S 34 KR 515/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
34
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 34 KR 515/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 05.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2015 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin stationäre Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits als Sachleistung zu gewähren. Die Beklagte trägt die der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Die am 03.08.64 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Bei der Klägerin liegt ein Zustand nach Magenbypass-Operation 2009 mit Revision 2012 vor. Unter dem 08.03.2015, eingegangen bei der Beklagten am 12.03.2015, beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits. Sie nahm Bezug auf eine ärztliche Bescheinigung des Dr. XXXXXXXXXXXX vom 05.02.2015. Unter dem 13.03.2015 führte die Beklagte gegenüber der Klägerin aus:

"[ ]Ihren Antrag auf Körperstraffung im St. Martinus Krankenhaus XXXXXXXXXX haben wir erhalten.

Für eine Weiterleitung an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) benötigen wir weitere medizinische Unterlagen:

Ärztliches Attest vom behandelnden Arzt

Vorgeschichte: Indikation, Datum, Krankenhausentlassungsbericht, MDK – Vorgutachten

Angabe der Behandlungen in den letzten 6-12 Monaten (Zeitangabe und Therapieverlauf) z.B. Hilfsmittelverordnung, Reha-Sport etc.

Zeitpunkt, Häufigkeit von Hausarzt–/Facharztbehandlungen, insbesondere Hautarztbehandlungen

Fotodokumentation und Angabe der BH-Größe

Für weitere Fragen stehen wir Ihnen unter der oben genannten Rufnummer selbstverständlich gerne zur Verfügung. [ ]"

Die Klägerin legte die begehrten Unterlagen vor. Unter dem 29.04.2015 führte Fr. XXXXXXXXXXX vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) gutachterlich aus, es seien vorliegend die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht erfüllt. Mit Bescheid vom 05.05.2015 lehnte die Beklagte dem folgend den Antrag der Klägerin ab. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 02.06.2015 Widerspruch ein.

Die Klägerin hat am 12.06.2015 Klage vor dem Sozialgericht Köln erhoben.

In der mündlichen Verhandlung am 10.11.2015 hat das Gericht den Rechtsstreit bis zum Abschluss des bei der Beklagten noch anhängigen Vorverfahrens ausgesetzt. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2015 hat die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin im Wesentlichen vor: Der Anspruch bestehe bereits aus § 13 Abs. 3a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Die Beklagte habe vorliegend die Frist von fünf Wochen nicht eingehalten und die Klägerin hierüber zu keinem Zeitpunkt informiert. Insbesondere erfülle das Schreiben der Beklagten vom 13.03.2015 nicht die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V. § 13 Abs. 3a SGB V sei nicht auf Erstattungsansprüche begrenzt. Der über § 13 Abs. 3a SGB V fingierte Sachleistungsanspruch sei nicht auf notwendige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt. Mit Einwendung dergestalt, dass es sich um eine medizinisch nicht notwendige Behandlung handelte, sei die Beklagte ausgeschlossen. Auf das Vorliegen eines vollständigen Antrags komme es nicht an.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

den Bescheid der Beklagten vom 05.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin stationäre Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide sowie der eingeholten Stellungnahme. Ergänzend trägt sie vor: Ein vollständiger Antrag sei erst am 15.04.2015 bei der Beklagten eingegangen. Sie habe dann innerhalb von fünf Wochen hierüber entschieden und den Bescheid vom 05.05.2015 auch innerhalb von fünf Wochen ab Eingang des vollständigen Antrags der Klägerin bekanntgegeben. Anspruch auf Kostenerstattung bestehe auch nach Ablauf der Fünf-Wochen-Frist nur, wenn sich der Versicherte nach Ablauf der Frist die Leistung selbst beschaffte. Dies sei bislang nicht geschehen. Das Begehren müsse sich darüber hinaus auf eine grundsätzlich von der Kasse innerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldete und dem Qualitätsgebot und dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechende Leistung beziehen.

In der mündlichen Verhandlung am 10.11.2015 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG) erklärt.

Die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Darauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte im vorliegenden Fall durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die form- und fristgerecht erhobene Klage (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. Mit der Leistungsklage kann eine Leistung begehrt werden, auf die ein Rechtsanspruch besteht, soweit ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Diese Prozesssituation ist vorliegend gegeben, da die Klägerin ihren Anspruch auf § 13 Abs. 3a Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) stützt. Mit Eintritt der darin geregelten Fiktion besteht der Rechtsanspruch auf die beantragte Leistung, ohne dass hierüber noch ein Bescheid der Beklagten zu erteilen wäre (vgl. SG Gelsenkirchen 02.10.2014 – S 11 KR 180/14 m.w.N.). Mit der Anfechtungsklage verfolgt die Klägerin zulässigerweise das Ziel, einen Verwaltungsakt, zu dessen Erlass die Beklagte nicht (mehr) befugt war, zu beseitigen, um sich nicht mit dem Risiko zu belasten, dass dieser später in anderem Zusammenhang unzutreffend als bestandskräftiger Verwaltungsakt qualifiziert wird (vgl. SG Gelsenkirchen 02.10.2014 – S 11 KR 180/14 m.w.N.).

Der Bescheid der Beklagten vom 05.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2015 hält einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand; die Klägerin wird hierdurch beschwert (§ 54 SGG). Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung stationärer Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits als Sachleistung.

Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Gewährung stationärer Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits ist § 13 Abs. 3a SGB V. Hiernach hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des MDK, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (Satz 2). Der MDK nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7).

Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm sind im Hinblick auf die Überschreitung der Fünfwochenfrist, die die Beklagte zwischen Antragseingang und Entscheidung nach Einholung des Gutachtens einzuhalten gehabt hätte, erfüllt. Die Beklagte hat den nach eigenem Bekunden am 12.03.2015 bei ihr eingegangenen Antrag auf stationäre Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits mit Bescheid vom 05.05.2015, und damit weit nach Ablauf der Fünf-Wochen-Frist am 16.04.2015, beschieden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es auch auf den Antragseingang am 12.03.2015 und nicht auf den Eingang der letzten, nach Ansicht der Beklagten noch fehlenden Antragsunterlage (vollständiger Antrag) an. Dies ergibt sich schon aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Norm (§ 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V), wonach die Krankenkasse über "einen Antrag auf Leistungen" zügig zu entscheiden hat. Auf die Vollständigkeit des Antrags ist danach nicht abzustellen. Dies ist auch insofern nicht erforderlich, als der Krankenkasse in § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V die Möglichkeit eingeräumt ist, dem Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mitzuteilen, dass sie die Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht einhalten kann, wobei zu den Gründen regelmäßig die Unvollständigkeit der Antragsunterlagen gehören dürfte. Die Beklagte hat die Klägerin im Vorfeld jedoch nicht schriftlich unter Angabe von Gründen darüber informiert, dass sie die Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V nicht einhalten konnte.

Mit Schreiben der Beklagten vom 13.03.2015 wurde die Klägerin entsprechend § 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V über die beabsichtigte Beauftragung des MDK durch die Beklagte informiert und um Hergabe ergänzender Unterlagen gebeten. Eine weitergehende Information ist dem Schreiben nicht zu entnehmen. Dem Schreiben fehlte es insbesondere an jeglicher Andeutung, dass zum 16.04.2015 die hier geltende 5-Wochen-Frist ablaufen werde sowie an einem Hinweis darauf, dass eine verspätete Entscheidung außerhalb der 5-Wochen-Frist erfolgen werde. Das Schreiben der Beklagten vom 13.03.2015 stellt weder eine Mitteilung an die Klägerin über die Verzögerung der Entscheidung im Sinne von § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V dar, noch die Darlegung hinreichender Gründe hierfür.

§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V fordert eine rechtzeitige schriftliche Mitteilung an die Versicherten, dass die Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 oder 4 SGB V (hier: die 5-Wochen-Frist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V) nicht eingehalten werden kann sowie die Darlegung der Gründe für die Verzögerung. Der Normzweck besteht darin, den Versicherten Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Entscheidung fristgerecht erfolgt oder eine Selbstbeschaffung zulässig sein wird (SG Gießen 26.06.2015 – S 7 KR 429/14 m.w.N.).

Vorliegend hat die Beklagte noch nicht einmal gegenüber der Klägerin kenntlich gemacht, dass sie binnen einer 5-Wochen-Frist zu entscheiden hat. Die Beklagte hat - entgegen dem Gesetzeswortlaut ("Kann die Krankenkasse die Frist nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies ") - weder klargestellt, dass die gesetzliche vorgesehene 5-Wochen-Frist einschlägig ist noch dass sie nicht eingehalten werden kann. Ebenso fehlt es an einer ausdrücklichen und verständlichen Mitteilung eines Grundes für die fehlende Einhaltung der Frist. Der Gesetzgeber fordert an dieser Stelle gerade einen expliziten Hinweis, an dem es hier aber fehlt.

Nach dem klaren Wortlaut von § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V folgt die Genehmigung der Leistung, die die Klägerin auch beantragt hat (stationäre Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits).

Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass § 13 Abs. 3a SGB V den Anspruch auf eine Kostenerstattung beschränkt, wird von der Kammer nicht geteilt. Das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER) führt insoweit aus:

"Nach dem klaren Wortlaut der Norm gewähren Satz 6 und Satz 7 mittels einer Genehmigungsfiktion einen Sachleistungsanspruch oder einen Kostenerstattungsanspruch für die erforderliche Leistung. Zwar hatte der Gesetzgeber zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen ins Auge gefasst, wie es sich aus dem Entwurf des Patientenrechtsgesetz (PatRechtG) ergibt (BR-Drucks. 312/12, S.46, siehe auch BT-Drucks. 17/10488, S. 32). Nachdem durch den Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags im November 2012 mit dem Satz 6 eine Genehmigungsfiktion der Leistung bei Nichteinhaltung der Fristen neben der in Satz 7 geregelten Kostenerstattung aufgenommen worden war (BT-Drucks. 17/11710 S.30), um es dem Versicherten zu erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen, wurden Satz 6 und Satz 7 - ohne weitere den klaren Wortlaut im Sinne der Beklagten einschränkende Erläuterungen - in der Gesetzesänderung aufgenommen. Beide Sätze stehen ihrem Wortlaut nach gleichberechtigt nebeneinander. Wäre der Geltungsbereich des § 13 Abs. 3 a SGB V lediglich auf einen Kostenerstattungsanspruch beschränkt, käme Satz 6 kein eigener Regelungsgehalt zu. Zudem schlösse eine solche Auslegung mittellose Versicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3 a SGB V aus (so im Ergebnis auch SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 18.12.2013 - S 21 KR 282/13 - , SG Nürnberg, Beschluss vom 25.3.2014 - S 7 KR 100/14 ER - und Urteil vom 27.3.2014 - S 7 KR 520/13 - und wohl auch SG Dortmund, Beschluss vom 31.1.2014 - S 28 KR 1/14 ER - sowie Noftz in Hauck/Haines, SGB V, Erg.-Lfg. 1/14, § 13 S. 78g ff.; a.A. wohl Dalichau in Dalichau "SGB V", Stand 1.7.2013, S. 51)."

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung an und macht sie sich zu Eigen.

Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass von § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V lediglich "erforderliche" Leistungen umfasst seien, wird von der Kammer nicht geteilt. Das Landessozialgericht für das Saarland (LSG Saarland 17.06.2015 – L 2 KR 180/14 – nicht rechtskräftig) führt insoweit aus:

"Der Gesetzgeber hatte im Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten zunächst lediglich einen Kostenerstattungsanspruch für erforderliche Leistungen (und keine unmittelbar zu beanspruchende Sachleistung) ins Auge gefasst, diesen aber nur nach Fristsetzung durch den Patienten (Bundestagsdrucksache 17/10488 S, 32). Im Rahmen der Gesundheitsausschussberatung wurde schließlich das Vorhaben geändert und die Genehmigungsfiktion in den Gesetzestext übernommen (Bundestagsdrucksache 17/11710, S. 30). Diese Änderung wird in der Begründung hervorgehoben. Dort wird ausdrücklich erwähnt, dass die Leistung nach Ablauf der Frist ohne eigene Fristsetzung des Versicherten als genehmigt gilt. Mit der Genehmigungsfiktion wollte der Gesetzgeber offensichtlich die im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG zu vermeidende Benachteiligung eines Versicherten, der finanziell nicht dazu in der Lage ist, die begehrte Leistung sich selbst zu beschaffen, damit vorzufinanzieren und später einen Kostenerstattungsanspruch geltend zu machen, gegenüber einem finanziell gut gestellten Versicherten, der hierzu in der Lage wäre, beseitigen. Die Norm umfasst daher nicht nur die sekundäre Kostenerstattung, sondern dem klaren Wortlaut folgend auch die Verpflichtung zur Gewährung der primären Sachleistung. Der Gesetzgeber wollte offensichtlich innerhalb der zur Entscheidung eingeräumten Fristen zu Gunsten der Versicherten zügig Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen. Nur auf oben genannte Weise kann der Wunsch des Gesetzgebers, generalpräventiv die zügige Durchführung des Verwaltungsverfahrens zu verbessern, umgesetzt werden. Dieses Ziel würde ins Leere laufen, wenn die Genehmigungsfiktion durch eine außerhalb der Frist erfolgende nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraussetzungen wieder erlöschen könnte. Ein solcher fingierter Verwaltungsakt hat dabei die gleichen Rechtswirkungen wie ein tatsächlich erlassener. Durch die Genehmigungsfiktion wird die Leistungsberechtigung des Versicherten wirksam verfügt. Die Krankenkasse ist daher mit allen Einwendungen gegen den Anspruch ausgeschlossen (so die hM.: LSG Essen 5. Senat, Beschluss vom 23.5.2014, L 5 KR 222/14 B ER, Rn. 7, Rn. 9; aus der Rechtsprechung der Sozialgerichte: SG Heilbronn, Urteil vom 10.3.2015, S 11 KR 2425/14, Rn. 31; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.1.2015, S 17 KR 479/14, Rn. 14; SG Marburg, Urteil vom 15.1.2015, S 6 KR 160/13, Rn. 34; SG Karlsruhe, Urteil vom 15.12.2014, S 5 KR 2284/14, Rn. 20; SG Augsburg, Urteil vom 27.11.2014, S 12 KR 183/14, Rn. 32 ff.; SG Nürnberg, Beschluss vom 25.3.2014, S 7 KR 100/14 ER und Urteil vom 27.3.2014, S 7 KR 520/13; SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 18.12.2013, S 21 KR 282/13; Noftz in Hauck/Haines, SGB V, Erg.-Lfg. 1/14, § 13 S. 78g ff. mwN.).

Die hiervon abweichende Rechtsansicht (vor allem LSG Essen, 16. Senat, Beschluss vom 26.5.2014, L 16 KR 154 und 155/14 B ER, Rn. 26 ff., SG Würzburg, Urteil vom 15.1.2015, S 11 KR 100/14, Rn. 37 ff.; Rieker, NZS 2015, 294, 297. Knispel, SGb 2014, 374 ff.) übersieht, dass es mit dem Ziel der Gesetzesnovellierung nicht vereinbar ist, wenn dieselbe Situation eintritt bzw. eintreten kann, wie sie vor der Einführung der Genehmigungsfiktion im Rahmen der Freistellung nach § 13 Abs. 3 SGB V bestanden hat, dass nämlich der Anspruch auf die erforderliche Leistung innerhalb des Systems der GKV zu überprüfen ist. Wenn Prüfungsumfang und Zeitdauer des Verfahrens durch eine nachträgliche Überprüfung praktisch wieder identisch mit den Verfahren vor Inkrafttreten der Regelung werden, hätte die Neuregelung in der Praxis keine spürbar positiven Effekte für den Schutz der Patientenrechte. Ausgehend von Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung kann die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V daher nur so zu verstehen sein, dass nach Ablauf der Fristen der geltend gemachte Anspruch von der Krankenkasse ohne weitere Prüfungen zu erfüllen ist (vgl. die o.a. hM in der Rechtsprechung)." Auch diesen Ausführungen schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung an und macht sie sich zu Eigen.

Die beantragten Leistungen gelten damit als genehmigt. Der Verfügungssatz eines genehmigenden begünstigenden Verwaltungsakts regelt, dass der Antragsteller die beantragte Leistung in Anspruch nehmen darf und sich die Kasse unter Ausschluss aller Einwendungen zur Leistung verpflichtet (BSG SozR 4-2500 § 125 Nr.4, Rz. 23); die Regelung wird mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts gemäß § 39 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gegenüber dem Adressaten wirksam. Durch die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V gilt die Genehmigung der beantragten Leistung durch einen fingierten Verwaltungsakt als erlassen (s. LSG NRW 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER m.w.N.). Fingierte Verwaltungsakte haben die gleichen Rechtswirkungen wie tatsächlich erlassene Verwaltungsakte (s. LSG NRW 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER m.w.N.). Durch die Fiktion der Genehmigung ist die Leistungsberechtigung der Klägerin wirksam verfügt und die Beklagte mit allen Einwendungen (wie hier der Frage, ob es sich bei der begehrten stationären Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits um eine Leistung der GKV handelt, die im vorliegenden Einzelfall notwendig ist) ausgeschlossen. Nur auf diese Weise kann der Wunsch des Gesetzgebers, generalpräventiv die Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens zu verbessern, umgesetzt werden (s. LSG NRW 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER). Dieses Ziel würde ins Leere laufen, könnte die Genehmigungsfiktion durch eine (außerhalb der Frist erfolgende) nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraussetzungen wieder erlöschen (s. LSG NRW 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER). Soweit bei der Kostenerstattungsregel des § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V von der "erforderlichen" Leistung die Rede ist und in der Sachleistungsregelung des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V das Wort "erforderlich" fehlt, führt dies zu keiner abweichenden Beurteilung. Trotz dieser Formulierung wird im Text ein uneingeschränkter Sachleistungsanspruch festgelegt, der schon eintritt, wenn die Krankenkasse die Fristvorschriften nicht beachtet. Auf materielle Inhalte wird gerade nicht abgestellt (s. LSG Saarland 17.06.2015 – L 2 KR 180/14 – nicht rechtskräftig). Die Erforderlichkeit der Leistung folgt schon aus der Rechtswirkung der Genehmigungsfiktion. Die Gesetzesnovellierung entgegen dem klaren Wortlaut im Sinne des – letztlich nicht umgesetzten – Entwurfs des Gesetzes auszulegen, würde den im Wortlaut klar ausgedrückten Willen des Gesetzgebers missachten (s. LSG Saarland 17.06.2015 – L 2 KR 180/14 – nicht rechtskräftig).

Die Kammer kann offen lassen, ob die Fiktionswirkung auch bei klar von dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfassten Leistungen (wie z.B. Gegenständen des täglichen Lebens oder Genussmitteln) eingreift. Eine klar von dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht erfasste Leistung stellt die beantragte stationäre Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits nicht dar. Hierbei handelt es sich um stationäre Behandlung und damit um eine grundsätzlich innerhalb des Systems des SGB V liegende Leistung.

Soweit teilweise darauf hingewiesen wird, dass auch fiktive Verwaltungsakte grundsätzlich der Aufhebung (Rücknahme nach § 45 SGB X) zugänglich sind und unbillige Ergebnisse dadurch wieder beseitigt werden könnten (vgl. LSG NRW 23.5.2014 – L 5 KR 222/14 B ER) ist vorliegend lediglich auszuführen, dass eine Umdeutung des Bescheids der Beklagten vom 05.05.2015 in eine Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X schon deshalb ausscheidet, weil die Beklagte ein Rücknahmeermessen nicht ausgeübt hat.

Mit dem angefochtenen Bescheid setzt sich die Beklagte über die fingierte Genehmigung der streitgegenständlichen stationären Behandlung in Gestalt zirkulärer Dermofettresektion (modifiziertes Bodylift nach Lockwood) mit T-Schnitt, Oberschenkelrekonstruktion beidseits, Brust- und lateraler Thoraxstraffung beidseits und Oberarmrekonstruktion beidseits hinweg. Dies verletzt die Klägerin in ihren Rechten mit der Folge, dass der Bescheid der Beklagten vom 05.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2015 aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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