Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 201/06 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine "Kündigungsbestätigung" bei Kassenwechsel zur Begründung einer freiwilligen Mitgliedschaft als Selbstständiger ist obsolet, wenn der Nachweis einer Mindestbindungsdauer von 18 Monaten bei der Vorkasse erbracht ist. Denn das (Pflicht-)Mitgliedschaftsverhältnis zur Vorkasse endete insoweit nicht durch Kündigung, sondern kraft Gesetzes.
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache als freiwilliges Mitglied ab 03.04.2006 zu versichern.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Die am ... Antragstellerin (Ast) begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige freiwillige Versicherung bei der Antragsgegnerin (Ag) und der Beigeladenen.
Sie war bis 31.03.2006 in der Anwaltskanzlei ... m Angestelltenverhältnis als Rechtsanwältin beschäftigt. Im Rahmen des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses war sie bei der Taunus Betriebskrankenkasse versichert. Das Arbeitsverhältnis wurde ihr zum 31.03.2006 gekündigt, vom 01. bis 02.04.2006 war sie arbeitslos gemeldet und machte sich ab 03.04.2006 selbstständig.
Zuvor erkundigte sie sich mit Schreiben vom 20.02.2006 bei der Ag zu den Bedingungen für eine freiwillige Mitgliedschaft. Nach Erhalt einer entsprechenden Auskunft mit Schreiben vom 13.03.2006 beantragte sie am 12.04.2006 die freiwillige Versicherung. Sie sei vom 21.08.1996 bis 22.03./31.03.2006 bei der BKK Taunus bzw. anderen gesetzlichen Krankenkassen versichert gewesen. Fernmündlich bat die Ag sie daraufhin um eine Kündigungsbestätigung der Vorkasse. Aus-weislich eines Vermerkes der Ag könne sie diese Bescheinigung mangels Kündigung nicht erbringen. Diese sei auch nicht erforderlich.
Mit Bescheid vom 13.04.2006 lehnte die Ag den Antrag ab. Bei Ausscheiden aus der Ver-sicherungspflicht sei für den Beitritt zur freiwilligen Versicherung der Nachweis der Vor-versicherungszeit erforderlich. Vor Aufnahme in die freiwillige Versicherung sei es ferner notwendig, die 18-monatige Bindungsfrist bei der bisherigen Krankenkasse einzuhalten, was durch Vorlage einer Kündigungsbestätigung der neuen Krankenkasse nachzuweisen sei.
Hiergegen legte die Ast am 20.04.2006 Widerspruch ein. Es sei weder eine Kündigungs-bestätigung noch eine 18-monatige Versicherungszeit notwendig.
Zugleich hat sie am 20.04.2006 beim Sozialgericht Leipzig vorläufigen Rechtsschutz be-gehrt. Da sich die Versicherungspflicht aus dem Ende des Arbeitsverhältnisses bzw. dem Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGG III) ergeben habe, bedürfe es für den Eintritt dieser Rechtsfolge keiner Kündigungserklärung bei der bisheri-gen Krankenkasse; denn die Beendigung der Mitgliedschaft ergebe sich unmittelbar aus dem Gesetz. Zudem sei sie mindestens 24 Monate in der gesetzlichen Krankenversiche-rung versichert gewesen. Hierzu legte sie als Anlage u.a. Meldungen zur Sozialversiche-rung und den Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit Leipzig vom 17.03.2006 vor. Da sie nur bis zum 02.05.2006 bei ihrer bisherigen Krankenkasse nachversichert sei, ge-nieße sie nach diesem Zeitpunkt keinen Krankenversicherungsschutz mehr.
Sie beantragt,
"die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsachever-fahren als freiwillig Versicherte bei ihr seit dem 03.04.2006 zu versichern."
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin, verwiesen.
II.
Der statthafte Antrag ist zulässig und begründet.
Das Gericht kann nach Maßgabe des § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ast vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anord-nungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Da die Ast vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Aufnahme in die freiwillige Versicherung begehrt, erstrebt sie vorläufigen Rechtsschutz entsprechend § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Denn anders als bei einer sogenannten Sicherungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG), bei der die Sicherung eines status quo im Vordergrund steht, geht es bei einer sogenannten Regelungsanordnung, wie im vorliegenden Fall, um die Begründung einer neuen Rechtsposition.
Für die Regelungsanordnung sind (ebenso wie nach § 123 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsord-nung (VwGO) i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)) der durch die einstweilige Anordnung zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und der Grund, weshalb die einstweilige Anordnung ergehen soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.
Die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch sind im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache nur glaubhaft gemacht, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für das Ob-siegen im Hauptsacheverfahren besteht (so: OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.08.1992, DVBl. 93, 66). Andererseits muss die Anwendung des vorläufigen Rechts-schutzes unter Beachtung des jeweils betroffenen Grundrechtes und des Erfordernisses des effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) erfolgen. Dann müssen jedoch gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass das Rechtsmittel in der Hauptsache aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988, NJW 89, 827).
Nimmt der Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache aber vorweg, sind an die Prognose der Erfolgsaussichten besondere Anforderungen zu stellen. Denn mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darf grundsätzlich nicht etwas begehrt und im gerichtlichen Verfahren zugesprochen werden, was als Vorgriff auf den im Hauptsachever-fahren geltend zu machenden Anspruch anzusehen ist, weil das Gericht dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend die Grenzen der vorläufigen Rege-lung grundsätzlich nicht überschreiten und damit das im Verwaltungs- und Klageverfahren verfolgte Ziel nicht vorwegnehmen darf (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 123 Rdnr. 13 ff).
Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann mit der einstweiligen Anordnung die Hauptsache ausnahmsweise nur vorweggenommen werden, wenn ohne die einstweilige Anordnung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile für den Ast. entstehen (BVerfGE 46, 166 ff). Die Entscheidung, ob in Anbetracht der besonderen Um-stände des Falles ausnahmsweise durch die einstweilige Anordnung die Hauptsache vor-weggenommen werden darf, hängt damit wesentlich von der Bedeutung und Dringlichkeit des Anspruches und der Größe sowie Irreparabilität des Schadens für den Ast. bzw. die Allgemeinheit ab. Für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Ent-scheidung des Gerichtes maßgeblich (BVerfGE 42, 299).
Von einer derart hohen Erfolgswahrscheinlichkeit war hier auszugehen. Nach der – im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen – summarischen Be-trachtungsweise ist davon auszugehen, dass bei einem gegebenenfalls noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren die Klage aller Voraussicht nach Erfolg haben wird.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) können u.a. der Versicherung beitreten Personen, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und in den letzten 5 Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmit-telbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 12 Monate versichert waren. Hierbei ist nach Maßgabe des Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift der Beitritt der Krankenkasse innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft anzuzeigen. Die Ausübung des Wahlrechts ist gegenüber der gewählten Krankenkasse zu erklären, die die Mitglied-schaft nicht ablehnen darf (§ 175 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V). Hierbei hat die gewählte Krankenkasse nach Ausübung des Wahlrechts unverzüglich eine Mitgliedsbescheinigung auszustellen (§ 175 Abs. 2 Satz 1 SGB V).
Das Gesetz sieht jedoch nach § 175 Abs. 2 Satz 2 SGB V weiterhin vor, dass für den Fall, dass innerhalb der letzten 18 Monate vor Beginn der Versicherungspflicht oder Versicherungsberechtigung eine Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse bestanden hat, die Mitgliedsbescheinigung nur ausgestellt werden darf, wenn die Kündigungsbestätigung nach Abs. 4 Satz 3 vorgelegt wird. Danach hat die Krankenkasse dem Mitglied unverzüg-lich, spätestens jedoch innerhalb von 2 Wochen nach Eingang der Kündigung, eine Kündi-gungsbestätigung auszustellen.
Zwar endete die Pflichtmitgliedschaft der Ast mit Kündigung ihres versicherungspflichti-gen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 190 Abs. 2 SGB V ) bzw. nach Beendigung der Arbeitslosigkeit (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) durch Aufnahme ei-ner selbstständigen Beschäftigung; das (Pflicht-)Mitgliedschaftsverhältnis erlosch mithin bereits kraft Gesetzes; gleichwohl soll die Mitgliedsbescheinigung nach § 175 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V nur ausgestellt werden dürfen, wenn zuvor eine "Kündigungsbestätigung" vorgelegt worden ist.
Eine "Kündigung" als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ist im Rechtssinne jedoch nur dann möglich, wenn die damit intendierte Rechtsfolge - hier: die Beendigung der Mitgliedschaft - vom Willen des Versicherten selbst abhängt. An einer derartigen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit fehlt es jedoch, wenn die Rechtsfolge bereits von Ge-setzes wegen eintritt. Da die Bescheinigungspflicht bei Ausübung des Kassenwechsels indes nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nicht nur für Versicherungspflichtige, sondern auch für Versicherungsberechtigte gilt, ohne dass dies in der Gesetzesformulie-rung unter Bezugnahme auf § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V hinreichend zum Ausdruck kommt, ist entscheidend auf Sinn und Zweck der Regelung abzustellen:
Danach soll die "Kündigungsbestätigung" die Einhaltung der Bindungsdauer von 18 Mo-naten nach Abs. 4 Satz 2 der Vorschrift sicherstellen (vgl. BT-Drucks. 14/5957 S. 4). Eine andere Krankenkasse kann damit nur gewählt werden, wenn bei der vorher zuständigen Krankenkasse die Mindestbindungsdauer erreicht worden ist. Wenngleich nach Abs. 2 Satz 2 die Vorlage einer "Kündigungsbestätigung nach Abs. 4 Satz 3", vorausgesetzt wird, die nur bei der Kündigung einer bestehenden Mitgliedschaft auszustellen ist, kann daraus nicht gefolgert werden, dass die Regelung nur beim unmittelbaren Kassenwechsel gilt. Endet in den letzten 18 Monaten eine Mitgliedschaft, die nicht mindestens 18 Monate bestand, ist die Mitgliedschaft bei der vorher zuständigen Krankenkasse fortzusetzen. Diese Mitglied-schaft kann frühestens gekündigt werden, wenn die Mitgliedschaft in dieser Krankenkasse insgesamt 18 Monate erreicht.
In erweiternder Auslegung des Gesetzes darf die gewählte Krankenkasse die Mitgliedsbe-scheinigung auch dann ausstellen, wenn die Mitgliedschaft bei der vorherigen Krankenkas-se 18 Monate beträgt und wenn – anstelle einer "Kündigungsbestätigung" – nachgewiesen wird, dass diese Mitgliedschaft die Mindestbindungsdauer erreicht hatte (wie hier: Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung – Kommentar, § 175 SGB V, Rdnr. 16 EL 42). Denn der Gesetzgeber kann der Vorkasse nicht wahrheitswidrig auf-geben, eine "Kündigung" zu bestätigen, wenn die Mitgliedschaft schon von Gesetzes we-gen nicht mehr besteht. Mithin reicht es bei vorläufiger Würdigung des Sachverhaltes im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aus, wenn die Mitgliedschaft in der vorherigen Krankenkasse, d.h. hier die Taunus BKK, nachweislich mindestens 18 Monate andauerte.
Hiervon ist nach Sachlage auszugehen. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen (Meldun-gen zur Sozialversicherung), an denen zu zweifeln die Kammer keinerlei Veranlassung sieht, war die Ast als Beschäftigte zumindest seit 01.01.2004 ununterbrochen bei der Tau-nus BKK pflichtversichert, sowie anschließend nach dem Bewilligungsbescheid der Agen-tur für Arbeit Leipzig in derselben Krankenversicherung mit Beginn der Arbeitslosigkeit. Obgleich keine schriftliche Bestätigung der Vorkasse selbst vorliegt, ist bei verständiger Würdigung des Sachverhalts mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Mindestbindungsdauer erfüllt ist. Da dieser gesetzgeberische Zweck vorliegend erreicht sein dürfte, hat die Ag der Ast vorläufig die freiwillige Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung der Ag und der Beigeladenen zu bescheinigen.
Ein Anordnungsgrund besteht, weil der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung be-sonders dringlich erscheint. Die Ast wäre ohne Krankenversicherungsschutz im Falle der Krankheit unabsehbaren finanziellen Risiken ausgesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
II. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Die am ... Antragstellerin (Ast) begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige freiwillige Versicherung bei der Antragsgegnerin (Ag) und der Beigeladenen.
Sie war bis 31.03.2006 in der Anwaltskanzlei ... m Angestelltenverhältnis als Rechtsanwältin beschäftigt. Im Rahmen des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses war sie bei der Taunus Betriebskrankenkasse versichert. Das Arbeitsverhältnis wurde ihr zum 31.03.2006 gekündigt, vom 01. bis 02.04.2006 war sie arbeitslos gemeldet und machte sich ab 03.04.2006 selbstständig.
Zuvor erkundigte sie sich mit Schreiben vom 20.02.2006 bei der Ag zu den Bedingungen für eine freiwillige Mitgliedschaft. Nach Erhalt einer entsprechenden Auskunft mit Schreiben vom 13.03.2006 beantragte sie am 12.04.2006 die freiwillige Versicherung. Sie sei vom 21.08.1996 bis 22.03./31.03.2006 bei der BKK Taunus bzw. anderen gesetzlichen Krankenkassen versichert gewesen. Fernmündlich bat die Ag sie daraufhin um eine Kündigungsbestätigung der Vorkasse. Aus-weislich eines Vermerkes der Ag könne sie diese Bescheinigung mangels Kündigung nicht erbringen. Diese sei auch nicht erforderlich.
Mit Bescheid vom 13.04.2006 lehnte die Ag den Antrag ab. Bei Ausscheiden aus der Ver-sicherungspflicht sei für den Beitritt zur freiwilligen Versicherung der Nachweis der Vor-versicherungszeit erforderlich. Vor Aufnahme in die freiwillige Versicherung sei es ferner notwendig, die 18-monatige Bindungsfrist bei der bisherigen Krankenkasse einzuhalten, was durch Vorlage einer Kündigungsbestätigung der neuen Krankenkasse nachzuweisen sei.
Hiergegen legte die Ast am 20.04.2006 Widerspruch ein. Es sei weder eine Kündigungs-bestätigung noch eine 18-monatige Versicherungszeit notwendig.
Zugleich hat sie am 20.04.2006 beim Sozialgericht Leipzig vorläufigen Rechtsschutz be-gehrt. Da sich die Versicherungspflicht aus dem Ende des Arbeitsverhältnisses bzw. dem Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGG III) ergeben habe, bedürfe es für den Eintritt dieser Rechtsfolge keiner Kündigungserklärung bei der bisheri-gen Krankenkasse; denn die Beendigung der Mitgliedschaft ergebe sich unmittelbar aus dem Gesetz. Zudem sei sie mindestens 24 Monate in der gesetzlichen Krankenversiche-rung versichert gewesen. Hierzu legte sie als Anlage u.a. Meldungen zur Sozialversiche-rung und den Bewilligungsbescheid der Agentur für Arbeit Leipzig vom 17.03.2006 vor. Da sie nur bis zum 02.05.2006 bei ihrer bisherigen Krankenkasse nachversichert sei, ge-nieße sie nach diesem Zeitpunkt keinen Krankenversicherungsschutz mehr.
Sie beantragt,
"die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsachever-fahren als freiwillig Versicherte bei ihr seit dem 03.04.2006 zu versichern."
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin, verwiesen.
II.
Der statthafte Antrag ist zulässig und begründet.
Das Gericht kann nach Maßgabe des § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ast vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anord-nungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Da die Ast vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Aufnahme in die freiwillige Versicherung begehrt, erstrebt sie vorläufigen Rechtsschutz entsprechend § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG. Denn anders als bei einer sogenannten Sicherungsanordnung (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG), bei der die Sicherung eines status quo im Vordergrund steht, geht es bei einer sogenannten Regelungsanordnung, wie im vorliegenden Fall, um die Begründung einer neuen Rechtsposition.
Für die Regelungsanordnung sind (ebenso wie nach § 123 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsord-nung (VwGO) i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)) der durch die einstweilige Anordnung zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und der Grund, weshalb die einstweilige Anordnung ergehen soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.
Die Voraussetzungen für einen Anordnungsanspruch sind im Falle der Vorwegnahme der Hauptsache nur glaubhaft gemacht, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für das Ob-siegen im Hauptsacheverfahren besteht (so: OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.08.1992, DVBl. 93, 66). Andererseits muss die Anwendung des vorläufigen Rechts-schutzes unter Beachtung des jeweils betroffenen Grundrechtes und des Erfordernisses des effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) erfolgen. Dann müssen jedoch gewichtige Anhaltspunkte dafür sprechen, dass das Rechtsmittel in der Hauptsache aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988, NJW 89, 827).
Nimmt der Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache aber vorweg, sind an die Prognose der Erfolgsaussichten besondere Anforderungen zu stellen. Denn mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung darf grundsätzlich nicht etwas begehrt und im gerichtlichen Verfahren zugesprochen werden, was als Vorgriff auf den im Hauptsachever-fahren geltend zu machenden Anspruch anzusehen ist, weil das Gericht dem Wesen und dem Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend die Grenzen der vorläufigen Rege-lung grundsätzlich nicht überschreiten und damit das im Verwaltungs- und Klageverfahren verfolgte Ziel nicht vorwegnehmen darf (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 123 Rdnr. 13 ff).
Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann mit der einstweiligen Anordnung die Hauptsache ausnahmsweise nur vorweggenommen werden, wenn ohne die einstweilige Anordnung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile für den Ast. entstehen (BVerfGE 46, 166 ff). Die Entscheidung, ob in Anbetracht der besonderen Um-stände des Falles ausnahmsweise durch die einstweilige Anordnung die Hauptsache vor-weggenommen werden darf, hängt damit wesentlich von der Bedeutung und Dringlichkeit des Anspruches und der Größe sowie Irreparabilität des Schadens für den Ast. bzw. die Allgemeinheit ab. Für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Ent-scheidung des Gerichtes maßgeblich (BVerfGE 42, 299).
Von einer derart hohen Erfolgswahrscheinlichkeit war hier auszugehen. Nach der – im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen – summarischen Be-trachtungsweise ist davon auszugehen, dass bei einem gegebenenfalls noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren die Klage aller Voraussicht nach Erfolg haben wird.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) können u.a. der Versicherung beitreten Personen, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und in den letzten 5 Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmit-telbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 12 Monate versichert waren. Hierbei ist nach Maßgabe des Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift der Beitritt der Krankenkasse innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft anzuzeigen. Die Ausübung des Wahlrechts ist gegenüber der gewählten Krankenkasse zu erklären, die die Mitglied-schaft nicht ablehnen darf (§ 175 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V). Hierbei hat die gewählte Krankenkasse nach Ausübung des Wahlrechts unverzüglich eine Mitgliedsbescheinigung auszustellen (§ 175 Abs. 2 Satz 1 SGB V).
Das Gesetz sieht jedoch nach § 175 Abs. 2 Satz 2 SGB V weiterhin vor, dass für den Fall, dass innerhalb der letzten 18 Monate vor Beginn der Versicherungspflicht oder Versicherungsberechtigung eine Mitgliedschaft bei einer anderen Krankenkasse bestanden hat, die Mitgliedsbescheinigung nur ausgestellt werden darf, wenn die Kündigungsbestätigung nach Abs. 4 Satz 3 vorgelegt wird. Danach hat die Krankenkasse dem Mitglied unverzüg-lich, spätestens jedoch innerhalb von 2 Wochen nach Eingang der Kündigung, eine Kündi-gungsbestätigung auszustellen.
Zwar endete die Pflichtmitgliedschaft der Ast mit Kündigung ihres versicherungspflichti-gen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 190 Abs. 2 SGB V ) bzw. nach Beendigung der Arbeitslosigkeit (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) durch Aufnahme ei-ner selbstständigen Beschäftigung; das (Pflicht-)Mitgliedschaftsverhältnis erlosch mithin bereits kraft Gesetzes; gleichwohl soll die Mitgliedsbescheinigung nach § 175 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB V nur ausgestellt werden dürfen, wenn zuvor eine "Kündigungsbestätigung" vorgelegt worden ist.
Eine "Kündigung" als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung ist im Rechtssinne jedoch nur dann möglich, wenn die damit intendierte Rechtsfolge - hier: die Beendigung der Mitgliedschaft - vom Willen des Versicherten selbst abhängt. An einer derartigen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit fehlt es jedoch, wenn die Rechtsfolge bereits von Ge-setzes wegen eintritt. Da die Bescheinigungspflicht bei Ausübung des Kassenwechsels indes nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nicht nur für Versicherungspflichtige, sondern auch für Versicherungsberechtigte gilt, ohne dass dies in der Gesetzesformulie-rung unter Bezugnahme auf § 175 Abs. 4 Satz 3 SGB V hinreichend zum Ausdruck kommt, ist entscheidend auf Sinn und Zweck der Regelung abzustellen:
Danach soll die "Kündigungsbestätigung" die Einhaltung der Bindungsdauer von 18 Mo-naten nach Abs. 4 Satz 2 der Vorschrift sicherstellen (vgl. BT-Drucks. 14/5957 S. 4). Eine andere Krankenkasse kann damit nur gewählt werden, wenn bei der vorher zuständigen Krankenkasse die Mindestbindungsdauer erreicht worden ist. Wenngleich nach Abs. 2 Satz 2 die Vorlage einer "Kündigungsbestätigung nach Abs. 4 Satz 3", vorausgesetzt wird, die nur bei der Kündigung einer bestehenden Mitgliedschaft auszustellen ist, kann daraus nicht gefolgert werden, dass die Regelung nur beim unmittelbaren Kassenwechsel gilt. Endet in den letzten 18 Monaten eine Mitgliedschaft, die nicht mindestens 18 Monate bestand, ist die Mitgliedschaft bei der vorher zuständigen Krankenkasse fortzusetzen. Diese Mitglied-schaft kann frühestens gekündigt werden, wenn die Mitgliedschaft in dieser Krankenkasse insgesamt 18 Monate erreicht.
In erweiternder Auslegung des Gesetzes darf die gewählte Krankenkasse die Mitgliedsbe-scheinigung auch dann ausstellen, wenn die Mitgliedschaft bei der vorherigen Krankenkas-se 18 Monate beträgt und wenn – anstelle einer "Kündigungsbestätigung" – nachgewiesen wird, dass diese Mitgliedschaft die Mindestbindungsdauer erreicht hatte (wie hier: Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung – Kommentar, § 175 SGB V, Rdnr. 16 EL 42). Denn der Gesetzgeber kann der Vorkasse nicht wahrheitswidrig auf-geben, eine "Kündigung" zu bestätigen, wenn die Mitgliedschaft schon von Gesetzes we-gen nicht mehr besteht. Mithin reicht es bei vorläufiger Würdigung des Sachverhaltes im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aus, wenn die Mitgliedschaft in der vorherigen Krankenkasse, d.h. hier die Taunus BKK, nachweislich mindestens 18 Monate andauerte.
Hiervon ist nach Sachlage auszugehen. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen (Meldun-gen zur Sozialversicherung), an denen zu zweifeln die Kammer keinerlei Veranlassung sieht, war die Ast als Beschäftigte zumindest seit 01.01.2004 ununterbrochen bei der Tau-nus BKK pflichtversichert, sowie anschließend nach dem Bewilligungsbescheid der Agen-tur für Arbeit Leipzig in derselben Krankenversicherung mit Beginn der Arbeitslosigkeit. Obgleich keine schriftliche Bestätigung der Vorkasse selbst vorliegt, ist bei verständiger Würdigung des Sachverhalts mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Mindestbindungsdauer erfüllt ist. Da dieser gesetzgeberische Zweck vorliegend erreicht sein dürfte, hat die Ag der Ast vorläufig die freiwillige Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung der Ag und der Beigeladenen zu bescheinigen.
Ein Anordnungsgrund besteht, weil der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung be-sonders dringlich erscheint. Die Ast wäre ohne Krankenversicherungsschutz im Falle der Krankheit unabsehbaren finanziellen Risiken ausgesetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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