S 33 KR 1603/12

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 33 KR 1603/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner (KvdR).

Der 1946 geborene Kläger lebt derzeit in B ... In der Zeit vom 1. Januar 1993 bis 31. Dezember 1992 bestand eine Pflichtmitgliedschaft bei der beklagten Krankenversicherung. Für die Zeit vom 1. Januar 1993 bis 13. Oktober 1998 hielt sich der Kläger im Ausland auf. Seine Ehefrau war als Entwicklungshelferin tätig und es wurde für die Eheleute eine private Versicherung nach den Regelungen des Entwicklungshelfer-Gesetzes (EhfG) ausgeführt. Für die Zeit ab dem 14. Oktober 1998 bestand eine freiwillige Versicherung bei der Beklagten.

Unter dem 28. Juni 2011 beantragte der Kläger bei dem beigeladenen Rentenversicherungsträger die Gewährung einer Altersrente. Nach Prüfung der Vorversicherungszeiten für eine Pflichtversicherung in der KvdR erließ die Beklagte am 19. August 2011 einen Beitragsbescheid über eine freiwillige Versicherung ab dem 28. Juni 2011.

Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch. Seiner Ansicht nach sei eine Mitgliedschaft in der KvdR auszuführen, die Auslandszeiten seien anzuerkennen. Nach dem EhfG seien Entwicklungshelfer und ihre mitausgereisten Familienangehörigen für die Dauer der Entsendung in einer Gruppenkrankenversicherung zu versichern. Diese Gruppenversicherung sei ihrem Rechtscharakter nach eine private Krankenversicherung. Allerdings handele es sich nicht um eine freiwillige Entscheidung, die Solidargemeinschaft der Pflichtversicherten zu verlassen, so dass im Ergebnis die Zeit anerkannt werden müsse.

Mit weiterem Bescheid vom 11. November 2011 lehnte die Beklagte eine Versicherung in der KvdR mit der Begründung ab, dass die Vorversicherungszeit nicht erfüllt sei. Sie verwies auf eine Entscheidung des BSG.

Der hiergegen erhobene Widerspruch, in welchem der Kläger, der sich seit dem 1. August 2012 in B. aufhält, auf eine jetzt geänderte Rechtslage verwies, weil er nach damaliger Rechtslage keine Möglichkeit gehabt habe, eine Anwartschaftsversicherung abzuschließen, blieb erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. August 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die erforderliche Anwartschaftszeit für eine Versicherung in der KvdR sei nicht erfüllt. Der Kläger sei in der Zeit vom 1. Januar 1993 bis 13. Oktober 1998 privat krankenversichert gewesen. Die Dauer der Versicherung während eines Entwicklungsdienstes könne nicht als Vorversicherungszeit berücksichtigt werden.

Hiergegen richtet sich die am 5. Oktober 2012 vor dem Sozialgericht Berlin erhobene Klage. In dieser wird argumentiert, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V geboten sei. 1993, zum Beginn des Entwicklungsdienstes, habe nicht die Möglichkeit bestanden, eine Anwartschaftsversicherung abzuschließen, dies sei erst mit Wirkung zum 12. August 1998 möglich gewesen. Der Gesetzgeber habe es versäumt, eine Regelung für Altfälle zu treffen, deshalb sei von einer strukturellen Ungleichbehandlung für Entwicklungshelfer auszugehen. Das BSG habe seinerzeit argumentiert, dass lediglich Pflichtversicherte in die KvdR aufgenommen werden könnten. Der Kläger habe jedoch keine Möglichkeit gehabt, eine Pflichtversicherung bzw. eine Anwartschaft ausführen zu lassen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

den Bescheid vom 19.8.2011 in der Gestalt des Bescheides vom 11.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.8.2012 aufzuheben und festzustellen, dass für die Zeit vom 28.06.2011 bis zum 01.08.2012 eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner bestand.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid und die Entscheidung des BSG.

Der mit Beschluss vom 6. März 2015 beigeladene Rentenversicherungsträger hat die Klage zur Kenntnis genommen und dargelegt, dass für die Entscheidung über die Versicherungspflicht in der KvdR allein die Beklagte zuständig sei. Ein Antrag werde nicht gestellt.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Mit Beschluss vom 26. November 2012 hat das Sozialgericht Berlin den Rechtstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Hamburg verwiesen

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner lagen im streitbefangenen Zeitraum nicht vor.

Versicherungspflichtig sind Personen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 Sozialgesetzbuch-Fünftes Buch (SGB V), die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen, diese Rente beantragt haben und während der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens mindestens 90 % dieser Zeit Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung oder in der gesetzlichen Krankenversicherung familienversichert waren.

Der Kläger erfüllt die erforderliche Vorversicherungszeit nicht. Denn in der Zeit vom 17. November 1988 bis zum 28. Juni 2011 war er nicht mit einem Anteil von 9/10 Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Grund hierfür ist, dass der Zeitraum von 1993 bis 1998, in dem der Kläger als Familienangehöriger einer Entwicklungshelferin privat krankenversichert war, nicht zu berücksichtigungsfähig ist.

Das BSG hat entschieden, dass eine Auslegung, wonach auch private Krankenversicherungszeiten gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V berücksichtigt werden können, nicht statthaft sei, weil der Bezug zu Solidargemeinschaft nicht hergestellt werden könne (BSG v. 03.09.1998 – B 12 KR 21/97 R in juris, Rn.16). In dieser Entscheidung ist vom BSG dargelegt worden, dass eine Regelungslücke auch nicht für Entwicklungshelfer nach dem EhfG angenommen werden könne. Die Regelungen zur sozialen Sicherung der Entwicklungshelfer würden zwar teilweise an die sozialrechtlichen Vorschriften und Versicherungstatbestände im Inland anknüpfen, das gelte insbesondere für die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung. Für die Krankenversicherung, die für Versicherungsfälle während des Entwicklungsdienstes im Ausland einstehen müsse, habe das Gesetz dagegen keine Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgeschrieben. Der Gesetzgeber habe der Tatsache Rechnung tragen wollen, dass die gesetzliche Krankenversicherung wegen der für sie geltenden Strukturprinzipien, insbesondere des Territorialprinzips, einen Versicherungsschutz nur teilweise für z.B. in Deutschland bleibende Familienangehörige herstellen könne (BSG a.a.O, Rn. 22 unter Verweis auf BT-Drs V/2696 S.11). Die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V enthalte insoweit keine unbewusste Regelungslücke, denn der Gesetzgeber habe eine Gleichstellung erkennbar nicht beabsichtigt und für den Personenkreis der Entwicklungshelfer ein "pluralistisches System der sozialen Sicherung" entwickelt. Dabei würden Entwicklungshelfer in die deutsche Sozialversicherung nur insoweit einbezogen, wie dies mit deren Strukturprinzipien vereinbar sei.

Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich aus der Schaffung des § 240 Abs. 4a SGB V kein Anspruch auf eine Einbeziehung oder Gleichstellung der privaten Versicherungszeit während des Entwicklungsdienst der Ehefrau des Klägers herleiten. Soweit damit die Möglichkeit eröffnet wurde, eine Anwartschaftsversicherung für die Dauer des Auslandsaufenthaltes zu begründen, hat dies nur Auswirkungen für die Zukunft ab Inkrafttreten der Norm. Der Gesetzgeber hat es unterlassen, rückwirkende Regelungen zu treffen, zu deren Erlass er im Übrigen nicht verpflichtet ist. Die Anwartschaftsregelung war schon zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das BSG wirksam und ist in den Entscheidungsgründen nicht näher thematisiert werden. Ungeachtet dessen hat das BSG (BSG v. 03.09.1998 a.a.O.) in dieser Entscheidung klargestellt, dass gerade nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden könne und eine Einbeziehung der Zeiten der privaten Versicherung während eines Entwicklungsdienst auch nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitet werden könne.

Soweit der Gesetzgeber für die Zukunft im Rahmen seines Gestaltungsspielraums anderweitige Regelungen trifft, kann hieraus nicht abgeleitet werden, dass die Regelung für die Vergangenheit grundgesetzwidrig sei oder dass eine Verpflichtung bestanden habe, rückwirkende Änderungen herbeizuführen und sämtliche Personen, die (zu irgendeinem Zeitpunkt) eine Entwicklungsdienst geleistet haben, so zu behandeln, als ob eine Anwartschaftsversicherung abgeschlossen worden wäre. Die Ungleichbehandlung und Besserstellung mit Personen, die ab der Geltung der Neuregelung Entwicklungshilfe leisten ist nicht sachwidrig, denn sie knüpft an eine gesetzliche Neuregelung (und gesetzgeberische Neubewertung) an. Die Neuregelung erfolgte auch nicht unter dem Blickwinkel der Änderung der Zugangsvoraussetzungen für die KvdR, sondern sollte dem Bedürfnis bestimmter freiwilliger Mitglieder nach mehr beruflicher Flexibilität Rechnung tragen (Bernsdorff in jurisPK,- SGB V, 3. Auflage 2016, § 240 Rn. 44). Aber auch wenn primär der erweiterte Zugang in der KvdR beabsichtigt gewesen wäre, ändert dies nichts daran, dass die Neuregelung nicht rückwirkend gilt und vor dem Hintergrund des breiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers für die Ausgestaltung der Sozialversicherung auch nicht rückwirkend geltend muss. Die hiermit im Zusammenhang stehende Ungleichbehandlung zwischen Personen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Entwicklungsdienst geleistet haben, ist nicht zu beanstanden und systemimmanent bei gesetzlichen Neuregelungen. Etwas anderes gilt nur, wenn ein verfassungswidriger Zustand beseitigt werden sollte. Hiervon kann nach der Entscheidung des BSG v. 03.09.1998 a.a.O.) gerade nicht ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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