S 8 KR 227/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 8 KR 227/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Brustgröße allein bedingt noch keine behandlungsbedürftige Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für eine Brustverkleinerung.

Die ... Klägerin ist Leiterin Vermietung und Verkauf in einem Immobilienservice. Am 15.04.2003 beantragte der Frauenarzt Dr ... die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik wegen Beschwerden der Klägerin im Schulter- und Halswirbelsäulenbereich und Schlaffheit der Mammae. Über entsprechende Risiken der Operation habe er aufgeklärt. Sie fühle sich aufgrund ihrer Brustweite im öffentlichen Leben gehemmt.

Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) von Frau Dr ... vom 29.04.2003 ein. Danach bestehe kein regelwidri-ger Körperzustand, der einer operativen Korrektur bedürfe. Sie leide unter Übergewicht (Größe: 160 cm, Gewicht: 73 kg, BMI (Body-Maß-Index): 28). Sie trage Büstenhalter (BH) Größe 80 F. Sie empfehle eine Gewichtsreduktion zur Linderung der orthopädischen Beschwerden, die Mitbehandlung durch einen Orthopäden und Physiotherapie.

Durch Bescheid vom 05.05.2003 wies die Beklagte unter Bezugnahme auf dieses Gutach-ten den Antrag ab.

Hiergegen legte die Klägerin am 13.05.2003 Widerspruch ein. Die Untersuchung beim MDK habe sie als "anmaßend" und demütigend empfunden. Sie habe aufgrund ihrer Brustgröße Schlafprobleme und treibe deswegen keinen Sport mehr. Die Gewichtszunah-me hänge mit ihrem eingestellten Nikotinabusus zusammen. Die empfohlene Rückenschu-le beseitige ihre Probleme nicht. Im Übrigen sei sie seit vielen Jahren zahlendes Mitglied der Beklagten.

Laut Stellungnahme des behandelnden Orthopäden Dr. N ... vom 27.05.2003 werde eine Verkleinerungsoperation wegen statischer Überbelastung und chronischer Beschwerden der Brustwirbelsäule dringend empfohlen. In einem weiteren Gutachten des MDK führte Frau Dr. R ... am 17.07.2003 aus, dass eine Brustverkleinerungsoperation nur die "ultima ratio" sein könne. Es bestehe eine hy-potrophe Rückenmuskulatur sowie mittelgradige Verspannungen im Schulter- und Na-ckenbereich. Nach einer Stellungnahme des Allgemeinmediziners und Sportarztes Dr. K ... vom 22.08.2003 bestehe bei der Klägerin mittlerweile ein chronifiziertes depressives Syndrom aufgrund einer Selbstwertstörung und Unsicherheitsgefühl. Dieses beruhe auf vertebrage-nen Schmerzen bei Hypertrophie der mammae, weshalb eine Brustverkleinerung dringend angeraten werde.

Durch Widerspruchsbescheid vom 12.11.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Medizinische Maßnahmen seien nicht erforderlich. Bei psychischen Störungen kämen Mittel der Psychiatrie und Psychotherapie in Betracht. Es bestehe keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Rückenschmerzen auf die Brustgröße zurückzuführen seien. Ein Rechtsanspruch auf Kostenübernahme für einen operativen Eingriff in einen im Norm-bereich liegenden Körperzustand gäbe es nicht. Eine Kulanzentscheidung sei nicht mög-lich, da Leistungen nur innerhalb des gesetzlichen Rahmens erbracht werden könnten.

Die Klägerin hat deswegen am 03.12.2003 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben. In ihrer Begründung vom 01.07.2004 führt sie aus, dass ihr Sport wegen Schmerzen der Brüs-te nicht mehr möglich sei. Ihre berufliche Tätigkeit als Maklerin und Hausverwalterin wer-de hierdurch eingeschränkt. Durch eine Operation würde sie von den Schmerzen befreit. Die von der Beklagten vorgeschlagenen Maßnahmen dienten lediglich der Behandlung von Symptomen, beseitigten jedoch nicht deren Ursache.

Das Gericht hat eingeholt Befundberichte von Dr. N ... vom 09.07.2004, vom Allgemein-mediziner Dr. B ...vom 21.07.2004, dem ein Befund der Radiologin Schrödter vom 03.12.2003 beigefügt worden war, sowie von Dr ...S ... vom 12.08.2004. Mit Beweisanordnung vom 08.12.2004 hat das Gericht Frau Dr. K ...-M ... mit der Erstel-lung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt. Mit weiterer Beweisanordnung vom 01.12.2005 hat das Gericht auf Antrag der Klägerin Dr. S ... mit einem weiteren Gutachten beauftragt. Auf dessen Antrag hin hat ihn das Gericht statt dessen mit einer gutachterlichen Stellungnahme beauftragt. Ausweislich der Rechnung vom 08.03.2005 nahm die Klinik " ..." GmbH am 14.04.2005 den operativen Eingriff an der Brust vor.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 05.05.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Mammareduktionsplastik gemäß Kostenrechnung vom 08.02.2005 der Klinik " ..." GmbH in Höhe von 4000,00 EUR (Rechnungsnum- mer 20050388) zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Aktenin-halt, eine Gerichtsakte sowie ein Verwaltungsvorgang der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 05.05.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2003 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Er verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der Klägerin steht kein Rechtsanspruch auf Kostenerstattung für ihre Brustverkleine-rungsoperation i.H.v. 4000,00 Euro zu. Die Krankenkassen stellen den Versicherten unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)) Leistungen zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Ver-sicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Hierbei erhalten die Versicherten die Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neun-te Buch nichts Abweichendes vorsehen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Ausnahmsweise ist nach § 13 Abs. 3 SGB V eine Kostenerstattung vorgesehen, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Un-recht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbst beschafften Leistungen Kosten entstanden sind. Nur für diesen Fall sind von der Krankenkasse Kosten in entstandener Höhe zu erstatten, soweit diese Leistung notwendig war.

Ein Ausnahmefall vom Sachleistungsprinzip nach Maßgabe dieser Vorschrift liegt hier jedoch nicht vor. Die in Anspruch genommene Leistung war nicht im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V unaufschiebbar. Wie aus dem Wortlaut "unaufschiebbare Leistungen" folgt, ist die Kostenerstattung bei selbst beschafften Leistungen nur ausnahmsweise in Notfällen zulässig. Ein "Notfall" in diesem Sinne liegt nur vor, wenn aus Sicht des betrof-fenen Versicherten eine solche bedrohliche Erkrankung vorliegt, dass nur eine sofortige ärztliche Behandlung Hilfe bringen kann (vgl. beispielsweise BSGE 19, 270). Als unauf-schiebbare Leistungen gelten damit vorrangig Notfälle im Sinne des § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V und andere dringliche Bedarfslagen, wie z. B. Systemversagen, Versorgungslücken oder höhere Gewalt. Ob eine Leistung "unaufschiebbar" im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 Erste Alternative SGB V ist und eine dringende Behandlungsbedürftigkeit besteht, beur-teilt sich ausschließlich nach medizinischen Kriterien. In Notfällen dieser Art muss daher der übliche Beschaffungsweg mit einer für den Berechtigten unvermeidbaren Verzögerung, d.h. mit medizinischen Risiken, nicht unbedingt aber Lebensgefahr, verbunden sein, der die Erhaltung oder Besserung des Gesundheitszustandes gefährden könnte. Hiervon ist vor allem dann auszugehen, wenn heftige Schmerzen unzumutbar lange andauern würden (vgl. BSGE 34, 172). Ein derartiger Notfall im Sinne der Erforderlichkeit einer "Ersten Hilfe" (vgl. BSGE 19, 270 (272)) aufgrund der Brustgröße lag jedoch nicht vor; zwar hat die Klägerin vorgetragen, "wegen" der Brustgröße seit längerem unter Schmerzen zu lei-den. Hieraus resultiert allein jedoch noch keine sofortige, nicht mehr aufschiebbare, opera-tive Korrektur. Dies geht auch daraus hervor, dass die Rechnung der Klinik " ..." GmbH auf den 08.03.2005 datiert, der Eingriff jedoch erst am 14.04.2005, d. h. nach Rech-nungserstellung, vorgenommen worden war.

Die Beklagte hat die Leistung auch nicht im Sinne des § 13 Abs. 3 Satz 1 Zweite Alterna- tive SGB V zu Unrecht abgelehnt. Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Leis-tungen der gesetzlichen Krankenversicherung müssen nach § 12 Abs. 1 SGB V ausrei-chend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versi-cherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Kranken-kassen nicht bewilligen. Da die begehrte operative Brustkorrektur nicht medizinisch erfor-derlich war, war sie auch nicht notwendig und damit nicht von der Beklagten zu erstatten.

Es liegt schon keine behandlungsbedürftige Krankheit nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V vor, die einen entsprechenden Leistungsanspruch der Beklagten begründen könnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG), der das erkennende Gericht folgt, wird unter Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand verstanden, dessen Eintritt u.a. Behandlungsbedürftigkeit zur Folge hat (vgl. nur: BSG SozR 3-2200 § 182 Nr. 14; vgl. auch: OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.01.1991, Az: 12 U 70/90). Im Hinblick auf die behauptete Operationsindikation fehlt es zur Verschaffung der Sachleistung – Mammareduktionsplastik - am Merkmal einer "Krankheit" im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Ein Behandlungsanspruch ließe sich – wie ausgeführt- nur damit begründen, dass eine Abweichung von der Norm bestünde. Aus dem MDK-Gutachten von Frau Dr. W ... vom29.04.2003 folgt, dass die Klägerin die BH-Größe 80 F trägt. Aus der BH-Größe und der Größe der Brust allein kann jedoch noch nicht auf einen krankhaften Zustand geschlossen werden; denn die Brustgröße be-dingt für sich noch keinen regelwidrigen und behandlungsbedürftigen Körperzustand.

Wenn die Beschaffenheit ihrer Brust nach Auffassung der Klägerin vom typischen Er-scheinungsbild der weiblichen Brust abweichen sollte, ist festzuhalten, dass es eine "ideal-typische" Größe der Brust nach allgemeiner Anschauung nicht gibt. Insoweit ist das kör-perliche Ideal und damit einhergehend die allgemeine Anschauung, wie groß eine Brust zu sein hat, nicht auf die Allgemeinheit übertragbar. Vielmehr unterliegen Schönheitsideale regelmäßig wechselnden Modeerscheinungen. Eine deswegen angestrebte Verkleinerung oder Vergrößerung der Brust wäre insoweit – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – lediglich als eine, nicht dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegende, "Schönheitsoperation" zu werten. Denn ein "Leitbild des gesunden Menschen" zur Be-stimmung dessen, was regelwidrig ist, gibt es im Hinblick auf die Größe der Brust nicht. Krankenbehandlung ist jedoch erst dann notwendig, wenn durch sie der regelwidrige Kör-per- oder Geisteszustand behoben, gebessert, vor einer Verschlimmerung bewahrt oder Schmerzen sowie Beschwerden gelindert werden können (BSGE 35, 10). Die Größe der Brust allein bedingt somit noch keine Behandlungsbedürftigkeit im krankenversicherungs-rechtlichen Sinne (so bereits: SG Leipzig, Gerichtsbescheid vom 09.05.2005, Az: S 8 KR 49/03, veröffentlicht in "juris").

Etwas anderes könnte allenfalls in wenigen extremen Ausnahmefällen gelten, so wenn der körperliche Zustand entstellend bis verunstaltend wäre (vgl. dazu ausführlich: SG Leipzig, in: Breithaupt 2002, 865 ff.). Dann müssten jedoch – über die Größe eines Körperteils hin-aus – krankhafte Veränderungen zu besorgen sein, die mit Schmerzen einhergehen.

Aus keinem der eingeholten Gutachten geht indes hervor, dass die Größe der Brust allein zu einer Einschränkung wesentlicher körperlicher Funktionen geführt haben könnte. Eine derartige Funktionseinbuße ist auch nicht aus der von der Klägerin angegebenen fehlenden Möglichkeiten einer sportlichen Betätigung abzuleiten. Dieses betrifft lediglich das Frei-zeitverhalten, geht jedoch nicht mit einer körperlichen Funktionseinbuße einher. Wenn die Klägerin demgegenüber einwendet, dass sie aufgrund der Brustgröße im Rahmen ihrer Berufstätigkeit als Hausverwalterin und Maklerin nicht die für allgemein üblich angesehe-ne Kleidung tragen könne, beruht dieser Zustand nicht auf einer übergroßen Brust. Zwar hat das Gesetz über die Anpassung der Leistungen zur Rehabilitation (jetzt: Sozialgesetz-buch Neuntes Buch (SGB IX)) den Krankheitsbegriff insoweit weiterentwickelt, als auch bei dauernder Beeinträchtigung oder Aufhebung der Fähigkeit zur Verrichtung von Arbeit, zur Ausübung eines Berufes oder zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben infolge Be-hinderung Leistungen der Krankenbehandlung grundsätzlich in Frage kommen (vgl. § 1, 2, 4 SGB IX); hier beruht die geltend gemachte Beeinträchtigung der Berufsausübung jedoch nicht auf der Größe der Brust, sondern damit einhergehend auf der Schwierigkeit einer angemessenen Bekleidungswahl. Ferner fehlt es an einer Behinderung.

Wenn der behandelnde Orthopäde, Dr. N ..., in seinem Befundbericht vom 09.07.2004 für das Gericht Verschleißerkrankungen der Hals- und Brustwirbelsäule diagnostiziert hat, fehlt es an einem Nachweis dafür, dass diese orthopädischen Beschwerden auf die Brust-größe zurückzuführen sind. Wenn Dr. N ... zuvor in seiner Stellungnahme vom 27.05.2003 eine Verkleinerungsoperation dringend empfahl wegen statischer Überbelastung und chro-nischer Beschwerden der Brustwirbelsäule, beinhaltet dies noch keinen medizinischen Nachweis einer Verursachung dieser Beschwerden durch die Brustgröße. Andernfalls müsste der männliche Bevölkerungsteil von Rückenschmerzen in weitaus geringerem Ma-ße betroffen sein als Frauen, bei denen die Brüste ein Gegengewicht zum Rücken darstel-len. Frau Dr. R ... vermochte insoweit in ihrem Gutachten für den MDK vom 17.07.2003 eine hypotrophe Rückenmuskulatur und nur mittelgradige Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich festzustellen. Die noch von Frau Dr. W ... in ihrem Gutachten für den MDK vom 29.04.2003 empfohlene Gewichtsreduktion zur Linderung orthopädischer Beschwerden dürfte vorliegend nicht mehr in Betracht kommen, weil die Klägerin nach Einstellen des Rauchens und vorübergehender Gewichtszunahme – wie auch in der münd-lichen Verhandlung erkennbar war – deutlich ihr Gewicht verringert hat.

Dass die diagnostizierten degenerativen Veränderungen auf die Brustgröße zurückzuführen sind, steht jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest. Denn der große Brustumfang an sich bedingt noch keine körperlichen Beschwerden. Diese können allenfalls mittelbar zu orthopädischen Beschwerden werden. Krankenbehandlungsmaßnahmen haben indes un-mittelbar an der eigentlichen Krankheit anzusetzen (wie hier: BSG SozR 3-2500 § 39 Nr. 5; SozR 3-2200 § 182 Nr. 14). Wenngleich aus dem Befundbericht des behandelnden Or-thopäden hervorgeht, dass die begehrte Reduktionsplastik die Rückenbeschwerden lindern könnte, steht im Hinblick auf die bereits eingetretenen degenerativen Veränderungen nicht fest, dass damit auch eine wesentliche Verbesserung des gegenwärtigen Zustandes erreich-bar wäre. Motorische Störungen finden sich in keinem der eingeholten Gutachten. Es sind keine derart gewichtige körperliche Störungen diagnostiziert worden, die eine Operations-erforderlichkeit bedingen könnten.

Im Vergleich dazu ist auch das Risiko einer Operation im Vergleich zu physiotherapeuti-schen Maßnahmen u.ä. in Rechnung zu stellen. Das erkennende Gericht tritt ausdrücklich der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg bei, wonach vor Durch-führung einer Brustverkleinerungsoperation sämtliche Behandlungsalternativen durchzu-führen sind. Eine chirurgische Behandlung im Bereich der Brust darf stets nur die letzte denkbare Maßnahme sein (Urteil vom 20.04.2004, Az: L 11 KR 1886/03). Denn durch eine Brustverkleinerungsoperation wird im Grunde in ein gesundes Organ, d.h. die "große" Brust, eingegriffen. Da hierbei das Risiko der Narkose und auch das Ergebnis der Operati-on zu berücksichtigen ist, stellt eine chirurgische Behandlung im Bereich der Brust nur die "ultima ratio" dar. Wenngleich es für eine Behandlungsbedürftigkeit ausreicht, dass durch die Maßnahme Schmerzen gelindert werden (vgl. BSGE 26, 288 (289)), müssen zur Be-schwerdelinderung zunächst "mildere Formen" der ärztlichen Behandlung vor Brustver-kleinerungsoperationen in Anspruch genommen werden. Frau Dr. R ... hat in ihrem Gut-achten vom 17.07.2003 jedoch eine hypotrophe Rückenmuskulatur und mittelgradige Ver-spannungen im Schulter-Nackenbereich festgestellt, die grundsätzlich auch durch eine Physiotherapie gelindert werden könnten. Diese "mildere" Behandlungsalternative ist da-mit noch nicht als ausgeschöpft anzusehen und damit zur Schmerzlinderung einer Brust-operation vorzuziehen.

Das Gericht weicht auch nicht von der Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialge-richts zur Kostenübernahme für eine Mammareduktions-Operation ab (Urteil vom 24.09.2003, Az: L 1 KR 84/01). Dort bestand die Notwendigkeit einer medizinischen Indi-kation zur Operation bei Makromastie nur in den Fällen, in denen nach intensiver physika-lischer Therapie Beschwerden im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich nicht mehr behoben werden konnten. Unter Bezugnahme der "Leitlinie der Vereinigung der Deutschen Plasti-schen Chirurgie" im Deutschen Ärzteblatt 100, Ausgabe 8 vom 21.02.2003 bestehen Gründe für eine medizinische Negation bei inframammärer Feuchtigkeit mit Intertrigo, Rücken- und Nackenschmerzen (schlechte Haltung), Schwere und Völlegefühl, Hautein-ziehungen über der Schulter von dem zu hochgezogenen Büstenhalter, Schmerzen in den Arm ausstrahlend (Brachialplexusbeteiligung) sowie anatomischen Muskel- und Knochen-veränderungen. "Gegebenenfalls" besteht bei Makromastie eine Indikation, wenn zusätzli-che Beschwerden im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich angegeben werden, die nach in-tensiver physikalischer Therapie nicht gemindert werden konnten.

So liegt der Fall – wie aufgezeigt – hier jedoch nicht. Zu beachten war ferner, dass beste-hende, röntgenologisch fassbare degenerative Veränderungen der Wirbelsäule durch eine Reduktionsplastik nicht mehr behoben werden können. Es können allenfalls deren Aus-wirkungen gemindert werden. Als sichtbare körperliche Zeichen für die Einwirkung der schweren Brust können "Schnürfurchen" im Bereich beider Schultern durch die BH-Träger und mechanische Druckstellen in anderen BH-Bereichen bestehen. Dies war vorliegend nicht festzustellen. In keinem der eingeholten Befundberichte, auch nicht in der auf Antrag der Klägerin eingeholten gutachterlichen Stellungnahme von Dr. S ..., geht hervor, dass Schnürfurchen vorgelegen haben. Es lagen auch keine durch die Brustgröße bedingte Haltungsschäden vor. Diese waren vielmehr, selbst nach Auskunft des behandelnden Frau-enarztes, zu keinem Zeitpunkt zu erheben. Er vermochte eindeutige orthopädische Folge-schäden eines vielbelasteten Skelettsystems nicht mit Sicherheit zu erruieren (vgl. Blatt 175 der Gerichtsakte).

Er bestätigt damit im Wesentlichen im Ergebnis das eingeholte Gutachten von Frau Dr. K ...-M ... Danach besteht zwischen den Wirbelsäulenbeschwerden und der Größe der Brust kein Zusammenhang. Sie vermochte ebenfalls keine gravierenden Schnürfurchen im Schultergürtel zu erkennen. Die Beschwerden ließen sich durch wiederholte physikalische Behandlungen beheben. Eine Mammareduktionsplastik, wie von der Klägerin begehrt, stelle keine geeignete Maßnahme zur Beschwerdelinderung dar. Ob mit einer Operation die jetzigen Schmerzen verschwinden könnten oder eventuell neue Beschwerden auftreten könnten, könne nicht vorausgesagt werden. Das Risiko einer Brustverkleinerungsoperation sei aus orthopädischer Sicht nicht zu vertreten. Vielmehr seien physikalische Behandlun-gen im Intervall erforderlich.

Ein Anspruch auf die begehrte Maßnahme ist auch nicht daraus abzuleiten, dass eine Mammareduktionsplastik möglicherweise psychische Probleme der Klägerin bessern könnte. Hier hat sich noch keine Notwendigkeit für eine nervenärztliche Behandlung erge-ben. Dass eine etwaige Störung im psychischen Befinden der Klägerin durch eine Mamma-reduktionsplastik günstig beeinflusst werden könnte, vermag allein eine Leistungspflicht der Beklagten nicht zu begründen. Etwaige Krankenbehandlungsmaßnahmen haben viel-mehr unmittelbar an der eigentlichen Krankheit anzusetzen, d. h. hier greifen vorrangig Mittel der Psychiatrie bzw. Psychotherapie (wie hier: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24.04.2001, Az: L 16 KR 7/01; SG Leipzig a.a.O.).

Dies gilt selbst für den Fall, dass die Klägerin auf eine Brustverkleinerung psychisch fixiert sein sollte. Denn die von der Krankenkasse geschuldete Krankenbehandlung umfasst – wie aufgezeigt - grundsätzlich nur solche Maßnahmen, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit, d.h. hier der möglichen Störung, ansetzen (BSG SozR 3-2500 § 39 Nr. 5). An-dernfalls würde die Leistungspflicht der Krankenkassen im Bereich der gesetzlichen Kran-kenversicherung – entgegen dem Wirtschaftlichkeitsgedanken des § 12 SGB V – unver-einbar ausgeweitet (so: BSG SozR 3-2200 § 182 Nr. 14). Eine Grenzziehung hinsichtlich einer möglichen Verpflichtung der Krankenkasse zur Übernahme kostspieliger Schön-heitsoperationen wäre kaum möglich und könnte zu unabsehbaren Folgekosten für die Krankenkassen führen (LSG Nordrhein-Westfalen a.a.O.). Die Beklagte hat deswegen zu Recht die Kostenerstattung für eine Mammareduktionsplastik i.H.v. 4000,00 Euro abge-lehnt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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