Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 3508/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Verlegung des Betriebssitzes durch den Arbeitgeber ist nicht einer vollständigen Geschäftsaufgabe gem. § 51 Abs. 3 a Nr. 3 SGB VI gleichzusetzen.
Tenor: 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gem. § 44 SGB X, ob die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für beson-ders langjährige Versicherte mit einer Wartezeit von 45 Jahren erfüllt. Die 1951 geborene Klägerin beantragte am 29. Januar 2015 eine Altersrente für be-sonders langjährige Versicherte. Zuvor war die Klägerin bis zum 31. März 2012 bei dem Verein G versicherungspflich-tig beschäftigt gewesen. Der Arbeitgeber hatte eine Änderungskündigung ausge-sprochen, da die Aktivitäten des Vereins zukünftig in B. weitergeführt würden. Daher sei eine Weiterbeschäftigung am bisherigen Standort nicht möglich. Im Folgenden bezog die Klägerin bis zum 31. März 2015 Arbeitslosengeld I. Mit Bescheid vom 23. Februar 2015 stellte die Beklagte den Versicherungsverlauf der Klägerin bis zum 31. Dezember 2008 verbindlich fest. Die Wartezeit von 45 Jah-ren (540 Monate) sei nicht erfüllt, es seien lediglich 529 Monate zu berücksichtigen. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, die Zeiten ihrer Ausbildung zur Industrie-kauffrau seien nicht anerkannt worden. Am 12. März 2015 beantragte die Klägerin bis zur endgültigen Klärung ihres Renten-antrags vom 29. Januar 2015 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 1. April 2015. Mit Rentenbescheid vom 30. März 2015 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. April 2015 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Februar 2015 wies die Beklagte als unbegründet zurück. Die behauptete Beitragsentrichtung für die Zeit der Ausbildung vom 1. Oktober 1973 bis zum 30. September 1974 sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Die hiergegen vor dem Sozialgericht Karlsruhe (S 14 R 2507/15) geführte Klage nahm die Klägerin am 7. Dezember 2015 zurück. Am 9. Februar 2016 beantragte die Klägerin den Bescheid vom 30. März 2015 gem. § 44 SGB X zurückzunehmen. Sie begehre die Anerkennung der Zeit der Arbeitslo-sigkeit ab 1. April 2012 bis vor Rentenbeginn auf die Wartezeit von 45 Jahren. Ihr Arbeitgeber habe den Betrieb in X. aufgegeben und einen neuen Betrieb in B. ange-meldet. Zum Nachweis lege sie ein Arbeitszeugnis sowie einen Registereintrag des AG C. vom 20. August 2012 vor. Im Arbeitszeugnis heißt es: "Aus Gründen der Ver-legung des Geschäftssitzes von X nach B. wird uns Frau F. zum 31.3.2012 verlas-sen." Im Registereintrag ist unter 4 a) geregelt: "Durch Beschluss der Mitgliederver-sammlung vom 23.10.2010 ist der Sitz des Vereins von X nach B. verlegt und die Satzung geändert in § 1 (Name und Sitz)." Ihren Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31. März 2016 ab. Entgeltersatz-leistungen der Arbeitsförderungen seien nur berücksichtigungsfähig, sofern das Be-schäftigungsverhältnis aufgrund einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitge-bers beendet worden sei. Vorliegend habe der Arbeitgeber lediglich seinen Standort verlegt. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die Kündigung durch die Standortschlie-ßung komme einer dauerhaften Betriebseinstellung gleich. Die Beklagte wies ihren Widerspruch mit Widerspruchbescheid vom 31. Mai 2016 als unbegründet zurück. Am 19. Juli 2016 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Überprüfungsbeschei-des vom 31. Mai 2016. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 2016 ab und verwies auf die Ausführungen im Widerspruchbescheid. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchbescheid vom 10. Oktober 2016 als unbegründet zurück. Nicht anrechenbar auf die Rente für besonders langjährige Versicherte seien die letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn mit Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten, wenn es sich um Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung handelt, es sei denn, der Leis-tungsbezug sei durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe bedingt. Dies setze voraus, dass der Arbeitgeber seine gesamte Betriebstätigkeit auf Dauer einstelle. Eine Standortverlegung sei damit nicht vergleichbar. Deswegen hat die Klägerin am 17. Oktober 2016 mit Verweis auf ihre Ausführungen im Widerspruchverfahren Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Juli 2016 in der Ge-stalt des Widerspruchbescheides vom 10. Oktober 2016 zu verpflichten, den Bescheid vom 31. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 31. Mai 2016 sowie den Rentenbescheid vom 30. März 2015 zurückzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Altersrente für besonders langjährige Versicherte unter Anerkennung der Zeit vom 1. April 2012 bis zum 30. März 2015 als auf die Wartezeit von 45 Jahren anzurechnende Pflichtbei-tragszeit zu gewähren. Die Beklagte beantragt unter Verweis auf ihre Ausführungen im Widerspruchbe-scheid,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährige Versicherte, da die Wartezeit von 45 Beitragsjahren nicht erfüllt wird.
Gem. § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zu-rückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen wird, der sich als unrichtig erweist.
Versicherte haben gem. § 38 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben. Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden nach § 51 Abs. 3 a SGB VI Kalendermonate angerechnet mit ( ) 3. Zeiten des Bezugs von a)Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, b)Leistungen bei Krankheit und c)Übergangsgeld, soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, ( ).
1. Orientiert an diesen gesetzlichen Vorgaben ist die Zeit des Bezuges von Arbeitslo-sengeld I vom 1. April 2012 bis zum 31. März 2015 nicht auf die Wartezeit anzurech-nen. Daher erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 38 SGB VI nicht. Ihr Versi-cherungskonto weist lediglich 529 Monate Wartezeit aus. Eine Rücknahme des Ren-tenbescheides vom 30. März 2015 gem. § 44 SGB X ist somit nicht möglich.
a) Der Bezug von Arbeitslosengeld I war bei der Klägerin nämlich nicht durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitsgebers bedingt. Vielmehr hat ihr Arbeitgeber, der Verein G lediglich seinen Standort verlegt, dies ist nicht gleichzusetzen mit einer vollständigen Geschäftsaufgabe.
Von einer vollständigen Geschäftsaufgabe ist nur auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine gesamte Geschäftstätigkeit auf Dauer einstellt. Die Einstellung der Tätigkeit eines einzelnen Betriebsteils, einer Filiale, eines Standorts sowie die Zusammenle-gung von Betrieben oder eine Teilstillegung genügt nicht. (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2017 – L 22 R 578/15 –, Rn. 32, juris)
Demgemäß ist hier nicht davon auszugehen, dass der Arbeitgeber seine Geschäfts-tätigkeit auf Dauer einstellen will. Vielmehr ergibt sich sowohl aus dem von der Klä-gerin vorgelegten Arbeitszeugnis als auch aus dem geänderten Registereintrag, dass der Arbeitgeber seine Geschäftstätigkeit nunmehr von B. aus betreiben will. Das hierin keine vollständige Geschäftsaufgabe zu sehen ist, ergibt sich für das Gericht bereits aus der Tatsache, dass der Arbeitgeber gegenüber der Klägerin lediglich eine Änderungskündigung ausgesprochen hat. Sie wäre in B. durch ihren Arbeitgeber weiterbeschäftigt worden.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Verlegung des Standorts nicht mit einer vollständigen Geschäftsaufgabe vergleichbar.
Dagegen spricht bereits der klare Wortlaut, aber auch die Materialien des Gesetzge-bungsverfahrens, die gesetzlichen Zwecke und die Regelungssystematik, die eine über den Wortlaut hinausgehende Interpretation der Rückausnahmetatbestände nicht zulassen.
Die Neufassung von § 51 Abs. 3a SGB VI im Gesetzgebungsverfahren durch den Ausschuss für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) wurde wie folgt begründet: "Auf-grund der verschiedenen Änderungen wird Absatz 3a neu gefasst. Die Ergänzung in § 51 Absatz 3a Nummer 3 soll Fehlanreize vermeiden, die sich aus der Anrechnung von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auf die Wartezeit von 45 Jahren bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte ergeben könnten. Durch die Regelung werden Zeiten des Bezugs von Entgeltersatz-leistungen der Arbeitsförderung dann nicht berücksichtigt, wenn sie in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn liegen. Um Härtefälle zu vermeiden, werden diese Zeiten zwei Jahre vor Rentenbeginn berücksichtigt, wenn sie durch Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sind." (BT-Drs. 18/1489, 26) Die Regelungsgeschichte macht deutlich, dass einerseits eine für die Versicherten günstigere Berücksichtigung von Zeiten der Arbeitslosigkeit gewollt war, allerdings Fehlanreize für ein vorzeitiges Ausscheiden besonders rentennaher Versicherter und damit sog. Frühverrentungen (bei vorlaufendem Bezug von Arbeitslosengeld) vermieden werden sollen.
Die Beschränkung auf die zwei typischerweise einfacher festzustellenden Ausnah-metatbestände spricht dafür, dass dem Gesetzgeber nicht an einer ausgefeilten oder durch unbestimmte Rechtsbegriffe ausdifferenzierenden Härteregelung gelegen sein könnte. Die Formulierung einer "vollständigen" Geschäftsaufgabe macht deutlich, dass teilweise – wie auch immer ausgestaltete – Reduzierungen der Betriebstätigkeit nicht maßgeblich werden sollen. Die beiden alternativen Tatbestände der Rückaus-nahme sind daher eng auszulegen. (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2017 – L 22 R 578/15 –, Rn. 38, juris)
Demgemäß unterfällt die Verlegung eines Betriebssitzes und die daraufhin ausge-sprochene Änderungskündigung nicht unter den Tatbestand der beiden alternativen Rückausnahmen. Im Ergebnis kann daher die Zeit vom 1. April 2012 bis zum 31. März 2015 nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden.
c) Hierin vermag das Gericht auch keine Ungleichbehandlung der Klägerin erkennen.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzie-rung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 117, 272 (300 f.); st. Rspr). Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz ist vom BVerfG nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, son-dern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit über-schritten hat (vgl. BVerfGE 68, 287 (301); 81, 108 (117 f.); 84, 348 (359)). Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes zu Lasten der Klägerin ist allerdings mit Blick auf den im Sozialrecht grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, insbesondere was die Abgrenzung des begünstigten Personen-kreises (hierzu BVerfGE 106, 166, 175 ff; 111, 160, 169 ff = SozR 4-5870 § 1 Nr. 1 Rn. 43 ff; 112, 164, 175 f; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 10 KG 2/07 R -, SozR 4-5870 § 1 Nr. 2) und die Bezugsdauer der einzelnen Sozialleistung anbelangt, nicht zu erkennen. Von Verfassungs wegen gefordert ist daher nicht die bestmögliche und gerechteste Lösung; angesichts der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist auch nicht entscheidend, ob eine Regelung notwendig oder gar unabweisbar ist. Vielmehr kommt dem Gesetzgeber im Ergebnis ein weiter Einschätzungs- und Beurteilungs-spielraum zu, der gewahrt ist, wenn er sich auf eine nachvollziehbare und vertretbare Einschätzung stützt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. Landes-sozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2016 – L 9 R 695/16 –, Rn. 31, juris) Zu berücksichtigen ist auch, dass durch die zum 01.07.2014 eingeführte abschlagfreie "Rente mit 63" nicht in unantastbare Rechtspositionen eingegriffen, sondern eine gesetzliche Privilegierung für einen bestimmten Kreis von Versicherten geschaffen wurde, von der auch andere Versicherte, etwa Personen, die zuvor schon die Altersgrenze erreicht hatten oder eine Altersrente mit Abschlägen bezogen, nicht profitieren konnten (vgl. § 34 Abs. 4 SGB VI). Auch in Bezug auf die Klägerin wurde durch die genannte Regelung nicht in unantastbare Rechtspositionen eingegriffen, sondern es wurde ihr - wie anderen Versicherten - lediglich die Teilnahme an einer neu geschaffenen gesetzlichen Vergünstigung verwehrt, was aus den dargestellten Gründen vom weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum umfasst ist. (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2016 – L 9 R 695/16 –, Rn. 33, juris)
2. Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente für be-sonders langjährige Versicherte. Die Klage war mit der Kostenfolge aus § 193 ab-zuweisen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gem. § 44 SGB X, ob die Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für beson-ders langjährige Versicherte mit einer Wartezeit von 45 Jahren erfüllt. Die 1951 geborene Klägerin beantragte am 29. Januar 2015 eine Altersrente für be-sonders langjährige Versicherte. Zuvor war die Klägerin bis zum 31. März 2012 bei dem Verein G versicherungspflich-tig beschäftigt gewesen. Der Arbeitgeber hatte eine Änderungskündigung ausge-sprochen, da die Aktivitäten des Vereins zukünftig in B. weitergeführt würden. Daher sei eine Weiterbeschäftigung am bisherigen Standort nicht möglich. Im Folgenden bezog die Klägerin bis zum 31. März 2015 Arbeitslosengeld I. Mit Bescheid vom 23. Februar 2015 stellte die Beklagte den Versicherungsverlauf der Klägerin bis zum 31. Dezember 2008 verbindlich fest. Die Wartezeit von 45 Jah-ren (540 Monate) sei nicht erfüllt, es seien lediglich 529 Monate zu berücksichtigen. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, die Zeiten ihrer Ausbildung zur Industrie-kauffrau seien nicht anerkannt worden. Am 12. März 2015 beantragte die Klägerin bis zur endgültigen Klärung ihres Renten-antrags vom 29. Januar 2015 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab dem 1. April 2015. Mit Rentenbescheid vom 30. März 2015 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. April 2015 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 23. Februar 2015 wies die Beklagte als unbegründet zurück. Die behauptete Beitragsentrichtung für die Zeit der Ausbildung vom 1. Oktober 1973 bis zum 30. September 1974 sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Die hiergegen vor dem Sozialgericht Karlsruhe (S 14 R 2507/15) geführte Klage nahm die Klägerin am 7. Dezember 2015 zurück. Am 9. Februar 2016 beantragte die Klägerin den Bescheid vom 30. März 2015 gem. § 44 SGB X zurückzunehmen. Sie begehre die Anerkennung der Zeit der Arbeitslo-sigkeit ab 1. April 2012 bis vor Rentenbeginn auf die Wartezeit von 45 Jahren. Ihr Arbeitgeber habe den Betrieb in X. aufgegeben und einen neuen Betrieb in B. ange-meldet. Zum Nachweis lege sie ein Arbeitszeugnis sowie einen Registereintrag des AG C. vom 20. August 2012 vor. Im Arbeitszeugnis heißt es: "Aus Gründen der Ver-legung des Geschäftssitzes von X nach B. wird uns Frau F. zum 31.3.2012 verlas-sen." Im Registereintrag ist unter 4 a) geregelt: "Durch Beschluss der Mitgliederver-sammlung vom 23.10.2010 ist der Sitz des Vereins von X nach B. verlegt und die Satzung geändert in § 1 (Name und Sitz)." Ihren Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31. März 2016 ab. Entgeltersatz-leistungen der Arbeitsförderungen seien nur berücksichtigungsfähig, sofern das Be-schäftigungsverhältnis aufgrund einer vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitge-bers beendet worden sei. Vorliegend habe der Arbeitgeber lediglich seinen Standort verlegt. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Die Kündigung durch die Standortschlie-ßung komme einer dauerhaften Betriebseinstellung gleich. Die Beklagte wies ihren Widerspruch mit Widerspruchbescheid vom 31. Mai 2016 als unbegründet zurück. Am 19. Juli 2016 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Überprüfungsbeschei-des vom 31. Mai 2016. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 2016 ab und verwies auf die Ausführungen im Widerspruchbescheid. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchbescheid vom 10. Oktober 2016 als unbegründet zurück. Nicht anrechenbar auf die Rente für besonders langjährige Versicherte seien die letzten zwei Jahre vor Rentenbeginn mit Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten, wenn es sich um Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung handelt, es sei denn, der Leis-tungsbezug sei durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe bedingt. Dies setze voraus, dass der Arbeitgeber seine gesamte Betriebstätigkeit auf Dauer einstelle. Eine Standortverlegung sei damit nicht vergleichbar. Deswegen hat die Klägerin am 17. Oktober 2016 mit Verweis auf ihre Ausführungen im Widerspruchverfahren Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Juli 2016 in der Ge-stalt des Widerspruchbescheides vom 10. Oktober 2016 zu verpflichten, den Bescheid vom 31. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 31. Mai 2016 sowie den Rentenbescheid vom 30. März 2015 zurückzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Altersrente für besonders langjährige Versicherte unter Anerkennung der Zeit vom 1. April 2012 bis zum 30. März 2015 als auf die Wartezeit von 45 Jahren anzurechnende Pflichtbei-tragszeit zu gewähren. Die Beklagte beantragt unter Verweis auf ihre Ausführungen im Widerspruchbe-scheid,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährige Versicherte, da die Wartezeit von 45 Beitragsjahren nicht erfüllt wird.
Gem. § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zu-rückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen wird, der sich als unrichtig erweist.
Versicherte haben gem. § 38 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben. Auf die Wartezeit von 45 Jahren werden nach § 51 Abs. 3 a SGB VI Kalendermonate angerechnet mit ( ) 3. Zeiten des Bezugs von a)Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, b)Leistungen bei Krankheit und c)Übergangsgeld, soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, ( ).
1. Orientiert an diesen gesetzlichen Vorgaben ist die Zeit des Bezuges von Arbeitslo-sengeld I vom 1. April 2012 bis zum 31. März 2015 nicht auf die Wartezeit anzurech-nen. Daher erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 38 SGB VI nicht. Ihr Versi-cherungskonto weist lediglich 529 Monate Wartezeit aus. Eine Rücknahme des Ren-tenbescheides vom 30. März 2015 gem. § 44 SGB X ist somit nicht möglich.
a) Der Bezug von Arbeitslosengeld I war bei der Klägerin nämlich nicht durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitsgebers bedingt. Vielmehr hat ihr Arbeitgeber, der Verein G lediglich seinen Standort verlegt, dies ist nicht gleichzusetzen mit einer vollständigen Geschäftsaufgabe.
Von einer vollständigen Geschäftsaufgabe ist nur auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine gesamte Geschäftstätigkeit auf Dauer einstellt. Die Einstellung der Tätigkeit eines einzelnen Betriebsteils, einer Filiale, eines Standorts sowie die Zusammenle-gung von Betrieben oder eine Teilstillegung genügt nicht. (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2017 – L 22 R 578/15 –, Rn. 32, juris)
Demgemäß ist hier nicht davon auszugehen, dass der Arbeitgeber seine Geschäfts-tätigkeit auf Dauer einstellen will. Vielmehr ergibt sich sowohl aus dem von der Klä-gerin vorgelegten Arbeitszeugnis als auch aus dem geänderten Registereintrag, dass der Arbeitgeber seine Geschäftstätigkeit nunmehr von B. aus betreiben will. Das hierin keine vollständige Geschäftsaufgabe zu sehen ist, ergibt sich für das Gericht bereits aus der Tatsache, dass der Arbeitgeber gegenüber der Klägerin lediglich eine Änderungskündigung ausgesprochen hat. Sie wäre in B. durch ihren Arbeitgeber weiterbeschäftigt worden.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Verlegung des Standorts nicht mit einer vollständigen Geschäftsaufgabe vergleichbar.
Dagegen spricht bereits der klare Wortlaut, aber auch die Materialien des Gesetzge-bungsverfahrens, die gesetzlichen Zwecke und die Regelungssystematik, die eine über den Wortlaut hinausgehende Interpretation der Rückausnahmetatbestände nicht zulassen.
Die Neufassung von § 51 Abs. 3a SGB VI im Gesetzgebungsverfahren durch den Ausschuss für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) wurde wie folgt begründet: "Auf-grund der verschiedenen Änderungen wird Absatz 3a neu gefasst. Die Ergänzung in § 51 Absatz 3a Nummer 3 soll Fehlanreize vermeiden, die sich aus der Anrechnung von Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung auf die Wartezeit von 45 Jahren bei der Altersrente für besonders langjährig Versicherte ergeben könnten. Durch die Regelung werden Zeiten des Bezugs von Entgeltersatz-leistungen der Arbeitsförderung dann nicht berücksichtigt, wenn sie in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn liegen. Um Härtefälle zu vermeiden, werden diese Zeiten zwei Jahre vor Rentenbeginn berücksichtigt, wenn sie durch Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sind." (BT-Drs. 18/1489, 26) Die Regelungsgeschichte macht deutlich, dass einerseits eine für die Versicherten günstigere Berücksichtigung von Zeiten der Arbeitslosigkeit gewollt war, allerdings Fehlanreize für ein vorzeitiges Ausscheiden besonders rentennaher Versicherter und damit sog. Frühverrentungen (bei vorlaufendem Bezug von Arbeitslosengeld) vermieden werden sollen.
Die Beschränkung auf die zwei typischerweise einfacher festzustellenden Ausnah-metatbestände spricht dafür, dass dem Gesetzgeber nicht an einer ausgefeilten oder durch unbestimmte Rechtsbegriffe ausdifferenzierenden Härteregelung gelegen sein könnte. Die Formulierung einer "vollständigen" Geschäftsaufgabe macht deutlich, dass teilweise – wie auch immer ausgestaltete – Reduzierungen der Betriebstätigkeit nicht maßgeblich werden sollen. Die beiden alternativen Tatbestände der Rückaus-nahme sind daher eng auszulegen. (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2017 – L 22 R 578/15 –, Rn. 38, juris)
Demgemäß unterfällt die Verlegung eines Betriebssitzes und die daraufhin ausge-sprochene Änderungskündigung nicht unter den Tatbestand der beiden alternativen Rückausnahmen. Im Ergebnis kann daher die Zeit vom 1. April 2012 bis zum 31. März 2015 nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden.
c) Hierin vermag das Gericht auch keine Ungleichbehandlung der Klägerin erkennen.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzie-rung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 117, 272 (300 f.); st. Rspr). Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz ist vom BVerfG nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, son-dern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit über-schritten hat (vgl. BVerfGE 68, 287 (301); 81, 108 (117 f.); 84, 348 (359)). Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes zu Lasten der Klägerin ist allerdings mit Blick auf den im Sozialrecht grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, insbesondere was die Abgrenzung des begünstigten Personen-kreises (hierzu BVerfGE 106, 166, 175 ff; 111, 160, 169 ff = SozR 4-5870 § 1 Nr. 1 Rn. 43 ff; 112, 164, 175 f; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 10 KG 2/07 R -, SozR 4-5870 § 1 Nr. 2) und die Bezugsdauer der einzelnen Sozialleistung anbelangt, nicht zu erkennen. Von Verfassungs wegen gefordert ist daher nicht die bestmögliche und gerechteste Lösung; angesichts der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist auch nicht entscheidend, ob eine Regelung notwendig oder gar unabweisbar ist. Vielmehr kommt dem Gesetzgeber im Ergebnis ein weiter Einschätzungs- und Beurteilungs-spielraum zu, der gewahrt ist, wenn er sich auf eine nachvollziehbare und vertretbare Einschätzung stützt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (vgl. Landes-sozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2016 – L 9 R 695/16 –, Rn. 31, juris) Zu berücksichtigen ist auch, dass durch die zum 01.07.2014 eingeführte abschlagfreie "Rente mit 63" nicht in unantastbare Rechtspositionen eingegriffen, sondern eine gesetzliche Privilegierung für einen bestimmten Kreis von Versicherten geschaffen wurde, von der auch andere Versicherte, etwa Personen, die zuvor schon die Altersgrenze erreicht hatten oder eine Altersrente mit Abschlägen bezogen, nicht profitieren konnten (vgl. § 34 Abs. 4 SGB VI). Auch in Bezug auf die Klägerin wurde durch die genannte Regelung nicht in unantastbare Rechtspositionen eingegriffen, sondern es wurde ihr - wie anderen Versicherten - lediglich die Teilnahme an einer neu geschaffenen gesetzlichen Vergünstigung verwehrt, was aus den dargestellten Gründen vom weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum umfasst ist. (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2016 – L 9 R 695/16 –, Rn. 33, juris)
2. Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente für be-sonders langjährige Versicherte. Die Klage war mit der Kostenfolge aus § 193 ab-zuweisen.
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