Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 2 RA 41/99
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid der Beklagten vom 11.06.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.1998 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 01.09.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1956 geborene Klägerin ist ausgebildete Bürokauffrau. Sie hat zuletzt als Verwaltungsangestellte bei der Hess. C. gearbeitet (Teilzeit, 19% Stunden wöchentlich). Im Jahr 1997 war die Klägerin mehrfach arbeitsunfähig. Seit 29.08.1997 bestand durchgehend Arbeitsunfähigkeit. Seit ihrer Aussteuerung bezieht die Klägerin Arbeitslosengeld.
Im September 1997 beantragte die Klägerin Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte holte ein neuropsychiatrisches und ein internistisches Gutachten ein. Herr Dr. D., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, kam in seinem Gutachten vom 18.12.1997 (Untersuchung vom 15.12.1997) zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein Chronic-Fatigue-Syndrom sowie eine partielle Migräne ohne Aura bestehe. Derzeit bestehe bei der Klägerin eine deutliche Einschränkung/Minderung ihrer Leistungsfähigkeit im Berufs-/Erwerbsleben. Folglich liege auch seit Juni 1997 Arbeitsunfähigkeit vor. Andererseits wiesen fehlende somatisch und/oder psychiatrische Begleitkrankheiten auf möglicherweise gute Langzeitprognose hin. Daher werde zunächst Zeitrente für 2 Jahre und Ende 1999/Anfang 2000 nervenärztliche Nachbegutachtung empfohlen. Zwischendurch könne ein psychosomatisch-psychotherapeutisches BfA-Heilverfahren versucht werden. Die Klägerin sei als Bürokauffrau/Büroangestellte und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zwei Stunden bis unterhalbschichtig einsetzbar.
Der Internist Dr. E. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 29.12.1997 (Untersuchung vom 12.12.1997) einen Verdacht auf psycho-vegetative Erschöpfung mit depressivem Hintergrund (Chronic-Fatigue-Syndrom ?), einen Zustand nach Autoimmunthyreoiditis Hashimoto 1993 bei jetzt normaler Schilddrüsenfunktion sowie eine geringe Hypercholesterinämie. Insgesamt sei aufgrund der jetzigen internistischen Untersuchungen eine Leistungseinschränkung bei der Klägerin nicht festzustellen. Ob eine solche trotzdem vorliege, könne nur unter Herbeischaffung aller durchgeführten Untersuchungen sicherer beurteilt werden. Er empfehle in diesem Fall zunächst eine psychiatrisch-neurologische Zusatzbegutachtung und danach evtl. Entscheidung, ob eine Reha-Maßnahme unter Würdigung aller vorliegenden Befunde und erneuter Leistungsbeurteilung erfolgen solle. Die Klägerin sei als Verwaltungsangestellte und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig einsetzbar.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12.06.1998 die Rentengewährung ab. Die Klägerin sei weder berufs- noch erwerbsunfähig. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte einen Arztbrief der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Klinikum, Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Chronic Fatigue Syndrom vom 05.08.1998 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 09.11. bis 14.11.1997 bei. Darin wird u.a. die Diagnose Chronic Fatigue Syndrom gestellt. In einem von Herrn Dr. D., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, erstatteten Befundbericht, der auf einer letzten Untersuchung vom 17.09.1998 beruhte, bleibt Herr Dr. D. bei seinem Vorschlag einer zweijährigen Zeitrentengewährung (Bericht vom 21.09.1998 - BI. 150, 151 der Beklagtenakte). Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.1998 als unbegründet zurück. Aus nervenärztlicher Sicht ergäbe sich aus der Diagnose "chronisches Müdigkeitssyndrom" keine Leistungsminderung. Leistungsmindernde Befunde würden nicht mitgeteilt.
Die Klägerin hat am 12.01.1998 zum Sozialgericht Kassel Klage erhoben.
Das Gericht hat die durch Herrn Dr. F. für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erstatteten Gutachten vom 15.04.1998, 12.08.1998 und 25.08.1998 sowie einen Befundbericht der Dipl.-Psychologin Frau G. vom 04.07.1999 beigezogen.
Ferner hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei Herrn Dr. H., Arzt für Psychiatrie an der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum. Der Sachverständige diagnostiziert in seinem Gutachten vom 16.12.1999 (Untersuchung vom 05.08.1999) ein Chronic Fatigue Syndrom. Bei dieser Erkrankung handele es sich um einen Symptomenkomplex, der nicht kategorial gefasst werden könne, d.h. es liege keine dichtome Beurteilungsmöglichkeit vor, bei der entweder die Erkrankung vorliege, oder diese nicht vorliege. Daraus ergebe sich, dass individuell entschieden werden müsse, inwieweit die vorliegenden Symptome bei dem jeweiligen Patienten als pathologisch anzusehen seien. Die Symptome bei der Klägerin seien jedoch von solcher Ausprägung, dass hier von einer schweren individuellen Beeinträchtigung gesprochen werden könne. Die Klägerin solle nur bis zu zwei Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten. Dies gelte auch für ihren Beruf.
Die Klägerin sieht sich durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt. Ergänzend trägt sie vor, dass sie seit November 1992 u.a. an massiven Erschöpfungszuständen leide. Bereits einfachste Tätigkeiten der Körperpflege und im Haushalt, wie z.B. Duschen, Haare waschen, Aufräumen, erschöpften sie so sehr, dass im Anschluss an deren Erledigung eine längere Ruhepause erforderlich sei. Bis zum Sommer 1997 habe sie unter Aufbietung aller Kräfte versucht, trotz der massiven Erschöpfungszustände ihrer Tätigkeit nachzugehen, häufig habe jedoch Arbeitsunfähigkeit bestanden. Sie sei stets bemüht gewesen, die dadurch bedingten Fehlzeiten zu begrenzen. Aus diesem Grunde habe sie sogar im Juli/August 1997 fünf Wochen Erholungsurlaub genommen, obwohl ärztlicherseits Arbeitsunfähigkeit seit dem 13.06.1997 festgestellt worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11.06.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.09.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit,
in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Aus nervenärztlicher Sicht ergäben sich aus dem vorliegenden Gutachten bzw. den Literaturhinweisen keine neuen medizinischen Gesichtspunkte. Neue Befunde würden vom Gutachter nicht mitgeteilt. Die Ausführungen zur Literatur seien ihr nicht unbekannt, jedoch resultiere aus einer festgestellten Diagnose nicht automatisch eine Leistungsminderung bzw. ein aufgehobenes Leistungsvermögen. Die Leistungsbeurteilung beruhe offensichtlich ausschließlich auf der Feststellung der Diagnose - offenbar durch eine Klinik bzw. durch einen Gutachter, der auf diese Symptomatik spezialisiert sei - sowie ausschließlich subjektiven Angaben der Klägerin selbst. Eine objektive Leistungsminderung sei aus den vorliegenden Unterlagen nicht zu erkennen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des genauen Inhalts der medizinischen Unterlagen, wird verwiesen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung der Kammer gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz - SGG
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 1 1.06.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1 1.12.1998 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente ab 01.09.1997. Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit richtet sich nach § 44 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI).
Nach dieser Vorschrift haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie 1. erwerbsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Erwerbsunfähig sind nach § 44 Abs. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente sind gegeben, d.h. die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI in Verbindung mit § 50 Abs. 1 SGB VI) ist erfüllt und die Klägerin hat in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Dies ergibt sich aus dem Versicherungsverlauf der Klägerin und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Die Klägerin ist erwerbsunfähig im Sinne von § 44 Abs. 2 SGB VI. Die Fähigkeit der Klägerin durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), ist seit einem Zeitpunkt von mehr als drei Kalendermonaten vor der Rentenantragstellung durch das Chronic Fatigue Syndrom praktisch erloschen. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben, da sie nur noch bis zu zwei Stunden täglich arbeiten kann. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere aber aus dem Sachverständigengutachten des Herrn Dr. H. vom 16.12.1999.
Das bei der Klägerin vorliegende Chronic Fatigue Syndrom hat nicht nur Einschränkungen der Einsatzfähigkeit der Klägerin im Berufsleben qualitativer Art (also die Art und Weise der Arbeit betreffend) zur Folge, sondern führt dazu, dass die Klägerin eine wie auch immer geartete Erwerbstätigkeit seit einem Zeitpunkt von mehr als drei Monaten vor der Rentenantragstellung in nennenswertem Umfang nicht verrichten kann.
Nachdem zunächst Unklarheit über die Diagnose Chronic Fatigue Syndrom bei der Klägerin bestand, steht diese Diagnose spätestens seit der stationären Untersuchung in der Uniklinik Mainz vom 09.11. bis 14.11.1997 fest. Zuzustimmen ist der Beklagten, dass die Diagnose allein noch nicht zum Schluss auf eine Leistungsminderung bzw. auf ein aufgehobenes Leistungsvermögen berechtigt. Der Sachverständige hat aber für das Gericht nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass bei der Klägerin zum einen eine funktionelle Beeinträchtigung besteht und andererseits mehrere somatische Symptome vorhanden sind wie intermittierende Kopfschmerzen, längerfristige subfebrile Temperaturen, intermittierende Palpitationen und Druckschmerzhaftigkeit der großen Gelenke mit wechselnder Intensität und Lokalisation. Die bei der Klägerin bestehende Müdigkeit mit genereller Kraftlosigkeit führt zu einer quantitativen Leistungsminderung der Klägerin dergestalt, dass sie nur noch bis zu 2 Stunden täglich arbeiten kann. Bei der Klägerin sind die Symptome des Chronic Fatigue Syndrom von solcher Ausprägung, dass hier von einer schweren individuellen Beeinträchtigung gesprochen werden muss.
Das Gericht folgt dem Sachverständigengutachten auch deswegen, weil Herr Dr. H. auf die Erkrankung des Chronic Fatigue Syndroms spezialisiert ist und daher als Experte in diesem Bereich auch am ehesten in der Lage ist, die von der Klägerin geschilderten Beschwerden und Symptome (die nur zum Teil objektivierbar sind) in Bezug zu ihrer Leistungsfähigkeit zu setzen. Insoweit bleiben die aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 26.01.2000 ersichtlichen Einwände der beratenden Ärzte der Beklagten auch an der Oberfläche und erschöpfen sich im Prinzip im Bestreiten der von dem Sachverständigen abgegebenen Leistungsbeurteilung. Dass die Klägerin aber trotz der - auch von der Beklagten nicht mehr bestrittenen - Erkrankung und den beschriebenen Symptomen und Beschwerden nicht leistungsgemindert sein soll, wird aus der Stellungnahme der beratenden Ärzte nicht plausibel. Dies gilt um so mehr, als auch der von der Beklagten selbst zu Rate gezogene neuropsychiatrische Gutachter, Herr. Dr. D. in seinem Gutachten vom 18.12.1997 im Wesentlichen zu den selben Ergebnissen kommt wie der Sachverständige (Diagnose und Vorliegen einer erheblichen Leistungsbeeinträchtigung) und diese Beurteilung aufgrund einer neuerlichen Untersuchung vom 17.09.1998 auch nochmals bestätigt (BI. 150, 151 der Beklagtenakte). Darüber hinaus hat die Beklagte offensichtlich von einer Zeitrentengewährung nach Eingang des Gutachtens des Herrn Dr. D. nur deswegen abgesehen, weil der Befund der Universitätsklinik Mainz mit einer Verifizierung der Diagnose Chronic Fatigue Syndrom noch nicht vorlag und daher eher psychosomatische Phänomene vermutet wurden (vgl. Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. J. vom 05.06.1998 - BI. 111 Rückseite - der Beklagtenakte).
Dass es sich bei dem Chronic Fatigue Syndrom um ein relativ neues und noch nicht vollständig erforschtes Krankheitsbild handelt, dessen Genese auf immunologischem Gebiet zu liegen scheint (vgl. Gutachten des Herrn Dr. F. für den MDK vom 08.10.1997), kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Ohnehin kommt es im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nicht auf die Kausalität für die Entstehung von Gesundheitsstörungen an, sondern nur darauf, inwieweit sich bestimmte Befunde leistungsmindernd auswirken. Die Diagnose ist insoweit nur ein Hilfsmittel für die Benennung der der jeweiligen Leistungsminderung zugrundeliegenden Krankheit. Dass aber eine gravierende Leistungsminderung bei der Klägerin besteht, kann im Hinblick auf die völlig übereinstimmenden ärztlichen Beurteilungen nicht zweifelhaft seien. Neben dem Sachverständigen Dr. H. und dem Gutachter Dr. D. haben sich in ähnlicher Weise Herr Dr. F. vom MDK (Stellungnahme vom 25.08.1998) und die Hausärztin der Klägerin, Frau Dr. K., in ihrem Befundbericht vom 21.11.1997 (BI. 11, 12 Beklagtenakte) geäußert. Andere Einschätzungen geben nur die beratenden Ärzte der Beklagten ab, die die Klägerin - was der Stellung als Beratungsarzt entspricht - hingegen nie persönlich gesehen und untersucht haben. lm Rahmen der nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG vorzunehmenden Beweiswürdigung kommt wegen der unmittelbaren Nähe zur Klägerin der auf einer persönlichen Begutachtungs- bzw. Untersuchungssituation beruhenden Einschätzung aber ein erhebliches Gewicht zu.
Soweit Herr Dr. E. in seinem Gutachten vom 29.12.1997 der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert, kann dies zu keiner anderen Beurteilung führen, weil Herr Dr. E. aus der Sicht des hier nicht spezialisierten internistischen Fachbereichs urteilt und im Übrigen eine psychiatrisch-neurologische Zusatzbegutachtung empfiehlt, woraus die Kammer den Schluss zieht, dass er vorrangig die Leistungsbeurteilung an den von in diesem Bereich tätigen Ärzten orientieren möchte. Darüber hinaus lag Herrn Dr. E. auch der Befund der Uniklinik Mainz noch nicht vor, was für den Gutachter offensichtlich von erheblicher Bedeutung war.
Die Beklagte hat bisher nicht die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeangaben der Klägerin in Zweifel gezogen. Auch das Gericht hat diesbezüglich keine Zweifel, da weder Herr Dr. D. noch Herr Dr. H. entsprechende einschränkende Anmerkungen in ihren Gutachten gemacht haben, und es zum Aufgabenkreis des neuropsychiatrischen Gutachters auch gehört, die Beschwerdeschilderung eines Probanden kritisch zu überprüfen.
Mit dem bei der Kläger vorliegenden Leistungsvermögen von nur noch täglich zwei Stunden liegt Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI vor. Bei einem derartig geringen Leistungsvermögen ist eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr regelmäßig möglich (vg. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, KK-Niesel, § 44 SGB VI, Rz. 12, 20). Damit ist nicht nur der Teilzeitarbeitsmarkt, sondern auch der Arbeitsmarkt schlechthin verschlossen.
Die Klägerin hat anders als noch von Herrn Dr. D. vorgeschlagen - Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer. Denn Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden - abgesehen von dem Fall der Abhängigkeit von der Arbeitsmarktlage, der hier nicht einschlägig ist - auf Zeit geleistet, wenn begründete Aussicht besteht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann (§ 102 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI). Begründete Aussicht besteht nur dann, wenn die Behebung der Erwerbsminderung nach medizinischen Erkenntnissen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ab Rentenbeginn nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist (vgl. BSG, vom 17.02.1982, SozR 2200 § 1276 Nr. 6). Die Einschätzung des Herrn Dr. D. in seinem Gutachten vom Dezember 1997 beruhte auf der Hoffnung, dass im Hinblick auf die fehlenden somatischen und/oder psychiatrischen Begleiterkrankungen eine möglicherweise gute Langzeitprognose bestehe. Nach dem zwei Jahre später erstatteten Gutachten des Sachverständigen Dr. H. hat sich diese Hoffnung nicht bestätigt. Zwar hält auch Herr Dr. H. es nicht für ausgeschlossen, dass unter bestimmten Heilmaßnahmen eine Besserung des Zustandes der Klägerin noch eintreten könne (vgl. Beantwortung der Beweisfrage 11), doch handelt es sich hier nicht um eine mit Wahrscheinlichkeit zu begründende Aussicht und schon gar nicht um eine Aussicht, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einer Wiederherstellung der Klägerin zu rechnen wäre.
Den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles kann die Kammer nicht genau terminieren. Das Gericht stimmt aber der Beurteilung des Sachverständigen, dass das geminderte Leistungsvermögen mehr als drei Kalendermonate vor der Rentenantragstellung bestanden habe aus folgenden Gründen zu: Die Krankheitssymptome sind bei der Klägerin erstmals 1992 nach einer schweren Virusinfektion aufgetreten (vgl. Gutachten des Herrn Dr. F. vom 08.10.1997). Ausweislich des Versicherungsverlaufs ist die Klägerin dann wieder ab Mitte 1993 berufstätig gewesen, ehe es dann im Jahre 1997 zu gehäuften Arbeitsunfähigkeitszeiten kam (vgl. Auskunft des Arbeitgebers der Klägerin vom 11.12.1997, BI. 31 der Beklagtenakte). Dabei wurden weitere Fehlzeiten durch Urlaubszeiten verhindert. Aus diesen Umständen folgert das Gericht, dass die Erwerbsminderung im Laufe des Jahres 1997 und zwar noch vor dem Beginn der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit (29.08.1997) eingetreten ist, ohne dass ein konkreter Tag des Versicherungsfalles festgestellt werden kann. Letztlich stützen diese Gesichtspunkte jedenfalls die Beurteilung des Sachverständigen, dass die Erwerbsminderung mehr als drei Kalendermonate vor der Antragstellung eingetreten sei.
Die Rente der Klägerin beginnt daher mit dem Antragsmonat, also dem 01.09.1997 (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI), wie es auch dem Klageantrag entspricht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung brauchte die Kammer nicht zu treffen, weil Berufungsbeschränkungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 1 SGG nicht vorliegen.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 01.09.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1956 geborene Klägerin ist ausgebildete Bürokauffrau. Sie hat zuletzt als Verwaltungsangestellte bei der Hess. C. gearbeitet (Teilzeit, 19% Stunden wöchentlich). Im Jahr 1997 war die Klägerin mehrfach arbeitsunfähig. Seit 29.08.1997 bestand durchgehend Arbeitsunfähigkeit. Seit ihrer Aussteuerung bezieht die Klägerin Arbeitslosengeld.
Im September 1997 beantragte die Klägerin Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte holte ein neuropsychiatrisches und ein internistisches Gutachten ein. Herr Dr. D., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, kam in seinem Gutachten vom 18.12.1997 (Untersuchung vom 15.12.1997) zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin ein Chronic-Fatigue-Syndrom sowie eine partielle Migräne ohne Aura bestehe. Derzeit bestehe bei der Klägerin eine deutliche Einschränkung/Minderung ihrer Leistungsfähigkeit im Berufs-/Erwerbsleben. Folglich liege auch seit Juni 1997 Arbeitsunfähigkeit vor. Andererseits wiesen fehlende somatisch und/oder psychiatrische Begleitkrankheiten auf möglicherweise gute Langzeitprognose hin. Daher werde zunächst Zeitrente für 2 Jahre und Ende 1999/Anfang 2000 nervenärztliche Nachbegutachtung empfohlen. Zwischendurch könne ein psychosomatisch-psychotherapeutisches BfA-Heilverfahren versucht werden. Die Klägerin sei als Bürokauffrau/Büroangestellte und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zwei Stunden bis unterhalbschichtig einsetzbar.
Der Internist Dr. E. diagnostizierte in seinem Gutachten vom 29.12.1997 (Untersuchung vom 12.12.1997) einen Verdacht auf psycho-vegetative Erschöpfung mit depressivem Hintergrund (Chronic-Fatigue-Syndrom ?), einen Zustand nach Autoimmunthyreoiditis Hashimoto 1993 bei jetzt normaler Schilddrüsenfunktion sowie eine geringe Hypercholesterinämie. Insgesamt sei aufgrund der jetzigen internistischen Untersuchungen eine Leistungseinschränkung bei der Klägerin nicht festzustellen. Ob eine solche trotzdem vorliege, könne nur unter Herbeischaffung aller durchgeführten Untersuchungen sicherer beurteilt werden. Er empfehle in diesem Fall zunächst eine psychiatrisch-neurologische Zusatzbegutachtung und danach evtl. Entscheidung, ob eine Reha-Maßnahme unter Würdigung aller vorliegenden Befunde und erneuter Leistungsbeurteilung erfolgen solle. Die Klägerin sei als Verwaltungsangestellte und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig einsetzbar.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 12.06.1998 die Rentengewährung ab. Die Klägerin sei weder berufs- noch erwerbsunfähig. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte einen Arztbrief der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Klinikum, Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Chronic Fatigue Syndrom vom 05.08.1998 über einen stationären Aufenthalt der Klägerin vom 09.11. bis 14.11.1997 bei. Darin wird u.a. die Diagnose Chronic Fatigue Syndrom gestellt. In einem von Herrn Dr. D., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, erstatteten Befundbericht, der auf einer letzten Untersuchung vom 17.09.1998 beruhte, bleibt Herr Dr. D. bei seinem Vorschlag einer zweijährigen Zeitrentengewährung (Bericht vom 21.09.1998 - BI. 150, 151 der Beklagtenakte). Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.1998 als unbegründet zurück. Aus nervenärztlicher Sicht ergäbe sich aus der Diagnose "chronisches Müdigkeitssyndrom" keine Leistungsminderung. Leistungsmindernde Befunde würden nicht mitgeteilt.
Die Klägerin hat am 12.01.1998 zum Sozialgericht Kassel Klage erhoben.
Das Gericht hat die durch Herrn Dr. F. für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) erstatteten Gutachten vom 15.04.1998, 12.08.1998 und 25.08.1998 sowie einen Befundbericht der Dipl.-Psychologin Frau G. vom 04.07.1999 beigezogen.
Ferner hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens bei Herrn Dr. H., Arzt für Psychiatrie an der Neurologischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum. Der Sachverständige diagnostiziert in seinem Gutachten vom 16.12.1999 (Untersuchung vom 05.08.1999) ein Chronic Fatigue Syndrom. Bei dieser Erkrankung handele es sich um einen Symptomenkomplex, der nicht kategorial gefasst werden könne, d.h. es liege keine dichtome Beurteilungsmöglichkeit vor, bei der entweder die Erkrankung vorliege, oder diese nicht vorliege. Daraus ergebe sich, dass individuell entschieden werden müsse, inwieweit die vorliegenden Symptome bei dem jeweiligen Patienten als pathologisch anzusehen seien. Die Symptome bei der Klägerin seien jedoch von solcher Ausprägung, dass hier von einer schweren individuellen Beeinträchtigung gesprochen werden könne. Die Klägerin solle nur bis zu zwei Stunden täglich leichte Arbeiten verrichten. Dies gelte auch für ihren Beruf.
Die Klägerin sieht sich durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt. Ergänzend trägt sie vor, dass sie seit November 1992 u.a. an massiven Erschöpfungszuständen leide. Bereits einfachste Tätigkeiten der Körperpflege und im Haushalt, wie z.B. Duschen, Haare waschen, Aufräumen, erschöpften sie so sehr, dass im Anschluss an deren Erledigung eine längere Ruhepause erforderlich sei. Bis zum Sommer 1997 habe sie unter Aufbietung aller Kräfte versucht, trotz der massiven Erschöpfungszustände ihrer Tätigkeit nachzugehen, häufig habe jedoch Arbeitsunfähigkeit bestanden. Sie sei stets bemüht gewesen, die dadurch bedingten Fehlzeiten zu begrenzen. Aus diesem Grunde habe sie sogar im Juli/August 1997 fünf Wochen Erholungsurlaub genommen, obwohl ärztlicherseits Arbeitsunfähigkeit seit dem 13.06.1997 festgestellt worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11.06.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 01.09.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,
hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit,
in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Aus nervenärztlicher Sicht ergäben sich aus dem vorliegenden Gutachten bzw. den Literaturhinweisen keine neuen medizinischen Gesichtspunkte. Neue Befunde würden vom Gutachter nicht mitgeteilt. Die Ausführungen zur Literatur seien ihr nicht unbekannt, jedoch resultiere aus einer festgestellten Diagnose nicht automatisch eine Leistungsminderung bzw. ein aufgehobenes Leistungsvermögen. Die Leistungsbeurteilung beruhe offensichtlich ausschließlich auf der Feststellung der Diagnose - offenbar durch eine Klinik bzw. durch einen Gutachter, der auf diese Symptomatik spezialisiert sei - sowie ausschließlich subjektiven Angaben der Klägerin selbst. Eine objektive Leistungsminderung sei aus den vorliegenden Unterlagen nicht zu erkennen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des genauen Inhalts der medizinischen Unterlagen, wird verwiesen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung der Kammer gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz - SGG
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 1 1.06.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1 1.12.1998 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente ab 01.09.1997. Der Anspruch der Klägerin auf Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit richtet sich nach § 44 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI).
Nach dieser Vorschrift haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wenn sie 1. erwerbsunfähig sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Erwerbsunfähig sind nach § 44 Abs. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente sind gegeben, d.h. die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI in Verbindung mit § 50 Abs. 1 SGB VI) ist erfüllt und die Klägerin hat in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Dies ergibt sich aus dem Versicherungsverlauf der Klägerin und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Die Klägerin ist erwerbsunfähig im Sinne von § 44 Abs. 2 SGB VI. Die Fähigkeit der Klägerin durch erlaubte Erwerbstätigkeit ein Arbeitsentgelt in nicht ganz unerheblichem Umfang zu erzielen (Erwerbsfähigkeit), ist seit einem Zeitpunkt von mehr als drei Kalendermonaten vor der Rentenantragstellung durch das Chronic Fatigue Syndrom praktisch erloschen. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben, da sie nur noch bis zu zwei Stunden täglich arbeiten kann. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens der Klägerin ergibt sich aus einer Gesamtschau der vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere aber aus dem Sachverständigengutachten des Herrn Dr. H. vom 16.12.1999.
Das bei der Klägerin vorliegende Chronic Fatigue Syndrom hat nicht nur Einschränkungen der Einsatzfähigkeit der Klägerin im Berufsleben qualitativer Art (also die Art und Weise der Arbeit betreffend) zur Folge, sondern führt dazu, dass die Klägerin eine wie auch immer geartete Erwerbstätigkeit seit einem Zeitpunkt von mehr als drei Monaten vor der Rentenantragstellung in nennenswertem Umfang nicht verrichten kann.
Nachdem zunächst Unklarheit über die Diagnose Chronic Fatigue Syndrom bei der Klägerin bestand, steht diese Diagnose spätestens seit der stationären Untersuchung in der Uniklinik Mainz vom 09.11. bis 14.11.1997 fest. Zuzustimmen ist der Beklagten, dass die Diagnose allein noch nicht zum Schluss auf eine Leistungsminderung bzw. auf ein aufgehobenes Leistungsvermögen berechtigt. Der Sachverständige hat aber für das Gericht nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass bei der Klägerin zum einen eine funktionelle Beeinträchtigung besteht und andererseits mehrere somatische Symptome vorhanden sind wie intermittierende Kopfschmerzen, längerfristige subfebrile Temperaturen, intermittierende Palpitationen und Druckschmerzhaftigkeit der großen Gelenke mit wechselnder Intensität und Lokalisation. Die bei der Klägerin bestehende Müdigkeit mit genereller Kraftlosigkeit führt zu einer quantitativen Leistungsminderung der Klägerin dergestalt, dass sie nur noch bis zu 2 Stunden täglich arbeiten kann. Bei der Klägerin sind die Symptome des Chronic Fatigue Syndrom von solcher Ausprägung, dass hier von einer schweren individuellen Beeinträchtigung gesprochen werden muss.
Das Gericht folgt dem Sachverständigengutachten auch deswegen, weil Herr Dr. H. auf die Erkrankung des Chronic Fatigue Syndroms spezialisiert ist und daher als Experte in diesem Bereich auch am ehesten in der Lage ist, die von der Klägerin geschilderten Beschwerden und Symptome (die nur zum Teil objektivierbar sind) in Bezug zu ihrer Leistungsfähigkeit zu setzen. Insoweit bleiben die aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 26.01.2000 ersichtlichen Einwände der beratenden Ärzte der Beklagten auch an der Oberfläche und erschöpfen sich im Prinzip im Bestreiten der von dem Sachverständigen abgegebenen Leistungsbeurteilung. Dass die Klägerin aber trotz der - auch von der Beklagten nicht mehr bestrittenen - Erkrankung und den beschriebenen Symptomen und Beschwerden nicht leistungsgemindert sein soll, wird aus der Stellungnahme der beratenden Ärzte nicht plausibel. Dies gilt um so mehr, als auch der von der Beklagten selbst zu Rate gezogene neuropsychiatrische Gutachter, Herr. Dr. D. in seinem Gutachten vom 18.12.1997 im Wesentlichen zu den selben Ergebnissen kommt wie der Sachverständige (Diagnose und Vorliegen einer erheblichen Leistungsbeeinträchtigung) und diese Beurteilung aufgrund einer neuerlichen Untersuchung vom 17.09.1998 auch nochmals bestätigt (BI. 150, 151 der Beklagtenakte). Darüber hinaus hat die Beklagte offensichtlich von einer Zeitrentengewährung nach Eingang des Gutachtens des Herrn Dr. D. nur deswegen abgesehen, weil der Befund der Universitätsklinik Mainz mit einer Verifizierung der Diagnose Chronic Fatigue Syndrom noch nicht vorlag und daher eher psychosomatische Phänomene vermutet wurden (vgl. Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. J. vom 05.06.1998 - BI. 111 Rückseite - der Beklagtenakte).
Dass es sich bei dem Chronic Fatigue Syndrom um ein relativ neues und noch nicht vollständig erforschtes Krankheitsbild handelt, dessen Genese auf immunologischem Gebiet zu liegen scheint (vgl. Gutachten des Herrn Dr. F. für den MDK vom 08.10.1997), kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen. Ohnehin kommt es im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung nicht auf die Kausalität für die Entstehung von Gesundheitsstörungen an, sondern nur darauf, inwieweit sich bestimmte Befunde leistungsmindernd auswirken. Die Diagnose ist insoweit nur ein Hilfsmittel für die Benennung der der jeweiligen Leistungsminderung zugrundeliegenden Krankheit. Dass aber eine gravierende Leistungsminderung bei der Klägerin besteht, kann im Hinblick auf die völlig übereinstimmenden ärztlichen Beurteilungen nicht zweifelhaft seien. Neben dem Sachverständigen Dr. H. und dem Gutachter Dr. D. haben sich in ähnlicher Weise Herr Dr. F. vom MDK (Stellungnahme vom 25.08.1998) und die Hausärztin der Klägerin, Frau Dr. K., in ihrem Befundbericht vom 21.11.1997 (BI. 11, 12 Beklagtenakte) geäußert. Andere Einschätzungen geben nur die beratenden Ärzte der Beklagten ab, die die Klägerin - was der Stellung als Beratungsarzt entspricht - hingegen nie persönlich gesehen und untersucht haben. lm Rahmen der nach § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG vorzunehmenden Beweiswürdigung kommt wegen der unmittelbaren Nähe zur Klägerin der auf einer persönlichen Begutachtungs- bzw. Untersuchungssituation beruhenden Einschätzung aber ein erhebliches Gewicht zu.
Soweit Herr Dr. E. in seinem Gutachten vom 29.12.1997 der Klägerin ein vollschichtiges Leistungsvermögen attestiert, kann dies zu keiner anderen Beurteilung führen, weil Herr Dr. E. aus der Sicht des hier nicht spezialisierten internistischen Fachbereichs urteilt und im Übrigen eine psychiatrisch-neurologische Zusatzbegutachtung empfiehlt, woraus die Kammer den Schluss zieht, dass er vorrangig die Leistungsbeurteilung an den von in diesem Bereich tätigen Ärzten orientieren möchte. Darüber hinaus lag Herrn Dr. E. auch der Befund der Uniklinik Mainz noch nicht vor, was für den Gutachter offensichtlich von erheblicher Bedeutung war.
Die Beklagte hat bisher nicht die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeangaben der Klägerin in Zweifel gezogen. Auch das Gericht hat diesbezüglich keine Zweifel, da weder Herr Dr. D. noch Herr Dr. H. entsprechende einschränkende Anmerkungen in ihren Gutachten gemacht haben, und es zum Aufgabenkreis des neuropsychiatrischen Gutachters auch gehört, die Beschwerdeschilderung eines Probanden kritisch zu überprüfen.
Mit dem bei der Kläger vorliegenden Leistungsvermögen von nur noch täglich zwei Stunden liegt Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI vor. Bei einem derartig geringen Leistungsvermögen ist eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr regelmäßig möglich (vg. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, KK-Niesel, § 44 SGB VI, Rz. 12, 20). Damit ist nicht nur der Teilzeitarbeitsmarkt, sondern auch der Arbeitsmarkt schlechthin verschlossen.
Die Klägerin hat anders als noch von Herrn Dr. D. vorgeschlagen - Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer. Denn Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden - abgesehen von dem Fall der Abhängigkeit von der Arbeitsmarktlage, der hier nicht einschlägig ist - auf Zeit geleistet, wenn begründete Aussicht besteht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann (§ 102 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI). Begründete Aussicht besteht nur dann, wenn die Behebung der Erwerbsminderung nach medizinischen Erkenntnissen innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren ab Rentenbeginn nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist (vgl. BSG, vom 17.02.1982, SozR 2200 § 1276 Nr. 6). Die Einschätzung des Herrn Dr. D. in seinem Gutachten vom Dezember 1997 beruhte auf der Hoffnung, dass im Hinblick auf die fehlenden somatischen und/oder psychiatrischen Begleiterkrankungen eine möglicherweise gute Langzeitprognose bestehe. Nach dem zwei Jahre später erstatteten Gutachten des Sachverständigen Dr. H. hat sich diese Hoffnung nicht bestätigt. Zwar hält auch Herr Dr. H. es nicht für ausgeschlossen, dass unter bestimmten Heilmaßnahmen eine Besserung des Zustandes der Klägerin noch eintreten könne (vgl. Beantwortung der Beweisfrage 11), doch handelt es sich hier nicht um eine mit Wahrscheinlichkeit zu begründende Aussicht und schon gar nicht um eine Aussicht, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einer Wiederherstellung der Klägerin zu rechnen wäre.
Den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles kann die Kammer nicht genau terminieren. Das Gericht stimmt aber der Beurteilung des Sachverständigen, dass das geminderte Leistungsvermögen mehr als drei Kalendermonate vor der Rentenantragstellung bestanden habe aus folgenden Gründen zu: Die Krankheitssymptome sind bei der Klägerin erstmals 1992 nach einer schweren Virusinfektion aufgetreten (vgl. Gutachten des Herrn Dr. F. vom 08.10.1997). Ausweislich des Versicherungsverlaufs ist die Klägerin dann wieder ab Mitte 1993 berufstätig gewesen, ehe es dann im Jahre 1997 zu gehäuften Arbeitsunfähigkeitszeiten kam (vgl. Auskunft des Arbeitgebers der Klägerin vom 11.12.1997, BI. 31 der Beklagtenakte). Dabei wurden weitere Fehlzeiten durch Urlaubszeiten verhindert. Aus diesen Umständen folgert das Gericht, dass die Erwerbsminderung im Laufe des Jahres 1997 und zwar noch vor dem Beginn der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit (29.08.1997) eingetreten ist, ohne dass ein konkreter Tag des Versicherungsfalles festgestellt werden kann. Letztlich stützen diese Gesichtspunkte jedenfalls die Beurteilung des Sachverständigen, dass die Erwerbsminderung mehr als drei Kalendermonate vor der Antragstellung eingetreten sei.
Die Rente der Klägerin beginnt daher mit dem Antragsmonat, also dem 01.09.1997 (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI), wie es auch dem Klageantrag entspricht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung brauchte die Kammer nicht zu treffen, weil Berufungsbeschränkungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 1 SGG nicht vorliegen.
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