Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Lübeck (SHS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 1 KR 422/07 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der gesetzliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht seit dem 1. April 2007 auch in betreuten Wohnformen. Dieser Anspruch ist unabhängig davon, ob der Versicherte einen eigenen Haushalt bewohnt.
Häusliche Krankenpflege in betreuten Wohnformen kann nicht mit der Begründung, die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ( § 37 Abs. 6 SGB V ) liegen noch nicht vor, abgelehnt werden.
In den Richtlinien können nur weitere Orte der Leistungserbringung neben den in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V ausdrücklich genannten geeigneten Orten, z.B. betreuten Wohnformen, bestimmt werden.
Häusliche Krankenpflege in betreuten Wohnformen kann nicht mit der Begründung, die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ( § 37 Abs. 6 SGB V ) liegen noch nicht vor, abgelehnt werden.
In den Richtlinien können nur weitere Orte der Leistungserbringung neben den in § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V ausdrücklich genannten geeigneten Orten, z.B. betreuten Wohnformen, bestimmt werden.
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, ab 2. April 2007 vorläufig und bis zur Entscheidung der Hauptsache die Kosten für die häusliche Krankenpflege in Form von einmal täglicher Medikamentengabe ( Injektion von Insulin ) entsprechend der vorliegenden bzw. noch eingehenden Rechnungen zu übernehmen bzw. den Antragsteller von diesen Kosten freizustellen. 2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller ab Zugang dieses Beschlusses vorläufig und bis zur Entscheidung in der Hauptsache häusliche Krankenpflege in Form von einmal täglicher Medikamentengabe ( Injektion von Insulin ) entsprechend der vorliegenden und weiteren ärztlichen Verordnungen als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. 3. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
I.
Der am 1936 geborene Antragsteller leidet u. a. an einem Diabetes mellitus Typ II und benötigt einmal täglich eine Injektion von Insulin. Durch Beschluss des Amtsgerichts L vom 07.12.2000 ist der Prozessbevollmächtigte zum Betreuer für den Aufgabenkreis " er-nannt worden.
Seit dem 01.03.2007 lebt der Antragsteller in der Wohneinrichtung A e.V., L. Grundlage ist ein zwischen dem Antragsteller und der Einrichtung geschlossener Vertrag, der als Ziel eine Atmosphäre des Vertrauens, in der es möglich wird, persönliche Gaben zu entfalten und Begrenzungen bzw. Schwächen anzunehmen, definiert (§ 1 Präambel). Dem Antragsteller ist zur Unterkunft ein Einzelzimmer, ausgestattet mit einem Bett, Nachttisch, Kleiderschrank und Gardinen unter Zuordnung eines WC-Duschbades sowie eine Teeküche und eines Gemeinschaftsaufenthaltsraumes überlassen worden. Die Unterkunft umfasst auch die Versorgung und Entsorgung mit Kalt-Warmwasser und Strom sowie Heizung bzw. Abfall. Angeboten ist eine Verpflegung als Normalkost bzw. bei Bedarf Schonkost, Diätkost und Zwischenmahlzeit nach ärztlicher Verordnung. Als Leistungen der sozialen Betreuung sind definiert (§ 5):
"Die Einrichtung erbringt dem Bewohner die Leistungen der sozialen Betreuung, die den diakonischen Anspruch der Ganzheitlichkeit unterstützt.
Dadurch wird dem Bewohner ein Lebensraum gestaltet, der ihm die Führung eines selbstbestimmten Lebens ermöglicht und zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft innerhalb und außerhalb der Einrichtung beiträgt.
Die Leistungen im Rahmen der sozialen Betreuung dienen der Orientierung zur Zeit, zum Ort, zur Person, der Gestaltung des persönlichen Alltags und einem Leben in der Gemeinschaft, der Bewältigung von Lebenskrisen und der Begleitung Sterbender sowie der Unterstützung bei der Erledigung persönlicher Angelegenheiten".
Medizinische Pflegeleistungen werden von dem Vertrag ausdrücklich nicht umfasst und auch nicht angeboten. Im Vertrag wird allerdings darauf hingewiesen, dass bei Bedarf die Möglichkeit bestehe, über ambulante Pflegedienste im Rahmen der Möglichkeiten entsprechende ambulante Pflegeleistung zu organisieren. Das in § 7 geregelte Leistungsentgelt ist aufgegliedert in das Entgelt für Unterkunft, Verpflegung, allgemeine Betreuungsleistungen, betriebsnotwendige Investitionsaufwendungen, Zusatzleistungen bzw. für weitere Leistungen. Wegen der weiteren Vertragsinhalte wird auf Bl. 1 – 10 der Verwaltungsakte verwiesen.
Am 20.04.2007 verordnete der den Antragsteller behandelnde Arzt J H häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 20.04. bis zum 01.07.2007, und zwar die einmal tägliche und siebenmal wöchentliche Injektion von Insulin. Der damit beauftragte Pflegedienst, die Diakonie L Pflege gGmbH, übersandte unter dem 02.05.2007 die Verordnung von Dr. H und bat um die Genehmigung der Kostenübernahme.
Mit Bescheid vom 08.05.2007 lehnte die Antragsgegnerin die beantragte Kostenübernahme mit der Begründung ab, zwar habe der Gesetzgeber mit der aktuellen Rechtsänderung festgelegt, dass Leistungen der medizinischen Behandlungspflege auch außerhalb des eigenen Haushalts bzw. des Haushalts der Familie übernommen werden können. Der gemeinsame Bundesausschuss habe dabei jedoch vom Gesetzgeber den Auftrag erhalten, Festlegungen zu treffen, wann die Voraussetzungen für die Kostenübernahme erfüllt seien. Hierfür seien Umsetzungszeiten einzurechnen, ehe Festlegungen getroffen und eine praktische Umsetzung erfolgen könne. Derzeit sei deshalb eine Kostenübernahme nicht möglich.
Dagegen erhob der Antragsteller am 15.05.2007 Widerspruch. Mit Schreiben vom 07.06.2007 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller erneut darauf hin, dass die Anpassung der Richtlinien gemäß § 37 Abs. 6 SGB V in der Fassung ab 01.04.2007 noch nicht erfolgt sei und diese auch nicht vor Oktober 2007 erwartet werde. Die Antragsgegnerin war der Auffassung, erst mit Inkrafttreten der Richtlinien entstehe der tatsächliche Leistungsanspruch für die dann definierten Orte außerhalb des Haushalts. Das Einverständnis des Antragstellers voraussetzend stellte die Antragsgegnerin den Widerspruch bis zum Inkrafttreten der Richtlinien zurück.
Am 12.06.2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Lübeck den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt und ausgeführt, die Kostenübernahme könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, Rechtsanwendungsvorschriften fehlten. Eine Entscheidung sei dringend geboten, da das Risiko der Kostenübernahme nicht dem Antragsteller aufgebürdet werden könne. Mit Schreiben vom 18.07.2007 habe die Antragsgegnerin auch den weiteren Antrag auf Kostenübernahme der häuslichen Krankenpflege aufgrund der ärztlichen Verordnung für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. September 2007 abgelehnt und wiederum darauf hingewiesen, nach der Gestaltung der vertraglichen Regelungen sei unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung der Begriff der eigenen Häuslichkeit nicht erfüllt. Auch gegen diese Ablehnung hat der Antragsteller Widerspruch erhoben, der ebenfall bisher nicht entschieden wurde.
Der Antragsteller beantragt zunächst,
im Wege der einstweiligen Anordnung wegen Eilbedürftigkeit ohne mündliche Verhandlung die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Kosten im Rahmen der häuslichen Krankenpflege in Form von einmal täglicher Medikamentengabe (Injektion von Insulin) ab dem 02.04.2007 bis 1. Juli 2007 zu übernehmen,
und sodann:
im Wege der einstweiligen Anordnung wegen Eilbedürftigkeit ohne mündliche Verhandlung die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Kosten im Rahmen der häuslichen Krankenpflege in Form von einmal täglicher Medikamentengabe (Injektion von Insulin) ab dem 02.04.2007 fortlaufend zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie wendet erneut ein, bei dem Antragsteller könne von einem eigenen Haushalt nicht ausgegangen werden, und der Anspruch ergebe sich auch nicht aufgrund der Neufassung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, da der tatsächliche Leistungsanspruch für die dann definierten Orte außerhalb des Haushaltes erst durch die Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses definiert würden. Gleichwohl entstehe kein Leistungsvakuum zu Lasten des Antragstellers, da die Sozialhilfeträger verpflichtet seien, die Kosten zu übernehmen.
Der Antragsteller weist darauf hin, dass das Sozialamt sich weigert, die Kosten für die tägliche Insulingabe im Rahmen der häuslichen Krankenpflege als Eingliederungshilfe zu bezahlen. Insofern bestehe durchaus ein Leistungsvakuum zu Lasten des Antragstellers.
Die Kammer hat von dem Geschäftsführer des Unterausschusses "häusliche Krankenpflege" des Gemeinsamen Bundesausschusses am 26.07.2007 die Auskunft erhalten, dass die Richtlinien zu der Novellierung von § 37 Abs. 1 und 2 SGB V gemäß Abs. 6 voraussichtlich frühestens Anfang 2008 fertig gestellt sein dürften.
Im Termin am 03.08.2007 ist die Sach- und Rechtslage ausführlich mit den Beteiligten erörtert worden. Der Antragsgegnerin hat zu Protokoll erklärt, dass ihr eine an den Antragsteller gerichtete Rechnung der Diakonie L Pflege gGmbH über 262,50 Euro vom 3. Juli 2007 über Leistungen im Monat Juni 2007 vorliegt.
Zum Entscheidungszeitpunkt hat die den Antragsteller betreffende Verwaltungsakte der Antragsgegnerin vorgelegen. Darauf sowie auf die Gerichtsakte wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und auch begründet. Auch die Erweiterung des Klagebegehrens (§ 99 Abs. 1 SGG ) begegnet keinen rechtlichen Bedenken, denn die Kammer hält diese für sachdienlich.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnungen). Voraussetzung dafür sind das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruches gemäß §§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG, 920 ff. Zivilprozessordnung – ZPO -, die beide glaubhaft zu machen sind.
Der Begriff des Anordnungsanspruchs ist in § 86 b Abs. 2 SGG nicht genannt. Er ergibt sich aus der in Abs. 2 Satz 4 SGG geregelten Verweisung auf § 920 ZPO, dessen Abs. 2 § 916 ZPO in Bezug nimmt; dieser stellt die Verbindung zum materiellen Recht her.
Der Antrag des Antragstellers auf Kostenübernahme kann allerdings zunächst nur insoweit erfolgreich sein, wie die Leistungen bereits erbracht worden sind, da die Versicherten grundsätzlich einen Anspruch auf Sachleistungen haben. Für den weiteren Zeitraum wäre bei Auslegung des Antrags zu prüfen, ob ein Anspruch auf Sachleistungen besteht.
Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war ( § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V ). Bei bereits erfolgter Rechnungslegung ist der Versicherte von den Kosten freizustellen, soweit die Rechnungen nicht bezahlt worden sind, wofür nach Aktenlage keine Anhaltspunkte vorliegen.
Zu Unrecht abgelehnt ist eine Leistung dann, wenn zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme ein Leistungsanspruch bestand. Der Anspruch auf Kostenerstattung setzt einen Kausalzusammenhang zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten voraus. Ohne diesen Zusammenhang ist die in § 13 Abs 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V (vgl "dadurch ... entstanden") geregelte Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz (vgl § 2 Abs 2 Satz 1, § 13 Abs 1 SGB V) nicht erfüllt (BSGE 79, 125, 127 = SozR 3 2500 § 13 Nr 11 S 51; BSG SozR 3 2500 § 13 Nr 15 S 74 f; BSG SozR 4 2500 § 13 Nr 1 RdNr 12 bis 14). Ein Anspruch nach § 13 Abs 3 SGB V ist ausgeschlossen, wenn die Entscheidung der Krankenkasse das weitere Geschehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer Leistung nicht mehr beeinflussen konnte, weil der Betroffene sich bereits unabhängig vom Verhalten seiner Krankenkasse endgültig auf eine bestimmte Leistungsform festgelegt hatte. Der Versicherte ist indessen vor der Inanspruchnahme einer Behandlung außerhalb des Sachleistungssystems grundsätzlich gehalten, sich an seine Krankenkasse zu wenden, die Leistungsgewährung zu beantragen (BSG SozR 3 2500 § 13 Nr 15 S 74) und die Entscheidung der Krankenkasse darüber abzuwarten (BSG SozR 4 2500 § 13 Nr 1 RdNr 11). Ein Abwarten des Ausgangs des Widerspruchsverfahrens ist allerdings nicht erforderlich.
Der Antragsteller bzw. der Pflegedienst hat die häusliche Krankenpflege bei der Antragstellerin nach Lage der Akten vorab beantragt und die Entscheidung abgewartet. Die Antragsgegnerin hat den Einwand der verspäteten Antragstellung auch nicht erhoben. Die Sachleistung ist auch zu Unrecht abgelehnt worden.
Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege ergibt sich aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung -GKV-Wettbewerbs-Stärkungs-Gesetz – GKV-WSG- vom 26.03.2007, BGBl I S. 378). Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Diese Neuregelung bewirkt durch eine vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Wohnformen, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen Haushalten nicht benachteiligt werden (Begründung zum GKV-WSG). Nach den Merkmalen des zwischen dem Antragsteller und dem Träger der Einrichtung geschlossenen Vertrages geht die Kammer davon aus, dass es sich um eine Einrichtung des betreuten Wohnens handelt. In derartigen Einrichtungen bestand ein Anspruch auf Krankenpflege nach § 37 SGB V bisher dann nicht, wenn ein Versicherter neben einem Mietvertrag auch einen Betreuungsvertrag mit dem Träger abgeschlossen hat, in dem Letzterer sich verpflichtete, die notwendigen Maßnahmen (im konkreten Fall die Medikamentengabe) auch ohne zusätzliche Vergütung zu gewähren. Mit Wirkung zum 01.04.2007 hat der Gesetzgeber weitere Tatbestandsmerkmale zugefügt. Die Unsicherheit darüber, wann beim betreuten Wohnen Krankenpflege durch die GKV zu gewähren ist, hat er im Sinne des betreuten Wohnens entschieden. Krankenpflege in betreuter Wohnform ist jetzt ausdrücklich in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen eingeschlossen (Padé in JURIS, Praxiskommentar zum SGB V, 1. Auflage 2007, § 37 Rn 25). Die frühere Rechtsprechung zur alten Formulierung, wo auch bei betreuter Wohnform der "eigene" Haushalt der Maßstab war, d. h. der Betreffende die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung im Wesentlichen selbst tragen muss (BSG, Urteil v. 01.09.2005, Az.: B 3 KR 19/04 R) und der Leistungsanspruch nur dann besteht, wenn die Versorgung des Versicherten nicht (vertraglich) umfassend von der Einrichtung geschuldet wird, gilt ab 01.04.2007 nicht mehr, weil der weitere Ort der Leistungserbringung, die "betreute Wohnform", ausdrücklich genannt ist und eine weitere Anspruchsgrundlage neben dem "eigenen Haushalt" darstellt.
Unzutreffend hat die Antragsgegnerin deshalb ihre Ablehnung darauf gestützt, vom Antragsteller werde kein eigener Haushalt bewohnt. Auch die weitere Argumentation, selbst bei expliziter Nennung der betreuten Wohnform als geeigneter Ort der häuslichen Krankenpflege könne erst dann eine Entscheidung getroffen werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die erforderliche Feststellung getroffen habe, überzeugt nicht. Bei der im einstweiligen Rechtschutz gebotenen summarischen Betrachtung der Sach- und Rechtslage ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der Anspruch auf häusliche Krankenpflege – bei Vorliegen der weiteren – hier nicht strittigen Voraussetzungen bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes unter expliziter Nennung der betreuten Wohnformen ergibt. Nach der Gesetzesbegründung sind die Orte, an denen Leistungen der häuslichen Krankenpflege erbracht werden können, nicht abschließend aufgezählt, so dass auch häusliche Krankenpflege an Arbeitsstätten oder Werkstätten für Behinderte unter bestimmten Voraussetzungen gewährt werden kann. Ein unbedingter und nicht Ermessensanspruch ist jedoch bei den explizit genannten Orten im Gesetz zur Auffassung der Kammer auch ohne Vorlegen bzw. Inkrafttreten der Richtlinien nach Abs. 6 gegeben. Die Formulierung beinhaltet nicht die Möglichkeit einer Ermessensausübung, weil bestimmt ist, dass Versicherte in betreuten Wohnformen häusliche Krankenpflege erhalten. Insoweit löst sich auch der Widerspruch zu Abs. 6, wonach der gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 festlegt, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Abs. 1 und 2 auch außerhalb des Haushaltes und der Familie des Versicherten erbracht werden können, dahingehend auf, dass in den Richtlinien weitere Orte und Fälle der Leistungserbringung vom Bundesausschuss festgelegt werden können. Der Bundesausschuss kann mithin zusätzlich zu den ausdrücklich im Gesetz vorgesehenen Einrichtungen weitere Orte bestimmen, an denen die häusliche Krankenpflege zu erbringen ist (Padé, a.a.O., Rn 25) bzw. an welchen Orten außer den bereits in den Absätzen 1 und 2 genannten Krankenpflege erbracht werden muss (Padé a.a.O., Rn 70). Im Übrigen ergibt sich aus der Formulierung des Abs. 6 eindeutig, dass seit dem 01.04.2007 beim betreuten Wohnen nicht mehr zu prüfen ist, ob der Versicherte einen eigenen Haushalt führt. Denn die Ermächtigung des Bundesausschusses in Abs. 6 beschränkt sich auf die Festlegung in den Richtlinien, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Abs. 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können.
Auch gesetzessystematisch lässt sich nicht begründen, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege bei betreuten Wohnformen gemäß § 37 Abs. 6 SGB V erst nach Inkrafttreten der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses entsteht, obwohl nach dem Wortlaut und dem Inkrafttreten des Gesetzes dieser Anspruch bereits seit dem 01.04.2007 gegeben ist. Denn bei den Richtlinien handelt es sich – auch wenn zunächst Unklarheiten über die Normqualität bestanden – nach den klaren Definitionen des Bundessozialgerichts seit den Entscheidungen von 1997 ( vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16. September 1997, 1 RK 32/95 ) eindeutig um untergesetzliche Rechtsnormen, die zwar verbindlich sind, im Zweifel jedoch hinter die Normen zurücktreten müssen. Dies ist in einer Reihe von Entscheidungen des Bundessozialgerichts stets betont worden, so z. B. zu den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien in der Entscheidung zu der medizinischen Fußpflege bei Diabetikern (Urteil v. 16.11.1999, Az.: B 1 KR 9/97 R) oder in der SKAT- Entscheidung zu den Arzneimittel-Richtlinien (Urteil v. 30.09.1999, Az.: B 8 KN 9/98).
Bei den Richtlinien über die häusliche Krankenpflege ist die Ermächtigung des Bundesausschusses ausdrücklich eingeschränkt worden. Im Unterschied zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (§ 135 SGB V) und Heilmitteln (§ 138 SGB V) ist dem Bundesausschuss keine Ermächtigung eingeräumt, den Umfang der von den Krankenkassen zu erbringenden Leistungen der häuslichen Krankenpflege abschließend festzulegen (BSG, Urteil v. 17.03.2005, Az.: B 3 KR 35/04 R in BSGE 94,205,212 ). Vielmehr beschränkt sich der Auftrag an den Bundesausschuss – wie es dem Wesen von Richtlinien entspricht – auf die Konkretisierung und Interpretation des Wirtschaftlichkeitsgebotes für die Regelfälle der häuslichen Krankenpflege, schließt aber ein Abweichen davon im Einzelfall nicht aus (BSG, Urteil v. 17.03.2005,a.a.O ). Liegt es aber bereits im Wesen der Richtlinien, dass diese im Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigung einerseits und dem Gesetzeswortlaut andererseits stehen müssen, so lässt sich nicht begründen, weshalb die Antragsgegnerin in Fällen des betreuten Wohnens einen Anspruch erst dann gegeben sieht, wenn die Richtlinien in Kraft treten. Vielmehr besteht der Anspruch in betreuten Wohnformen seit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. April 2007 und auch die (noch) fehlenden Richtlinien stehen diesem nicht entgegen.
Der Antragsteller hat deshalb einen vorläufigen Kostenerstattungs- bzw. Freistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V für bereits erbrachte Leistungen des Pflegedienstes.
Für den hieran anschließenden Zeitraum ab Zugang des Beschlusses besteht demgegenüber ein vorläufiger Anspruch auf die Gewährung von häuslicher Krankenpflege als Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V als Sachleistung.
Nach allem ist davon auszugehen, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegen wird. Der Anordnungsanspruch ist daher gegeben.
Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Auch dieser Begriff ist in § 86 b Abs. 2 SGG nicht genannt, ergibt sich aber aus der Verweisung in Abs. 2 Satz 4 auf §§ 920, Abs. 2, 917, 918 ZPO. Gemeint ist eine besondere Eilbedürftigkeit. Die Regelung eines vorläufigen Zustands muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Das Gewicht, mit dem die Erfolgsaussicht einzustellen sind, hängt von der Schwere des Anordnungsgrundes ab und umgekehrt. Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein (Binder, a.a.O. Rn 38 m.w.N.). So aber liegt der Fall hier. Denn der Anspruch auf Behandlungspflege in der vom Antragsteller bewohnten Einrichtung ergibt sich bereits aus dem Gesetz, so dass die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein dürfen. Da § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG "wesentliche", nicht aber "schwere und unzumutbare" Nachteile voraussetzt, gewährt § 86 b Abs. 2 SGG nicht nur den verfassungsrechtlichen Mindeststandard an vorläufigem Rechtschutz (Binder in SGG Handkommentar, § 86 Rn 33 m.w.N.) Auf die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung kann daher nur eingeschränkt zurückgegriffen werden. Andererseits reicht nicht jeder Nachteil aus, er muss "wesentlich" sein. Bestimmte Nachteile müssen demnach hingenommen werden. Einstweiliger Rechtschutz ist mithin dann zu gewähren, wenn dem Antragsteller die Änderung des bisherigen Zustandes bzw. dessen Aufrechterhaltung in der Interimszeit, also ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache, nicht zumutbar ist, dabei sind die Interessen des Antragstellers sowie die öffentlichen Interessen zu berücksichtigen.
Der Antragsteller benötigt medizinische Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB B, und zwar in Form der täglichen Injektion von Insulin. Diese kann nur von einer externen Fachkraft eines Pflegedienstes verabreicht werden. Die Sicherstellung der Behandlungspflege wird nur durch die Gewährung der Leistung durch die Antragsgegnerin erreicht, denn der Antragsteller ist nicht in der Lage, diese Kosten – ggf. auch nur vorübergehend – zu übernehmen. Er bezieht nur eine geringe Rente und ergänzende Sozialhilfe. Der Sozialhilfeträger wiederum hat es abgelehnt, in Vorleistung zu treten. Zur Auffassung der Kammer liegen deshalb wesentliche Nachteile für den Antragsteller vor, wenn er zum einen das Risiko eingeht, dass der bisherige Pflegedienst wegen der offenen Kostenfrage seine Tätigkeit einstellt, weil die Kosten von ihm nicht übernommen werden können und zum anderen damit rechnen muss, dass die bereits entstandenen Kosten ihm gegenüber durchgesetzt werden. Die Interessen des Antragstellers überwiegen auch gegenüber denjenigen der Antragsgegnerin, denn zum einen ist die Gesetzeslage eindeutig und zum anderen sind deren Kosten für eine einmal tägliche Behandlungspflege verhältnismäßig gering und belaufen sich nach der Rechnung vom 3. Juli 2007 auf 262,50 Euro monatlich.
Der Anordnungsgrund erstreckt sich deshalb auch auf Leistungen in der Vergangenheit. Zwar knüpft die Rechtsprechung ( zum BSHG ) an den alten Grundsatz "in praeteritum non vivitur" an, wonach eine eigentlich auf die Zukunft bezogene Regelung eines streitigen Zustands im Sinne der prozessrechtlichen Vorschriften über den Erlass einer einstweiligen Anordnung dann nicht geboten ist, wenn damit nur Unrecht in der Vergangenheit ausgeglichen würde ( vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. Mai 2007, L 13 AS 32/06 ER ) und auch heute fehlt es in grundsicherungsrechtlichen Eilverfahren regelmäßig dann, wenn Leistungen für die Vergangenheit, d.h. für den Zeitraum vor Eingang des Eilantrags bei Gericht, begehrt werden, regelmäßig am Anordnungsgrund ( Groth, Einstweiliger Rechtsschutz in Streitigkeiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende in NJW 2007,2294,2295 ), Ausnahmsweise kommt jedoch eine rückwirkende Gewährung in Leistungen in Betracht, wenn die frühere Verweigerung der Mittel in die Zukunft fortwirkt ( Groth, a.a.O ). So aber liegt der Fall hier, auch wenn derzeit ( noch ) nicht der Rechnungsbetrag bei dem Antragsteller beigetrieben worden ist und dem Antragsteller bisher lediglich die Leistungen für Juni 2007 in Rechnung gestellt worden sind. Denn der Antragsteller würde ohne die rückwirkende Verpflichtung zur Kostenübernahme damit rechnen müssen, dass auch für die Monate April, Mai und Juli ihm gegenüber Rechnungen erteilt und die Beträge durchgesetzt werden könnten.
Für den Zeitraum ab Zugang des Beschlusses war die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig die häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Liegen aber sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund vor, so war die Antragsgegnerin zu verpflichten, bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Widerspruchsverfahren bisher nicht durchgeführt worden ist. Dies folgt bereits aus dem durch die Verfassung garantierten Anspruch auf effektiven Rechtschutz. Allerdings hat es die Antragsgegnerin in der Hand, über den Widerspruch zu entscheiden und damit das Hauptsacheverfahren einzuleiten.
Dem Anspruch steht ebenfalls nicht entgegen, dass damit die Hauptsache vorweggenommen werden könnte. Denn davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Maßnahme nachträglich nicht mehr für die Vergangenheit korrigierbar ( Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 86 b, RdNr. 31 ) ist. Dies ist bei der Verurteilung zur vorläufigen Gewährung von Sozialleistungen nur der Fall wenn eine Rückforderung ausgeschlossen ist (Kopp/Schenke, VwGO 13. Aufl., RdNr. 14 c), wie z.B. bei der Erteilung einer Arbeitserlaubnis. So aber liegt der Fall hier nicht, denn die Antragsgegnerin kann die vorläufig – auch als Sachleistung - bewilligten Leistungen zurückfordern.
Nach allem war dem Antrag des Antragstellers zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe:
I.
Der am 1936 geborene Antragsteller leidet u. a. an einem Diabetes mellitus Typ II und benötigt einmal täglich eine Injektion von Insulin. Durch Beschluss des Amtsgerichts L vom 07.12.2000 ist der Prozessbevollmächtigte zum Betreuer für den Aufgabenkreis " er-nannt worden.
Seit dem 01.03.2007 lebt der Antragsteller in der Wohneinrichtung A e.V., L. Grundlage ist ein zwischen dem Antragsteller und der Einrichtung geschlossener Vertrag, der als Ziel eine Atmosphäre des Vertrauens, in der es möglich wird, persönliche Gaben zu entfalten und Begrenzungen bzw. Schwächen anzunehmen, definiert (§ 1 Präambel). Dem Antragsteller ist zur Unterkunft ein Einzelzimmer, ausgestattet mit einem Bett, Nachttisch, Kleiderschrank und Gardinen unter Zuordnung eines WC-Duschbades sowie eine Teeküche und eines Gemeinschaftsaufenthaltsraumes überlassen worden. Die Unterkunft umfasst auch die Versorgung und Entsorgung mit Kalt-Warmwasser und Strom sowie Heizung bzw. Abfall. Angeboten ist eine Verpflegung als Normalkost bzw. bei Bedarf Schonkost, Diätkost und Zwischenmahlzeit nach ärztlicher Verordnung. Als Leistungen der sozialen Betreuung sind definiert (§ 5):
"Die Einrichtung erbringt dem Bewohner die Leistungen der sozialen Betreuung, die den diakonischen Anspruch der Ganzheitlichkeit unterstützt.
Dadurch wird dem Bewohner ein Lebensraum gestaltet, der ihm die Führung eines selbstbestimmten Lebens ermöglicht und zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft innerhalb und außerhalb der Einrichtung beiträgt.
Die Leistungen im Rahmen der sozialen Betreuung dienen der Orientierung zur Zeit, zum Ort, zur Person, der Gestaltung des persönlichen Alltags und einem Leben in der Gemeinschaft, der Bewältigung von Lebenskrisen und der Begleitung Sterbender sowie der Unterstützung bei der Erledigung persönlicher Angelegenheiten".
Medizinische Pflegeleistungen werden von dem Vertrag ausdrücklich nicht umfasst und auch nicht angeboten. Im Vertrag wird allerdings darauf hingewiesen, dass bei Bedarf die Möglichkeit bestehe, über ambulante Pflegedienste im Rahmen der Möglichkeiten entsprechende ambulante Pflegeleistung zu organisieren. Das in § 7 geregelte Leistungsentgelt ist aufgegliedert in das Entgelt für Unterkunft, Verpflegung, allgemeine Betreuungsleistungen, betriebsnotwendige Investitionsaufwendungen, Zusatzleistungen bzw. für weitere Leistungen. Wegen der weiteren Vertragsinhalte wird auf Bl. 1 – 10 der Verwaltungsakte verwiesen.
Am 20.04.2007 verordnete der den Antragsteller behandelnde Arzt J H häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 20.04. bis zum 01.07.2007, und zwar die einmal tägliche und siebenmal wöchentliche Injektion von Insulin. Der damit beauftragte Pflegedienst, die Diakonie L Pflege gGmbH, übersandte unter dem 02.05.2007 die Verordnung von Dr. H und bat um die Genehmigung der Kostenübernahme.
Mit Bescheid vom 08.05.2007 lehnte die Antragsgegnerin die beantragte Kostenübernahme mit der Begründung ab, zwar habe der Gesetzgeber mit der aktuellen Rechtsänderung festgelegt, dass Leistungen der medizinischen Behandlungspflege auch außerhalb des eigenen Haushalts bzw. des Haushalts der Familie übernommen werden können. Der gemeinsame Bundesausschuss habe dabei jedoch vom Gesetzgeber den Auftrag erhalten, Festlegungen zu treffen, wann die Voraussetzungen für die Kostenübernahme erfüllt seien. Hierfür seien Umsetzungszeiten einzurechnen, ehe Festlegungen getroffen und eine praktische Umsetzung erfolgen könne. Derzeit sei deshalb eine Kostenübernahme nicht möglich.
Dagegen erhob der Antragsteller am 15.05.2007 Widerspruch. Mit Schreiben vom 07.06.2007 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller erneut darauf hin, dass die Anpassung der Richtlinien gemäß § 37 Abs. 6 SGB V in der Fassung ab 01.04.2007 noch nicht erfolgt sei und diese auch nicht vor Oktober 2007 erwartet werde. Die Antragsgegnerin war der Auffassung, erst mit Inkrafttreten der Richtlinien entstehe der tatsächliche Leistungsanspruch für die dann definierten Orte außerhalb des Haushalts. Das Einverständnis des Antragstellers voraussetzend stellte die Antragsgegnerin den Widerspruch bis zum Inkrafttreten der Richtlinien zurück.
Am 12.06.2007 hat der Antragsteller bei dem Sozialgericht Lübeck den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt und ausgeführt, die Kostenübernahme könne nicht mit der Begründung abgelehnt werden, Rechtsanwendungsvorschriften fehlten. Eine Entscheidung sei dringend geboten, da das Risiko der Kostenübernahme nicht dem Antragsteller aufgebürdet werden könne. Mit Schreiben vom 18.07.2007 habe die Antragsgegnerin auch den weiteren Antrag auf Kostenübernahme der häuslichen Krankenpflege aufgrund der ärztlichen Verordnung für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 30. September 2007 abgelehnt und wiederum darauf hingewiesen, nach der Gestaltung der vertraglichen Regelungen sei unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung der Begriff der eigenen Häuslichkeit nicht erfüllt. Auch gegen diese Ablehnung hat der Antragsteller Widerspruch erhoben, der ebenfall bisher nicht entschieden wurde.
Der Antragsteller beantragt zunächst,
im Wege der einstweiligen Anordnung wegen Eilbedürftigkeit ohne mündliche Verhandlung die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Kosten im Rahmen der häuslichen Krankenpflege in Form von einmal täglicher Medikamentengabe (Injektion von Insulin) ab dem 02.04.2007 bis 1. Juli 2007 zu übernehmen,
und sodann:
im Wege der einstweiligen Anordnung wegen Eilbedürftigkeit ohne mündliche Verhandlung die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Kosten im Rahmen der häuslichen Krankenpflege in Form von einmal täglicher Medikamentengabe (Injektion von Insulin) ab dem 02.04.2007 fortlaufend zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie wendet erneut ein, bei dem Antragsteller könne von einem eigenen Haushalt nicht ausgegangen werden, und der Anspruch ergebe sich auch nicht aufgrund der Neufassung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, da der tatsächliche Leistungsanspruch für die dann definierten Orte außerhalb des Haushaltes erst durch die Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses definiert würden. Gleichwohl entstehe kein Leistungsvakuum zu Lasten des Antragstellers, da die Sozialhilfeträger verpflichtet seien, die Kosten zu übernehmen.
Der Antragsteller weist darauf hin, dass das Sozialamt sich weigert, die Kosten für die tägliche Insulingabe im Rahmen der häuslichen Krankenpflege als Eingliederungshilfe zu bezahlen. Insofern bestehe durchaus ein Leistungsvakuum zu Lasten des Antragstellers.
Die Kammer hat von dem Geschäftsführer des Unterausschusses "häusliche Krankenpflege" des Gemeinsamen Bundesausschusses am 26.07.2007 die Auskunft erhalten, dass die Richtlinien zu der Novellierung von § 37 Abs. 1 und 2 SGB V gemäß Abs. 6 voraussichtlich frühestens Anfang 2008 fertig gestellt sein dürften.
Im Termin am 03.08.2007 ist die Sach- und Rechtslage ausführlich mit den Beteiligten erörtert worden. Der Antragsgegnerin hat zu Protokoll erklärt, dass ihr eine an den Antragsteller gerichtete Rechnung der Diakonie L Pflege gGmbH über 262,50 Euro vom 3. Juli 2007 über Leistungen im Monat Juni 2007 vorliegt.
Zum Entscheidungszeitpunkt hat die den Antragsteller betreffende Verwaltungsakte der Antragsgegnerin vorgelegen. Darauf sowie auf die Gerichtsakte wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und auch begründet. Auch die Erweiterung des Klagebegehrens (§ 99 Abs. 1 SGG ) begegnet keinen rechtlichen Bedenken, denn die Kammer hält diese für sachdienlich.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (sog. Regelungsanordnungen). Voraussetzung dafür sind das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruches gemäß §§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG, 920 ff. Zivilprozessordnung – ZPO -, die beide glaubhaft zu machen sind.
Der Begriff des Anordnungsanspruchs ist in § 86 b Abs. 2 SGG nicht genannt. Er ergibt sich aus der in Abs. 2 Satz 4 SGG geregelten Verweisung auf § 920 ZPO, dessen Abs. 2 § 916 ZPO in Bezug nimmt; dieser stellt die Verbindung zum materiellen Recht her.
Der Antrag des Antragstellers auf Kostenübernahme kann allerdings zunächst nur insoweit erfolgreich sein, wie die Leistungen bereits erbracht worden sind, da die Versicherten grundsätzlich einen Anspruch auf Sachleistungen haben. Für den weiteren Zeitraum wäre bei Auslegung des Antrags zu prüfen, ob ein Anspruch auf Sachleistungen besteht.
Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war ( § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V ). Bei bereits erfolgter Rechnungslegung ist der Versicherte von den Kosten freizustellen, soweit die Rechnungen nicht bezahlt worden sind, wofür nach Aktenlage keine Anhaltspunkte vorliegen.
Zu Unrecht abgelehnt ist eine Leistung dann, wenn zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme ein Leistungsanspruch bestand. Der Anspruch auf Kostenerstattung setzt einen Kausalzusammenhang zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten voraus. Ohne diesen Zusammenhang ist die in § 13 Abs 3 Satz 1 Alternative 2 SGB V (vgl "dadurch ... entstanden") geregelte Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz (vgl § 2 Abs 2 Satz 1, § 13 Abs 1 SGB V) nicht erfüllt (BSGE 79, 125, 127 = SozR 3 2500 § 13 Nr 11 S 51; BSG SozR 3 2500 § 13 Nr 15 S 74 f; BSG SozR 4 2500 § 13 Nr 1 RdNr 12 bis 14). Ein Anspruch nach § 13 Abs 3 SGB V ist ausgeschlossen, wenn die Entscheidung der Krankenkasse das weitere Geschehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme einer Leistung nicht mehr beeinflussen konnte, weil der Betroffene sich bereits unabhängig vom Verhalten seiner Krankenkasse endgültig auf eine bestimmte Leistungsform festgelegt hatte. Der Versicherte ist indessen vor der Inanspruchnahme einer Behandlung außerhalb des Sachleistungssystems grundsätzlich gehalten, sich an seine Krankenkasse zu wenden, die Leistungsgewährung zu beantragen (BSG SozR 3 2500 § 13 Nr 15 S 74) und die Entscheidung der Krankenkasse darüber abzuwarten (BSG SozR 4 2500 § 13 Nr 1 RdNr 11). Ein Abwarten des Ausgangs des Widerspruchsverfahrens ist allerdings nicht erforderlich.
Der Antragsteller bzw. der Pflegedienst hat die häusliche Krankenpflege bei der Antragstellerin nach Lage der Akten vorab beantragt und die Entscheidung abgewartet. Die Antragsgegnerin hat den Einwand der verspäteten Antragstellung auch nicht erhoben. Die Sachleistung ist auch zu Unrecht abgelehnt worden.
Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege ergibt sich aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung -GKV-Wettbewerbs-Stärkungs-Gesetz – GKV-WSG- vom 26.03.2007, BGBl I S. 378). Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Diese Neuregelung bewirkt durch eine vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Wohnformen, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen Haushalten nicht benachteiligt werden (Begründung zum GKV-WSG). Nach den Merkmalen des zwischen dem Antragsteller und dem Träger der Einrichtung geschlossenen Vertrages geht die Kammer davon aus, dass es sich um eine Einrichtung des betreuten Wohnens handelt. In derartigen Einrichtungen bestand ein Anspruch auf Krankenpflege nach § 37 SGB V bisher dann nicht, wenn ein Versicherter neben einem Mietvertrag auch einen Betreuungsvertrag mit dem Träger abgeschlossen hat, in dem Letzterer sich verpflichtete, die notwendigen Maßnahmen (im konkreten Fall die Medikamentengabe) auch ohne zusätzliche Vergütung zu gewähren. Mit Wirkung zum 01.04.2007 hat der Gesetzgeber weitere Tatbestandsmerkmale zugefügt. Die Unsicherheit darüber, wann beim betreuten Wohnen Krankenpflege durch die GKV zu gewähren ist, hat er im Sinne des betreuten Wohnens entschieden. Krankenpflege in betreuter Wohnform ist jetzt ausdrücklich in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen eingeschlossen (Padé in JURIS, Praxiskommentar zum SGB V, 1. Auflage 2007, § 37 Rn 25). Die frühere Rechtsprechung zur alten Formulierung, wo auch bei betreuter Wohnform der "eigene" Haushalt der Maßstab war, d. h. der Betreffende die Kosten der Lebens- und Wirtschaftsführung im Wesentlichen selbst tragen muss (BSG, Urteil v. 01.09.2005, Az.: B 3 KR 19/04 R) und der Leistungsanspruch nur dann besteht, wenn die Versorgung des Versicherten nicht (vertraglich) umfassend von der Einrichtung geschuldet wird, gilt ab 01.04.2007 nicht mehr, weil der weitere Ort der Leistungserbringung, die "betreute Wohnform", ausdrücklich genannt ist und eine weitere Anspruchsgrundlage neben dem "eigenen Haushalt" darstellt.
Unzutreffend hat die Antragsgegnerin deshalb ihre Ablehnung darauf gestützt, vom Antragsteller werde kein eigener Haushalt bewohnt. Auch die weitere Argumentation, selbst bei expliziter Nennung der betreuten Wohnform als geeigneter Ort der häuslichen Krankenpflege könne erst dann eine Entscheidung getroffen werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die erforderliche Feststellung getroffen habe, überzeugt nicht. Bei der im einstweiligen Rechtschutz gebotenen summarischen Betrachtung der Sach- und Rechtslage ist vielmehr davon auszugehen, dass sich der Anspruch auf häusliche Krankenpflege – bei Vorliegen der weiteren – hier nicht strittigen Voraussetzungen bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes unter expliziter Nennung der betreuten Wohnformen ergibt. Nach der Gesetzesbegründung sind die Orte, an denen Leistungen der häuslichen Krankenpflege erbracht werden können, nicht abschließend aufgezählt, so dass auch häusliche Krankenpflege an Arbeitsstätten oder Werkstätten für Behinderte unter bestimmten Voraussetzungen gewährt werden kann. Ein unbedingter und nicht Ermessensanspruch ist jedoch bei den explizit genannten Orten im Gesetz zur Auffassung der Kammer auch ohne Vorlegen bzw. Inkrafttreten der Richtlinien nach Abs. 6 gegeben. Die Formulierung beinhaltet nicht die Möglichkeit einer Ermessensausübung, weil bestimmt ist, dass Versicherte in betreuten Wohnformen häusliche Krankenpflege erhalten. Insoweit löst sich auch der Widerspruch zu Abs. 6, wonach der gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 festlegt, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Abs. 1 und 2 auch außerhalb des Haushaltes und der Familie des Versicherten erbracht werden können, dahingehend auf, dass in den Richtlinien weitere Orte und Fälle der Leistungserbringung vom Bundesausschuss festgelegt werden können. Der Bundesausschuss kann mithin zusätzlich zu den ausdrücklich im Gesetz vorgesehenen Einrichtungen weitere Orte bestimmen, an denen die häusliche Krankenpflege zu erbringen ist (Padé, a.a.O., Rn 25) bzw. an welchen Orten außer den bereits in den Absätzen 1 und 2 genannten Krankenpflege erbracht werden muss (Padé a.a.O., Rn 70). Im Übrigen ergibt sich aus der Formulierung des Abs. 6 eindeutig, dass seit dem 01.04.2007 beim betreuten Wohnen nicht mehr zu prüfen ist, ob der Versicherte einen eigenen Haushalt führt. Denn die Ermächtigung des Bundesausschusses in Abs. 6 beschränkt sich auf die Festlegung in den Richtlinien, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Abs. 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können.
Auch gesetzessystematisch lässt sich nicht begründen, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege bei betreuten Wohnformen gemäß § 37 Abs. 6 SGB V erst nach Inkrafttreten der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses entsteht, obwohl nach dem Wortlaut und dem Inkrafttreten des Gesetzes dieser Anspruch bereits seit dem 01.04.2007 gegeben ist. Denn bei den Richtlinien handelt es sich – auch wenn zunächst Unklarheiten über die Normqualität bestanden – nach den klaren Definitionen des Bundessozialgerichts seit den Entscheidungen von 1997 ( vgl. z.B. BSG, Urteil vom 16. September 1997, 1 RK 32/95 ) eindeutig um untergesetzliche Rechtsnormen, die zwar verbindlich sind, im Zweifel jedoch hinter die Normen zurücktreten müssen. Dies ist in einer Reihe von Entscheidungen des Bundessozialgerichts stets betont worden, so z. B. zu den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien in der Entscheidung zu der medizinischen Fußpflege bei Diabetikern (Urteil v. 16.11.1999, Az.: B 1 KR 9/97 R) oder in der SKAT- Entscheidung zu den Arzneimittel-Richtlinien (Urteil v. 30.09.1999, Az.: B 8 KN 9/98).
Bei den Richtlinien über die häusliche Krankenpflege ist die Ermächtigung des Bundesausschusses ausdrücklich eingeschränkt worden. Im Unterschied zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (§ 135 SGB V) und Heilmitteln (§ 138 SGB V) ist dem Bundesausschuss keine Ermächtigung eingeräumt, den Umfang der von den Krankenkassen zu erbringenden Leistungen der häuslichen Krankenpflege abschließend festzulegen (BSG, Urteil v. 17.03.2005, Az.: B 3 KR 35/04 R in BSGE 94,205,212 ). Vielmehr beschränkt sich der Auftrag an den Bundesausschuss – wie es dem Wesen von Richtlinien entspricht – auf die Konkretisierung und Interpretation des Wirtschaftlichkeitsgebotes für die Regelfälle der häuslichen Krankenpflege, schließt aber ein Abweichen davon im Einzelfall nicht aus (BSG, Urteil v. 17.03.2005,a.a.O ). Liegt es aber bereits im Wesen der Richtlinien, dass diese im Einklang mit der gesetzlichen Ermächtigung einerseits und dem Gesetzeswortlaut andererseits stehen müssen, so lässt sich nicht begründen, weshalb die Antragsgegnerin in Fällen des betreuten Wohnens einen Anspruch erst dann gegeben sieht, wenn die Richtlinien in Kraft treten. Vielmehr besteht der Anspruch in betreuten Wohnformen seit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. April 2007 und auch die (noch) fehlenden Richtlinien stehen diesem nicht entgegen.
Der Antragsteller hat deshalb einen vorläufigen Kostenerstattungs- bzw. Freistellungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V für bereits erbrachte Leistungen des Pflegedienstes.
Für den hieran anschließenden Zeitraum ab Zugang des Beschlusses besteht demgegenüber ein vorläufiger Anspruch auf die Gewährung von häuslicher Krankenpflege als Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V als Sachleistung.
Nach allem ist davon auszugehen, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren obsiegen wird. Der Anordnungsanspruch ist daher gegeben.
Dem Antragsteller steht auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Auch dieser Begriff ist in § 86 b Abs. 2 SGG nicht genannt, ergibt sich aber aus der Verweisung in Abs. 2 Satz 4 auf §§ 920, Abs. 2, 917, 918 ZPO. Gemeint ist eine besondere Eilbedürftigkeit. Die Regelung eines vorläufigen Zustands muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Das Gewicht, mit dem die Erfolgsaussicht einzustellen sind, hängt von der Schwere des Anordnungsgrundes ab und umgekehrt. Je nach Wahrscheinlichkeit des Erfolges in der Hauptsache können die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein (Binder, a.a.O. Rn 38 m.w.N.). So aber liegt der Fall hier. Denn der Anspruch auf Behandlungspflege in der vom Antragsteller bewohnten Einrichtung ergibt sich bereits aus dem Gesetz, so dass die Anforderungen an den Anordnungsgrund geringer sein dürfen. Da § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG "wesentliche", nicht aber "schwere und unzumutbare" Nachteile voraussetzt, gewährt § 86 b Abs. 2 SGG nicht nur den verfassungsrechtlichen Mindeststandard an vorläufigem Rechtschutz (Binder in SGG Handkommentar, § 86 Rn 33 m.w.N.) Auf die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung kann daher nur eingeschränkt zurückgegriffen werden. Andererseits reicht nicht jeder Nachteil aus, er muss "wesentlich" sein. Bestimmte Nachteile müssen demnach hingenommen werden. Einstweiliger Rechtschutz ist mithin dann zu gewähren, wenn dem Antragsteller die Änderung des bisherigen Zustandes bzw. dessen Aufrechterhaltung in der Interimszeit, also ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache, nicht zumutbar ist, dabei sind die Interessen des Antragstellers sowie die öffentlichen Interessen zu berücksichtigen.
Der Antragsteller benötigt medizinische Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB B, und zwar in Form der täglichen Injektion von Insulin. Diese kann nur von einer externen Fachkraft eines Pflegedienstes verabreicht werden. Die Sicherstellung der Behandlungspflege wird nur durch die Gewährung der Leistung durch die Antragsgegnerin erreicht, denn der Antragsteller ist nicht in der Lage, diese Kosten – ggf. auch nur vorübergehend – zu übernehmen. Er bezieht nur eine geringe Rente und ergänzende Sozialhilfe. Der Sozialhilfeträger wiederum hat es abgelehnt, in Vorleistung zu treten. Zur Auffassung der Kammer liegen deshalb wesentliche Nachteile für den Antragsteller vor, wenn er zum einen das Risiko eingeht, dass der bisherige Pflegedienst wegen der offenen Kostenfrage seine Tätigkeit einstellt, weil die Kosten von ihm nicht übernommen werden können und zum anderen damit rechnen muss, dass die bereits entstandenen Kosten ihm gegenüber durchgesetzt werden. Die Interessen des Antragstellers überwiegen auch gegenüber denjenigen der Antragsgegnerin, denn zum einen ist die Gesetzeslage eindeutig und zum anderen sind deren Kosten für eine einmal tägliche Behandlungspflege verhältnismäßig gering und belaufen sich nach der Rechnung vom 3. Juli 2007 auf 262,50 Euro monatlich.
Der Anordnungsgrund erstreckt sich deshalb auch auf Leistungen in der Vergangenheit. Zwar knüpft die Rechtsprechung ( zum BSHG ) an den alten Grundsatz "in praeteritum non vivitur" an, wonach eine eigentlich auf die Zukunft bezogene Regelung eines streitigen Zustands im Sinne der prozessrechtlichen Vorschriften über den Erlass einer einstweiligen Anordnung dann nicht geboten ist, wenn damit nur Unrecht in der Vergangenheit ausgeglichen würde ( vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. Mai 2007, L 13 AS 32/06 ER ) und auch heute fehlt es in grundsicherungsrechtlichen Eilverfahren regelmäßig dann, wenn Leistungen für die Vergangenheit, d.h. für den Zeitraum vor Eingang des Eilantrags bei Gericht, begehrt werden, regelmäßig am Anordnungsgrund ( Groth, Einstweiliger Rechtsschutz in Streitigkeiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende in NJW 2007,2294,2295 ), Ausnahmsweise kommt jedoch eine rückwirkende Gewährung in Leistungen in Betracht, wenn die frühere Verweigerung der Mittel in die Zukunft fortwirkt ( Groth, a.a.O ). So aber liegt der Fall hier, auch wenn derzeit ( noch ) nicht der Rechnungsbetrag bei dem Antragsteller beigetrieben worden ist und dem Antragsteller bisher lediglich die Leistungen für Juni 2007 in Rechnung gestellt worden sind. Denn der Antragsteller würde ohne die rückwirkende Verpflichtung zur Kostenübernahme damit rechnen müssen, dass auch für die Monate April, Mai und Juli ihm gegenüber Rechnungen erteilt und die Beträge durchgesetzt werden könnten.
Für den Zeitraum ab Zugang des Beschlusses war die Antragsgegnerin zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig die häusliche Krankenpflege als Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 SGB V als Sachleistung zur Verfügung zu stellen.
Liegen aber sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund vor, so war die Antragsgegnerin zu verpflichten, bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Widerspruchsverfahren bisher nicht durchgeführt worden ist. Dies folgt bereits aus dem durch die Verfassung garantierten Anspruch auf effektiven Rechtschutz. Allerdings hat es die Antragsgegnerin in der Hand, über den Widerspruch zu entscheiden und damit das Hauptsacheverfahren einzuleiten.
Dem Anspruch steht ebenfalls nicht entgegen, dass damit die Hauptsache vorweggenommen werden könnte. Denn davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Maßnahme nachträglich nicht mehr für die Vergangenheit korrigierbar ( Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 86 b, RdNr. 31 ) ist. Dies ist bei der Verurteilung zur vorläufigen Gewährung von Sozialleistungen nur der Fall wenn eine Rückforderung ausgeschlossen ist (Kopp/Schenke, VwGO 13. Aufl., RdNr. 14 c), wie z.B. bei der Erteilung einer Arbeitserlaubnis. So aber liegt der Fall hier nicht, denn die Antragsgegnerin kann die vorläufig – auch als Sachleistung - bewilligten Leistungen zurückfordern.
Nach allem war dem Antrag des Antragstellers zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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