben und eine körperliche Untersuchung auf vorhandenen Schweiß in den Bereichen Rücken, Brust, Bauch, Achselhöhlen, Gesicht, Leisten und Gesäß vorgenommen worden. Abschließend heißt es in dem Bericht, die "Ursache der Hyperhidrose "dürfte eine Dysreflexie des autonomen Nervensystems sein." Ein Arztbrief vom selben Tag nennt Dysreflexie des autonomen Nervensystems und Hyperhidrose als Diagnosen. Ebenfalls am selben Tag wurde auch der Termin zur stationären Aufnahme vereinbart. Die Einweisungsdiagnose der behandelnden Hautärzte (gestellt am 24.2.2009) lautet auf Hyperhidrose (ICD-10-Ziffer R61.9: nicht näher beschrieben). Nach der stationären Aufnahme erfolgten am 3. und 5. März 2009 jeweils eine thorakoskopische Sympathektomie links und rechts. Bei einer postoperativen Untersuchung (am 22.4.2009) zeigte sich die Hyperhidrose sodann stark gebessert.
Die Klägerin verlangte hierfür von der Beklagten eine Vergütung in Höhe von 5.437,91 Euro unter Zugrundelegung der Hauptdiagnose G90.41 (Autonome Dysreflexie als Schwitzattacken), der Nebendiagnose R61.0 (Hyperhidrose, umschrieben) und der DRG B06B (Eingriffe bei zerebraler Lähmung, Muskeldystrophie oder Neuropathie, Alter ( 19 Jahre oder mit schweren CC, Alter ) 15 Jahre).
Die Beklagte beglich die Rechnung und beauftragte den MDK mit einer Prüfung, was dieser gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 1. April 2009 anzeigte. Nachdem der MDK in seinem Gutachten vom 27. Juli 2009 zu dem Ergebnis gekommen war, dass als Hauptdiagnose die Hyperhidrose zu kodieren gewesen und insgesamt die DRG J10B (Plastische Operationen an Haut, Unterhaut und Mamma außer bei bösartiger Neubildung) anzusetzen sei, bat die Beklagte um eine entsprechend angepasste Rechnung, was die Klägerin (mit Schreiben vom 6.8.2009) ablehnte. Die Beklagte rechnete daraufhin im August 2009 in Höhe von sie 2.861,64 Euro auf. Weiterer vorgerichtlicher Schriftverkehr lässt sich nicht feststellen.
Die Klägerin hat am 14. Februar 2012 Klage erhoben.
Sie führt aus, in anderen Behandlungsfällen sei die neurologische Grunderkrankung als Hauptdiagnose anerkannt worden. Im Klageverfahren S 48 KR 1153/12 habe das Sozialgericht Hamburg – gestützt auf ein Sachverständigengutachten von Dr. K3 – entschieden, dass ein operatives Ausschalten des entsprechenden Nervenstranges als Behandlung nicht nur der Hyperhidrose, sondern auch der nervlichen Grunderkrankung zu werten sei. Auch im Klageverfahren S 25 KR 645/11 habe ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. K1 eine entsprechende Kodierung bestätigt. Eine spezifisch neurologische und noninvasive Diagnostik zur Feststellung einer autonomen Dysreflexie sei nicht etabliert, die Diagnose könne auch von einem Arzt eines anderen Fachgebietes gestellt werden, wenn dieser nur über genügend Erfahrung verfüge.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.861,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent seit dem 22. September 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt – unter Hinweis auf ein im Klageverfahren S 8 KR 675/11 eingeholtes Sachverständigengutachten des Chirurgen Dr. K2 (vom 6.3.2012) – aus, es sei bereits keine Erkrankung des Nervensystems verlässlich diagnostiziert worden. Aus dem zitierten Gutachten von Dr. K2 ergebe sich, dass komplexe Untersuchungstechniken für die Feststellung einer Dysreflexie des autonomen Nervensystems zur Verfügung stünden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Chirurgen und Herzchirurgen Dr. K., der auf der Basis der Hauptdiagnose R61.0 und der Nebendiagnose G90.8 (Sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems) in Übereinstimmung mit dem MDK die DRG J10.B für zutreffend gehalten hat: Eine Hauptdiagnose aus dem Kapitel G90.4 ff. komme nicht in Betracht, da dies eine Schädigung des Rückenmarks voraussetze, wie sie sich im vorliegenden Fall nicht nachweisen lasse. Alternativ sei daher an die ICD-10-Ziffer G90.8 (Sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems) zu denken. Diese Erkrankung sei zwar bei Aufnahme bekannt gewesen, jedoch nicht behandelt worden. Behandelt worden sei nur die Hyperhidrose als Symptom der Nervenerkrankung.
Die Klägerin ist dem Gutachten unter Hinweis auf eine Stellungnahme des Chirurgen Dr. S1 (Deutsches Hyperhidrosezentrum, vom 22.4.2013) entgegen getreten: Die Verwendung der ICD-10-Ziffer 90.41 solle zugunsten der Ziffer G90.8 aufgegeben werden, die die neurologische Regulationsstörung als Grunderkrankung korrekt abbilde. Im vorliegenden Fall sei allerdings diese neurologische Regulationsstörung als Grunderkrankung auch behandelt worden, indem eine Blockade der Nervenstruktur und nicht nur eine symptomatische Behandlung der Schweißdrüsen erfolgt sei. Dasselbe ergebe sich aus dem im Klageverfahren S 48 KR 1153/12 eingeholten Gutachten von Dr. K3. Eine Behandlung der Hyperhidrose habe auch durch Medikamente oder lokale Einreibungen erfolgen können, die teilweise Ausschaltung des Sympathikus passe indes nur zu einer Behandlung des Nervenleidens.
Die Beklagte sieht sich in dem Gutachten bestätigt: Als Einweisungsdiagnose sei allein die Hyperhidrose angegeben. Untersuchungen durch einen Neurologen hätten – anders als in ähnlich gelagerten Fällen – entweder nicht stattgefunden oder seien nicht dokumentiert. Vielmehr sei der Versicherte allein auf der inneren bzw. der chirurgischen Station behandelt worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die als Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes, SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Die geltend gemachte Vergütungsforderung ist durch Aufrechnung mit dem Erstattungsanspruch der Beklagten erloschen.
Dieser Erstattungsanspruch (zu dessen dogmatischer Herleitung vgl. nur BSG, Urteil vom 17.6.2010, B 3 KR 4/09 R) ergab sich daraus, dass die Beklagte nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften – § 109 Abs. 4 Satz 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), § 17b Abs. 1 Satz 10 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und den §§ 7 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 des Krankenhausentgeltgesetzes sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und unter anderem der Beklagten – nur eine niedrigere Vergütung unter Zugrundelegung der vom MDK ermittelten DRG schuldete.
Eine höhere Vergütung unter Zugrundelegung der von ihr selbst ermittelten DRG stand der Klägerin schon deswegen nicht zu, weil sich das Gericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugen kann, das überhaupt eine Erkrankung des Nervensystems vorgelegen hat. Somit kann dahinstehen, ob die Forderung angesichts des Zeitablaufs zwischen dem Datum der Aufrechnung und dem der Klageerhebung (hier ungefähr 30 Monate) nach den vom Bundessozialgericht entwickelten Kriterien (zuletzt Urteil vom 18.7.2013, B 3 KR 22/12 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) als verwirkt anzusehen ist.
Eigene fachärztliche Untersuchungen auf das Vorliegen einer autonomen Dysreflexie (ICD-10-Ziffer G90.41) oder auch einer Sonstigen Krankheit des autonomen Nervensystems (ICD-10-Ziffer G90.8) lassen sich weder ambulant noch prästationär noch stationär feststellen. Insbesondere hatte sich der Versicherte im Vorfeld der prästationären Untersuchung nicht auch in neurologischer Behandlung befunden. Die prästationäre Untersuchung durch Prof. Dr. S. (am 14.8.2008) beschränkte sich – neben der Eigenanamnese – auf die Feststellung, in welchen Hautarealen sich starkes Schwitzen zeigte. Hierbei erscheint es dem Gericht aufschlussreich, dass einerseits in dem Arztbrief vom selben Tage von der Diagnose einer Dysreflexie des autonomen Nervensystems die Rede ist, während der Bericht selbst lediglich eine Vermutung äußert ("Ursache dürfte eine Dysreflexie des autonomen Nervensystems sein").
Das Gericht kann sich nicht davon überzeugen, dass die vorliegenden Befunde ausgereicht haben sollen, um den Schluss auf eine Dysreflexie des autonomen Nervensystems oder auch auf eine andere Nervenerkrankung zu ermöglichen. Dies gilt bereits deswegen, weil Hyperhidrose in verschiedenen Formen – primär idiopathisch einerseits und sekundär andererseits – auftritt und beides im Diagnosestadium nicht hinreichend deutlich voneinander abgegrenzt wurde. Stattdessen wurde dort offenbar im Wesentlichen nach dem Misserfolg (aller?) konservativer Behandlungsmethoden gefragt, was indes einen solchen diagnostischen Schluss nicht zulässt. Überdies erscheint dem Gericht auch bei eindeutiger Diagnose einer primär idiopathischen Hyperhidrose der gleichsam automatische Schluss auf eine Nervenerkrankung als Ursache nicht hinreichend belegt (vgl. Schlereth, Deutsches Ärzteblatt Int. 2009; 106(3): 32-7, wonach es sich bei dem letztgenannten Fall eher um eine komplexe Dysfunktion des sympathischen und parasympathischen Nervensystems handeln soll).
Im Übrigen ergibt sich die Diagnose einer neurologischen Erkrankung auch nicht daraus, dass eine (beidseitige) thorakoskopische Sympathektomie vorgenommen wurde und ausweislich der poststationären Untersuchung offenbar ein beträchtlicher Behandlungserfolg eingetreten ist. Hierbei kann dahinstehen, ob ein derartiger induktiver Rückschluss von der (erfolgreichen) Operation auf die Diagnose überhaupt zulässig ist. Jedenfalls nennt die S3-Leitlinie Nr. 013/059 – Definition und Therapie der primären Hyperhidrose (Stand: 15.1.2012) unter Punkt 2.2.4. die endoskopische thorakale Sympathektomie als Therapie bei Vorliegen der Indikation einer konservativ therapieresistenten palmaren Hyperhidrose. Hieraus ergibt sich zunächst, dass sich ein medizinischer Konsens dahingehend, dass die thorakale Sympathektomie allein bei der Diagnose einer Dysreflexie des autonomen Nervensystems oder auch eine andere Nervenerkrankung überhaupt in Betracht käme, nicht feststellen lässt.
Weiterhin spricht der Umstand, dass die thorakale Sympathektomie zur Behandlung einer konservativ therapieresistenten Hyperhidrose indiziert ist, sogar ausdrücklich gegen die Sichtweise der Klägerin: Nach Punkt D002f der Allgemeinen und Speziellen Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren, Version 2009, ist Hauptdiagnose die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist und behandelt wird bzw. während des Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert wird, so ist die zugrunde liegende Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren. Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet dies, dass eine Nervenerkrankung nur dann als Hauptdiagnose in Betracht käme, wenn die Sympathektomie nicht (nur) der Behandlung der Hyperhidrose gedient hätte, sondern auch der Behandlung einer zugrundeliegenden Nervenerkrankung. Der alleinige Umstand, dass mit dem Begriff der Sympathektomie die Blockade nervlicher Strukturen beschrieben ist, reicht hierfür allerdings nicht aus. Aus allen Beschreibungen der Wirkungsweise dieser Sympathektomie vermag das Gericht nur zu entnehmen, dass diese Blockade der Nervenstruktur zwar dem pathologischen Schwitzen (also der Hyperhidrose) entgegenwirkt, nicht aber das nervliche Grundleiden selbst behandelt (auch wenn es danach möglicherweise symptomlos verläuft). Selbst unter Annahme einer – im vorliegenden Fall nicht erwiesenen – Erkrankung des Nervensystems wäre die Sympathektomie als eine Behandlung zu verstehen, die sich lediglich gegen ein Symptom richtet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes.
Tatbestand:
Streitig ist die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.
Die Klägerin behandelte den bei der Beklagten krankenversicherten Herrn A. (geb. xxxxx.1990, i.F.: Versicherter) in der Zeit vom 3. bis zum 6. März 2009 stationär. Vorausgegangen war eine prästationäre Untersuchung am 14. August 2008 durch den Chefarzt der medizinischen Abteilung und Abteilung für Akutgeriatrie, den Internisten und Kardiologen Prof. Dr. S ... Damals war eine Eigenanamnese erhoben und eine körperliche Untersuchung auf vorhandenen Schweiß in den Bereichen Rücken, Brust, Bauch, Achselhöhlen, Gesicht, Leisten und Gesäß vorgenommen worden. Abschließend heißt es in dem Bericht, die "Ursache der Hyperhidrose "dürfte eine Dysreflexie des autonomen Nervensystems sein." Ein Arztbrief vom selben Tag nennt Dysreflexie des autonomen Nervensystems und Hyperhidrose als Diagnosen. Ebenfalls am selben Tag wurde auch der Termin zur stationären Aufnahme vereinbart. Die Einweisungsdiagnose der behandelnden Hautärzte (gestellt am 24.2.2009) lautet auf Hyperhidrose (ICD-10-Ziffer R61.9: nicht näher beschrieben). Nach der stationären Aufnahme erfolgten am 3. und 5. März 2009 jeweils eine thorakoskopische Sympathektomie links und rechts. Bei einer postoperativen Untersuchung (am 22.4.2009) zeigte sich die Hyperhidrose sodann stark gebessert.
Die Klägerin verlangte hierfür von der Beklagten eine Vergütung in Höhe von 5.437,91 Euro unter Zugrundelegung der Hauptdiagnose G90.41 (Autonome Dysreflexie als Schwitzattacken), der Nebendiagnose R61.0 (Hyperhidrose, umschrieben) und der DRG B06B (Eingriffe bei zerebraler Lähmung, Muskeldystrophie oder Neuropathie, Alter ( 19 Jahre oder mit schweren CC, Alter ) 15 Jahre).
Die Beklagte beglich die Rechnung und beauftragte den MDK mit einer Prüfung, was dieser gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 1. April 2009 anzeigte. Nachdem der MDK in seinem Gutachten vom 27. Juli 2009 zu dem Ergebnis gekommen war, dass als Hauptdiagnose die Hyperhidrose zu kodieren gewesen und insgesamt die DRG J10B (Plastische Operationen an Haut, Unterhaut und Mamma außer bei bösartiger Neubildung) anzusetzen sei, bat die Beklagte um eine entsprechend angepasste Rechnung, was die Klägerin (mit Schreiben vom 6.8.2009) ablehnte. Die Beklagte rechnete daraufhin im August 2009 in Höhe von sie 2.861,64 Euro auf. Weiterer vorgerichtlicher Schriftverkehr lässt sich nicht feststellen.
Die Klägerin hat am 14. Februar 2012 Klage erhoben.
Sie führt aus, in anderen Behandlungsfällen sei die neurologische Grunderkrankung als Hauptdiagnose anerkannt worden. Im Klageverfahren S 48 KR 1153/12 habe das Sozialgericht Hamburg – gestützt auf ein Sachverständigengutachten von Dr. K3 – entschieden, dass ein operatives Ausschalten des entsprechenden Nervenstranges als Behandlung nicht nur der Hyperhidrose, sondern auch der nervlichen Grunderkrankung zu werten sei. Auch im Klageverfahren S 25 KR 645/11 habe ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. K1 eine entsprechende Kodierung bestätigt. Eine spezifisch neurologische und noninvasive Diagnostik zur Feststellung einer autonomen Dysreflexie sei nicht etabliert, die Diagnose könne auch von einem Arzt eines anderen Fachgebietes gestellt werden, wenn dieser nur über genügend Erfahrung verfüge.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.861,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent seit dem 22. September 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt – unter Hinweis auf ein im Klageverfahren S 8 KR 675/11 eingeholtes Sachverständigengutachten des Chirurgen Dr. K2 (vom 6.3.2012) – aus, es sei bereits keine Erkrankung des Nervensystems verlässlich diagnostiziert worden. Aus dem zitierten Gutachten von Dr. K2 ergebe sich, dass komplexe Untersuchungstechniken für die Feststellung einer Dysreflexie des autonomen Nervensystems zur Verfügung stünden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Chirurgen und Herzchirurgen Dr. K., der auf der Basis der Hauptdiagnose R61.0 und der Nebendiagnose G90.8 (Sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems) in Übereinstimmung mit dem MDK die DRG J10.B für zutreffend gehalten hat: Eine Hauptdiagnose aus dem Kapitel G90.4 ff. komme nicht in Betracht, da dies eine Schädigung des Rückenmarks voraussetze, wie sie sich im vorliegenden Fall nicht nachweisen lasse. Alternativ sei daher an die ICD-10-Ziffer G90.8 (Sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems) zu denken. Diese Erkrankung sei zwar bei Aufnahme bekannt gewesen, jedoch nicht behandelt worden. Behandelt worden sei nur die Hyperhidrose als Symptom der Nervenerkrankung.
Die Klägerin ist dem Gutachten unter Hinweis auf eine Stellungnahme des Chirurgen Dr. S1 (Deutsches Hyperhidrosezentrum, vom 22.4.2013) entgegen getreten: Die Verwendung der ICD-10-Ziffer 90.41 solle zugunsten der Ziffer G90.8 aufgegeben werden, die die neurologische Regulationsstörung als Grunderkrankung korrekt abbilde. Im vorliegenden Fall sei allerdings diese neurologische Regulationsstörung als Grunderkrankung auch behandelt worden, indem eine Blockade der Nervenstruktur und nicht nur eine symptomatische Behandlung der Schweißdrüsen erfolgt sei. Dasselbe ergebe sich aus dem im Klageverfahren S 48 KR 1153/12 eingeholten Gutachten von Dr. K3. Eine Behandlung der Hyperhidrose habe auch durch Medikamente oder lokale Einreibungen erfolgen können, die teilweise Ausschaltung des Sympathikus passe indes nur zu einer Behandlung des Nervenleidens.
Die Beklagte sieht sich in dem Gutachten bestätigt: Als Einweisungsdiagnose sei allein die Hyperhidrose angegeben. Untersuchungen durch einen Neurologen hätten – anders als in ähnlich gelagerten Fällen – entweder nicht stattgefunden oder seien nicht dokumentiert. Vielmehr sei der Versicherte allein auf der inneren bzw. der chirurgischen Station behandelt worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die als Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes, SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Die geltend gemachte Vergütungsforderung ist durch Aufrechnung mit dem Erstattungsanspruch der Beklagten erloschen.
Dieser Erstattungsanspruch (zu dessen dogmatischer Herleitung vgl. nur BSG, Urteil vom 17.6.2010, B 3 KR 4/09 R) ergab sich daraus, dass die Beklagte nach Maßgabe der einschlägigen Vorschriften – § 109 Abs. 4 Satz 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V), § 17b Abs. 1 Satz 10 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und den §§ 7 Nr. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 des Krankenhausentgeltgesetzes sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und unter anderem der Beklagten – nur eine niedrigere Vergütung unter Zugrundelegung der vom MDK ermittelten DRG schuldete.
Eine höhere Vergütung unter Zugrundelegung der von ihr selbst ermittelten DRG stand der Klägerin schon deswegen nicht zu, weil sich das Gericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugen kann, das überhaupt eine Erkrankung des Nervensystems vorgelegen hat. Somit kann dahinstehen, ob die Forderung angesichts des Zeitablaufs zwischen dem Datum der Aufrechnung und dem der Klageerhebung (hier ungefähr 30 Monate) nach den vom Bundessozialgericht entwickelten Kriterien (zuletzt Urteil vom 18.7.2013, B 3 KR 22/12 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) als verwirkt anzusehen ist.
Eigene fachärztliche Untersuchungen auf das Vorliegen einer autonomen Dysreflexie (ICD-10-Ziffer G90.41) oder auch einer Sonstigen Krankheit des autonomen Nervensystems (ICD-10-Ziffer G90.8) lassen sich weder ambulant noch prästationär noch stationär feststellen. Insbesondere hatte sich der Versicherte im Vorfeld der prästationären Untersuchung nicht auch in neurologischer Behandlung befunden. Die prästationäre Untersuchung durch Prof. Dr. S. (am 14.8.2008) beschränkte sich – neben der Eigenanamnese – auf die Feststellung, in welchen Hautarealen sich starkes Schwitzen zeigte. Hierbei erscheint es dem Gericht aufschlussreich, dass einerseits in dem Arztbrief vom selben Tage von der Diagnose einer Dysreflexie des autonomen Nervensystems die Rede ist, während der Bericht selbst lediglich eine Vermutung äußert ("Ursache dürfte eine Dysreflexie des autonomen Nervensystems sein").
Das Gericht kann sich nicht davon überzeugen, dass die vorliegenden Befunde ausgereicht haben sollen, um den Schluss auf eine Dysreflexie des autonomen Nervensystems oder auch auf eine andere Nervenerkrankung zu ermöglichen. Dies gilt bereits deswegen, weil Hyperhidrose in verschiedenen Formen – primär idiopathisch einerseits und sekundär andererseits – auftritt und beides im Diagnosestadium nicht hinreichend deutlich voneinander abgegrenzt wurde. Stattdessen wurde dort offenbar im Wesentlichen nach dem Misserfolg (aller?) konservativer Behandlungsmethoden gefragt, was indes einen solchen diagnostischen Schluss nicht zulässt. Überdies erscheint dem Gericht auch bei eindeutiger Diagnose einer primär idiopathischen Hyperhidrose der gleichsam automatische Schluss auf eine Nervenerkrankung als Ursache nicht hinreichend belegt (vgl. Schlereth, Deutsches Ärzteblatt Int. 2009; 106(3): 32-7, wonach es sich bei dem letztgenannten Fall eher um eine komplexe Dysfunktion des sympathischen und parasympathischen Nervensystems handeln soll).
Im Übrigen ergibt sich die Diagnose einer neurologischen Erkrankung auch nicht daraus, dass eine (beidseitige) thorakoskopische Sympathektomie vorgenommen wurde und ausweislich der poststationären Untersuchung offenbar ein beträchtlicher Behandlungserfolg eingetreten ist. Hierbei kann dahinstehen, ob ein derartiger induktiver Rückschluss von der (erfolgreichen) Operation auf die Diagnose überhaupt zulässig ist. Jedenfalls nennt die S3-Leitlinie Nr. 013/059 – Definition und Therapie der primären Hyperhidrose (Stand: 15.1.2012) unter Punkt 2.2.4. die endoskopische thorakale Sympathektomie als Therapie bei Vorliegen der Indikation einer konservativ therapieresistenten palmaren Hyperhidrose. Hieraus ergibt sich zunächst, dass sich ein medizinischer Konsens dahingehend, dass die thorakale Sympathektomie allein bei der Diagnose einer Dysreflexie des autonomen Nervensystems oder auch eine andere Nervenerkrankung überhaupt in Betracht käme, nicht feststellen lässt.
Weiterhin spricht der Umstand, dass die thorakale Sympathektomie zur Behandlung einer konservativ therapieresistenten Hyperhidrose indiziert ist, sogar ausdrücklich gegen die Sichtweise der Klägerin: Nach Punkt D002f der Allgemeinen und Speziellen Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren, Version 2009, ist Hauptdiagnose die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist und behandelt wird bzw. während des Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert wird, so ist die zugrunde liegende Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren. Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet dies, dass eine Nervenerkrankung nur dann als Hauptdiagnose in Betracht käme, wenn die Sympathektomie nicht (nur) der Behandlung der Hyperhidrose gedient hätte, sondern auch der Behandlung einer zugrundeliegenden Nervenerkrankung. Der alleinige Umstand, dass mit dem Begriff der Sympathektomie die Blockade nervlicher Strukturen beschrieben ist, reicht hierfür allerdings nicht aus. Aus allen Beschreibungen der Wirkungsweise dieser Sympathektomie vermag das Gericht nur zu entnehmen, dass diese Blockade der Nervenstruktur zwar dem pathologischen Schwitzen (also der Hyperhidrose) entgegenwirkt, nicht aber das nervliche Grundleiden selbst behandelt (auch wenn es danach möglicherweise symptomlos verläuft). Selbst unter Annahme einer – im vorliegenden Fall nicht erwiesenen – Erkrankung des Nervensystems wäre die Sympathektomie als eine Behandlung zu verstehen, die sich lediglich gegen ein Symptom richtet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes.
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