Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
48
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 48 KR 58/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Mammareduktionsplastik.
Einen entsprechenden Antrag stellte die 1966 geborene Klägerin über die P. Klinik H. am 18.04.2013. Dr. R. beschrieb makromastiebedingte Schmerzen im Bereich der oberen Brustwirbelsäule, der Halswirbelsäule sowie Kopfschmerzen ins verlängerte Markt fortgesetzt, rezidivierenden intramammäre intertriginöse Entzündungen sowie Anisomastie und schmerzhafte Brustdrüsen beidseits.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13.06.2013 ab. Zur Begründung bezog sie sich auf Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) von Dr. Z. vom 03.11.2008 und Dr. L. vom 21.01.2009. Erstere führte aus, dass im Bereich der Mamma kein regelwidriger Körperzustand bestehe; aus der Brustgröße allein resultiere keine Fehlfunktion. Zudem bestünden keine evidenz-basierten Daten zur Korrelation von Brustgröße und Skelettbeschwerde. Zu empfehlen sei Rückenschule und Wirbelsäulengymnastik. Dr. L. kam nach Untersuchung der Klägerin zu keinem anderen Ergebnis. Dem Schreiben der behandelnden Ärztin Doktor B. zu Folge bestehe bei einer Körpergröße von 1,52 m ein Körpergewicht von 60 kg. Die Wirbelsäule zeigte sich lotrecht, es habe kein Klopfschmerz über den Wirbelkörpern, kein Druckschmerz über den Dornfortsätzen, keine paravertebralen Myogelesen bestanden, Schnürfurchen im Bereich der Schultern seien nicht erkennbar gewesen, die Kutis der Mama sei unauffällig gewesen.
Aufgrund des Widerspruchs der Klägerin, indem sie auf extreme Rücken-, Nacken-, Schulter- und anhaltende Kopfschmerzen hinwies, unter deren Belastungen es ihr schwer falle zu arbeiten, ließ die Beklagte den Fall erneut durch Dr. L. begutachten. Dieser kam am 08.11.2013 zu dem Ergebnis, dass sich die Situation gegenüber derer im Jahr 2009 nicht verändert habe. Im Bericht des behandelnden Arztes Dr. R. seien keine Hautveränderungen dokumentiert, diese basierten nur auf den Angaben der Klägerin. Ein pathologisches Korrelat sei nicht nach beweisbar. Im Übrigen seien Hautveränderungen einer dermatologischen Behandlung zu unterziehen. Als Primärprophylaxe seien hygienische Maßnahmen und eine Reduzierung der Adipositas zu empfehlen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, das Begehren sei nicht auf die Beseitigung eines krankhaften behandlungsbedürftigen Körperzustands ausgerichtet, außerhalb einer sozialmedizinischen Indikation müsse die Krankenversicherung nicht für eine Kostenübernahme eintreten.
Die Klägerin hat am 16.01.2014 Klage erhoben und vorgetragen bei ihr liege eine Gigantomastie beidseits mit einem Resektionsgewicht rechts von 900 g und links von 700 g vor. Dies wirke bei einer Größe von 152 cm entstellend.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.06.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2013 zu verurteilen, der Klägerin eine Mammareduktionsplastik zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen Behandlungs- und Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 11.09.2014 eingeholt. Es hat auf Antrag der Klägerin Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach §109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) des plastischen Chirurgen Dr. W., der die Klägerin am 11.06.2015 untersucht hat. Nach seinen Ausführungen habe sich im Vergleich zur Voruntersuchung durch Dr. L. vom 21.01.2009 die Körpergröße und Körpergewicht der Klägerin nicht geändert, der Jugularmamillenabstand habe auf der rechten Seite von 29 cm auf 32 cm, auf der linken Seite von 29 auf 30,5 cm zugenommen. Der submammaere Umfang habe im Jahr 2009 86 cm, jetzt 88 cm betragen, der Umfang auf Mamillenhöhe von 99 auf 102 cm zugenommen. Mit der Wasserverdrängungsmethode werde für die rechte Brust ein Volumen von 1830 ml, für die linke Brust ein Volumen von 1580 ml ermittelt. Die Brust der Klägerin sei deutlich größer und schwerer als bei einer "durchschnittlichen" Frau. Da das Gewicht der Brüste annäherungsweise 5 % ihres Körpergewichtes betrage, liege bezogen auf ihre Größe ein regelwidriger Zustand vor, da aufgrund der Brustgröße und des Brustgewichtes nachvollziehbar Beschwerden im Bereich der Rücken-und Nackenmuskulatur ausgelöst werden könnten. Obwohl bei der körperlichen Untersuchung durch Dr. L. eine lotrechte Wirbelsäule ohne Klopfchmerz über den Wirbelkörpern, ohne Druckschmerz über den Dornfortsätzen und ohne paravertebrale Myogelesen vorgelegen habe und die Halswirbelsäulenbeweglichkeit, Rumpfrotation und Seitwärtsneigung unauffällig gewesen sei, seien die von der Klägerin beklagten Beschwerden glaubhaft und ließen sich auf die Größe der Brüste zurückführen. Der Anblick in der Klägerin im bekleideten Zustand sei nicht entstellend. Der Erfolg einer operative Therapie zur Beschwerdeminderung sei durch mehrere klinische Untersuchungen belegt. Eine Intertrigo der Haut habe nicht bestanden.
Eine Auswertung der Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin hat ergeben, dass sie im Jahr 2015 wegen orthopädische Beschwerden an 26 Tagen und im Jahr 2014 an 11Tagen arbeitsunfähig war. In den Jahren 2011-2013 hat bei ihr keine Arbeitsunfähigkeit wegen orthopädischer Beschwerden vorgelegen. Schmerzmittel wurden nicht verordnet. Rehasport wurde der Klägerin ab 01.12.2015 verordnet aber bis zum 14.03.2016 nur dreimal mit der Beklagten abgerechnet.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten halten einer gerichtlichen Überprüfung stand.
Die Klägerin kann nach § 27 Abs. 1 S 1 SGB V Krankenbehandlung verlangen, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr, vgl. BSG, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 35/15 R –,juris m.w.N.) Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (stRspr, a.a.O.). Eine Krankheit liegt dagegen nicht vor bei einem Zustand, der noch dem Bereich der individuellen menschlichen Unterschiede zugerechnet werden kann oder der lediglich eine Abweichung vom Idealmaß darstellt (LSG Hamburg, Urteil v. 02.05.2012 – L 21 KR 38/10 -, juris).
Die Größe und Schwere der Brust der Klägerin, die ohne Zweifel gemessen an ihrer Körpergröße deutlich vom Durchschnitt abweicht, kann nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil sie nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Körperfunktion führt. Folgeerscheinungen der übergroßen Brüste in Form von Schmerzen der Rücken-und Nackenmuskulatur sind nicht mit der dafür notwendigen Wahrscheinlichkeit zu belegen. Jedenfalls sind diese vorrangig mit konventionellen Behandlungsformen wie krankengymnastische Übungen und Gewichtsreduktion zu behandeln. Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die andere Leiden beeinflussen sollen, sind nicht als "Behandlung" iS von § 27 Abs. 1 SGB V zu bewerten; die Kostenübernahme für die hier in Rede stehenden Operation bedarf mit Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken einer besonderen Rechtfertigung, weil damit nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen wird, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 19. 10. 2004 – B 1 KR 9/04 R –, juris).
Das Gericht folgt nicht der Auffassung des medizinischen Gutachters Dr. W., wonach bei der Klägerin ein Zusammenhang zwischen Brustgröße- und schwere und den geklagten Beschwerden, die im Übrigen nur auf den Angaben der Klägerin beruhen, besteht. Diese können vielfältige Ursachen haben. Dass Dr. W. trotz des von ihm zitierten unauffälligen Befundes des Halteapparates durch Dr. L. und dem Umstand, dass er keinen eigenen Befund erhoben hat rein abstrakt einen Zusammenhang zwischen Brustgröße- und schwere und den geklagten Beschwerden herstellt, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Eine regelmäßige fachärztliche Behandlung der Klägerin erfolgt nicht, die Klägerin hat sich nach eigenen Angaben zum Zeitpunkt der Klageerhebung zuletzt 5 Jahre zuvor wegen orthopädischer Beschwerden in Behandlung begeben. Die von ihm angeführten Untersuchungen können zum einen eine Einzelfallbeurteilung unter Heranziehung aktueller Befunde nicht ersetzen zum anderen beruhen die zitierten Studien auf einer retrospektiven Befragung bereits operierter Patientinnen, ohne dass ein alternatives Therapieangebot einer Kontrollgruppe untersucht worden ist.
Ein operativer Eingriff in ein gesundes Organ - hier die Brüste – ist nur dann gerechtfertigt ist, wenn keinerlei andere Behandlungsmethoden zum Erfolg führen können. Letzteres steht hier nicht fest. In dieser Einschätzung folgt die Kammer dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L., der insbesondere Rückenschule und Wirbelsäulengymnastik sowie Gewichtsreduktion als vorrangige Therapien angesehen hat. Letztere ist auch bei einem BMI von 26 (Übergewicht), wie bei der Klägerin vorliegend, zu empfehlen, da hierdurch das Zuggewicht der Brüste reduziert werden kann. Diese vorrangigen Therapien hat die Klägerin nicht ausgeschöpft. Dr. L. Einschätzung ist gegenüber der Einschätzung von Dr. W. Vorrang einzuräumen. Dies folgt bereits aus der höheren Sachkompetenz des Orthopäden Dr. L. gegenüber dem plastischen Chirurgen Dr. W ...
Eine Entstellung liegt bei der Klägerin nicht vor. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit auslöst und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzieht und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (BSG – Urteil vom 28.02.2008 a.a.0.). Nach diesen Maßstäben sind nach Überzeugung der Kammer, die sich in diesem Punkt auf das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. Witig und auf ihren eigenen Eindruck in der mündlichen Verhandlung stützt, die Brüste der Klägerin nicht entstellend. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass bei der Beurteilung der Entstellung vom bekleideten Zustand des Betroffenen auszugehen ist (LSG Hamburg, a.a.O., Hessisches LSG, Urt. v. 15.04.2013 - L 1 KR 119/11, Rn. 22 aE bei juris; LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 16.11.2006 - L 4 KR 60/04, Rn. 24 bei juris).
Dermatologische Beschwerden in der Mammaunterfalte waren bei der Untersuchung durch Dr. W. und Dr. L. nicht erkennbar und wären im Übrigen mit entsprechender fachärztlicher Behandlung zu therapieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Mammareduktionsplastik.
Einen entsprechenden Antrag stellte die 1966 geborene Klägerin über die P. Klinik H. am 18.04.2013. Dr. R. beschrieb makromastiebedingte Schmerzen im Bereich der oberen Brustwirbelsäule, der Halswirbelsäule sowie Kopfschmerzen ins verlängerte Markt fortgesetzt, rezidivierenden intramammäre intertriginöse Entzündungen sowie Anisomastie und schmerzhafte Brustdrüsen beidseits.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13.06.2013 ab. Zur Begründung bezog sie sich auf Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) von Dr. Z. vom 03.11.2008 und Dr. L. vom 21.01.2009. Erstere führte aus, dass im Bereich der Mamma kein regelwidriger Körperzustand bestehe; aus der Brustgröße allein resultiere keine Fehlfunktion. Zudem bestünden keine evidenz-basierten Daten zur Korrelation von Brustgröße und Skelettbeschwerde. Zu empfehlen sei Rückenschule und Wirbelsäulengymnastik. Dr. L. kam nach Untersuchung der Klägerin zu keinem anderen Ergebnis. Dem Schreiben der behandelnden Ärztin Doktor B. zu Folge bestehe bei einer Körpergröße von 1,52 m ein Körpergewicht von 60 kg. Die Wirbelsäule zeigte sich lotrecht, es habe kein Klopfschmerz über den Wirbelkörpern, kein Druckschmerz über den Dornfortsätzen, keine paravertebralen Myogelesen bestanden, Schnürfurchen im Bereich der Schultern seien nicht erkennbar gewesen, die Kutis der Mama sei unauffällig gewesen.
Aufgrund des Widerspruchs der Klägerin, indem sie auf extreme Rücken-, Nacken-, Schulter- und anhaltende Kopfschmerzen hinwies, unter deren Belastungen es ihr schwer falle zu arbeiten, ließ die Beklagte den Fall erneut durch Dr. L. begutachten. Dieser kam am 08.11.2013 zu dem Ergebnis, dass sich die Situation gegenüber derer im Jahr 2009 nicht verändert habe. Im Bericht des behandelnden Arztes Dr. R. seien keine Hautveränderungen dokumentiert, diese basierten nur auf den Angaben der Klägerin. Ein pathologisches Korrelat sei nicht nach beweisbar. Im Übrigen seien Hautveränderungen einer dermatologischen Behandlung zu unterziehen. Als Primärprophylaxe seien hygienische Maßnahmen und eine Reduzierung der Adipositas zu empfehlen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2013 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, das Begehren sei nicht auf die Beseitigung eines krankhaften behandlungsbedürftigen Körperzustands ausgerichtet, außerhalb einer sozialmedizinischen Indikation müsse die Krankenversicherung nicht für eine Kostenübernahme eintreten.
Die Klägerin hat am 16.01.2014 Klage erhoben und vorgetragen bei ihr liege eine Gigantomastie beidseits mit einem Resektionsgewicht rechts von 900 g und links von 700 g vor. Dies wirke bei einer Größe von 152 cm entstellend.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.06.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2013 zu verurteilen, der Klägerin eine Mammareduktionsplastik zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts einen Behandlungs- und Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 11.09.2014 eingeholt. Es hat auf Antrag der Klägerin Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens nach §109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) des plastischen Chirurgen Dr. W., der die Klägerin am 11.06.2015 untersucht hat. Nach seinen Ausführungen habe sich im Vergleich zur Voruntersuchung durch Dr. L. vom 21.01.2009 die Körpergröße und Körpergewicht der Klägerin nicht geändert, der Jugularmamillenabstand habe auf der rechten Seite von 29 cm auf 32 cm, auf der linken Seite von 29 auf 30,5 cm zugenommen. Der submammaere Umfang habe im Jahr 2009 86 cm, jetzt 88 cm betragen, der Umfang auf Mamillenhöhe von 99 auf 102 cm zugenommen. Mit der Wasserverdrängungsmethode werde für die rechte Brust ein Volumen von 1830 ml, für die linke Brust ein Volumen von 1580 ml ermittelt. Die Brust der Klägerin sei deutlich größer und schwerer als bei einer "durchschnittlichen" Frau. Da das Gewicht der Brüste annäherungsweise 5 % ihres Körpergewichtes betrage, liege bezogen auf ihre Größe ein regelwidriger Zustand vor, da aufgrund der Brustgröße und des Brustgewichtes nachvollziehbar Beschwerden im Bereich der Rücken-und Nackenmuskulatur ausgelöst werden könnten. Obwohl bei der körperlichen Untersuchung durch Dr. L. eine lotrechte Wirbelsäule ohne Klopfchmerz über den Wirbelkörpern, ohne Druckschmerz über den Dornfortsätzen und ohne paravertebrale Myogelesen vorgelegen habe und die Halswirbelsäulenbeweglichkeit, Rumpfrotation und Seitwärtsneigung unauffällig gewesen sei, seien die von der Klägerin beklagten Beschwerden glaubhaft und ließen sich auf die Größe der Brüste zurückführen. Der Anblick in der Klägerin im bekleideten Zustand sei nicht entstellend. Der Erfolg einer operative Therapie zur Beschwerdeminderung sei durch mehrere klinische Untersuchungen belegt. Eine Intertrigo der Haut habe nicht bestanden.
Eine Auswertung der Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin hat ergeben, dass sie im Jahr 2015 wegen orthopädische Beschwerden an 26 Tagen und im Jahr 2014 an 11Tagen arbeitsunfähig war. In den Jahren 2011-2013 hat bei ihr keine Arbeitsunfähigkeit wegen orthopädischer Beschwerden vorgelegen. Schmerzmittel wurden nicht verordnet. Rehasport wurde der Klägerin ab 01.12.2015 verordnet aber bis zum 14.03.2016 nur dreimal mit der Beklagten abgerechnet.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und auf die Gerichtsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten halten einer gerichtlichen Überprüfung stand.
Die Klägerin kann nach § 27 Abs. 1 S 1 SGB V Krankenbehandlung verlangen, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Krankheit im Sinne dieser Norm ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr, vgl. BSG, Urteil vom 08. März 2016 – B 1 KR 35/15 R –,juris m.w.N.) Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist vielmehr, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder dass er an einer Abweichung vom Regelfall leidet, die entstellend wirkt (stRspr, a.a.O.). Eine Krankheit liegt dagegen nicht vor bei einem Zustand, der noch dem Bereich der individuellen menschlichen Unterschiede zugerechnet werden kann oder der lediglich eine Abweichung vom Idealmaß darstellt (LSG Hamburg, Urteil v. 02.05.2012 – L 21 KR 38/10 -, juris).
Die Größe und Schwere der Brust der Klägerin, die ohne Zweifel gemessen an ihrer Körpergröße deutlich vom Durchschnitt abweicht, kann nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil sie nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Körperfunktion führt. Folgeerscheinungen der übergroßen Brüste in Form von Schmerzen der Rücken-und Nackenmuskulatur sind nicht mit der dafür notwendigen Wahrscheinlichkeit zu belegen. Jedenfalls sind diese vorrangig mit konventionellen Behandlungsformen wie krankengymnastische Übungen und Gewichtsreduktion zu behandeln. Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die andere Leiden beeinflussen sollen, sind nicht als "Behandlung" iS von § 27 Abs. 1 SGB V zu bewerten; die Kostenübernahme für die hier in Rede stehenden Operation bedarf mit Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken einer besonderen Rechtfertigung, weil damit nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen wird, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 19. 10. 2004 – B 1 KR 9/04 R –, juris).
Das Gericht folgt nicht der Auffassung des medizinischen Gutachters Dr. W., wonach bei der Klägerin ein Zusammenhang zwischen Brustgröße- und schwere und den geklagten Beschwerden, die im Übrigen nur auf den Angaben der Klägerin beruhen, besteht. Diese können vielfältige Ursachen haben. Dass Dr. W. trotz des von ihm zitierten unauffälligen Befundes des Halteapparates durch Dr. L. und dem Umstand, dass er keinen eigenen Befund erhoben hat rein abstrakt einen Zusammenhang zwischen Brustgröße- und schwere und den geklagten Beschwerden herstellt, ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Eine regelmäßige fachärztliche Behandlung der Klägerin erfolgt nicht, die Klägerin hat sich nach eigenen Angaben zum Zeitpunkt der Klageerhebung zuletzt 5 Jahre zuvor wegen orthopädischer Beschwerden in Behandlung begeben. Die von ihm angeführten Untersuchungen können zum einen eine Einzelfallbeurteilung unter Heranziehung aktueller Befunde nicht ersetzen zum anderen beruhen die zitierten Studien auf einer retrospektiven Befragung bereits operierter Patientinnen, ohne dass ein alternatives Therapieangebot einer Kontrollgruppe untersucht worden ist.
Ein operativer Eingriff in ein gesundes Organ - hier die Brüste – ist nur dann gerechtfertigt ist, wenn keinerlei andere Behandlungsmethoden zum Erfolg führen können. Letzteres steht hier nicht fest. In dieser Einschätzung folgt die Kammer dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L., der insbesondere Rückenschule und Wirbelsäulengymnastik sowie Gewichtsreduktion als vorrangige Therapien angesehen hat. Letztere ist auch bei einem BMI von 26 (Übergewicht), wie bei der Klägerin vorliegend, zu empfehlen, da hierdurch das Zuggewicht der Brüste reduziert werden kann. Diese vorrangigen Therapien hat die Klägerin nicht ausgeschöpft. Dr. L. Einschätzung ist gegenüber der Einschätzung von Dr. W. Vorrang einzuräumen. Dies folgt bereits aus der höheren Sachkompetenz des Orthopäden Dr. L. gegenüber dem plastischen Chirurgen Dr. W ...
Eine Entstellung liegt bei der Klägerin nicht vor. Um eine Entstellung annehmen zu können, genügt nicht jede körperliche Anormalität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit auslöst und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung anderer wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzieht und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben der Gesellschaft gefährdet ist. Um eine Auffälligkeit eines solchen Ausmaßes zu erreichen, muss eine beachtliche Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Es genügt nicht allein ein markantes Gesicht oder generell die ungewöhnliche Ausgestaltung von Organen, etwa die Ausbildung eines sechsten Fingers an einer Hand. Vielmehr muss die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt (BSG – Urteil vom 28.02.2008 a.a.0.). Nach diesen Maßstäben sind nach Überzeugung der Kammer, die sich in diesem Punkt auf das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. Witig und auf ihren eigenen Eindruck in der mündlichen Verhandlung stützt, die Brüste der Klägerin nicht entstellend. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass bei der Beurteilung der Entstellung vom bekleideten Zustand des Betroffenen auszugehen ist (LSG Hamburg, a.a.O., Hessisches LSG, Urt. v. 15.04.2013 - L 1 KR 119/11, Rn. 22 aE bei juris; LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 16.11.2006 - L 4 KR 60/04, Rn. 24 bei juris).
Dermatologische Beschwerden in der Mammaunterfalte waren bei der Untersuchung durch Dr. W. und Dr. L. nicht erkennbar und wären im Übrigen mit entsprechender fachärztlicher Behandlung zu therapieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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