S 5 AL 3206/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 3206/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Beamter auf Lebenszeit benötigt zur Sicherung seines Arbeitsplatzes keine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen, wenn der amtsärztliche Gutachter ihm volle Dienstfähigkeit bescheinigt hat.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.

Der am xx.xx.1954 geborene Kläger ist seit dem xx.xx.1982 Finanzbeamter. Seine Dienststelle ist das Finanzamt F ... Er ist zum einen im Außendienst als Betriebsprüfer tätig; zum anderen schult er als Dozent andere Betriebsprüfer.

Mit Bescheid vom 17.2.2016 stellte das Landratsamt L. bei ihm einen GdB von 30 fest. Dabei berücksichtigte es Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund Beschwerden in beiden Schultergelenken, degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, chronisch-venöser Insuffizienz, Bluthochdruck, eines Schlafapnoe-Syndroms und eines chronischen Ekzems.

Am 18.3.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Er führte unter anderem aus, am 1.6.2015 habe sein Dienstherr eine amtsärztliche Überprüfung seiner Dienstfähigkeit veranlasst.

Die Beklagte holte daraufhin Stellungnahmen des Finanzamtes F. als Dienstherr des Klägers (vom 22.4.2016) und der dortigen Schwerbehindertenvertretung (vom 8.4.2016) ein.

Im Anschluss daran lehnte sie mit Bescheid vom 1.6.2016 den Antrag des Klägers ab. Zur Begründung gab sie an, gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX komme die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nur in Betracht, wenn der Betroffene infolge seiner Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten kann. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt. Denn nach den eingeholten Stellungnahmen sei der Arbeitsplatz des Klägers nicht aus behinderungsbedingten Gründen gefährdet. Als Beamter auf Lebenszeit genieße er ohnehin besonderen Kündigungsschutz. Der Kläger benötige daher nicht den Kündigungsschutz, der aus der Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen resultiere. Im Übrigen habe die amtsärztliche Überprüfung ergeben, dass er in vollem Umfang dienstfähig ist; mit einer weiteren Untersuchung müsse er derzeit nicht rechnen.

Hiergegen legte der Kläger am 18.6.2016 Widerspruch ein. Er machte geltend, er habe in den Jahren 2014 und 2015 krankheitsbedingt viele Fehltage gehabt. Hieraus habe sein Dienstherr den Schluss gezogen, er sei nicht mehr dienstfähig. Aufgrund dessen habe dieser am 1.6.2015 eine amtsärztliche Untersuchung veranlasst. Der Dienstherr habe auch erwogen, ihn ggf. teilweise in den Ruhestand zu versetzen und ihn nur noch als Dozenten zu beschäftigen, nicht mehr hingegen als Betriebsprüfer. Wäre das Gesundheitsamt der Ansicht des Dienstherrn zur Dienstunfähigkeit gefolgt, wäre er bereits in den Ruhestand versetzt worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten könne sich diese Situation jederzeit wiederholen. Neben dem Kündigungsschutz brächte ihm die beantragte Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen verschiedene weitere Vorteile: Bei Stellenausschreibungen würden behinderte Arbeitnehmer bei gleicher Eignung bevorzugt. Anders als in der Vergangenheit bereits passiert, könnte er im Falle einer Gleichstellung nicht mehr wegen seiner hohen Fehlzeiten bei einer Bewerbung benachteiligt werden. Geschähe dies dennoch, wäre es ihm leichter möglich, Schadensersatz einzuklagen. Weiterhin dürften schwerbehinderte Menschen nach internen Richtlinien bevorzugt an Fortbildungen teilnehmen. Bei seiner Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen könnte er zudem an der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung teilnehmen. Darüber hinaus hätte er finanzielle Vorteile bei häuslicher Pflege. Sollte er noch einmal ein Studium aufnehmen, würde ihm bei Klausuren längere Zeit für die Bearbeitung zustehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3.8.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung bekräftigte sie ihre Auffassung, wonach der Arbeitsplatz des Klägers nicht konkret gefährdet sei. Bei Beamten sei dies frühestens dann anzunehmen, wenn der Dienstherr dem betroffenen Beamten mitteilt, dass er ihn in den Ruhestand oder auf einen unterwertigen Dienstposten zu versetzen beabsichtigt – und zwar gestützt durch ein amtsärztliches Gutachten. Eine solche Konstellation liege hier nicht vor. Vielmehr habe das Gesundheitsamt dem Dienstherrn des Klägers am 9.7.2015 mitgeteilt, es halte ihn in vollem Umfang, also bezogen auf beide Tätigkeitsbereiche, für dienstfähig. Allein die Befürchtung, es könne zukünftig erneut zu einer Überprüfung der Dienstfähigkeit kommen, rechtfertige keine vorbeugende Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen; denn maßgeblich seien die aktuellen Verhältnisse. Die weiteren, vom Kläger behaupteten Vorteile blieben bei der Prüfung einer Gleichstellung außer Betracht.

Mit der am 22.9.2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Er trägt ergänzend vor, am 15.9.2016 habe sein Dienstherr nun erneut eine amtsärztliche Untersuchung veranlasst und dabei ausgeführt, wegen einer fortdauernden Erkrankung seit dem 25.7.2016 habe er Zweifel daran, ob er, der Kläger, aufgrund seiner gesundheitlichen Beschwerden noch seine dienstlichen Pflichten erfüllen kann. Die Vorgehensweise seines Dienstherrn ziele letztlich darauf ab, ihn in den Ruhestand zu versetzen. Die beantragte Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen würde ihm in dieser Situation helfen. Denn bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit gälten für schwerbehinderte Menschen andere Maßstäbe: Sofern der Beamte bei behindertengerechter Gestaltung seines Arbeitsplatzes noch volle oder nur gering verminderte Leistungen erbringen kann, verbiete sich die Annahme, er sei dauerhaft dienstunfähig. Zudem würde er im Falle einer Gleichstellung Unterstützung durch eine zusätzliche Interessenvertretung bekommen, nämlich die Schwerbehindertenvertretung.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 1.6.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.8.2016 zu verpflichten, ihn ab dem 18.3.2016 einem schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat nicht weiter zur Sache vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1) Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen.

Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen behinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Zweck der Gleichstellung ist es, die ungünstige Konkurrenzsituation behinderter Menschen am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder die Vermittlungschancen zu erhöhen (BSG, Urteil vom 6.8.2014, B 11 AL 16/13 R, Rdnr. 13 – nach Juris).

Dem Kläger geht es darum, seinen bisherigen Arbeitsplatz zu behalten. Durch die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen würde dieser Arbeitsplatz indes nicht sicherer; angesichts dessen kommt eine Gleichstellung hier nicht in Betracht.

a) Der Kläger ist Beamter auf Lebenszeit. Schon aus diesem Grund scheidet eine "Kündigung" durch den Dienstherrn aus. Es besteht aktuell auch keine Gefahr, dass der Dienstherr den Kläger unter Hinweis auf seine Dienstunfähigkeit gegen seinen Willen in den Ruhestand versetzt.

Ein Beamter auf Lebenszeit ist in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Als dienstunfähig kann auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat, sofern keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten ist, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist (§ 26 Abs. 1 S. 1 und 2 BeamtStG BW). Die fehlende Aussicht auf Wiederherstellung der Dienstfähigkeit muss gesichert sein; hierfür bedarf es regelmäßig eines amtsärztlichen Gutachtens (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.7.2016, 4 S 1163/14, Rdnr. 51 und 56 – nach Juris). Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beamte dienstunfähig ist, und scheiden Verwendungen nach § 26 Abs. 2 oder 3 oder § 27 BeamtStG BW aus, ist ihm bekanntzugeben, dass die Versetzung in den Ruhestand oder die Verwendung in begrenzter Dienstfähigkeit beabsichtigt ist. Dabei sind die Gründe für die beabsichtigte Maßnahme anzugeben. Der Beamte kann innerhalb eines Monats Einwendungen erheben (§ 44 Abs. 1 LBG BW).

Am 1.6.2015 hatte der Dienstherr des Klägers das Gesundheitsamt damit beauftragt, dessen Dienstfähigkeit zu untersuchen. In einem Gutachten vom 9.7.2015 stellte der Amtsarzt fest, der Kläger sei voll dienstfähig (vgl. Seite 54 f. der Verwaltungsakte). Zu dem gleichen Ergebnis führte eine weitere amtsärztliche Untersuchung, die der Dienstherr am 15.9.2016 veranlasst hatte (so die Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung). Da es schon an einer amtsärztlichen Feststellung der Dienstunfähigkeit fehlt, hat der Dienstherr dem Kläger nicht angezeigt, dass er dessen Versetzung in den Ruhestand beabsichtigt. Vor diesem Hintergrund besteht derzeit keine konkrete Gefahr, dass er den Kläger in den Ruhestand versetzt.

b) Im Übrigen würde der Arbeitsplatz des Klägers durch eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nicht sicherer: Auch und gerade schwerbehinderte Beamte können dienstunfähig sein und deshalb in den Ruhestand versetzt werden. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt für schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Menschen kein gesonderter Begriff der Dienstfähigkeit. Ohnehin muss der Dienstherr vor einer Versetzung in den Ruhestand stets prüfen, ob eine anderweitige Verwendung möglich ist (§ 26 Abs. 1 S. 3 BeamtStG BW) – und zwar unabhängig von einer etwaigen Schwerbehinderung. Selbst wenn der Kläger einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wäre, bedürfte seine Versetzung in den Ruhestand keiner vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes; die Vorschrift des § 85 SGB IX gilt nur für Arbeitsverhältnisse, nicht hingegen für Beamtenverhältnisse (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7.1.2013, 6 A 2371/11, Rdnr. 5 – nach Juris; Kreitner in: jurisPK-SGB IX, § 85 Rdnr. 12). Ebenso wenig müsste ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX stattfinden oder die Schwerbehindertenvertretung unterrichtet und angehört werden; denn Ziff. 24.1 Abs. 6 der Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Durchführung beamtenrechtlicher Vorschriften sieht dies nur bei "echten" schwerbehinderten Beamten vor, nicht hingegen bei Beamten, die nur einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind. Diese Differenzierung ist zulässig (vgl. Luthe in: jurisPK-SGB IX, § 2 Rdnr. 175).

c) Anzumerken ist schließlich, dass sich der Kläger im Falle seiner Dienstunfähigkeit in keiner "Konkurrenzsituation" mit anderen Beamten befände. Es ginge in einer solchen Konstellation gar nicht um eine Auswahl, die der Dienstherr zwischen mehreren konkurrierenden Beamten zu treffen hätte. Sofern der Kläger tatsächlich dienstunfähig wäre, müsste ihn der Dienstherr nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften in den Ruhestand versetzen; auf andere Beamte käme es dabei nicht an. Es lägen also gar keine behinderungsbedingten Nachteile gegenüber anderen Beamten vor, die abzumildern Sinn und Zweck einer Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX ist.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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