S 9 AL 3328/05

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AL 3328/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Seit der Neufassung des § 335 Abs. 1 SGB III durch Art. 3 Nr. 29 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zum 1.1.2005 existiert eine Rechtsgrundlage für die Anordnung der Erstattung von Zahlungen der Bundesagentur für Arbeit an die Kranken- und Pflegeversicherung für einen früheren Bezieher von Arbeitslosenhilfe nicht mehr.
I. Der Bescheid der Beklagten vom 21.9.2005 (Az.: ...) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2005 (Az.: ...) wird insoweit aufgehoben, als darin die Erstattung von Beiträgen zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung i.H.v. insgesamt 1.698,45 EUR angeordnet ist. II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. II. Die Beklagte hat dem Kläger 1/5 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe und die Anordnung der Erstattung geleisteter Arbeitslosenhilfezahlungen sowie der von der Beklagten geleisteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Der Kläger bezog von der Beklagten seit 1998 Arbeitslosenhilfe. In dem Antrag auf Arbeitslosenhilfe vom Mai 1998 hatte der Kläger angegeben, über kein Vermögen zu verfügen. Mit Bescheid vom 21.9.2005, dem eine Anhörung vorausgegangen war (Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 28.7.2005), hob die Beklagte die Arbeitslosenhilfe-Bewilligung für die Zeit vom 30.6.1998 bis 3.8.1998 und vom 7.9.1998 bis 18.1.1999 auf und ordnete die Erstattung von geleisteter Arbeitslosenhilfe i.H.v. 5.518,67 EUR sowie geleisteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung i.H.v. insgesamt 1.698,45 EUR (Krankenversicherungsbeiträge 1.502,03 EUR, Pflegeversicherungsbeiträge 196,42 EUR) an. Zur Begründung führte sie aus, nach ihren Feststellung habe der Kläger im fraglichen Zeitraum über ein Guthaben i.H.v. 50.000 DM bei der Türkischen Nationalbank verfügt. Die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe sei daher zurückzunehmen, da der Kläger in seinem Arbeitslosenhilfe-Antrag vom 4.5.1998 jedenfalls grob fahrlässig falsche Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen gemacht habe. Rechtsgrundlage für die Rücknahme sei § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X, hinsichtlich der Anordnung der Erstattung von Arbeitslosenhilfezahlungen § 50 SGB X. Die Anordnung der Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung beruhe auf § 335 Abs. 1 SGB III.

Gegen den Bescheid vom 21.9.2005 legte der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, am 14.10.2005 "zur Fristwahrung" Widerspruch ein. Eine im Widerspruchsschreiben angekündigte Begründung erfolgte nicht. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 1.12.2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Der Kläger hat, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, am 20.12.2005 Klage erhoben. Der Kläger habe im Zeitpunkt der Antragstellung unstreitig ein Guthaben bei der Türkischen Nationalbank in Höhe von 50.000 DM gehabt. Es gehe ihm nur um die Höhe der Rückforderung. Der Kläger habe nämlich nicht nur sein Guthaben bei der Nationalbank sondern auch schon damals bestehende Schulden nicht angegeben gehabt. Der Kläger bemühe sich derzeit um Auskunft über seinen damaligen Schuldenstand, sobald diese vorliege, werde die Klage entweder zurückgenommen oder weiter begründet. Weder das eine noch das andere ist, trotz Erinnerung durch das Gericht, erfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21.9.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 1.12.2005 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den Inhalt ihrer Akten sowie die Begründung des Widerspruchsbescheids.

Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid zu äußern.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht kann durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil der Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Klage ist zulässig. Sie ist teilweise begründet. Der Bescheid vom 21.9.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 1.12.2005 ist insoweit rechtswidrig, als darin die Erstattung geleisteter Beiträge zur kranken- und Pflegeversicherung angeordnet worden ist, da hierfür eine gesetzliche Grundlage fehlt. § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der hier anwendbaren Fassung, die die Norm durch Art. 3 Nr. 29 des zum 1.1.2005 in Kraft getretenen Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003 (BGBl. I, S. 2954) erhalten hat, lautet wie folgt: "Wurden von der Bundesagentur für einen Bezieher von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt, so hat der Bezieher dieser Leistungen die Beiträge zu ersetzen, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist." Gemäß § 335 Abs. 5 SGB III ist diese Regelung für die Beiträge der Bundesagentur zur sozialen Pflegeversicherung entsprechend anzuwenden.

Anders als in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung ist in der Neufassung des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III nur mehr von der Rückforderung von Krankenversicherungsbeiträgen der Bundesagentur für Bezieher von Arbeitslosengeld und Unterhaltsgeld, nicht mehr dagegen für Bezieher von Arbeitslosenhilfe die Rede. Nach dem eindeutigen Wortlaut besteht daher eine Grundlage für die Rückforderung von Beiträgen der Kranken- und Pflegeversicherung, die von der Beklagten im Zusammenhang mit der Leistung von Arbeitslosenhilfe gezahlt wurden, seit dem 1.1.2005 nicht mehr. Zwar liegt die Vermutung nahe, dass der Gesetzgeber, der die Änderung des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III ausweislich der Begründung des Entwurfs des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt lediglich als redaktionelle "Folgeänderung zur Aufhebung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe auf Grund der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Zweiten Buch" (BT-Drs 15/1516, S. 71) angesehen hat, Fälle wie den vorliegenden, in dem nachträglich die Bewilligung von vor dem 1.1.2005 geleisteter Arbeitslosenhilfe aufgehoben und die Leistung zurückgefordert hat, nicht bedacht hat. Gleichwohl kommt eine erweiternde, auch die Bezieher von Arbeitslosenhilfe umfassende Auslegung des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III angesichts des eindeutigen Wortlautes der Norm nicht in Betracht. Selbst wenn man annehmen wollte, der Gesetzgeber hätte auch weiterhin die Möglichkeit der Rückforderung der im Zusammenhang mit der Leistung von Arbeitslosenhilfe erfolgten Beitragszahlungen an die Kranken- und Pflegeversicherung vorsehen wollen, so müsste sich hierfür im Wortlaut der Norm jedenfalls ein Anhaltspunkt finden. Dies ist nicht der Fall. Auch eine analoge Anwendung des § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III ggf. i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II, der § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III für Fälle der Aufhebung von Bewilligungen von Arbeitslosengeld II für entsprechend anwendbar erklärt, kommt wegen des rechtsstaatlichen Gebotes einer klaren gesetzlichen Ermächtigung für belastende, in grundrechtliche Rechtspositionen (hier: Art. 2 Abs. 1 GG) nicht in Betracht.

Die Anordnung der Erstattung der Beitragszahlungen der Beklagten an Kranken- und Pflegeversicherung ist somit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Sie ist daher aufzuheben.

Im Übrigen sind Rechtsfehler des angegriffenen Bescheids nicht ersichtlich. Die Aufhebung der Arbeitslosenhilfebewilligung stützt sich auf § 45 GB X. Die Bewilligung war rechtswidrig, da der Kläger - unstreitig - über ein Guthaben bei der Türkischen Nationalbank i.H.v. 50.000 DM verfügt hat. Ob und inwieweit demgegenüber Schulden des Klägers bei der Vermögensanrechnung im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nach § 193 Abs. 2 SGB III in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung zu berücksichtigen sind (hierzu aus neuerer Zeit BSG v. 9.2.2006 B 7a AL 36/05 R ) kann hier offen bleiben, da der Kläger insofern entgegen der Ankündigung in der Klageschrift und trotz Erinnerung durch das Gericht zur Existenz von Schulden nichts vorgetragen hat. Das Guthaben i.H.v. 50.000 EUR, an dessen Verwertbarkeit nach dem Vortrag der Beteiligten kein Zweifel besteht, hat dazu geführt, dass der Kläger im hier relevanten Zeitraum des Arbeitslosenhilfebezugs nicht bedürftig war und daher keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hatte (§ 190 Abs. 1 Nr. 5 SGB III in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung). Die Arbeitslosenhilfe-Bewilligung war daher rechtswidrig und musste von der Beklagten zurückgenommen werden (§ 330 Abs. 2 SGB III), denn die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe beruhte auf den falschen Angaben des Klägers im Arbeitslosenhilfeantrag zu seinen Vermögensverhältnissen. Gründe dafür, dass diese falschen Angaben vom Kläger nicht verschuldet gewesen wären i.S.d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Anordnung der Erstattung der zu Unrecht geleisteten Arbeitslosenhilfe findet ihre Grundlage in §50 Abs. 1 SGB X. Bedenken hinsichtlich der Höhe der Erstattungsforderung sind ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich.

Nach alldem ist der angegriffene Bescheid vom 21.9.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.12.2005 insoweit aufzuheben, als dort die Erstattung der Zahlungen der Beklagten an die Kranken- und Pflegeversicherung angeordnet ist, da hierfür keine Rechtsgrundlage besteht. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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