S 13 R 926/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 926/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Tenor: 1. Der Bescheid vom 7. Januar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17. Februar 2016 wird abgeändert und die Beklagte verpflichtet, ab dem 1. Juli 2014 Kindererziehungszeiten vom 1. November 1972 bis zum 31. Oktober 1974 und vom 1. Mai 1976 bis zum 30. April 1978 anzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte auch für den Zeitraum 1. Juli 1996 bis 31. Dezember 2009 eine Nachzahlung wegen der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten leisten muss. Die am X.X.XXXX geborene Klägerin beantragte am 2. August 1996 durch ihren Betreuer eine Erwerbsminderungsrente. Sie leidet an einem Zustand nach Reanimation bei Myocarditis, einem schweren hinorganischen Psychosyndrom mit Desorientiertheit, Auffassungs- und amnestischen Sörungen, einer Sprechstörung, einer Schluckstörung sowie einer Rumpf-Stand Attaxie. Auf dem Antragsvordruck gab sie an, Kindererziehungszeiten geltend zu machen, und fügte den weiteren Vordruck 6.4369 bei. Hieraus geht hervor, dass sie ihre beiden Söhne O. (geb. Oktober 1972) und M. (geb. April 1976) jeweils während der gesamten 10 Jahre erzogen hat. Mit Bescheid vom 7. November 1996 gewährte die Beklagte der Klägerin eine befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. Juli 1996 bis zum 31. März 1998. Kindererziehungszeiten berücksichtigte die Beklagte dabei nicht. Mit weiterem Bescheid vom 3. April 1998 bewilligte die Beklagte die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer. Ab dem 1. Januar 2012 bezog die Klägerin eine Regelaltersrente. (Bescheid vom 9. November 2011). Auch hier berücksichtigte die Beklagte keine Kindererziehungszeiten, obwohl die Klägerin in ihrem Antrag vom 4. November 2011 angab, Kinder erzogen zu haben. Der Ehemann der Klägerin erkundigte sich am 8. Dezember 2014 telefonisch bei der Beklagten, wann der Bescheid über die Mütterrente erfolge. Dabei stellte die Beklagte fest, dass im Konto der Klägerin keine Kinder gespeichert seien und übersandte ihr erneut die entsprechenden Vordrucke. Diese übermittelte die Klägerin am 17. Dezember 2014 mit den Geburtsurkunden ihrer beiden Söhne. Mit Rentenbescheid vom 6. Januar 2015 stellte die Beklagte die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. Juli 1996 neu fest. Für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. 12. 2011 ergebe sich eine Nachzahlung in Höhe von 1.636,62 EUR. Es sei eine Anrechnungszeit vom 11. September 1972 bis zum 18. Dezember 1972 sowie vom 22. Februar 1976 bis zum 30. Mai 1976, eine Berücksichtigungszeit vom 23. Oktober 1972 bis zum 3. April 1986, sowie Kindererziehungszeiten vom 1. November 1972 bis zum 31. Oktober 1973 und vom 1. Mai 1976 bis zum 30. April 1977 zu berücksichtigen. Ab dem 1. Juli 2014 erhöhte die Beklagte die persönlichen Entgeltpunkte der Klägerin um zwei Entgeltpunkte. Höhere Leistungen seien dabei längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme des Bescheides zu erbringen. Ebenso stellte die Beklagte mit Rentenbescheid vom 7. Januar 2015 die Regelaltersrente ab dem 1. Januar 2012 neu fest. Für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Januar 2015 ergebe sich eine Nachzahlung in Höhe von 4.257,89 EUR. Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 23. Januar 2015 Widerspruch und führte aus, es sei für beide Söhne nur ein Jahr Kindererziehungszeit angerechnet worden, ihr stünden aber seit Inkrafttreten der Mütterrente jeweils zwei Jahre zu. Zudem habe sie bereits im Jahr 1996 den Antrag auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten gestellt. Schließlich fehle eine Anrechnungszeit wegen Mutterschutz. Mit Rentenbescheid vom 20. Juli 2015 stellte die Beklagte die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem 1. Juli 1996 neu fest, für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2011 ergebe sich eine Nachzahlung in Höhe von 177,30 EUR. Als Anrechnungszeiten seien zusätzlich die Zeiten vom 11. September 1972 bis zum 18. Dezember 1972 und vom 22. Februar 1976 bis zum 30. Mai 1976 (Mutterschutz) zu berücksichtigen. Ebenso stellt die Beklagte mit Rentenbescheid vom 21. Juli 2015 die Regelaltersrente ab dem 1. Januar 2012 neu fest. Für den Zeitraum 1. Januar 2012 bis zum 31. August 2015 ergebe sich eine Nachzahlung in Höhe von 521,48 EUR. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchbescheid vom 17. Februar 2016 als unbegründet zurück. Gem. § 44 Abs. 4 SGB X könnten Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von vier Jahren nach Rücknahme erbracht werden. Es handle sich um eine Ausschlussfrist, selbst wenn den Rentenversicherungsträger ein Verschulden treffe. Diese Frist gelte entsprechend auch für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Deswegen hat die Klägerin am 17. März 2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Es liege kein Fall des § 44 SGB X vor, da die Beklagte den Antrag auf Kindererziehungszeiten vom 7. November 1996 nicht verbeschieden habe. Sie stütze ihre Klage auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Die Pflichtverletzung der Beklagte sei unter anderem an der Nichtverbescheidung des Antrages zu sehen. § 44 Abs. 4 SGB X sei zudem dann nicht anzuwenden, wenn eine Erstfeststellung betroffen sei. Ab dem 1. Juli 2014 seien zudem zwei Jahre Kindererziehungszeit zu berücksichtigen. Die Klägerin beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 6. Januar 2015 und 7. Januar 2015, ferner vom 20. Juli 2015 und 21. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17. Februar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeit ab dem 1. Juli 1996 für die Kinder O. und M. Kindererziehungszeiten in gesetzlichem Umfang zu gewähren und Rente in gesetzlicher Höhe zu zahlen und gem. § 44 SGB I zu verzinsen, zunächst für die Zeit ab dem 1. Juli 1996 für jeweils ein Jahr und für die Zeit ab 1. Juli 2015 für jeweils zwei Jahre.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es gebe im Rahmen eines Rentenverfahrens kein gesondertes Verfahren über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten. Die Entscheidung über die anzuerkennenden Zeiten werde im Rahmen der Regelung über die Rentenhöhe getroffen. Mit dem Rentenbescheid sei daher über die mitgeteilten Kindererziehungszeiten entschieden worden. Neben § 44 SGB X sei kein Raum für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.

Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist lediglich zu einem kleinen Teil begründet. Der Bescheid vom 7. Januar 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 21. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17. Februar 2016 ist insoweit rechtswidrig, als die Beklagte ab dem 1. Juli 2014 jeweils nur ein Jahr Kindererziehungszeiten und zwei zusätzliche Entgeltpunkte berücksichtigt hat. Im Übrigen erweisen sich die angefochtenen Bescheide aber als rechtmäßig.

1. Soweit die Klägerin vorträgt, die Beklagte habe zu Unrecht ab dem 1. Juli 2014 jeweils nur ein Jahr Kindererziehungszeiten für ihre beiden Söhne berücksichtigt, greift sie mit diesem Vorbringen durch.

Kindererziehungszeiten sind gem. § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren.

Die Kindererziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind endet zwölf Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt. (vgl. § 249 Abs. 1 SGB 6 in der Fassung vom 15.12.1995, in der Fassung vom 16.12.1997, in der Fassung vom 19.2.2002, in der Fassung vom 21.7.2004, in der Fassung vom 15.7.2009)

Seit dem 1. Juli 2014 endet die Kindererziehungszeit für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt. (vgl. § 249 SGB 6 in der Fassung vom 23.6.2014) Bestand am 30. Juni 2014 Anspruch auf eine Rente, wird ein Zu-schlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes Kind berücksichtigt, wenn in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde, kein Anspruch nach den §§ 294 und 294a besteht. Der Zuschlag beträgt für jedes Kind einen persönlichen Entgeltpunkt. (vgl. § 307d SGB 6 in der Fassung vom 23.6.2014) Diese Vorschrift dient der Verwaltungsvereinfachung (vgl. amtliche Begründung, BT-Drs. 18/909, unter A.II.2.)

Orientiert an diesen gesetzlichen Vorgaben ist für den Zeitraum vom 1. Juli 1996 bis zum 30. Juni 2014 für die beiden Söhne O. und M. jeweils gem. § 249 Abs. 1 SGB VI in der jeweiligen Fassung vom 15.12.1955, 16.12.1997, 19.2.2002, 21.7.2004 und 15.7.2009 ein Jahr Kindererziehungszeit zu berücksichtigen. Für ihren Sohn O., der am X Oktober 1972 geboren ist, ist eine Kindererziehungszeit vom 1. November 1972 bis zum 31. Oktober 1973 und für ihren Sohn M., der am X. April 1976 geboren ist, vom 1. Mai 1976 bis zum 30. April 1977 zu berücksichtigen.

Allerdings sind für den Zeitraum ab dem 1. Juli 2014 für beide Söhne jeweils zwei Jahre Kindererziehungszeiten zu berücksichtigen. Die Klägerin unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 307 d SGB VI. Zwar hatte sie bereits am 30. Juni 2014 einen Anspruch auf eine Rente, allerdings war in dieser Rente entgegen. § 307 d Abs. 1 Nr. 1 SGB VI gerade keine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet worden. Vielmehr waren für die Klägerin am 30. Juni 2014 noch gar keine Kindererziehungszeiten berücksichtigt worden. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 307 d Abs. 1 SGB VI ist in einem solchen Fall eine Anwendung ausgeschlossen. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn sie soll der Verwaltungsvereinfachung für Bestandsrenten dienen. Diesem Bedürfnis kann aber dann nicht mehr Rechnung getragen werden, wenn ohnehin eine Neuberechnung durchgeführt werden muss, da bereits gar keine Kindererziehungszeiten berücksichtigt worden sind. Wenn die Verwaltung daher sowieso "korrigierend" tätig werden muss, besteht bereits kein Raum für eine Verwaltungsvereinfachung. Es muss daher bei der Grundregel des § 249 Abs. 1 SGB VI (in der Fassung vom 23.6.2014) verbleiben. Daher ist für den Sohn O. eine Kindererziehungszeit vom 1. November 1972 bis zum 31. Oktober 1974 und für den Sohn M. vom 1. Mai 1976 bis zum 30. April 1978 anzuerkennen.

Demgemäß ist der Bescheid der Beklagten vom 7. Januar 2015 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheide vom 21. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 17. Februar 2016 insoweit rechtswidrig. Die Beklagte ist daher zu verpflichten, ab dem 1. Juli 2014 Kindererziehungszeiten vom 1. November 1972 bis zum 31. Oktober 1974 und vom 1. Mai 1976 bis zum 30. April 1978 anzuerkennen.

2. Nach Überzeugung des Gerichts hat der Beklagte aber zu Recht in den angefochtenen Bescheiden die rückwirkende Erbringung von Rentenleistung auf vier Jahre begrenzt.

Gem. § 64 SGB VI ergibt sich der Monatsbetrag der Rente, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden. Die persönlichen Entgeltpunkte für die Ermittlung des Monatsbetrags der Rente errechnen sich, indem die Summe aller Entgeltpunkte für Beitragszeiten, beitragsfreie Zeiten, Zuschläge für beitragsgeminderte Zeiten, Zuschläge oder Abschläge aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich oder Rentensplitting, Zuschläge aus Zahlung von Beiträgen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters oder bei Abfindungen von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung oder von Anrechten bei der Versorgungsausgleichskasse, Zuschläge an Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus geringfügiger Beschäftigung, Arbeitsentgelt aus nach § 23b Abs. 2 Satz 1 bis 4 des Vierten Buches aufgelösten Wertguthaben, Zuschläge an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters und Zuschläge an Entgeltpunkten für Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung mit dem Zugangsfaktor vervielfältigt wird. (§ 66 SGB VI)

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig er-weist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt gem. § 44 Abs. 1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Die Erbringung von Sozialleistungen ist dabei auf vier Jahre vor der Rücknahme gem. § 44 Abs. 4 SGB X begrenzt. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Orientiert an diesen gesetzlichen Vorgaben sind vorliegend die Rentenbescheide vom 7. November 1996, vom 3. April 1998 und vom 9. November 2011 von Anfang an rechtswidrig gewesen, da die Beklagte die Kindererziehungszeiten sowie Berücksichtigungszeiten und Anrechnungszeiten wegen Mutterschutz nicht berücksichtigt hat. Gem. § 64 SGB VI hängt der monatliche Rentenzahlbetrag von den persönlichen Entgeltpunkten ab, die sich wiederum aus den Beitragszeiten, den beitragsfreien Zeiten sowie den Zuschlägen für beitragsgeminderte Zeiten ergeben. Durch Berücksichtigung der mit der Erziehung beider Söhne verbundenen rentenrechtlichen Zeiten hätte die Klägerin eine höhere monatliche Rente erhalten. Demgemäß sind dieses Rentenbescheide rechtswidrig und der Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 SGB X ist eröffnet.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nach Überzeugung des Gerichts nicht davon auszugehen, dass die Beklagte bis zum Jahr 2014 nicht über die mit der Erziehung der Kinder verbundenen Rentenzeiten entschieden hat. Vielmehr hat sie in den bis zu diesem Zeitpunkt ergangenen Bescheiden konkludent über das Nichtvorliegen dieser Zeiten entschieden. Dies folgt für das Gericht aus den Regelungen des § 64, 65 SGB VI. Die Beklagte muss alle rentenrechtlichen Zeiten bei ihrer Bewilligungsentscheidung miteinstellen, um rechtmäßig über die Rentenhöhe entscheiden zu können. Das bedeutet, im Rahmen des Rentenbewilligungsbescheides setzt sie auch verbindlich fest, welche Zeiten zu berücksichtigen sind. Dabei trifft sie keine ausdrückliche "Negativentscheidung", welche Zeiten nicht berücksichtigt werden, sondern setzt positiv fest. Zumindest konkludent beinhaltet daher eine Rentenbewilligung immer auch die Nichtberücksichtigung der nicht festgestellten Rentenzeiten. Dieses Verständnis stützt auch das in § 149 SGB VI geregelte Vormerkungsverfahren. Auch im Rahmen dessen werden nur die festgestellten Rentenzeiten vorgemerkt, also eine Positiventscheidung getroffen. Dafür spricht auch, dass es außerhalb der Rentenbewilligung und des Vormerkungsverfahrens keine separates Verfahren zur Feststellung von rentenrechtlichen Zeiten gibt.

Da somit die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X vorlagen, musste die Beklagte die rechtswidrigen Rentenbescheide mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen. Dies hat sie vorliegend mit den Rentenbescheiden vom 6. und 7. Januar 2015 in der Fassung der Teil-Abhilfebescheide vom 20. und 21. Juli 2015 getan.

Das Überprüfungsbegehren hat die Klägerin nach Überzeugung des Gerichts erstmals während des Telefongespräches mit der Beklagten am 8. Dezember 2014 zum Ausdruck gebracht. Entgegen der Auffassung der Klägerin vermag das Gericht keinen Überprüfungsantrag im Sinne des § 44 SGB X in Zusammenhang mit dem Antrag auf Umstellung der Erwerbsunfähigkeitsrente auf die Regelaltersrente im November 2011 zu erkennen. Denn hieraus lässt sich auch bei Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes kein Begehren der Klägerin herauslesen, die bereits ergangenen Rentenbescheide wegen Erwerbsunfähigkeit auf deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Es handelt sich vielmehr um einen Antrag auf Umwandlung der bereits bewilligten Rente.

Die Erstattung der zu Unrecht nicht erbrachten Sozialleistungen ist aber gem. § 44 Abs. 4 SGB X auf einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme begrenzt. Daher hat die Beklagte zu Recht eine Nachzahlung für den Zeitraum ab 1. Januar 2010 festgesetzt.

§ 44 SGB X dient zwei wesentlichen Aspekten des in Art. 19 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip, nämlich der Einzelfallgerechtigkeit und der Rechtssicherheit. Zum einen verhilft die Regelung der materiellen Gerechtigkeit zur Geltung und stellt die Adressaten rechtswidriger Verwaltungsakte so, als hätte die Behörde richtig gehandelt. Zum anderen wahrt die Regelung die Bestandskraft behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen. § 44 Abs. 1 SGB X postuliert dabei eine möglichst weitgehende Verwirklichung sozialer Rechte sowie eine Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns. Demgegenüber stellt die materielle Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X die Rechtssicherheit in den Vordergrund. Die Frist steht weder in der Dispositionsbefugnis noch im Ermessen der Verwaltung oder der Gerichte noch kann gegen sie der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung noch ein Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht werden. (vgl. Merten in Hauck/Noftz, Rn. 91 zu § 44 SGB X) Selbst wenn den Leistungsträger ein erhebliches Verschulden trifft, ist die Rücknahme aus einen Zeitraum von vier Jahren begrenzt.

Obwohl vorliegend selbst die Beklagte von ihrem eigenen Verschulden ausgeht, nachdem sie bei zwei Antragsverfahren trotz entsprechender Angaben der Klägerin, die Kinder ihrem Rentenkonto nicht hinzugefügt hat und daher entsprechend die rentenrechtlichen Zeiten in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt hat, steht dies einer Anwendung der materiellen Ausschlussfrist damit nicht entgegen.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, welcher sich die Kammer vollumfänglich anschließt, bestehen keine verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X. (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 1986 – 1 RA 31/85 –,Rn. 17 nach juris; BSG, Beschluss vom 15. Dezember 1982 – GS 2/80 –, BSGE 54, 223-232, SozR 1300 § 44 Nr 3) Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. § 44 SGB X durchbricht das allgemein gültige Prinzip der Bestandskraft. Die Vorschrift dient damit der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit des Einzelnen zulasten der Rechtssicherheit, obwohl aus dem Grundgesetz gerade keine Verpflichtung erwächst, rechtswidrige belastende Verwaltungsakte nach Eintritt der Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag aufzuheben. (vgl. BVerfG vom 27.02.2007, AZ. 1 BvR 1982/01) Der Gesetzgeber hat mit der in § 44 Abs. 4 SGB X getroffenen Regelung den Konflikt zwischen dem Interesse des Versicherten an einer vollständigen Erbringung ihm zu Unrecht vorenthaltener Sozialleistung einerseits und der Solidargemeinschaft aller Versicherten an einer Erhaltung der Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Versicherungsträgers und damit einhergehend an einer möglichst geringen Belastung mit Leistungen für zurückliegende Zeiträume andererseits gelöst. Das schließt es aus, einseitig das Interesse des Versicherten an der Erfüllung seiner Ansprüche auch für weiter zurückliegende Zeiträume als ausschlaggebend zu bewerten und darüber die Interessen der Versichertengemeinschaft daran zu vernachlässigen. Die Vorschrift stellt eine in sich ausgewogene Gesamtregelung dar, innerhalb derer die Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X eine den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrende und damit zulässige Bestimmung darstellt, die geeignet ist, ggf. bestehende Ungleichbehandlungen zu rechtfertigen ( vgl. BSG vom 23.07.1986, a.a.O.).

Neben der Vorschrift des § 44 SGB X besteht nach Überzeugung des Gerichts kein Raum für eine Nachzahlung nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Denn § 44 SGB X geht als gesetzliche Sonderregelung vor und verdrängt den Anwendungsbereich des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Für die Anwendbarkeit des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verbleibt nur bei Bestehen einer Regelungslücke Raum.

Nach Überzeugung des Gerichts wäre zudem, selbst wenn der sozialrechtliche Herstellungsanspruch anwendbar wäre, § 44 Abs. 4 SGB analog anzuwenden. (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007 -B 13 R 34/06 R-Rn. 18 nach juris; BSG, Urteil vom 24.04.2014 -B 13 R 23/13 R, Rn. 17 nach juris) Das BSG führt dabei in seiner Entscheidung vom 24. April 2014 (B 13 R 23/13) überzeugend aus: "Bereits in seiner Entscheidung vom 27. März 2007 hat der Senat unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BSG auf die vergleichbare Interessenlage bei der nachträglichen Korrektur eines bindenden Verwaltungsaktes (§44 SGB X) und beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch verwiesen. In beiden Fällen wird vom Leistungsträger das Recht unrichtig angewandt, und in beiden Fällen hat dies zur Folge, dass der Leistungsberechtigte nicht die ihm zustehende Leistung erlangt. Einen ins Gewicht fallenden Unterschied hat das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht darin gesehen, dass der Berechtigte einmal einen ablehnenden Verwaltungsakt erhalten, ein andermal dagegen schon im Vorfeld von der Anspruchsverfolgung abgesehen hat. Denn so oder so ist der Leistungsträger gleichermaßen zur Korrektur verpflichtet. Auf ein Verschulden des Leistungsträgers kommt es hier wie dort nicht an; auch der Umfang seiner Verpflichtung ist grundsätzlich der gleiche. Aus diesen Gründen kann es für den zeitlichen Umfang der rückwirkenden Leistung nicht wesentlich sein, ob der Leistungsträger eine Leistung durch Verwaltungsakt zu Unrecht versagt oder er aus anderen ihm zuzurechnenden Gründen den Berechtigten nicht in den Leistungsgenuss kommen lässt; der Berechtigte ist im letzteren Fall keinesfalls schutzwürdiger als im ersten. Die Rechtsähnlichkeit der Fallgruppen erfordert daher die Gleichbehandlung. Der Herstellungsanspruch, der die Verletzung einer Nebenpflicht des Leistungsträgers (zB Beratung) sanktioniert, kann nicht weiter reichen als der Anspruch nach § 44 Abs. 1 SGB X als Rechtsfolge der Verletzung der Hauptpflicht. Für die Gleichbehandlung der Fälle einer nachträglichen Korrektur eines bindenden Verwaltungsakts (§ 44 SGB X) mit denen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs spricht auch, dass hiermit im Grenzbereich beider Rechtsinstitute unterschiedliche Rechtsfolgen vermieden werden." (BSG, Urteil vom 24. April 2014 – B 13 R 23/13 R –, Rn. 17, juris)

Die gegenteilige Auffassung des 4. Senats (vgl. BSG vom 6.3.2003, AZ. B 4 RA 38/02 R) ist vorliegend bereits daher unerheblich, da es sich hier nicht um ein sogenanntes Erstfeststellungsverfahren handelt. Damit wäre selbst bei Anwendbarkeit des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches auf den vorliegenden Sachverhalt eine Nachzahlung auf vier Jahre beschränkt.

Demgemäß erweisen sich die angefochtenen Bescheide im Hinblick auf die festgesetzte Nachzahlungshöhe als rechtmäßig.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Vorliegend ist es nach Überzeugung des Gerichts nicht gerechtfertigt, der Beklagte einen Teil der außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Denn die falsche Umsetzung der Kindererziehungszeiten über den Zu-schlag an persönlichen Entgeltpunkten führt in finanzieller Hinsicht zum gleichen Ergebnis wie die Berücksichtigung von zwei Jahren Kindererziehungszeiten.
Rechtskraft
Aus
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